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Die hohe Belastung der Beschäftigten bleibt nicht nur im Bildungsbereich ein Dauerthema. Als Auslöser lassen sich etwa Arbeitsverdichtung, Entgrenzung und hohe Interaktionsdichte nennen. In unserem Experteninterview erklärt Dr. Lars Schmoll, wie nicht nur Lehrkräfte ihre Arbeit gesund meistern. Dabei gilt es, sich besonders Faktoren der Gesundheitsentstehung vor Augen zu führen.
Dipl.-Ing. (FH) Andrea Stickel
Eine große Gruppe Beschäftigter im Bildungsbereich fühlt sich chronisch überlastet, emotional erschöpft oder ausgebrannt. Die Zahlen variieren in den einzelnen Studien beträchtlich und liegen zwischen 18 und 57 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. in ihrer Untersuchung „Psychische Belastungen und Burn-out beim Bildungspersonal“. Neben dem Arbeitgeber können auch die Beschäftigten selbst einiges dafür tun, um in Balance zu bleiben.
Das erläutert im Interview mit Sicherheitsbeauftragter Dr. Lars Schmoll, Gymnasiallehrer, Coach, Hochschuldozent und Dozent an der SchiLf Akademie.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Belastungsfaktoren im Schulalltag?
Dr. Schmoll: Die Ursachen sind vielschichtig und bei jedem individuell. Grundsätzlich lässt sich aber angesichts der Arbeit in großen Klassen und mit schwierigen Schülern sagen: Vielen macht besonders die hohe Interaktionsdichte zu schaffen.
Das bedeutet, dass die Lehrkräfte permanent Entscheidungen treffen müssen. Es gilt etwa Fragen zu beantworten und Aufgaben zu verteilen oder Streit zu schlichten.
Dr. Schmoll: Richtig. Vor allem der Umgang mit alltäglichen Unterrichtsstörungen hat für viele Kolleginnen und Kollegen ein hohes Stresspotential. Zu den weiteren Faktoren zählen neben der Lärmbelastung die zum Teil fehlende Kooperation im Kollegium und zu wenig Unterstützung durch die Schulleitung. Viele haben auch Schwierigkeiten damit, Beruf und Privatleben zu trennen. Und nicht zuletzt bedrückt viele auch das geringe Prestige ihres Berufs.
Auf die meisten Punkte haben Lehrkräfte ja leider selbst keinen Einfluss. Was können sie trotzdem unternehmen, um gesund und zufrieden ihren Beruf auszuüben?
Dr. Schmoll: Um den Stress in der alltäglichen Arbeit im Klassenraum zu minimieren ist ein gutes Classroom-Management unverzichtbar. Dadurch kann man schon mit einfachen Mitteln viel erreichen. Eine Professionalisierung in diesem Bereich ist ein aktiver Beitrag zur Gesunderhaltung von Lehrerinnen und Lehrern. Gleichwohl ist der wichtigste Punkt, zu dem ich raten kann, gleichzeitig der schwerste: die Arbeit an sich selbst. Dabei sollte jeder seine Ansprüche und Ziele reflektieren und seine Work-Life-Balance analysieren.
Wo fange ich damit an?
Dr. Schmoll: Im Rahmen einer ersten Reflexion gilt es, Bilanz zu ziehen. Werden Sie sich darüber klar, welche Ansprüche und Ziele Sie verfolgen und gleichen Sie diese mit Ihren Möglichkeiten ab.
Wie gehe ich dabei vor?
Dr. Schmoll: Wer zum Beispiel erkennt, dass er nur schwer Beruf und Familie vereinbaren kann, sollte sich ein Unterstützungssystem aufbauen – etwa indem er Menschen findet, die ihn bei der Kinderbetreuung entlasten. Zudem gilt es einige Tipps zu beherzigen (siehe Infokasten).
Aber der Arbeitsumfang verringert sich ja durch die Umsetzung dieser Tipps nicht.
Dr. Schmoll: Leider nein. Daher ist es wichtig, die eigenen Ansprüche kritisch zu prüfen und Prioritäten zu setzen. Man sollte sich dabei den Pareto-Effekt vor Augen halten: Dieser besagt, dass ich für 80 Prozent des Ergebnisses 20 Prozent des Gesamtaufwandes benötige. Die übrigen 20 Prozent der Ergebnisse verursachen mit 80 Prozent die meiste Arbeit.
Viele Lehrerinnen und Lehrer sind aber Perfektionisten.
Dr. Schmoll: Natürlich muss ich beim Korrigieren einer Klausur versuchen, 100 Prozent zu geben. Aber wenn ich abends noch schnell eine E‑Mail an einen Kollegen schreibe, reichen meist 80 Prozent.
Wie lassen sich berufsbedingte gesundheitliche Probleme vermeiden?
Dr. Schmoll: Zum Erhalt der Gesundheit ist selbstverständlich ein gesunder Lebensstil wichtig: also gesunde Ernährung sowie ausreichend Schlaf und Bewegung. Gleichzeitig müssen wir uns fragen, was uns gesund hält.
Und wie lautet die Antwort auf die Frage der Gesundheitsentstehung?
Dr. Schmoll: Zu den stark machenden Faktoren zählen an erster Stelle positive soziale Kontakte. Es ist also wichtig, sich in der Freizeit mit Menschen zu umgeben, die einem gut tun – das können selbstverständlich auch Kollegen sein. Auch sollten wir unseren Fokus auf das positive Erleben richten und auch kleine Erfolge wahrnehmen. Ein Stichwort ist hier die Achtsamkeit. Auch das aktive Erholen ist ein weiterer wichtiger Punkt. Dabei müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht einfach zur Entspannung vor den Fernseher fläzen – auch wenn dies bequem erscheint. Viel effektiver sind etwa autogenes Training oder progressive Muskelentspannung.
Gibt es Warnsignale, die leicht übersehen werden?
Dr. Schmoll: Burn-out macht sich nur sehr langsam bemerkbar. Die Forschung unterscheidet gar zwölf Stufen bis zum Burn-out. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder ehrlich zu fragen, „Wie geht es mir?“ Wer sich bei der Arbeit unwohl in seiner Haut fühlt oder Bauchschmerzen hat, sollte handeln. Gleiches gilt, wenn Schlafprobleme auftreten.
Wohin können sich Lehrkräfte wenden, wenn sie merken, dass sie das Lehrersein überfordert?
Dr. Schmoll: Im Idealfall sollten sie diese Sorgen mit der Schulleitung besprechen können. Dieser große Schritt setzt allerdings ein stabiles Vertrauensverhältnis voraus. Leider gibt es an den meisten Schulen keine Supervision – die besonders Berufseinsteigern nützen würde. Nur wenige ziehen auf eigene Initiative einen Coach oder Psychologen zu Rate.
Verraten Sie uns noch Ihre persönlichen Strategien?
Dr. Schmoll: Mein Sport ist mir heilig – so trainiere ich jede Woche Fußball und gehe zum Laufen. Auch im Garten und durch meine Kinder und Haustiere finde ich Entspannung. Und nicht zuletzt ist Humor eine gute Basis, um Krisen zu bewältigen. Sprich: Sich nicht immer selbst so ernst und wichtig nehmen.
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