1 Monat GRATIS testen, danach für nur 3,90€/Monat!
Startseite » Fachbeiträge » Archiv SI »

Es staubt gewaltig! - TRGS "Mineralischer Staub"

TRGS „Mineralischer Staub“
Es staubt gewaltig!

Der Auss­chuss für Gefahrstoffe hat im Novem­ber seine ersten inhaltlichen Beschlüsse in der neuen Leg­is­laturpe­ri­ode gefasst und dabei eine für den AGS bemerkenswerte Entschei­dung gefällt: Nach jahre­lan­gen Diskus­sio­nen wurde die TRGS „Min­er­alis­ch­er Staub“ ver­ab­schiedet, wenn auch erst nach lan­gen und kon­tro­ver­sen Diskus­sio­nen. Die TRGS zu Tätigkeit­en mit Alu­mini­um­si­likat­fasern („Keramik­fasern“) hat diese Hürde aber immer noch nicht genommen.

Dr. Ulrich Welzbach­er Kleist­straße 18 53757 Sankt Augustin

Der Wind gegen bei­de Tech­nis­chen Regeln weht aus ähn­lichen Rich­tun­gen, wenn auch mit unter­schiedlichen Argumenten.

Kooperationsmodell — Quelle des Übels?

Der Wider­stand gegen die TRGS „Min­er­alis­ch­er Staub“ wurde vor allem damit begrün­det, dass diese Tech­nis­che Regel in einem Beruf­sgenossen­schaftlichen Fachauss­chuss erar­beit­et und im Rah­men des „Koop­er­a­tions­mod­ells“ in den AGS einge­bracht wurde, getreu dem Mot­to: „Der Arbeitss­chutz ist zu wichtig, als dass man ihn den Beruf­sgenossen­schaften über­lassen dürfte!“
Wir erin­nern uns: In früheren Jahren bestanden sehr viele – wenn nicht gar die meis­ten – Arbeitss­chutzregelun­gen in Beruf­sgenossen­schaftlichen Unfal­lver­hü­tungsvorschriften, Regeln und Merk­blät­tern. Dann „ent­deck­te“ der Staat plöt­zlich seine Ver­ant­wortlichkeit für Leben und Gesund­heit sein­er Bürg­er mit der Folge, dass er auch das gesamte Vorschriften­we­sen für sich beanspruchte und den Beruf­sgenossen­schaften den Erlass eigen­er Regelun­gen stre­it­ig machte. Da er zur voll­ständi­gen Über­nahme der beruf­sgenossen­schaftlichen Aktiv­itäten aber wed­er inhaltlich noch per­son­ell in der Lage war, wurde das so genan­nte „Koop­er­a­tions­mod­ell“ erfun­den, nach dem die Beruf­sgenossen­schaften die Arbeit machen dür­fen und der Staat dem Pro­dukt durch Über­nahme in das eigene Regel­w­erk sozusagen die „Höheren Wei­hen“ verleiht.
Dieses Mod­ell ist jedoch auf staatlich­er Seite (und bei eini­gen anderen Inter­es­sen­grup­pen) nicht unum­strit­ten. So entste­hen dann jedes Mal heftige Diskus­sio­nen, wenn wieder ein­mal eine Beruf­sgenossen­schaftliche Regelung zur Adelung durch Auf­nahme in das TRGS-Regel­w­erk ansteht.

Mutter Erde – Mutter oder Rabenmutter?

