Beim Brandschutz im Bestand tut sich was: Experten nehmen immer mehr Abstand von so genannten „Standardnachweisen“ mit ihren starr formulierten Bauteilanforderungen. Im Kommen sind schutzzielorientierte Brandschutzkonzepte, die – trotz unterschiedlicher Inhalte – ein vergleichbares Sicherheitsniveau bieten.
Brandschutzkonzept und Brandsicherheit
Bei den schutzzielorientierten Brandschutzkonzepten sind Nachweise, die auf vergleichenden Beurteilungsverfahren basieren, von jenen zu unterscheiden, die auf den individuellen Einzellfall eines Bauwerks verschiedene Szenarien simulieren. Beides kann von ingenieurgemäßen Berechnungsmethoden unterstützt werden. Letztere dürften vor allem größeren beziehungsweise besonders wertvollen Gebäuden auf Grund des rechnerischen und damit auch finanziellen Aufwandes bereits vorbehalten sein. Vereinfachende und verbreitete ingenieurgemäße Nachweise könnten hingegen bei einer Vielzahl von Gebäuden in die Brandschutzkonzepte einbezogen werden.
Die konkreten brandschutztechnischen Schutzziele basieren auf den Eigenschaften des Vorhandenen und auf den gewollten Nutzungen. Das darauf abgestimmte Brandschutzkonzept ermittelt den im jeweiligen Fall notwendigen vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz – ohne Regelvorgabe. Die Maßnahmen des vorbeugenden, abwehrenden und organisatorischen Brandschutzes sind zur Bestimmung der ausreichenden Brandsicherheit im direkten Zusammenhang miteinander festzulegen – ein besonders wichtiger Aspekt bei der Einschätzung des wirklichen Gefahrenpotenzials.
Die Basis der Anwendung geeigneter Maßnahmen bei der Sanierung oder denkmalpflegerischen Behandlung von baulichen Anlagen ist ein gebäudeorientiertes Brandschutzkonzept, in dem alle örtlichen Gegebenheiten und geplanten oder vorhandenen Nutzungsabsichten vorbehaltlos aufzulisten sind. Weiterhin muss eine kritische Überprüfung von Annahmen durch eine systematische Untersuchung mit dem Ziel der Erarbeitung einer Brandgefährdungsanalyse erfolgen.
Umgang mit den Bestandskonstruktionen
Erschwerend für die brandschutztechnische Beurteilung historischer Gebäudeanlagen sind vielfältige Umstände: Fahrzeuge der Feuerwehr haben erschwerte Zufahrtsbedingungen; zu geringe Durchfahrtshöhen oder ‑breiten sind vorhanden. Eine Löschwasserbevorratung und ‑versorgung oder eine Druckerhöhung für eventuelle Sprinkleranlagen gibt es nicht. Weite Gebäudeausdehnungen mit fehlenden Brandabschnittsbildungen und brennbare Materialien erhöhen das Gefährdungspotenzial, weil Verrauchungen erwartet werden müssen. Hinzu gesellen sich eingeschränkte Einsatzmöglichkeiten freiwilliger Feuerwehren. Für museale Nutzungen lassen sich die notwendigen Rettungswege und Treppenräume oftmals nicht ohne größere Substanzeingriffe schaffen. Veraltete technische Anlagen runden das vorzufindende brandschutztechnisch desolate Bild ab.
In diesem Zusammenhang ist der Gefahrbegriff näher zu präzisieren. Zu unterscheiden ist zwischen den juristischen Begriffen einer „konkreten“, damit wird die reale bezeichnet, und einer „abstrakten“ Gefahr, die mit der potenziellen identisch ist. Letztere entsteht aus der Rechtsverletzung, einer Nichtübereinstimmung mit dem geltenden Recht. Zur Vermeidung einer solchen Gefahrenlage hat der Gesetzgeber Vorschriften erlassen oder technische Regeln (Normen, Richtlinien) eingeführt. Zu den technischen Regeln ist anzumerken, dass eine Abweichung von diesen zulässig und nicht gesondert zu beantragen ist, wenn das Schutzziel anderweitig erreicht wird. Hier trifft jedoch die Beweislastumkehr zu. Andererseits gilt bei der Befolgung der „Eingeführten Technischen Baubestimmungen“ und von allgemein anerkannten Regeln der Technik, dass keine potenzielle Gefahr vorliegt.
