Welche Tätigkeiten üben Fachkräfte für Arbeitssicherheit in ihrem Arbeitsalltag aus? Und warum tun sie dies? Wie wirksam schätzen sie sich dabei ein und wie werden sie von anderen Akteuren im Unternehmen gesehen? Diesen und weiteren Fragen geht die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in Auftrag gegebene Langzeitstudie nach.
Technische Universität Dresden Frau Dr.-Ing. Katrin Höhn Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme Professur für Arbeitswissenschaft 01062 Dresden
Anliegen der Langzeitstudie
Neben den Betriebsärzten sind Fachkräfte für Arbeitssicherheit wichtige Akteure im Arbeitsschutz. Aufgabe der Fachkräfte ist es, Arbeitgeber in allen Fragen der Arbeitssicherheit einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu unterstützen und zu beraten. Seit dem Jahr 2001 bilden die Berufsgenossenschaften und die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach einer neuen Konzeption aus, die die Fachkräfte besser auf diesen Auftrag vorbereiten soll. Bisher ist allerdings nicht bekannt, welche Tätigkeiten von Fachkräften für Arbeitssicherheit mit welcher Intensität in der betrieblichen Praxis tatsächlich durchgeführt werden und wie effektiv Fachkräfte bei der Ausführung dieser Tätigkeiten sind.
Anliegen der Studie ist es daher, wissenschaftlich fundierte Kenntnisse über Struktur und Wirksamkeit dieser Tätigkeiten zu erlangen, um die Fachkräfte jetzt und für zukünftige Anforderungen bestmöglich zu rüsten. Mit den Erkenntnissen der Studie können Voraussetzungen und Fördermöglichkeiten identifiziert werden, die eine wirksame und effektive Ausübung der Tätigkeit als Fachkraft für Arbeitssicherheit im betrieblichen Arbeitsschutz ermöglichen. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen sollen praktische Gestaltungs- und Verbesserungsmöglichkeiten der betrieblichen Rahmenbedingungen zur Ausübung der Tätigkeit von Fachkräften für Arbeitssicherheit erarbeitet werden. Infolgedessen sollen Unterstützungsangebote für Fachkräfte und Unternehmen seitens der Unfallversicherungsträger weiter optimiert und darüber hinaus weitere Unterstützungskonzepte abgeleitet werden.
Design der Langzeitstudie
Die Studie gliedert sich in drei Teiluntersuchungen: Basisstudie, Vertiefungsstudie und Validierungsstudie.
In der Basisstudie werden Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach den von ihnen ausgeführten Tätigkeiten und nach den aus ihrer Sicht erreichten Wirksamkeiten im Unternehmen befragt. Außerdem geben die Fachkräfte Auskunft über betriebliche Rahmenbedingungen des Unternehmens, die Wirkungen externer, gesellschaftlicher Einflussfaktoren und über persönliche Daten. In der sich anschließenden Vertiefungsstudie werden Begründungszusammenhänge untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Begründungen, warum Tätigkeiten ausgeführt werden oder warum nicht und die Einschätzungen, worauf positive oder negative Wirkungen zurückzuführen sind. Da die Befragungen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu ihrer Tätigkeit und Wirksamkeit Selbsteinschätzungen darstellen, werden die Ergebnisse der Basisstudie durch eine Fremdsicht (Geschäftsführung, Betriebsarzt, Betriebsrat) validiert, um mögliche (positive oder negative) Verzerrungen in der Selbstsicht der Fachkräfte aufzuzeigen.
Die Basierhebung erfolgt über einen Zeitraum von 2005 bis 2011 insgesamt drei mal, die Bewertung durch die Geschäftsführer, Betriebsärzte und Betriebsräte wird in diesem Zeitraum zwei mal durchgeführt (Abbildung 1). Durch die Längsschnittbetrachtung über alle Jahre hinweg kann die Entwicklung der Betriebe im Hinblick auf die Rahmenbedingungen und den Fortschritt im Arbeitsschutz (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) betrachtet werden. Ziel der Wiederholungsmessungen ist es vor allem, festzustellen, ob und wie sich die Antriebsfaktoren für wirksames Handeln verändern (Vertiefung) und ob und wie die Fremdeinschätzung der Sifa durch die betrieblichen Kooperationspartner einem Wandel unterliegt (Validierung).
