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Psychische Probleme durch Internetsucht - Gefangen im Netz

Psychische Probleme durch Internetsucht
Gefangen im Netz

Beim The­ma Sucht ste­ht häu­fig der Miss­brauch von Sub­stanzen wie Alko­hol oder Medika­mente im Vorder­grund. Aber auch soge­nan­nte stof­funge­bun­dene Abhängigkeit­en zeigen im betrieblichen All­t­ag ihre Wirkung – beispiel­sweise die Internetsucht.

 

Petra Han­nen

Das virtuelle Töten von Dämo­nen führte am 9. Feb­ru­ar 2016 zum Tod von Men­schen in der realen Welt. Fahr­di­en­stleit­er Michael P. spielte im Dienst auf seinem Handy „Dun­geon Hunter 5“ – von dem Online-Rol­len­spiel abge­lenkt, stellte er mehrere Sig­nale falsch, woraufhin auf der ein­gleisi­gen Strecke zwis­chen den Bahn­höfen Bad Aib­ling Kur­park und Kol­ber­moor zwei Züge der Bay­erischen Ober­land­bahn frontal zusammenstießen.

Zwölf Men­schen star­ben, mehr als 80 wur­den ver­let­zt. Viele von ihnen lei­den bis heute unter den Fol­gen, eben­so wie manche der rund 800 Helfer, die damals im Ein­satz waren. Hinzu kommt ein Sach­schaden von zehn Mil­lio­nen Euro. Kein Augen­blicksver­sagen stellte das Gericht während des Prozess­es fest, son­dern eine Ver­let­zung der Sorgfalts- und Dien­stpflicht­en über län­gere Zeit. Dabei galt Michael P. als vor­bildlich­er Fahr­di­en­stleit­er: erfahren, pünk­tlich, zuver­läs­sig, pflicht­be­wusst. Wegen „Dun­geon Hunter 5“ ver­lor er den Überblick. „Die Häu­fung von Fehlern wäre nicht passiert, wenn er nicht gespielt hätte“, sagte Richter Erich Fuchs, der den Fahr­di­en­stleit­er wegen fahrläs­siger Tötung und fahrläs­siger Kör­per­ver­let­zung schuldig sprach.

Schleichender Übergang zur Sucht

Wie viele Unternehmen ver­bi­etet auch die Deutsche Bahn die pri­vate Nutzung von Smart­phones im Dienst. Die Kon­trolle dieses Ver­bots jedoch ist schwierig, denn in vie­len Bere­ichen, beru­flich wie pri­vat, wer­den Inter­ne­tan­wen­dun­gen beziehungsweise elek­tro­n­is­che Medi­en selb­stver­ständlich und dauernd genutzt.

Gle­ichzeit­ig kann der Über­gang zu ein­er süchti­gen Entwick­lung schle­ichend sein. Über­mäßiger Medi­enkon­sum hat allerd­ings mit einem nor­malen Gebrauch nichts mehr zu tun; vielmehr zeigt sich dabei ein exzes­sives Nutzungsver­hal­ten. Ver­schiede­nen Stu­di­en zufolge durchzieht über­mäßiger Medi­enkon­sum beziehungsweise Inter­net­sucht alle Alters­grup­pen, Geschlechter und sozialen Schicht­en. Als inter­netab­hängig gel­ten dem­nach 1 bis 1,5 Prozent der Bevölkerung zwis­chen 14 und 64 Jahre, bei den 14- bis 16-Jähri­gen sollen es sog­ar vier Prozent sein.

Biochemische Veränderungen

Natür­lich ist nie­mand süchtig nach dem Inter­net an sich, son­dern nach dem, was er online tut. Vor allem junge Män­ner sind süchtig danach, in Online-Spiel­wel­ten abzu­tauchen. Es gibt aber auch andere For­men der Inter­netab­hängigkeit: Von Cyber­sex sind vor allem Män­ner mit­tleren Alters abhängig, während für Frauen eher die sozialen Net­zw­erke zum Prob­lem wer­den kön­nen. Oft lei­den Inter­netab­hängige zugle­ich unter Depres­sio­nen, Angst­störun­gen oder Aufmerk­samkeits­de­fiz­it- und Hyper­ak­tiv­itätsstörun­gen – wobei nicht immer ein­deutig ist, welche der Erkrankun­gen zuerst da war.

„Die Sucht­forschung belegt, dass auch exzes­sives Ver­hal­ten, das nicht in Verbindung mit stof­flichem Sub­stanzkon­sum ste­ht, zu ein­er Abhängigkeit führen kann“, heißt es bei der Deutschen Haupt­stelle für Sucht­fra­gen (DHS). Bei diesen ver­hal­tens­be­zo­ge­nen Sücht­en wer­den keine Sucht­mit­tel von außen zuge­führt. Statt dessen stellt sich der für eine Abhängigkeit­sen­twick­lung notwendi­ge pos­i­tive psy­chis­che Effekt durch kör­pereigene bio­chemis­che Verän­derun­gen ein, die durch die exzes­sive Aus­führung ein­er bes­timmten Ver­hal­tensweise aus­gelöst werden.

