Der Ausschuss für Gefahrstoffe hat im November seine ersten inhaltlichen Beschlüsse in der neuen Legislaturperiode gefasst und dabei eine für den AGS bemerkenswerte Entscheidung gefällt: Nach jahrelangen Diskussionen wurde die TRGS „Mineralischer Staub“ verabschiedet, wenn auch erst nach langen und kontroversen Diskussionen. Die TRGS zu Tätigkeiten mit Aluminiumsilikatfasern („Keramikfasern“) hat diese Hürde aber immer noch nicht genommen.
Dr. Ulrich Welzbacher Kleiststraße 18 53757 Sankt Augustin
Der Wind gegen beide Technischen Regeln weht aus ähnlichen Richtungen, wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten.
Kooperationsmodell — Quelle des Übels?
Der Widerstand gegen die TRGS „Mineralischer Staub“ wurde vor allem damit begründet, dass diese Technische Regel in einem Berufsgenossenschaftlichen Fachausschuss erarbeitet und im Rahmen des „Kooperationsmodells“ in den AGS eingebracht wurde, getreu dem Motto: „Der Arbeitsschutz ist zu wichtig, als dass man ihn den Berufsgenossenschaften überlassen dürfte!“
Wir erinnern uns: In früheren Jahren bestanden sehr viele – wenn nicht gar die meisten – Arbeitsschutzregelungen in Berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften, Regeln und Merkblättern. Dann „entdeckte“ der Staat plötzlich seine Verantwortlichkeit für Leben und Gesundheit seiner Bürger mit der Folge, dass er auch das gesamte Vorschriftenwesen für sich beanspruchte und den Berufsgenossenschaften den Erlass eigener Regelungen streitig machte. Da er zur vollständigen Übernahme der berufsgenossenschaftlichen Aktivitäten aber weder inhaltlich noch personell in der Lage war, wurde das so genannte „Kooperationsmodell“ erfunden, nach dem die Berufsgenossenschaften die Arbeit machen dürfen und der Staat dem Produkt durch Übernahme in das eigene Regelwerk sozusagen die „Höheren Weihen“ verleiht.
Dieses Modell ist jedoch auf staatlicher Seite (und bei einigen anderen Interessengruppen) nicht unumstritten. So entstehen dann jedes Mal heftige Diskussionen, wenn wieder einmal eine Berufsgenossenschaftliche Regelung zur Adelung durch Aufnahme in das TRGS-Regelwerk ansteht.
Mutter Erde – Mutter oder Rabenmutter?
Es gab jedoch auch inhaltliche Bedenken gegen eine TRGS für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen wie Quarzfeinstaub, bei denen die Exposition nicht unter die ubiquitäre Belastung z. B. am Sandstrand, in Wald und Flur oder auf Baustellen abgesenkt werden sollte.
Das BGIA (früher BIA, ab dem 1.1. 2010 IFA — Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung) hat einmal die Belastung von Landwirten mit silikogenem Staub beim Pflügen ermittelt und dabei festgestellt, dass die Agrarier um so stärker belastet sind, je „traditioneller“ihre Arbeitsweise ist. Das höchste Risiko trägt danach der Bauer, der nach alter Väter Sitte im Märzen die Rösslein einspannt und hinter dem Pflug einherschreitet…
Der AGS hat sich bisher nicht auf eine Expositions-Risiko-Beziehung (ERB) für silikogenen Staub einigen können, was nach der „reinen Lehre“ eigentlich Voraussetzung für den Erlass einer Technischen Regel wäre. In den Diskussionen zu Quarzfeinstaub werden Konzentrationsgrenzen für eine Krebsgefahr genannt, die eigentlich nur durch ein striktes Verbot der Erdkruste (die immerhin zu über 50% aus Siliziumdioxid besteht) unterschritten werden könnten. Aber zumindest müsste man an den Sandstränden Schilder aufstellen mit der Aufschrift „Betreten strengstens verboten! Lebensgefahr!“
Da der AGS im November aber mit Augenmaß gehandelt hat, bleiben uns solche Konsequenzen glücklicherweise erspart.
Keramikfasern gefährlicher als Asbest?
Ein Produkt, das die Gemüter der Ideologen mindestens ebenso erhitzt wie silikogener Staub, sind die Aluminiumsilikatfasern, in der Allgemeinheit besser bekannt als Keramikfasern, denen von interessierter Seite ein stärkeres kanzerogenes Potenzial zugeschrieben wird als Asbest. Schon Ende des vergangenen Jahrhunderts benutzte die AGS-Projektgruppe „Risikokommunikation“ Keramikfasern als Übungsbeispiel zur Abwägung von Nutzen und Risiken krebserzeugender Stoffe und zur Kommunikation dieser Zusammenhänge mit den Betroffenen, ohne jedoch über das tatsächliche Risiko einen Konsens herbeiführen zu können.