Ergebnisse der Basisuntersuchung
Die zahlreichen Tätigkeiten, die Fachkräfte für Arbeitssicherheit ausüben, wurden sieben Tätigkeitsfeldern zugeordnet. Auf einer Skala von 1 bis 5 (gar nicht intensiv bis sehr intensiv) gaben die Fachkräfte für Arbeitssicherheit an, wie intensiv sie sich um diese Tätigkeitsfelder kümmern (siehe Tabelle 1).
Fachkräfte für Arbeitssicherheit kümmern sich mit hoher Intensität um alle Tätigkeitsfelder mit Ausnahme der personenorientierten Gestaltung von Arbeitssystemen.
Die vielfältigen abgefragten Wirksamkeitsaspekte wurden vier Wirksamkeitsfeldern zusortiert. Auf einer Skala von 1 bis 5 (Verbesserungen gar nicht erkennbar bis umfassend erkennbar) schätzen die Fachkräfte ihre eigene Wirksamkeit ein (siehe Tabelle 2).
Fachkräfte für Arbeitssicherheit schätzen ihre Wirksamkeit bezüglich der Arbeitsschutzorganisation und –kultur, auf dem Feld der Reduktion von Gefährdungen sowie auf dem Feld des betrieblichen Nutzens als hoch ein. Die Wirksamkeitseinschätzung hinsichtlich der menschengerechten Arbeitsgestaltung lässt Entwicklungspotenzial erkennen.
Es hat sich gezeigt: je intensiver sich die Fachkraft für Arbeitssicherheit mit einem betrieblichen Gesamtkonzept der Gefährdungsbeurteilung beschäftigt, desto stärker erlebt sie sich in allen Gebieten als wirksam.
Kooperation ist ein wichtiges Merkmal für die Wirksamkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist. Besonders erfolgreiche Fachkräfte für Arbeitssicherheit zeichnen sich durch einen Arbeitsstil der „kooperativen Zielorientierung“ (z. B. durch eine hohe Sozialkompetenz und durch ein kooperatives Vertreten von Zielen im Unternehmen) und durch eine hohe Identifikation mit ihrer Rolle und Tätigkeit (z. B. durch ein Zuständigkeitsgefühl und ein Zugehörigkeitsgefühl zum Betrieb) aus.
Die Kooperation mit den Berufsgenossenschaften wird von den Fachkräften im Vergleich zu anderen externen Kooperationspartnern als besonders erfolgreich wahrgenommen.
Mit der Studie konnte nachgewiesen werden, dass die Sicherheits- und Gesundheitskultur wesentlich mit der Tätigkeit und der Wirksamkeit der Fachkräfte für Arbeitssicherheit zusammenhängt. Durch Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheits- und Gesundheitskultur des Unternehmens kann also die Wirksamkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit erhöht werden. Interessanterweise ist das Wirksamkeitsempfinden der Fachkräfte für Arbeitssicherheit von der Betriebsgröße unabhängig. In Kleinunternehmen können insbesondere hoch engagierte Fachkräfte für Arbeitssicherheit durch ihre intensive Tätigkeit – in Zusammenhang mit einer förderlichen Sicherheits- und Gesundheitskultur – eine hohe Wirksamkeit erreichen, die der von Fachkräften für Arbeitssicherheit in Großbetrieben in keiner Weise nachsteht.
Die Wirksamkeit von Fachkräften für Arbeitssicherheit ist dort wesentlich erhöht, wo eine direkte und regelmäßige Zusammenarbeit mit der Geschäfts- bzw. Betriebsleitung gegeben ist.