Eine konkrete (reale) Gefahr besteht aus juristischer Sicht immer dann, wenn mit der Schädigung von Leben und Gesundheit zu rechnen ist und diese mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss. Sie liegt aber nicht vor, wenn ein Abweichen von Vorschriften, die der Sicherheit dienen, festgestellt wird. Die Einzelfallentscheidung über das Vorliegen einer realen Gefahr bedarf immer einer konkreten Gefährdungsanalyse. Es handelt sich bei einem bestehenden Gebäude nicht darum, jede Einzelanforderung im Brandschutz entsprechend den gültigen Rechtsvorschriften und Eingeführten Technischen Baubestimmungen zu erfüllen (Abwehren potenzieller Gefahren), sondern durch das Beseitigen realer Gefährdungen ein Sicherheitsniveau zu schaffen, das den Grundsatzforderungen zum Schutz von Leben und Gesundheit gerecht wird. Somit müssen auch in bestehenden baulichen Anlagen für jede Nutzungseinheit zwei Rettungswege zur Verfügung stehen, anderenfalls liegt eine reale Gefahr vor.
Historische Brandschutzmaßnahmen allein sind heute nicht mehr als ausreichende Garantie der Schutzziele gemäß der Landesbauordnung oder den Sonderbauvorschriften anzusehen. Es existieren aus vergangener Zeit aber viele sinnvolle Vorschläge für wirkungsvolle Maßnahmen über geeignete Verhaltensregeln in vom Feuer gefährdeten Bauwerken. Um ein bestehendes bauliches Gefüge und sein Tragwerk einschließlich seiner Qualitäten wirklichkeitsnah einschätzen zu können, ist ein Rückgriff auf die zu seiner Bauzeit gültig gewesenen Regeln oder Normen empfehlenswert. Dadurch kann das zur Errichtungszeit vereinbarte Sicherheitsniveau und ‑konzept verstanden und nachempfunden werden. Zugleich treten Quellen zu Tage, die Auskunft über die mögliche Leistungsfähigkeit und die zu berücksichtigenden Schwächen im Brandfall geben. In der Analyse bisheriger Planungsverläufe und deren wiederkehrender Probleme wurden durch den Autor Methodiken für die geeignete Handlungsweise beim Umgang mit dem Brandschutz bei bestehenden Gebäuden erarbeitet (s. Abb. 3). Diese basieren auf den gewonnenen Erkenntnissen zum geeigneten und unangemessenen Umgang mit bestehenden Gebäuden bzw. Baudenkmalen. Voraussetzung für vernünftige Abläufe ist das erforderliche „Hineindenken“ in die Erfordernisse der jeweils scheinbar einander gegenüberstehenden handelnden Seite. Es bedarf des gegenseitigen Verständnisses – ohne des sofortigen „Überlaufens“ oder des „Aufgebens“ der eigenen Position – und des wirklichen Bestrebens, sich verstehen zu wollen.
Erforderliche Brandschutzmaßnahmen und Ingenieurmethoden
Wenn brandschutztechnische Vorschriften, die für die Errichtung eines Neubaus gelten, bei bestehenden Gebäuden nicht befolgt werden können, dann sind zur gleichrangigen Erfüllung der betreffenden Forderungen „Ersatzmaßnahmen“ zu konzipieren.