Auch hier hat sich der AGS bisher nicht auf eine Expositions-Risiko-Beziehung verständigen können mit der Folge, dass die entsprechende Technische Regel selbst nach fünfjähriger intensiver Diskussion nicht verabschiedungsreif ist (dafür ist aber der Obmann des zuständigen Arbeitskreises vielleicht reif für die Insel – dort wäre er dann aber bestimmt silikogenem Staub ausgesetzt!).
Die Folge ist jedenfalls, dass die Arbeitsschützer in den betroffenen Betrieben immer noch auf belastbare Regeln und Hilfestellungen für ihre Arbeit warten.
Staub in der Umwelt
Feinstaub kommt auch außerhalb des Arbeitsplatzes seit einiger Zeit immer mehr in Verruf. Die Konsequenzen begegnen uns täglich in Form der so genannten „Umweltzonen“ in zahlreichen Innenstädten. Die Europäische Gesetzgebung hat uns nämlich eine Richtlinie beschert, nach der die Feinstaubkonzentration in europäischen Städten höchstens 50 µg/m³ betragen und dieser Wert höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf.
Als Schuldigen für die Feinstaubbelastung hat man flugs den Straßenverkehr, insbesondere die Auspuffgase von Dieselmotoren, dingfest gemacht – aufgrund welcher Kriterien und Messergebnisse eigentlich? Es melden sich daher in letzter Zeit zunehmend Fachleute, die den Verkehr als Hauptursache für die Feinstaubbelastung anzweifeln. Auch wenn das Verwaltungsgericht Hannover im April 2009 die erste Klage gegen eine Umweltzone in einer deutschen Großstadt zurückgewiesen hat, wird dieses Thema in den nächsten Jahren Gerichte und Fachwelt offensichtlich weiter beschäftigen.
Tatsache ist jedenfalls, dass es auch viele andere Quellen für Feinstaub in der Umwelt gibt. Ich spreche hier nicht so sehr von vergleichsweise seltenen Ereignissen wie Vulkanausbrüchen, dem Hereinwehen von Stäuben aus der Sahara bei Südwetterlage oder dem alljährlich wiederkehrenden Silvester-Feuerwerk, sondern von ganz alltäglichen Zuständen: So besteht bei einer typischen Nordwest-Wetterlage etwa 50% des Feinstaubes in Frankfurt am Main aus Altsalz aus der Nordsee.
Zur „Beurteilung“ der Feinstäube in unseren Städten werden Staubproben einfach gesammelt und gewogen und danach unterstellt, dass sie alle aus derselben Quelle stammen (gefährlich sind sie doch sowieso!). Eine Analyse der Zusammensetzung und nachfolgende Differenzierung nach Herkunft wäre aber die Voraussetzung, um die Quellen zu ermitteln und daraus dann geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten (statt der Erdkruste könnte man dann ja vielleicht den Wind von der Nordsee oder aus der Sahara verbieten!?).
Die rheinische Lösung
Die Stadtverwaltung Köln hat hier vor einigen Jahren das Problem übrigens mit einer „typisch rheinischen Lösung“ zu regeln versucht: Dort hatte man die Messstationen einfach in städtischen Parkanlagen gut getarnt im Gebüsch platziert mit der Folge, dass die meisten Stäube – zumindest im Sommerhalbjahr – schon im Blattwerk hängen blieben, bevor sie die Messgeräte überhaupt erreichen konnten. Den Umweltaktivisten behagte diese (zugegebenermaßen nicht ganz sachgerechte) Lösung natürlich gar nicht, so dass auch in Köln heute nach den einschlägigen VDI-Richtlinien gemessen wird.
Diese Richtlinien haben für uns Arbeitsschützer leider den Nachteil, dass sie mit den am Arbeitsplatz üblichen Messverfahren nicht kompatibel sind: 50 µg Feinstaub in der Werkhalle sind nicht vergleichbar mit 50 µg Feinstaub auf der Straße vor dem Werkstor. Umrechnungsfaktoren oder ‑formeln für die verschiedenen Messwerte gibt es offenbar nicht, so dass es entsprechend schwierig ist, besorgten Mitarbeitern die Zusammenhänge verständlich zu erklären.
Aber was macht das schon, wenn es dem Gesetz- und Verordnungsgeber oder den staatlichen Regelsetzern sowieso nur um die Ideologie geht? Hauptsache, die Berufsgenossenschaften bleiben außen vor und man hat einen Prügelknaben – z.B. den Straßenverkehr –, dem man die Schuld an allem Übel in die Schuhe schieben kann… (Vielleicht ist ja auch ganz einfach der „Zwischenruf“ an allem schuld? Dann müsste man eben den verbieten – und alles wird gut!).
Dr. Ulrich Welzbacher
E‑Mail: Autor@Gefahrstoffinformation.de
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