Die Mehrheit der Fachkräfte für Arbeitssicherheit schätzt die Bedeutung von Wandlungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft (z.B. Globalisierung, demografischer Wandel) für ihre Tätigkeit als hoch ein. Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die intensiver tätig sind und sich wirksamer einschätzen, kümmern sich auch mehr um externe Faktoren und sehen diese als bedeutsam an.
Unterstützung wünschen sich die Fachkräfte insbesondere hinsichtlich der Themenbereiche Deregulierung des Vorschriften- und Regelwerkes, I&-K-Technologien und Globalisierung.
Die Basisbefragung (t1) wurde nach einem Zeitraum von ca. zwei Jahren (t2) zum ersten Mal wiederholt. Dabei wurde im Wesentlichen der gleiche Fragebogen wie in der ersten Erhebung verwendet.
Zum zweiten Erhebungszeitpunkt bestätigten sich die Einschätzungen des ersten Erhebungszeitpunktes im Wesentlichen. Bei der Einschätzung der Tätigkeitsfelder ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Die Wirksamkeitsfelder stabilisieren sich quantitativ bzw. erhöhen sich leicht, wobei die Wirksamkeit im Bereich der menschengerechten Arbeitsgestaltung weiterhin zurückbleibt.
Mit fortschreitender Tätigkeitsdauer von t1 zu t2 kann ein Anstieg in der Intensität der Tätigkeit bei der Ausübung von Gefährdungsbeurteilungen festgestellt werden.
Die hohe kooperative Zielorientierung als qualitätsbestimmendes personales Merkmal für die Wirksamkeit der Fachkräfte konnte auch in der zweiten Erhebung bestätigt werden.
Je intensiver es der Sifa gelingt, mit Führungskräften zusammen zu arbeiten und selbst bei Neuplanung und Konzeption beratend mitzuwirken, umso höher wird ihre eigene Wirksamkeit eingeschätzt. Sich den direkten Zugang zur Geschäftsleitung zu verschaffen bei gleichzeitiger hoher Kooperationsfähigkeit mit allen Akteuren ist genauso notwendig für die wirksame Tätigkeit wie die Motivierung der Führungskräfte zu Gefährdungsanalysen oder die Einbindung in Planungsprozesse.
Die Kooperation mit den Berufsgenossenschaften wird absolut und im Vergleich zu anderen externen Kooperationspartnern sowohl zu t1 als auch zu t2 als besonders erfolgreich bewertet.
Ergebnisse der Vertiefungs- und Validierungsstudie
Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit wurden in der Vertiefungsstudie gefragt, warum sie bestimmte Tätigkeiten nicht bzw. kaum intensiv oder intensiv ausüben. Als Antwortmöglichkeiten wurden folgende Motive vorgegeben: „weil ich selbst von der Wirksamkeit überzeugt bin“, „weil ich diese Aufgabe gern mache“ (intrinsische Motivation), „weil ich mich durch Vorschriften und Regeln verpflichtet fühle“, „weil dies ein besonderes Problem in meinem Zuständigkeitsbereich ist“ (sachbezogene Motivation) und „weil Leitungs-/Führungskräfte großen Wert darauf legen“, „weil die Erfolge im Betrieb gesehen werden“ (extrinsische Motivation).
Durch die Vertiefungsstudie hat sich gezeigt, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugung (intrinsische Motive) das zentrale steuernde Motiv für das Tätigwerden der Fachkräfte für Arbeitssicherheit ist. Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die intensiv bestimmte unterstützende Tätigkeiten durchführen, tun dies im Durchschnitt aus mehreren Motiven (2 bis 3 Motive). Insgesamt spielen alle Motive in unterschiedlichen Kombinationen eine Rolle. Eine Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist das am häufigsten genannte Motiv (rund zwei Drittel der Fachkräfte für Arbeitssicherheit). Als zweithäufigste Begründung wurde das sachbezogene Motiv, „weil ich mich durch Vorschriften/Regeln dazu verpflichtet fühle“ genannt (ca. ein Drittel).