Stets ist im Vorfeld nach den tatsächlichen, angeblich nicht gewährleistungsfähigen Eigenschaften eines Bauwerkes zu fragen. Ein Vergleich derselben mit denen für Neubauten geforderten ermöglicht Aussagen zur tatsächlich erforderlichen Brandsicherheit. Geschieht das, dann kann analysiert werden, ob und warum Defizite des Brandschutzes ohne Ausgleich, d. h. auf dem Wege der Abweichung ohne weitere Maßnahmen, oder durch Einsatz von zusätzlichen Maßnahmen zu tolerieren sind.
Es handelt sich darum, dem Sinn der Vorschrift für die konkreten örtlichen Verhältnisse zu entsprechen, nicht aber deren wörtliche Formulierung zu befolgen. Die Auswertung von Abweichungen, die bei bestehenden Gebäuden gegeben sind, und von den jeweiligen kompensierenden Maßnahmen, ergibt eine mögliche Grundlagenermittlung, die für eine Vielzahl bestehender Gebäude zutrifft. Es gibt allerdings verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, die für den Einzelfall konkret abgestimmt werden können.
Bereits seit längerer Zeit besteht zudem die Möglichkeit, die Dienlichkeit kompensierender Maßnahmen mit Hilfe von Methoden des Brandschutzingenieurwesens nachzuweisen. So können mittels wissenschaftlich anerkannter Verfahren Nachweise erfolgen, dass für vorgegebene bzw. erforderliche Zeiträume die vorhandenen Rettungswege ausreichend benutzbar bzw. wirksame Löscharbeiten möglich sind oder die Standsicherheit ausgewählter Bauteile gewährleistet ist.
Die in den sicherheitstechnisch erforderlichen Zeiträumen einzuhaltenden Sicherheitskriterien, die entweder der Begründung einer Abweichung oder dem Nachweis der geeigneten Maßnahme dienen können, sind aufgrund anerkannter Kriterien des Brandschutzes objekt- und schutzzielbezogen festzulegen. Sie können u. a. folgende Kriterien betreffen:
- Einhaltung einer im Brandschutzkonzept vorgegebenen raucharmen Schicht
- Einhaltung der Tragfähigkeit unter den ermittelten Temperaturbelastungen für einzelne Bauteile und die gesamte Tragkonstruktion
- Einhaltung erforderlicher Evakuierungszeiten
Als Methoden des Brandschutzingenieurwesens kommen derzeit insbesondere folgende in Frage, die jeweils zum Nachweis der ausreichenden Brandsicherheit des aufgestellten Brandschutzkonzeptes genutzt werden:
- Brandsimulationen als sog. „design fire“ anstelle von normgerechten Prüfungen
- Brand- und Rauchversuche
- Beurteilung des Brandverhaltens von Bauteilen und Tragwerken
- Personenstromanalysen
Um die bauaufsichtliche Akzeptanz der Anwendung von ingenieurgemäßen Nachweisen für den Nachweis der Brandsicherheit verbessern zu können, ist aktuell die Normungstätigkeit zu den „Brandschutzingenieurverfahren“ beim DIN begonnen worden. Es ist dabei vorgesehen, die Grundsätze für die Aufstellung von Nachweisen mit Methoden des Brandschutzingenieurwesens zu definieren. Explizit sollen diese Regelungen auch für bestehende Gebäude gelten. Das Ziel ist es dabei, sich vom Erfüllen fest vorgegebener Bauteilanforderungen zu lösen und anstelle dieses ingenieurgemäße, schutzzielorientierte Nachweise treten zu lassen. Es soll dabei weniger darum gehen, wiederum starre Anforderungen zu definieren, sondern stattdessen die richtige und angemessene Vorgehensweise zu beschreiben und zu regeln, mit der folgerichtig eine vertretbare Brandsicherheit ermittelt und nachgewiesen werden kann.
¹Geburtig, G., Brandschutz im Bestand: Holz, Stuttgart 2009, S. 212.
Autor
Dr. Gerd Geburtig Inhaber der Planungsgruppe Geburtig, Prüfingenieur für Brandschutz E‑Mail: planungsgruppe. geburtig@arcor.de
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