Im April trafen sich über 40 Sicherheitsingenieure zu einer Fortbildung in Sachen Arbeitsschutz im St. Pauli Stadion in Hamburg. Eingeladen hatten die vier Hersteller Ansell, Elten, 3M und Kübler. Auf dem Programm standen Fachvorträge und Workshops, die den Teilnehmern einen „Rundumblick“ zum Thema PSA vermittelten. Wie sah das konkret aus?
Aktuelle und künftige Einflüsse auf den Arbeitsschutz beleuchtete Professor Dr.-Ing. Anke Kahl in ihrem Eröffnungsvortrag. Dabei spann die Leiterin des Fachgebiets Sicherheitstechnik/Arbeitssicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal den Bogen von Änderungen in der Rechtssprechung über neue Technologien bis hin zum gesellschaftlichen Wandel. Positiv bewertete Kahl, dass Produktsicherheit und Arbeitsschutz zunehmend gemeinsam betrachtet würden. Ein Beispiel sei die EU-Chemikalienverordnung REACH.
Aus dem für jede gefährliche Chemikalie erforderlichen Sicherheitsdatenblatt des Herstellers bzw. Inverkehrbringers und der Sicherheitsbeurteilung ließen sich Schlussfolgerungen in Form von Eingangsgrößen für die Gefährdungsbeurteilung sowie erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz der Arbeitnehmer ableiten. Allerdings seien die Dokumente selbst bei Stoffen mit geringem Gesundheitsrisiko sehr umfangreich. Es koste darum viel Zeit und Fachwissen, die relevanten Informationen herauszufiltern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, der Sicherheitsingenieur muss ein solides fachliches Verständnis im Bezug auf die Inhalte und Bezüge der unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente der Produktsicherheit besitzen. Um hilfreiche Schnittstellen zwischen der produktbezogenen Chemikaliensicherheit und dem Arbeitsschutz darzustellen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Bekanntmachung zu Gefahrstoffen als neues staatliches Kommunikationsinstrument etabliert (z. B. BekGS 408).
Unabhängig von den genannten Instrumenten forderte Kahl, dass die Marktüberwachung verstärkt werden müsse, um zu verhindern, dass EU-weit verbotene Stoffe über Drittländer in die Produktionsprozesse zurückflössen. Als Beispiel nannte sie asbesthaltige Dichtungsringe.
Mit Blick auf neue, sich schnell verbreitende Technologien wies Kahl auf verschiedene interessante Entwicklungen in puncto Arbeitsschutz hin, u.a. beim Betrieb mit kollaborierenden Robotern. Ein vielversprechender Ansatz, um Gefährdungen technisch wirksam zu minimieren, sei der Einsatz von RFID-Chips (Radio Frequency Identification), der schon in zahlreichen Anwendungen (u. a. in PSA) praktische Anwendung findet. Auf großes Interesse stieß die von Kahl zitierte Esener Studie (European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks, OSHA 2009, Abb. 1), nach der Stress, hinter Unfällen, das am zweithäufigsten genannte arbeitsbedingte Gesundheitsproblem darstellt. Stress wiederum erhöhe das Unfallrisiko am Arbeitsplatz – und dieser Zusammenhang verschärfe sich u. a. besonders, mahnte Kahl, wenn Mitarbeiter z. B. an gefährlichen Arbeitsplätzen aufgrund des hohen Arbeitsdrucks die PSA nicht oder falsch tragen. Damit leitete die Arbeitssicherheitsexpertin direkt zu den Workshops über, in denen die Verbesserung der Trageakzeptanz stets ein zentrales Thema war.
Atem‑, Augen- und Gehörschutz
75 Prozent aller anerkannten Fälle von Berufskrankheiten in Deutschland sind allein auf mangelnden Atem- oder Gehörschutz zurückzuführen, erfuhren die Teilnehmer im Workshop von 3M. Um den Erfahrungsaustausch unter den Sicherheitsbeauftragten zu fördern wurden sie gebeten, auf einer Skala von „niedrig bis hoch“ die Tragebereitschaft von Atem‑, Augen- und Gehörschutz in ihren jeweiligen Unternehmen zu bewerten und die typischen Widerstandsargumente zu benennen. „Unterm Strich zeigte sich, dass die Tragebereitschaft umso höher ist, je bewusster sich der Träger der Gefährdung ist“, fasste Dörte Quel, Technical Service Manager im Arbeitsschutz bei der 3M Deutschland GmbH, die Ergebnisse zusammen. Zudem bestehe ein enger Zusammenhang zwischen der Tragebereitschaft und dem Tragekomfort.
So wurde z. B. die Tragebereitschaft von mit Frischluft versorgten Gebläsedruckluftsystemen durchweg hoch eingestuft, während Partikelmasken schon mal eher „vergessen“ werden. Besonders bei Partikelmasken wurden Atemwiderstand, Schwitzen unter der Maske und Passform als Gründe genannt. Wie Abhilfe geschaffen werden kann, demonstrierte das 3M-Team mit Partikelmasken, die einen sehr niedrigen Atemwiderstand aufweisen. Verfügen die Masken zusätzlich über ein Ausatemventil, verringern sich Atemwiderstand und Hitzestau nochmals deutlich.
