Allen Beschwörungen „weicher“ Faktoren zum Trotz werden sichere und gesunde Arbeitsbedingungen weiterhin primär mit dem Beruf des Ingenieurs verbunden. Obwohl auch Betriebsärzte Gestaltungsaufgaben im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes haben und obwohl Arbeitspsychologen und Gesundheitswissenschaftler inzwischen anerkannt sind, traut man offenbar nur Technikexperten zu, alle Teilaufgaben zum interdisziplinären Generalthema Arbeitsschutz zusammenzuführen. Drei Belege seien stellvertretend genannt:
- Von 133 relevanten Stellenangeboten für HSE-Manager auf einem bekannten Web-Portal waren 89% erkennbar für Ingenieure oder Techniker bestimmt.
- Stellenangebote der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für hoheitlich tätige Aufsichtspersonen richten sich primär an Ingenieure. Nur in einigen Fällen werden auch Naturwissenschaftler zur Bewerbung eingeladen.
- Die berufsbegleitenden Masterstudiengänge im Fach Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit der Hochschulen in Dresden, Bochum, Magdeburg und Furtwangen richten sich ausschließlich oder vorrangig an Ingenieure.
Vorsprung durch formal höhere Abschlüsse
Wie in allen Professionen gilt auch im Arbeitsschutz, dass Berufschancen, Status und Einkommen mit dem Grad der akademischen Bildung steigen. Fehlt dieses Merkmal, kann das auch durch langjährige Berufserfahrung kaum wettgemacht werden. Über Wirkungen und Möglichkeiten des Bildungsaufstiegs wurde an dieser Stelle bereits berichtet (siehe Sicherheitsingenieur 4/2015; Sie finden den Beitrag auch auf www.sifa-sibe.de, Suchfunktion).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Arbeitsmarkt für Sicherheitsingenieure in sehr guter Verfassung ist. Mit dem hohen gesellschaftlichen Ansehen des Themenfeldes Arbeit und Gesundheit werden Anforderungen an die formale Qualifizierung eher noch steigen. Angebote zum Weiterbildungsstudium wurden verbessert und manche Hürde für den Hochschulzugang ist niedriger geworden.
Nach diesem optimistischen Zwischenfazit stellt sich allerdings die Frage, ob auch die Qualität des vermittelten Wissens weiterhin trägt. Mit anderen Worten: Lernen Sicherheitsingenieure das Richtige? Dieser Frage wird nun am Beispiel des Masterstudiengangs „Management Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit M. Sc.“ (MSGA) der Dresden International University nachgegangen. Der Studiengang existiert seit 2011 und hat sich zu einer Referenz unter den berufsbegleitenden Masterstudiengängen entwickelt.
Wozu ein Studium? Was macht gute Bildung aus?
Analysiert man die Praxistauglichkeit eines Curriculums, dann müssen nicht nur der reibungslose Lernprozess, sondern vor allem die tatsächlich erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur praktischen Aneignung als Qualitätskriterium herangezogen werden. Diese Einsicht trieb bereits die Gelehrten der Antike um. Sie ist daher weder neu noch besonders originell, auch nicht in Gestalt verschachtelter „Kompetenzmodelle“ und „Outcome“-Rechnungen. „Denn das, was wir tun müssen, nachdem wir es gelernt haben, das lernen wir, indem wir es tun“ (Aristoteles).
Lernen wir, im Gegensatz zu den humanistischen Altvorderen, nur noch für den Arbeitsmarkt? Den Eindruck gewinnt man zumindest nach der „Bologna-Erklärung“ der europäischen Bildungsminister von 1999. Bildung sei alles, was der Beschäftigungsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit dient. Wo bleibt das aufgeklärte Bildungsideal Kants und W. v. Humboldts, sich weltkritisch des eigenen Verstandes zu bedienen? Wir werden sehen, ob berufliche Weiterbildung auch heute noch einen Beitrag zur klassischen Persönlichkeitsbildung leisten kann.
Arbeitsschutz: Wissenschaft oder Fachkunde?
Der Themenkomplex Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz hat nicht den Anspruch, eine Wissenschaft zu sein, das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) spricht daher von einer „Fachkunde“. Aber der Themenkomplex ist eine Schnittmenge selbständiger Wissenschaften, nämlich aus
- Ingenieur- und Arbeitswissenschaften,
- Recht,
- Psychologie,
- Medizin und
- Wirtschaft.
Daran haben sich Fachleute der Dresden International University und der Unfallversicherungsträger bei der Entwicklung des Studiengangs MSGA orientiert. Ziel war, für jedes dieser Teilgebiete renommierte Wissenschaftler zu gewinnen, die gleichzeitig auch alle anderen Disziplinen integrieren können. Ein solcher Ansatz liegt nahe, ist aber selbst in der dichten Hochschullandschaft Deutschlands nicht vollständig zu verwirklichen. Deshalb arbeiten auch Betriebspraktiker in der Lehre mit, die den „roten Faden“ legen. Und dann müssen auch die Studierenden lernen, den Vorlesungsstoff selbständig einzuordnen und vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen zu verknüpfen. Diese Syntheseleistung ist wichtig, denn nur so wird aus angelernten Fakten wirkliche Bildung, nämlich als Resultat einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Stoff.