Fachkräfte, die gar nicht oder kaum bestimmte Tätigkeiten ausüben, geben hierfür überwiegend nur einen Grund an. Der häufigste genannte Grund ist das sachbezogene Motiv „weil dies in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich nicht erforderlich ist“.
Die eigene generelle Arbeits- und Vorgehensweise der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist aus ihrer Sicht ein bedeutender Grund für ihre Wirksamkeit. Die Befragten führen dies meist darauf zurück, dass diese Themen für sie selbst von hoher Wichtigkeit sind und sie daher auch entsprechend im Betrieb agieren. Wenn solche Wirkungen nicht erzielt wurden, werden die Ursachen zumindest teilweise darin gesehen, dass die Unternehmensleitung dies auch von der Fachkraft nicht erwartet.
Insgesamt kann man feststellen: Fachkräfte für Arbeitssicherheit arbeiten aus Überzeugung, das zeigt zumindest die erste Erhebungswelle. Ob und wie sich dieser Trend mit höherer Praxiserfahrung und veränderten Betriebsstrukturen sowie vielen Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld weiter entwickelt, wird die Folgeerhebung zeigen.
Die Validierungsstudie ging der Frage nach, wie andere betriebliche Arbeitsschutzakteure die Arbeit der Sifas einschätzen. Prinzipiell ist festzustellen, dass die Selbsteinschätzungen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu den Tätigkeiten und der Wirksamkeit sowie den betrieblichen Bedingungen durch die Fremdeinschätzungen der Geschäftsführer/Betriebsleiter bzw. Führungskräfte, Betriebsräte und Betriebsärzte weitgehend bestätigt wird. Meist wird die Wirksamkeit der Sifas von den anderen Akteuren sogar höher bewertet, als durch die Sifas selbst.
Sifa-Community
Parallel zur Befragung wurde eine Kommunikations- und Informationsplattform, die Sifa-Community, entwickelt (www.sifa-community.de). Mittlerweile nutzen über 2500 Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Gelegenheit, sich hier auszutauschen. Neben aktuellen Themen finden sich insbesondere Diskussionsforen zu interessierenden Aspekten der Sicherheitsarbeit im Betrieb.
Stand der Studie und Ausblick
Die drei Befragungswellen der Basisstudie sind mittlerweile abgeschlossen worden, die dritte Erhebung befindet sich derzeit in der Auswertung. Im Jahr 2010 wird die zweite Vertiefungs- und Validierungsbefragung der Sifas und anderen Unternehmensakteure durchgeführt werden. Hier sollen Veränderungen in der Motivstruktur und der Begründungszusammenhänge der Wirksamkeitseinschätzungen der Sifas erfasst werden.
Anschließend wird eine Verknüpfung der verschiedenen Studienerkenntnisse (Vertiefungs‑, Validierungs- und Basisbefragung im Längsschnitt) stattfinden mit dem Ziel, spezifische Unterstützungsnotwendigkeiten abzuleiten.
Zum Abschluss der Studie wird ein Kurzinstrument erstellt werden, das künftig eine dauerhafte Erfassung der Ansichten der Sifas durch die DGUV ermöglicht, um die zukünftigen Veränderungsprozesse in der Wirksamkeit der Sifas frühzeitig zu erfassen und zielgerecht agieren zu können.
Autoren
Dr.-Ing. Katrin Höhn TU Dresden, Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme E‑Mail: katrin.hoehn@tu-dresden.de Prof. Dr.-Ing. Martin Schmauder TU Dresden, Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme E‑Mail: martin.schmauder@tu-dresden.de Werner Hamacher Systemkonzept – Gesellschaft für System-forschung und Konzeptentwicklung mbH, Köln E‑Mail: werner.hamacher@systemkonzept.de Dipl.-Ing. Gerhard Strothotte Deutsche GesetzlicheUnfallversicherung E‑Mail: gerhard.strothotte@dguv.de
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