Negative Gefühle verdrängen

Auch die Inter­net­nutzung kann als beson­ders belohnend emp­fun­den wer­den, beispiel­sweise als stressre­duzierend oder stim­mungsverbessernd. Die Betrof­fe­nen erfahren, dass sie mit solchen Ver­hal­tensweisen oder Gebrauchsmustern schnell und effek­tiv Gefüh­le im Zusam­men­hang mit Frus­tra­tio­nen, Unsicher­heit­en und Äng­sten reg­ulieren oder ver­drän­gen können.

Auch die im Rah­men von Online-Rol­len­spie­len erschaf­fe­nen Iden­titäten dienen häu­fig dazu, uner­füllte Bedürfnisse nach Anerken­nung und Erfol­gser­leb­nis­sen zu kom­pen­sieren. Im Laufe der Such­t­en­twick­lung rückt dann die exzes­sive Nutzung von Com­put­er­spie­len, Social Net­works, Chats, Erotik­seit­en oder auch Online-Glücksspie­len zu Las­ten ander­er Ver­hal­tensweisen in den Vorder­grund: Die Nutzung der Onlin­eange­bote kann von den Betrof­fe­nen nicht mehr kon­trol­liert wer­den. Ihre Gedanken und Hand­lun­gen kreisen unabläs­sig um die bevorzugte Aktiv­ität im Inter­net. Gle­ichzeit­ig ist häu­fig ein sozialer Rück­zug zu beobachten.

Die Folgen der Sucht

Ob jemand tat­säch­lich schon abhängig ist, bemessen Experten nicht anhand der Stun­den, die der Betrof­fene im Inter­net ver­bringt, son­dern daran, ob bere­its neg­a­tive Fol­gen durch den exzes­siv­en Medi­enkon­sum einge­treten sind. Süchtige haben Prob­leme in der Fam­i­lie, in der Part­ner­schaft oder in der Freizeit, sie wer­den schlecht in der Schule oder an ihrem Arbeit­splatz. Sie ver­nach­läs­si­gen oft ihre Kör­perpflege, die Ernährung und ihre Gesund­heit – sie kön­nen in der Sucht nach der Com­put­er­welt eben­so versinken wie andere in der Sucht nach Alko­hol oder Drogen.

„Ich bin manch­mal noch selb­st über­rascht, wie viele Par­al­le­len es zu sub­stanzge­bun­de­nen Abhängigkeit­serkrankun­gen gibt“, sagt Bert te Wildt, Ober­arzt an der Klinik für Psy­cho­so­ma­tis­che Medi­zin und Psy­chother­a­pie des LWL-Uni­ver­sität­sklinikums Bochum. Der Medi­zin­er und Psy­chother­a­peut gilt als ein­er der Vor­re­it­er auf dem Gebi­et der Inter­net- und Com­put­er­spielab­hängigkeit und hat bere­its 2002 in Han­nover die ersten Sprech­stun­den für Men­schen mit Medi­en­sucht ein­gerichtet. 2008 gehörte er zu den Grün­dern des bun­desweit­en Fachver­bands Medi­en­ab­hängigkeit, in dem rund 120 Forsch­er und Prak­tik­er aus dem deutschsprachi­gen Raum zusam­mengeschlossen sind.

Noch nicht als Krankheit anerkannt

Schon lange kämpft te Wildt dafür, dass Inter­net­sucht von der Welt­ge­sund­heit­sor­gan­i­sa­tion WHO als Krankheit und
eigen­ständi­ges Störungs­bild anerkan­nt wird. Bis­lang gibt es die Krankheit den inter­na­tion­al gel­tenden Diag­nosesys­te­men psy­chis­ch­er Störun­gen (ICD-10 und DSM‑5) zufolge nicht; die Wis­senschaft kon­nte sich lediglich auf die Forschungs­di­ag­nose Inter­net Gam­ing Dis­or­der (IGD) – über­set­zt etwa Spielzwang im Inter­net – eini­gen. „Wer dauernd am Tropf des Inter­nets hängt, ist sucht­ge­fährdet“, sagt te Wildt. „Wer darüber hin­aus das Gefühl hat, ohne das Inter­net nicht mehr leben zu kön­nen und Entzugser­schei­n­un­gen bei Absti­nenz zeigt, ist der Sucht ver­fall­en und benötigt konkret Hilfe.“

Empfehlung für Unternehmen

Für Unternehmen empfehlen Fach­leute zunächst klare und mit der Per­son­alvertre­tung abges­timmte Regeln zur pri­vat­en Nutzung des Inter­nets sowie die Sper­rung bes­timmter Seit­en. Diese Maß­nah­men kön­nen dem­nach eine gewisse präven­tive Wirkung entfalten.