Es gab jedoch auch inhaltliche Bedenken gegen eine TRGS für Tätigkeit­en mit kreb­serzeu­gen­den Stof­fen wie Quarzfe­in­staub, bei denen die Expo­si­tion nicht unter die ubiq­ui­täre Belas­tung z. B. am Sand­strand, in Wald und Flur oder auf Baustellen abge­senkt wer­den sollte.
Das BGIA (früher BIA, ab dem 1.1. 2010 IFA — Insti­tut für Arbeitss­chutz der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung) hat ein­mal die Belas­tung von Land­wirten mit siliko­gen­em Staub beim Pflü­gen ermit­telt und dabei fest­gestellt, dass die Agrari­er um so stärk­er belastet sind, je „traditioneller“ihre Arbeitsweise ist. Das höch­ste Risiko trägt danach der Bauer, der nach alter Väter Sitte im Märzen die Rösslein einspan­nt und hin­ter dem Pflug einherschreitet…
Der AGS hat sich bish­er nicht auf eine Expo­si­tions-Risiko-Beziehung (ERB) für siliko­ge­nen Staub eini­gen kön­nen, was nach der „reinen Lehre“ eigentlich Voraus­set­zung für den Erlass ein­er Tech­nis­chen Regel wäre. In den Diskus­sio­nen zu Quarzfe­in­staub wer­den Konzen­tra­tions­gren­zen für eine Kreb­s­ge­fahr genan­nt, die eigentlich nur durch ein strik­tes Ver­bot der Erd­kruste (die immer­hin zu über 50% aus Siliz­ium­diox­id beste­ht) unter­schrit­ten wer­den kön­nten. Aber zumin­d­est müsste man an den Sand­strän­den Schilder auf­stellen mit der Auf­schrift „Betreten streng­stens ver­boten! Lebensgefahr!“
Da der AGS im Novem­ber aber mit Augen­maß gehan­delt hat, bleiben uns solche Kon­se­quen­zen glück­licher­weise erspart.

Keramikfasern gefährlicher als Asbest?

Ein Pro­dukt, das die Gemüter der Ide­olo­gen min­destens eben­so erhitzt wie siliko­gen­er Staub, sind die Alu­mini­um­si­likat­fasern, in der All­ge­mein­heit bess­er bekan­nt als Keramik­fasern, denen von inter­essiert­er Seite ein stärk­eres kanze­ro­genes Poten­zial zugeschrieben wird als Asbest. Schon Ende des ver­gan­genen Jahrhun­derts benutzte die AGS-Pro­jek­t­gruppe „Risikokom­mu­nika­tion“ Keramik­fasern als Übungs­beispiel zur Abwä­gung von Nutzen und Risiken kreb­serzeu­gen­der Stoffe und zur Kom­mu­nika­tion dieser Zusam­men­hänge mit den Betrof­fe­nen, ohne jedoch über das tat­säch­liche Risiko einen Kon­sens her­beiführen zu können.
Auch hier hat sich der AGS bish­er nicht auf eine Expo­si­tions-Risiko-Beziehung ver­ständi­gen kön­nen mit der Folge, dass die entsprechende Tech­nis­che Regel selb­st nach fün­fjähriger inten­siv­er Diskus­sion nicht ver­ab­schiedungsreif ist (dafür ist aber der Obmann des zuständi­gen Arbeit­skreis­es vielle­icht reif für die Insel – dort wäre er dann aber bes­timmt siliko­gen­em Staub ausgesetzt!).
Die Folge ist jeden­falls, dass die Arbeitss­chützer in den betrof­fe­nen Betrieben immer noch auf belast­bare Regeln und Hil­festel­lun­gen für ihre Arbeit warten.

