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Gerüche als Sicherheitsrisiko

Gerüche als Sicherheitsrisiko
Unmittelbarer Impuls zur Flucht

Es gibt Gerüche, von denen kann es einem schlecht wer­den. Oder solche, die einem Trä­nen in die Augen schießen lassen. Und es gibt welche, die sind so fein und unter­schwellig, dass wir sie nicht bewusst wahrnehmen. Trotz­dem bee­in­flussen sie uns.

„Puh, was ist denn das für ein Ges­tank?“, klagt eine Pas­san­tin auf der Straße. Nur wenige Meter ent­fer­nt qualmt es aus dem Papierko­rb. Darin kokeln Plas­tikver­pack­un­gen, Papier­taschen­tüch­er und Kau­gum­mi. Je näher man kommt, desto unerträglich­er wird es. Ein paar Meter weit­er duftet es hinge­gen her­rlich nach frischen Brötchen: Im Back­shop wird ger­ade ein Blech aus dem Ofen gezo­gen. Der leckere Geruch macht unwillkür­lich Appetit auf frische Back­waren, wom­öglich begleit­et von ein­er Tasse Kaf­fee. Denn unser Gehirn verbindet mit diesem angenehmen Duft Genuss und Entspannung.

Doch wie ist es mit Gerüchen, die wir unbe­wusst wahrnehmen? Kön­nen sie uns wie der bren­nende Mülleimer und die frischen Brötchen ablenken? Und kön­nen Gerüche am Arbeit­splatz sog­ar ein Sicher­heits- oder Gesund­heit­srisiko darstellen?

Nicht steuerbare Reaktion

Das Geruch­sempfind­en ist sehr indi­vidu­ell. Jed­er Men­sch verbindet mit Gerüchen etwas anderes. Und so empfind­et nicht jed­er jeden Geruch gle­ich. Während eine Kol­le­gin schon die Nase rümpft und sich angewidert weg­dreht, schüt­telt der Kol­lege unver­ständig den Kopf. Doch lei­der kann man sich nicht selb­st oder anderen einre­den, dass ein Geruch gar nicht so schlimm ist. Denn der Geruchssinn ist direkt mit dem lim­bis­chen Sys­tem, also mit den Gefühlen, und dem Hypo­thal­a­mus, der für die Reak­tion auf Außen­reize zuständig ist, ver­bun­den. Unser Ver­stand, das Großhirn, hat deshalb keine Chance, sich reg­ulierend einzumischen.

Frauen rümpfen eher die Nase

Stu­di­en des Leib­niz-Insti­tuts für Arbeits­forschung an der TU Dort­mund bestäti­gen, dass Geruchs­beläs­ti­gun­gen sehr indi­vidu­ell eingestuft wer­den. Allerd­ings sind Frauen empfind­lich­er gegenüber starken Gerüchen als Män­ner. Außer­dem fühlen sich junge Men­schen eher belästigt als Ältere. Das hängt auch damit zusam­men, dass im Alter der Geruchssinn nach­lässt. Und: Verur­sach­er von Gerüchen haben oft keine sen­si­ble Empfind­ung gegenüber diesen Reizen. Die Bäck­ereiverkäuferin nimmt den Brötchen­duft eben­so wenig wahr, wie der Land­wirt den Geruch der Gülle, die er ausfährt.

Auch gibt es kul­turelle Unter­schiede, wenn es ums Riechen geht. So riecht Putz- und Reini­gungsmit­tel in Deutsch­land oft nach Zitrone. Der Zitrus­duft wird als sauber und frisch emp­fun­den. In Rus­s­land ste­ht der Flieder­duft für Sauberkeit und in Spanien vor allem Chlorgeruch. Doch manche Gerüche wer­den weltweit als angenehm eingestuft, wie etwa Vanille, oder als unan­genehm wahrgenom­men, wie zum Beispiel ver­bran­ntes Plas­tik. Und es gibt Gerüche, die jed­er als Gefahr abge­spe­ichert hat. Dazu gehören Rauch oder der Geruch, der von ver­dor­ben­em Essen ausgeht.