In puncto Augenschutz zeigte sich, dass Korrektionsschutzbrillen bei Brillenträgern hohe Akzeptanz genießen, gefolgt von Bügelbrillen. Negativ bewertet wurden Vollsichtbrillen. Vorteilhaft sei in jedem Fall eine Antibeschlagbeschichtung, hob Quel hervor. Für Mitarbeiter, die über „Kopfschmerzen“ und „Verzerrung der Sicht“ klagen, könnten Bügelbrillen mit asphärischen Scheiben eine Lösung sein, empfahl Quel. Da sich bei Vollsichtbrillen ein Schwitzen und Beschlagen letztlich nicht verhindern lässt, plädierte Quel bei längeren Tragedauern und sowieso in der Kombination mit Atemschutz für die Vollmaske.
Beim Gehörschutz klassifizierten die Arbeitsschutzbeauftragten die Tragebereitschaft von individuell angepasstem Gehörschutz (Otoplasten) durchweg als hoch. Insgesamt zeigte sich, dass die Auswahl von passendem Gehörschutz von vielen Faktoren abhängig ist und der klassische vorzuformende Gehörschutzstöpsel keine „Patentlösung“ darstellt. „Viele Argumente bezüglich schlechter Passform und mangelnder Verständigung lassen sich mit einer gezielten Auswahl lösen“, riet Quel. Erstes Auswahlkriterium sei die Lärmbelastung. Die notwendige Dämmung müsse ohne Überdämmung für den Träger erfolgen. 75 dB sollten unter dem Schutz noch ankommen. Außerdem gelte es, Tragedauer und Arbeitsumfeld zu berücksichtigen. Bei Tätigkeiten mit hoher Schmutzlast seien Gehörschutzstöpsel mit Stiel oder Gehörschutzkapseln sinnvoll. Den höchsten Tragekomfort biete nachweislich der angepasste Gehörschutz. Viele der angesprochenen Unterschiede konnten die Teilnehmer anhand von Exponaten auch ohne reale Produktionsumgebung nachvollziehen.
Methode für mehr Sicherheit und Produktivität im Handschutz
Die Herausforderung für Unternehmen bei der Auswahl geeigneter PSA im Handschutz brachte Steffen Mischke, Territory Sales Manager bei der Ansell GmbH, gleich zu Beginn seines Vortrags auf den Punkt: „Der großen Diversität von manuellen Arbeiten, die Mitarbeiter verrichten, steht ein ebenso riesiges Angebot an Schutzhandschuhen gegenüber“. Die Aufgabe, jeden Mitarbeiter so auszustatten, dass er eine optimale Arbeitsleistung erbringen kann und gleichzeitig bestmöglich geschützt ist, sei folglich nicht einfach zu lösen und führe in Unternehmen häufig zu einem Wildwuchs an Schutzhandschuhen. Für mehr Sicherheit und eine Standardisierung des Bestell- und Lagermanagements sorge das von Ansell entwickelte Analysetool Guardian, stellte Mischke in Aussicht. Die Softwarelösung dokumentiere die gemeinsame Risikobewertung sehr detailliert, vergleiche den praktizierten Handschuheinsatz mit den ermittelten Schutzanforderungen und erstelle anschließend einen Optimierungsplan. Nach der Implementierung der Empfehlungen erfasse das Tool die langfristige Eignung der Lösungen und gewährleiste somit, dass das Streben nach mehr Produktivität keine einmalige Anstrengung, sondern ein kontinuierlicher Prozess sei. Die Dokumentation nach Arbeitsschutzgesetz – Der Handschuhplan – sei dabei genauso integriert wie die jährlich entstehenden Kosten des Handschutzes. Auch Ansell ziehe aus den Analysen und Umsetzungen wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Handschutzlösungen mit weiter verbesserter Sicherheit und Produktivität, so Mischke.
Modulare Schutzbekleidung
Joachim Geyer, Key Account Manager der Paul H. Kübler Bekleidungswerk GmbH & Co. KG, demonstrierte den Sicherheitsfachkräften anhand von Beispielen praxisnah, welche Risiken das Tragen ungeeigneter Schutzkleidung birgt. Dabei hob er auf wichtige Veränderungen der gängigen Normen ab. So definiert die neue Schweißerschutznorm ISO 11611, ehemals EN 470–1, für Schutzkleidung der Klasse 2 eine Nachglimmzeit von weniger als zwei Sekunden für Schweißabfall bzw. Partikel, die beim Löten, Flexen und ähnlichen Verfahren entstehen. Die Jacke muss die Hose in jeder Arbeitshaltung um mindestens 20 cm überlappen. Als weiteres Sicherheitskriterium wurde die Nahtfestigkeit in die Norm aufgenommen. Durch die aufwändigere Verarbeitung erhöhe sich zugleich die Standzeit der Kleidung erheblich, verwies Geyer auf einen positiven Nebeneffekt. Die Wetterschutznorm EN 471 schreibe zwischenzeitlich vor, dass auch das Kontrastmaterial hinsichtlich des Ausbluteverhaltens zu überprüfen ist. „Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein Grauschleier das Hintergrundmaterial in seiner Wahrnehmung negativ beeinflusst“, erläuterte Geyer. Die Antwort seines Hauses auf die gestiegenen Schutzanforderungen sei ein modulares PSA-Konzept, das unter Mitwirkung von Endanwendern entwickelt worden sei. Es erlaube, unterschiedliche Normenanforderungen – auch individuell auf den Endanwender zugeschnitten – in einheitlichem Design zu realisieren. Im Sinne einer einheitlichen CI sei sogar die Umsetzung ohne Normanforderung möglich.
