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Projekt ErgoKiTa gibt detaillierte Einblicke

Interview
Projekt ErgoKiTa gibt detaillierte Einblicke

Heben, Beu­gen, Sitzen auf viel zu kleinen Stühlen .… vieles bei der täglichen Arbeit von Erzieherin­nen und Erziehern in Kindertage­sein­rich­tun­gen belastet deren Gesund­heit, vor allem das Muskel-Skelett-Sys­tem. Was genau, hat nun erst­mals eine umfassende Prax­is-Studie zutage gebracht. Sicher­heits­beauf­tragter sprach darüber mit dem stel­lvertre­tenden Leit­er des Insti­tuts für Arbeitss­chutz der DGUV (IFA), Prof. Dr. Rolf Ellegast.

Das Insti­tut für Arbeitss­chutz der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (IFA) hat in Zusam­me­nar­beit mit dem Insti­tut für Arbeitswis­senschaft der Uni­ver­sität Darm­stadt und dem Insti­tut für Arbeitsmedi­zin der Uni­ver­sität Frank­furt die Belas­tungssi­t­u­a­tio­nen des päd­a­gogis­chen Per­son­als in Kindertagesstät­ten unter­sucht. Ini­ti­iert wurde das Pro­jekt von den Unfal­lka­ssen Rhein­land Pfalz, Nor­drhein-West­falen und Hes­sen sowie der Beruf­sgenossen­schaft für Gesund­heits­di­enst und Wohlfahrt­spflege (BGW). Die Ergeb­nisse des Pro­jek­ts „ErgoKi­Ta – Präven­tion von Muskel-Skelett-Belas­tun­gen bei Erzieherin­nen und Erziehern in Kindertage­sein­rich­tun­gen“ sind im IFA Report 2/2015 wiedergegeben (www.dguv.de, Web­code: d1059791). Prof. Dr. Rolf Elle­gast war als stel­lvertre­tender Leit­er des IFA am Pro­jekt beteiligt.

Herr Prof. Dr. Elle­gast, was war der Grund für das Pro­jekt „ErgoKi­Ta“? Lei­den Erzieherin­nen und Erzieher in Kindertagesstät­ten beson­ders häu­fig an Muskel-Skelett-Erkrankungen?
Prof. Elle­gast: Die ergonomis­che Arbeits­gestal­tung in Kindertagesstät­ten war in den let­zten Jahren immer wieder Gegen­stand öffentlich­er Diskus­sio­nen. Erzieherin­nen und Erzieher fall­en in Sta­tis­tiken der Krankenkassen durch über­durch­schnit­tliche Fehlzeit­en auf­grund von Muskel- und Skelet­tbeschw­er­den, aber auch psy­chis­chen Erkrankun­gen auf. Dies kann unter anderem auf vielfältige Belas­tun­gen im Arbeit­sall­t­ag, wie zum Beispiel dem Arbeit­en mit Kindern auf niedri­gen Arbeit­shöhen und auch wenig Erhol­ungs- und Rück­zugsmöglichkeit­en zurück­ge­führt werden.
Kön­nen Sie kurz skizzieren, wie das Pro­jekt ablief?
Prof. Elle­gast: Im Pro­jekt wur­den zunächst 265 Kitas in Nor­drhein-West­falen, Rhein­land-Pfalz und Hes­sen zu aktuellen Rah­menbe­din­gun­gen, Fort- und Weit­er­bil­dung und Ausstat­tung befragt. 24 repräsen­ta­tive Kitas (je sieben in Nor­drhein-West­falen und Hes­sen sowie zehn in Rhein­land-Pfalz) wur­den aus­gewählt und bei inten­siv­en Vor-Ort-Bege­hun­gen sowie durch Befra­gun­gen hin­sichtlich der physis­chen und psy­chis­chen Belas­tun­gen genauer unter­sucht. Weit­er ver­tieft wur­den diese Ist-Zus­tands-Analy­sen durch umfan­gre­iche Mes­sun­gen der physis­chen Belas­tun­gen und com­put­ergestützte Tätigkeit­s­analy­sen in ins­ge­samt 36 Arbeitss­chicht­en vor Ort in neun Kitas. Hier­durch haben wir einen sehr detail­lierten Ein­blick, ins­beson­dere in die physis­chen Belas­tungssi­t­u­a­tio­nen, in den Kitaall­t­ag erhal­ten. Auf­bauend hier­auf wur­den gemein­sam mit den Erzieherin­nen und Erziehern ver­schiedene Präven­tion­s­maß­nah­men abgeleit­et. So ent­stand ein Basiskat­a­log von Präven­tion­s­maß­nah­men für die Tätigkeits­bere­iche Spie­len, Essen, Pflege und Schlafen. Darin enthal­ten waren unter­schiedliche Lösungsan­sätze zur Belas­tungsre­duk­tion, wie der Ein­satz ergonomisch gestal­teter Wick­eltische oder ergonomisch gewicht­sop­ti­miert­er Möbel zur Ver­mei­dung von Zwang­shal­tun­gen, organ­isatorische Maß­nah­men zur Förderung des Belas­tungswech­sels und indi­vid­u­al­präven­tive Maß­nah­men. Wie wirk­sam diese Maß­nah­men sind, wurde anschließend in der Prax­is wis­senschaftlich evaluiert.