Gerüche können Warnsignal sein

Unan­genehme Gerüche inter­pretiert das Gehirn als Warnsignal. Wird ein Geruch als bedrohlich eingestuft, bere­it­et sich der men­schliche Organ­is­mus auf­grund sein­er evo­lu­tionären Geschichte auf Kampf oder Flucht vor. Denn so hat sich der Men­sch Jahrtausende vor lebens­bedrohlichen Sit­u­a­tio­nen gerettet. Doch davon­laufen ist heute nicht immer möglich oder gewün­scht. Und ist ein Geruch so ger­ing, dass er messtech­nisch nicht nach­weis­bar ist, wirkt ein solch­es Ver­hal­ten zudem unerk­lär­lich und befremdlich.

So oder so: Die Betrof­fe­nen müssen die natür­lichen Reak­tio­nen unter­drück­en, obwohl sie vom Geruch irri­tiert oder dauer­haft abge­lenkt wer­den. Das bedeutet Dauer­stress. Nach einiger Zeit kann das gesund­heitliche Prob­leme wie zum Beispiel Kopfweh, Übelkeit, Müdigkeit, erhöht­en Blut­druck oder Verspan­nun­gen aus­lösen. Dabei ist es uner­he­blich, ob die Sub­stanz, die den Geruch in der Raum­luft aus­löst, wirk­lich giftig und schädi­gend ist.

Unfallrisiko Ablenkung

Das men­schliche Ner­ven­sys­tem und das Gehirn reagieren also unmit­tel­bar auf Geruchs- und Reizstoffe. Nicht nur die Reizwirkung, son­dern auch die Geruch­swirkung kann die Aufmerk­samkeit bee­in­flussen und im schlimm­sten Fall zu ein­er Fehlhand­lung und einem Unfall führen. Die Zusam­men­hänge erforschen Dr. Kirsten Suck­er vom Insti­tut für Präven­tion und Arbeitsmedi­zin und Dr. Ste­fanie Borowy aus der Neu­rol­o­gis­chen Uni­ver­sität­sklinik Bergmannsheil seit eini­gen Jahren. Dabei geht es unter anderem um die Gehir­nak­tiv­ität bei der Ver­ar­beitung von Gerüchen. Außer­dem analysieren sie die Boten­stoffe, welche die Ner­ven­zellen in den beteiligten Hirn­bere­ichen aktivieren. Mit den wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen wollen sie die Sicher­heit und Gesund­heit an Arbeit­splätzen verbessern, zum Beispiel durch Empfehlun­gen für Präventionsmaßnahmen.

Wenn Gerüche zur Belastung werden

Gerüche am Arbeit­splatz kom­men nicht nur in der Land­wirtschaft oder in Chemie- und Indus­triebe­trieben vor. Und nicht alle Gerüche sind so inten­siv wie Ammo­ni­ak oder But­ter­säure. Bei starken, reizen­den Gerüchen ist jedem sofort klar, dass er sich davor schützen muss. Aber auch im Büro kann ein Geruch auf Dauer zur Beläs­ti­gung wer­den und sich auf die Leis­tung der Arbeit­nehmer auswirken. Dabei kann es sich um einen messtech­nisch nach­weis­baren Schad­stoff han­deln, jedoch auch um einen nicht mess­baren Geruch. Und auch das gut gemeinte Ver­dampfen von Aro­maölen in Duft­lam­p­en oder über raum­luft­tech­nis­che Anla­gen kann Sen­si­bil­isierun­gen, aller­gis­che Reak­tio­nen oder gar asth­ma­tis­che Anfälle auslösen.

Erfahrungen maßgeblich

„Prinzip­iell muss berück­sichtigt wer­den, dass die Frage, ob ein Geruch als unan­genehm und belästi­gend emp­fun­den wird, nicht von der Stof­fkonzen­tra­tion abhängt, son­dern von den indi­vidu­ellen Erfahrun­gen, die man mit diesem Geruch gemacht hat“, so Dr. Kirsten Suck­er. Denn Gerüche sind an Erin­nerun­gen geknüpft. Sie kön­nen auch Jahre später Unwohl­sein und sog­ar kör­per­liche Beschw­er­den aus­lösen. Die Wis­senschaft beze­ich­net das als Noce­bo-Effekt. Außer­dem kann sich die Empfind­lichkeit gegenüber einem Geruch verän­dern. Das kann ein­er­seits dazu führen, dass sich die Nase an einen Geruch gewöh­nt und die Wahrnehmungss­chwelle steigt. Bei schädlichen Geruchsstof­fen bedeutet das, dass die Warn­wirkung nicht mehr funk­tion­iert. Es kann aber auch das Gegen­teil ein­treten. Dies bedeutet, dass die Empfind­lichkeit für einen Stoff zunimmt. Und das kann dafür sor­gen, dass beim Betrof­fe­nen bere­its kle­in­ste Men­gen aus­re­ichen, um den Geruch deut­lich wahrzunehmen, obwohl andere Per­so­n­en nichts davon bemerken.