Neben der Erfüllung der jeweils neuesten Auflagen habe Kübler den tragephysiologischen Eigenschaften höchste Priorität eingeräumt, um die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit des Trägers zu unterstützen, führte der Referent weiter aus. Neue Schnitttechnologien wie vorgeformte Ärmel, vorverlegte Seitennaht an den Hosen, Vorformungen im Knie sowie Bewegungsfalten bei der Jacke würden dem Träger ungewohnte Bewegungsfreiheit bescheren. Das sogenannte „Schanzenprinzip“ sorge dafür, dass sich keinerlei Schweißabfall an Patten, Arm- oder Bundsäumen festsetzen kann. Durch eine Kragenkonstruktion werde der Träger im Kinn-/Halsbereich besser geschützt, weil dadurch eine Überlappung des Gesichtsvisiers mit dem Stehkragen gesichert sei. Wie flexibel die Multinormbekleidung ist, verdeutlichte Geyer am Warnschutzmodell, das in der Farbe Warnorange bis zu sieben Gefährdungspotenziale abdecke.
Passform von Sicherheitsschuhen
Vorrangig um den Tragekomfort ging es im Workshop des auf Sicherheitsschuhe spezialisierten Herstellers Elten, der in Entwicklung und Forschung seit Jahren mit der Universität Tübingen zusammenarbeitet. Die jüngsten Erkenntnisse stellte PD Dr. Stefan Grau aus der Abteilung Sportmedizin an der dortigen Medizinischen Klinik vor. Durch ein neues Verfahren zur detailgenauen Vermessung von Füßen konnten Grau und sein Team vier für den Sitz des Schuhs entscheidende Fußmaße und daraus drei Fußtypen bestimmen, die den bisherigen Spielraum zur Optimierung der Passform deutlich erweitern. Bislang wurden für den Leistenbau allgemein nur Fußlänge und Vorfußweite herangezogen.
Nun werden Ballenlänge und Ballenwinkel sowie Ballen- und Fersenweite mit der Fußlänge in Beziehung gesetzt.
Durch eine neuartige Kombiaußensohle gelang es den Tübinger Wissenschaftlern außerdem, Drehbewegungen bei Arbeitsplätzen im Stehen zu erleichtern und dabei gleichzeitig dennoch eine hohe Rutschfestigkeit beim Gehen sicherzustellen. Um Drehbewegungen zu unterstützen, sei die Sohle an den vier Hauptbelastungspunkten mit Drehzonen versehen, so Grau. In der Auftreff‑, Stand- und Abstoßzone hingegen weise das Profil speziell ausgeformte Abschrägungen auf, um die Rutschfestigkeit zu maximieren. Einen Fortschritt in Sachen Komfort sieht Grau auch in der von seinem Team konstruierten langsohligen Einlegesohle, „die das Dämpfungsverhalten gerade bei stehender Tätigkeit verbessere“. Die vorgestellten Erkenntnisse wurden von Elten in der neuen Ergo-Active-Serie erstmals umgesetzt.
Als letzter Referent des Tages schloss Dipl.-Ing. Dieter Schlegel mit seinem Vortrag zur Verbesserung der Trageakzeptanz von PSA den Kreis. Als Tipp gab er den Sicherheitsbeauftragten mit nach Hause, die Mitarbeiter in die Gefährdungsbeurteilung sowie in die Auswahl und Tragetests von PSA (Abb. 2) eng einzubinden. Ebenso wichtig sei es, die Wirkungsweise von PSA immer wieder von neuem zu demonstrieren und die Mitarbeiter regelmäßig nach Verbesserungsvorschlägen zu befragen.
Kontakte:
Bergische Universität Wuppertal
Leiterin Fachgebiet Sicherheitstechnik/ Arbeitssicherheit
Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Anke Kahl
3M Deutschland GmbH
Technical Service Manager, Dörte Quel
Safety Division – Arbeitsschutz
Ansell GmbH
Territory Sales Manager, Steffen Mischke
Elten GmbH
Leitung Marketing, Denise Pollex
Medizinische Universitätsklinik und
Poliklinik Tübingen
Leiter Forschungsbereich Biomechanik
Priv.-Doz. Dr. Stefan Grau
ARGUS – Arbeitsschutzgesellschaft für
Umweltschutz und Sicherheitstechniken
Sicherheitskräfte nach ASiG
Schlegel und Faller GbR
Dipl.-Ing (FH)Dieter Schlegel
Paul H. Kübler Bekleidungswerk GmbH & Co. KG
Key Account Manager, Joachim Geyer
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