Welche Belas­tun­gen wur­den festgestellt?
Prof. Elle­gast: Belas­tungss­chw­er­punk­te ergaben sich beim Arbeit­en mit gebeugtem Oberkör­p­er in niedri­gen Arbeit­shöhen (mit­tlere Zei­tan­teile mit gebeugtem Oberkör­p­er zwis­chen 16 und 35 Prozent der Arbeitss­chicht). Der Anteil der Betreu­ung von unter Drei­jähri­gen und die Nutzung ungeeigneter Trans­port­mit­tel hat­te einen Ein­fluss auf die Las­ten­hand­habung (bis zu vier Prozent der Arbeitss­chicht Hand­habung von Gewicht­en 10 kg). Auf­fäl­lig waren weit­er­hin die rel­a­tiv hohen Anteile knien­der Hal­tun­gen (im Mit­tel bis zu 16 Prozent der Arbeitss­chicht) und sitzen­der Zwang­shal­tun­gen in ungün­sti­gen Kniege­lenkwinkel­stel­lun­gen. Unsere Tätigkeit­s­analyse bestätigte, dass der Beruf des Erziehers/der Erzieherin durch häu­figes Arbeit­en in Mul­ti­task­ing-Sit­u­a­tio­nen gekennze­ich­net ist. In der ErgoKi­Ta-Studie wurde bei den unter­sucht­en Erzieherin­nen beobachtet, dass sie sich in durch­schnit­tlich cir­ca 35 bis 40 Prozent ihrer gemesse­nen Arbeit­szeit in Mul­ti­task­ing-Sit­u­a­tio­nen befan­den. Das par­al­lele Aus­führen von Arbeit­sauf­gaben kann zu ein­er Leis­tungsver­schlechterung bei den Betrof­fe­nen führen und erhöht das Risiko für die Entste­hung von Fehlern am Arbeitsplatz.
Wie wirk­ten sich diese Belas­tun­gen auf die Gesund­heit der Beschäftigten aus?
Prof. Elle­gast: Der Schw­er­punkt unser­er Studie lag in der Unter­suchung physis­ch­er Belas­tun­gen und hier­mit ver­bun­den­er Präven­tion­san­sätze zur Opti­mierung arbeits­be­zo­gen­er Muskel-Skelett-Belas-tun­gen. In diesem Bere­ich gab der über­wiegende Teil der Beschäftigten aller unter­sucht­en Kitas bei Fra­gen zur gesund­heitlichen Sit­u­a­tion Muskel-Skelett-Beschw­er­den an. Am häu­fig­sten betrof­fen war min­destens ein Teil des Rück­ens (über 50 Prozent der Befragten). Auf­fäl­lig war darüber hin­aus die Beschw­erde­häu­figkeit im Bere­ich der Knie, die ins­ge­samt (ein- und bei­d­seit­ig) bei fast 50 Prozent der befragten Erzieherin­nen und Erzieher lag.
Die Befra­gung zum sub­jek­tiv­en Belas­tungsempfind­en und zur Gesund­heit des päd­a­gogis­chen Per­son­als in den 24 genauer unter­sucht­en Kitas ergab als beson­ders belas­tend emp­fun­dene Fak­toren vor allem das Fehlen erwach­se­nen­gerecht­en Mobil­iars, das Fehlen eines Pausen­raums, regelmäßig anfal­l­ende Über­stun­den, den Per­sonal­man­gel sowie die hohe Anzahl von Kindern pro Gruppe. Diese Ergeb­nisse wer­den von anderen Stu­di­en in Kitas bestätigt.