Bei Auf­fäl­ligkeit­en am Arbeit­splatz – beispielsweise

  • gesteigerte Unruhe
  • Unkonzen­tri­ertheit
  • Über­mü­dung
  • Desin­ter­esse an der Arbeit
  • Zunahme von Fehlzeiten

– seien dann frühzeit­ige Inter­ven­tio­nen ange­sagt, beispiel­sweise die Ver­mit­tlung von geeigneten Ansprech­part­nern. Denn auch wenn die Fol­gen von Inter­net­sucht nicht immer so gravierend sind wie im Fall des Fahr­di­en­stleit­ers, bleibt das Suchtver­hal­ten problematisch.

„Um pro­duk­tiv am Arbeit­splatz zu arbeit­en, ist es wichtig, dass ein Arbeits­fluss entste­ht“, sagt Chris­t­ian Mon­tag, Leit­er der Abteilung Moleku­lare Psy­cholo­gie an der Uni­ver­sität Ulm. Wenn der Rhyth­mus regelmäßig durch das Check­en von E‑Mails oder von Neuigkeit­en in sozialen Net­zw­erken unter­brochen werde, entste­he dieser Fluss entwed­er gar nicht oder nur stark ver­min­dert. Außer­dem reduziere der Griff zum Handy die Arbeit­szeit: Bei 60 Unter­brechun­gen von jew­eils ein­er Minute wird aus dem Acht-Stun­den-Tag schnell ein Sieben-Stun­den-Tag. Hinzu kommt, so Mon­tag: „Um sich wieder auf die Arbeit zu konzen­tri­eren, braucht es erneut Zeit. Also ist der Mitar­beit­er ins­ge­samt viel länger unpro­duk­tiv als nur die eine Stunde, die er in der Summe am Handy verbringt.“

 


Informationen und Anlaufstellen

  • Ein Forschung­steam der Sek­tion für Suchtmedi­zin und Sucht­forschung an der Tübinger Uni­ver­sität­sklinik für Psy­chi­a­trie und Psy­chother­a­pie hat eine umfassende Online­daten­bank zur Ther­a­piesuche für Men­schen mit Inter­net­sucht konzip­iert und umge­set­zt. Im Zen­trum der Web­seite ste­ht eine Adress­daten­bank für Beratungs- und Behand­lungsange­bote bei inter­net­basiertem Suchtver­hal­ten. Neben der Adress­suche bietet die Seite Betrof­fe­nen und Ange­höri­gen auch Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen über Inter­net­sucht sowie aktuelle Entwick­lun­gen in Forschung und Praxis.
    www.erstehilfe-internetsucht.de

 

  • Diag­nos­tik und Beratung in ganz Deutsch­land ist Schw­er­punkt des Online-Ambu­lanz-Ser­vice für Inter­net­süchtige (OASIS). Bei dem von der Ambu­lanz der Uni­ver­sität­sklinik für Psy­cho­so­ma­tis­che Medi­zin und Psy­chother­a­pie der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum gemein­sam mit dem Zen­trum für Telematik und Telemedi­zin (ZTG) entwick­el­ten Online-Ange­bot kön­nen poten­ziell Betrof­fene – aber auch ihre Ange­höri­gen – einen Test absolvieren und dabei über­prüfen, ob möglicher­weise eine Inter­netab­hängigkeit beste­ht. OASIS sieht zudem zwei Online-Sprech­stun­den­ter­mine jew­eils für Diag­nos­tik und Beratung vor. Ziel ist es, nicht nur ther­a­peutis­che Möglichkeit­en vor Ort zu ver­mit­teln, son­dern auch Behand­lungs­bere­itschaft zu erzeu­gen – in Form eines Beziehungsange­bots. Im Anschluss kön­nen Patien­ten über die Online-Ambu­lanz dann in Beratungsstellen, Spezialam­bu­lanzen und Kliniken ver­mit­telt werden.
    www.onlinesucht-ambulanz.de

Digitaler Arbeitsschutz

Leben und Arbeit im 21. Jahrhun­dert ist ohne Infor­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nik kaum mehr vorstell­bar. Das Insti­tut für ange­wandte Arbeitswis­senschaft e. V. (ifaa) hat eine branchenüber­greifende Check­liste zur Gestal­tung dig­i­taler arbeits­be­zo­gen­er Erre­ich­barkeit entwick­elt. Mit dieser Check­liste kön­nen Betriebe und Beschäftigte gemein­sam regeln, wann und wie eine dig­i­tale arbeits­be­zo­gene Erre­ich­barkeit erforder­lich und gewün­scht ist. Denn nur eine bewusste und ver­ant­wortliche Nutzung der dig­i­tal­en Medi­en kann gesund­heitss­chädliche Fol­gen ver­hin­dern. Das ifaa betra­chtet das The­ma aus vier Blick­rich­tun­gen – Organ­i­sa­tion, Kom­mu­nika­tion, Führung und Beschäftigte. Über die Beant­wor­tung der Fra­gen aus den vier Bere­ichen kön­nen Betriebe für sich geeignete Maß­nah­men ableiten.

 

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