Begehung empfehlenswert

Bei der Bew­er­tung von Geruchs­beläs­ti­gun­gen sollte gek­lärt wer­den, ob nur eine Per­son, mehrere oder alle Beschäftigten davon betrof­fen sind. Denn dementsprechend unter­schiedlich fall­en die zu ergreifend­en Maß­nah­men aus. Für die Ein­schätzung der geruch­lichen Sit­u­a­tion emp­fiehlt sich eine Bege­hung des Raumes. Zur Befra­gung der Beteiligten kön­nen zum Beispiel Antwortkat­e­gorien aus den VDI-Richtlin­ien zur Geruch­sprü­fung von Innen­raum­luft herange­zo­gen wer­den. Damit lassen sich Geruchsin­ten­sität, Hedo­nik (angenehm/unangenehm) sowie der Grad der Beläs­ti­gung bew­erten und ein­stufen. Unter­suchun­gen aus Schwe­den, Finn­land sowie des Pro­jek­ts IAQ-Gerüche zeigen übri­gens, dass Bürobeschäftigte mehr unter trock­en­er und stick­iger Luft lei­den, als sich von unan­genehmen Gerüchen belästigt zu fühlen.


Foto: privat

Autorin:

Bet­ti­na Bruck­er M. A.

Freie Autorin und Journalistin


Recht auf gesundheitlich zuträgliche Atemluft

Arbeit­nehmer haben grund­sät­zlich das Recht auf ein Arbeit­sum­feld mit aus­re­ichend gesun­der Luft zum Atmen. Beschäftigte, die sich dauer­haft von Gerüchen belästigt fühlen, soll­ten ihren Vorge­set­zten darüber informieren. Unter Umstän­den ist der Arbeit­ge­ber verpflichtet, die Beläs­ti­gung zu beseitigen.

So ste­ht im Anhang der Arbeitsstät­ten­verord­nung (Arb­StättV): „In Arbeit­sräu­men (…) muss unter Berück­sich­ti­gung des spez­i­fis­chen Nutzungszwecks, der Arbeitsver­fahren, der physis­chen Belas­tun­gen und der Anzahl der Beschäftigten sowie der son­sti­gen anwe­senden Per­so­n­en während der Nutzungs­dauer aus­re­ichend gesund­heitlich zuträgliche Atem­luft vorhan­den sein.“ Und in den Tech­nis­chen Regeln für Arbeitsstät­ten „Lüf­tung“ (ASR A3.6) heißt es: „Treten trotz bes­tim­mungs­gemäßer Nutzung des Arbeit­sraumes und der Lüf­tung gemäß den Vor­gaben dieser ASR Beschw­er­den bei Beschäftigten über die Luftqual­ität auf, ist zu prüfen, ob und ggf. welche weit­eren Maß­nah­men durchzuführen sind.“


Weitere Informationen

  • „Geruchs­beläs­ti­gun­gen am Arbeit­splatz – Her­aus­forderun­gen für die arbeitsmedi­zinis­che Prax­is“, in IPA-Jour­nal 3/2018, Seite 6 bis 9, www.ipa-dguv.de Pub­lika­tio­nen IPA-Journale
  • „Gute oder schlechte Luft? – Gerüche am Arbeit­splatz und im Innen­raum und ihre Bedeu­tung für die Unfal­lver­sicherungsträger“, in IPA-Jour­nal 2/2014, Seite 16 bis 21 (dig­i­taler Pfad wie oben)
  • „Wirkung und Bew­er­tung von Gerüchen an Innen­rau­mar­beit­splätzen – Befra­gun­gen und Innen­raummes­sun­gen in Büroräu­men ohne bekan­nte Innen­raumprob­leme“, in IPA-Jour­nal 02/2020, Seite 22 bis 27 (dig­i­taler Pfad wie oben)
  • VDI-Richtlin­ie 4302 Blatt 1 „Geruch­sprü­fung von Innen­raum­luft und Emis­sio­nen aus Innen­raum­ma­te­ri­alien – Grund­la­gen“, www.vdi.de
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