Welche Lösun­gen wur­den im Bere­ich Ergonomie entwickelt?
Prof. Elle­gast: Die Anteile an der Arbeitss­chicht, in denen Erzieherin­nen und Erzieher in kniebe­las­ten­den Hal­tun­gen arbeit­en, kon­nten durch die Nutzung ergonomis­chen Mobil­iars erhe­blich reduziert wer­den. Durch den Ein­satz von speziellen Erzieherin­nen­stühlen kon­nten Sitzhal­tun­gen, zum Beispiel bei Verpfle­gungstätigkeit­en, nach­drück­lich verbessert wer­den. Die mit Messsys­te­men erfassten physis­chen Belas­tungsspitzen wur­den dem päd­a­gogis­chen Per­son­al in einem spez­i­fis­chen Ergonomie-Work­shop anschaulich dargestellt und gemein­sam wur­den alter­na­tive ergonomis­che Abläufe für den Kitaall­t­ag erar­beit­et. Die Wirk­samkeit dieser opti­mierten Abläufe kon­nte wiederum messtech­nisch quan­tifiziert wer­den. So wurde das Arbeit­en in stark gebeugten Oberkör­per­hal­tun­gen sig­nifikant reduziert.
Kön­nen die Beschäftigten auch durch ihr Ver­hal­ten Belas­tun­gen verringern?
Prof. Elle­gast: Ja, das Ver­hal­ten der Beschäftigten spielt eine ganz wesentliche Rolle bei der Reduk­tion von Belas­tun­gen. Lei­der zeigte sich, dass das The­ma „Gesund­heit und Ergonomie“ wed­er in der Aus­bil­dung noch später in Fort­bil­dungsange­boten bei Erzieherin­nen und Erziehern eine nen­nenswerte Rolle spielt. Da es sich bei arbeits­be­zo­ge­nen Muskel-Skelet­tbeschw­er­den über­wiegend um Langzeit­fol­gen belas­ten­der Arbeitssi­t­u­a­tio­nen han­delt, muss das Gesund­heits­be­wusst­sein für belas­tende Sit­u­a­tio­nen bei den Beschäftigten verbessert wer­den. In unser­er Studie war hierzu die Präsen­ta­tion der indi­vidu­ellen physis­chen Belas­tungsspitzen zusam­men mit der per Video aufgeze­ich­neten Kita-Sit­u­a­tion eine sehr lehrre­iche Erfahrung für die Erzieherin­nen. Nach der Durch­führung die-ser spez­i­fis­chen Ergonomie-Work­shops kon­nte so für alle unter­sucht­en Kitas das Arbeit­en in stark gebeugten Oberkör­per­hal­tun­gen, ins­beson­dere bei der Bil­dungsar­beit, durch indi­vidu­ell verbesserte Arbeitsweisen erhe­blich reduziert werden.
Wie sollen die Forschungsergeb­nisse in die Prax­is einfließen?
Prof. Elle­gast: Die Ergeb­nisse des Pro­jek­tes fließen zurzeit schon in den Bau ein­er ergonomis­chen Muster-Kita ein, den die Unfal­lka­sse Rhein­land-Pfalz und das IFA begleit­en. In dieser Muster-Kita sollen Ver­ant­wortliche und Beschäftigte ander­er Kitas Ideen für ergonomis­che Lösun­gen sam­meln, die sie dann in ihren Ein­rich­tun­gen umset­zen kön­nen. Fern­er kön­nen die Erken­nt­nisse für Lehrmod­ule im Rah­men der Aus­bil­dung von Kita-Per­son­al und auch für Schu­lungs­ma­te­r­i­al zur Ver­hal­tenser­gonomie auf­bere­it­et wer­den. Eine Hand­lung­shil­fe zur gesund­heits­gerecht­en Kita-Gestal­tung sowie die Entwick­lung von Check­lis­ten zur Gefährdungs­beurteilung sind weit­ere Anwen­dungs­felder zur Umset­zung der Forschungsergeb­nisse in die betriebliche Praxis.
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