Module und Wissensgebiete
Fast alle Studiengänge sind heute modular aufgebaut, so auch MSGA. Jedes Modul endet mit einer Prüfung und führt zum Erwerb von ECTS-Punkten („Credits“), deren Summe Voraussetzung für weiterführende Studien und Abschlüsse ist.
Am Ende des Studiums müssen die Absolventen insgesamt 300 ECTS-Punkte auf ihrem persönlichen Bildungskonto haben. Frühere Studienabschlüsse und Spezialausbildungen werden äquivalent angerechnet, auch wenn es dafür zum Zeitpunkt des Erwerbs noch keine ECTS-Bewertung gab. Mit diesem Punktestand erwirbt man auch das Recht, an einer deutschen Universität zu promovieren. Der Studiengang ist von der Zentralen Evaluations- und Akkreditierungsagentur (ZEvA) als konform mit den europäischen ENQA-Richtlinen (Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area) akkreditiert und damit europaweit anerkannt. Die Absolventen erhalten ein Masterdiplom in deutscher und englischer Sprache.
Was können Absolventen nach dem Studium besser?
Der Studiengang setzt den Wissenskanon einer Fachkraft für Arbeitssicherheit bereits voraus und damit auch die Fähigkeit, Arbeitsschutzprozesse im Unternehmen zu organisieren und zu kontrollieren. Ein wissenschaftliches Studium will mehr. Die Absolventen sollen in der Lage sein, das Fachgebiet durch eigene Beiträge zu erweitern und an einer Unternehmensstrategie mitzuschreiben. Dazu müssen Absolventen
- historische, technische und soziale Entwicklungsprozesse von Arbeit und Gesundheit interpretieren können,
- sich eine internationale Perspektive aneignen und Systemvergleiche führen können,
- die Wechselwirkung zwischen Arbeitssystemkomponenten einerseits sowie physischer und psychischer Gesundheit andererseits analytisch gestalten können,
- lehren, motivieren und interkulturell kommunizieren können,
- weltweite Sozialstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette anwenden können (CSR – Corporate Social Responsibility) und
- führen können, sowohl eigene Teams als Vorgesetzter als auch Forschungsgruppen und Projekte als Projektleiter.
Um die weiter oben gestellte Frage nach dem Wert des Studiums für die Persönlichkeitsbildung noch einmal aufzuwerfen: Der praktische Nutzen mancher Studieninhalte ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Erst in der Gesamtschau, vielleicht erst nach mehreren Karriereschritten wird deutlich, dass man ohne den analytischen Blick, kritisches Hinterfragen, Allgemeinbildung, Fremdsprachen, persönliche Reife und Erkenntnisdrang nicht so weit gekommen wäre. Fit für den Arbeitsmarkt zu sein und gleichzeitig an seiner Bildung zu arbeiten steht nicht im Widerspruch. Die MSGA-Absolventen sind heute in verantwortungsvollen Positionen tätig, zum Teil in internationalen Konzernen oder im technologieorientierten Mittelstand, zum Teil in der staatlichen Arbeitsschutzüberwachung oder in der vielseitigen Prävention bei den Unfallversicherungsträgern.
Autor: Dr.-Ing. Volker Didier
Bergbauingenieur, Technischer Aufsichtsbeamter, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Dozent an der Dresden International University (DIU). Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Ausbildung von Personal für die Arbeitsschutzaufsicht auf nationaler Ebene und
im Rahmen der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit.
volker.didier@2vd.de
Tel. 0172 329 5605
Arbeitsmarkt für Sicherheitsingenieure boomt
Hochqualifizierte Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt wie nie. Der demografisch beschleunigte Generationswechsel ist dafür ebenso verantwortlich wie die zunehmende Professionalisierung und Internationalisierung des Sicherheitsmanagements. Eine Suche (24.4.2018) auf Stepstone.de ergab 271 Stellenangebote, davon 252 zur Festanstellung. Anbieter sind namhafte Industrieunternehmen und Beratungsdienstleister, aber auch Behörden und Sozialversicherungsträger.
Auffallend hoch sind die Qualifikationsanforderungen: In 149 Fällen (55 Prozent) wird anwendungssicheres Englisch und europaweiter Einsatz verlangt, meist in Verbindung mit der Fähigkeit zur Analyse und Beratung. Branchenkenntnisse sind selten zwingend, was ein Hinweis auf die erwartete Rolle als Generalisten sein kann. Auch Bewerber ohne Berufserfahrung haben zahlreiche Chancen, 115 Offerten (42 Prozent) stehen ihnen offen.