Staub in der Umwelt

Fein­staub kommt auch außer­halb des Arbeit­splatzes seit einiger Zeit immer mehr in Ver­ruf. Die Kon­se­quen­zen begeg­nen uns täglich in Form der so genan­nten „Umwelt­zo­nen“ in zahlre­ichen Innen­städten. Die Europäis­che Geset­zge­bung hat uns näm­lich eine Richtlin­ie beschert, nach der die Fein­staubkonzen­tra­tion in europäis­chen Städten höch­stens 50 µg/m³ betra­gen und dieser Wert höch­stens an 35 Tagen im Jahr über­schrit­ten wer­den darf.
Als Schuldigen für die Fein­staubbe­las­tung hat man flugs den Straßen­verkehr, ins­beson­dere die Aus­puff­gase von Diesel­mo­toren, dingfest gemacht – auf­grund welch­er Kri­te­rien und Messergeb­nisse eigentlich? Es melden sich daher in let­zter Zeit zunehmend Fach­leute, die den Verkehr als Haup­tur­sache für die Fein­staubbe­las­tung anzweifeln. Auch wenn das Ver­wal­tungs­gericht Han­nover im April 2009 die erste Klage gegen eine Umwelt­zone in ein­er deutschen Großs­tadt zurück­gewiesen hat, wird dieses The­ma in den näch­sten Jahren Gerichte und Fach­welt offen­sichtlich weit­er beschäftigen.
Tat­sache ist jeden­falls, dass es auch viele andere Quellen für Fein­staub in der Umwelt gibt. Ich spreche hier nicht so sehr von ver­gle­ich­sweise sel­te­nen Ereignis­sen wie Vulka­naus­brüchen, dem Here­in­we­hen von Stäuben aus der Sahara bei Süd­wet­ter­lage oder dem alljährlich wiederkehren­den Sil­vester-Feuer­w­erk, son­dern von ganz alltäglichen Zustän­den: So beste­ht bei ein­er typ­is­chen Nord­west-Wet­ter­lage etwa 50% des Fein­staubes in Frank­furt am Main aus Alt­salz aus der Nordsee.
Zur „Beurteilung“ der Fein­stäube in unseren Städten wer­den Staubproben ein­fach gesam­melt und gewogen und danach unter­stellt, dass sie alle aus der­sel­ben Quelle stam­men (gefährlich sind sie doch sowieso!). Eine Analyse der Zusam­menset­zung und nach­fol­gende Dif­feren­zierung nach Herkun­ft wäre aber die Voraus­set­zung, um die Quellen zu ermit­teln und daraus dann geeignete Schutz­maß­nah­men abzuleit­en (statt der Erd­kruste kön­nte man dann ja vielle­icht den Wind von der Nord­see oder aus der Sahara verbieten!?).

Die rheinische Lösung

Die Stadtver­wal­tung Köln hat hier vor eini­gen Jahren das Prob­lem übri­gens mit ein­er „typ­isch rheinis­chen Lösung“ zu regeln ver­sucht: Dort hat­te man die Messsta­tio­nen ein­fach in städtis­chen Parkan­la­gen gut getarnt im Gebüsch platziert mit der Folge, dass die meis­ten Stäube – zumin­d­est im Som­mer­hal­b­jahr – schon im Blat­twerk hän­gen blieben, bevor sie die Mess­geräte über­haupt erre­ichen kon­nten. Den Umweltak­tivis­ten behagte diese (zugegeben­er­maßen nicht ganz sachgerechte) Lösung natür­lich gar nicht, so dass auch in Köln heute nach den ein­schlägi­gen VDI-Richtlin­ien gemessen wird.
Diese Richtlin­ien haben für uns Arbeitss­chützer lei­der den Nachteil, dass sie mit den am Arbeit­splatz üblichen Messver­fahren nicht kom­pat­i­bel sind: 50 µg Fein­staub in der Werkhalle sind nicht ver­gle­ich­bar mit 50 µg Fein­staub auf der Straße vor dem Werk­stor. Umrech­nungs­fak­toren oder ‑formeln für die ver­schiede­nen Mess­werte gibt es offen­bar nicht, so dass es entsprechend schwierig ist, besorgten Mitar­beit­ern die Zusam­men­hänge ver­ständlich zu erklären.
Aber was macht das schon, wenn es dem Gesetz- und Verord­nungs­ge­ber oder den staatlichen Regelset­zern sowieso nur um die Ide­olo­gie geht? Haupt­sache, die Beruf­sgenossen­schaften bleiben außen vor und man hat einen Prügelkn­aben – z.B. den Straßen­verkehr –, dem man die Schuld an allem Übel in die Schuhe schieben kann… (Vielle­icht ist ja auch ganz ein­fach der „Zwis­chen­ruf“ an allem schuld? Dann müsste man eben den ver­bi­eten – und alles wird gut!).
Dr. Ulrich Welzbacher
Unsere Webi­nar-Empfehlung
Newsletter

Jet­zt unseren Newslet­ter abonnieren

Webinar-Aufzeichnungen

Webcast

Jobs
Sicherheitsbeauftragter
Titelbild Sicherheitsbeauftragter 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Sicherheitsingenieur
Titelbild Sicherheitsingenieur 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Special
Titelbild  Spezial zur A+A 2023
Spezial zur A+A 2023
Download

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de