In den Kapiteln 1.5.8 „Lärm“ und 1.7.4.2 „Inhalt der Betriebsanleitung“ (siehe Tabelle 1 auf Seite 30) der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG sind Anforderungen formuliert, wie eine Maschine aus schalltechnischer Sicht zu konstruieren ist und welche akustischen Kenndaten ein Maschinenhersteller angeben muss.
Der Schallleistungspegel ist ein Maß für die akustische Quellstärke. Diese ist ortsunabhängig, das heißt ein Maschinenkennwert. Der Emissionsschalldruckpegel ist die Wirkung der Schallleistung am Arbeitsplatz, meist gemessen in 1 m Entfernung zur Schallquelle ohne Berücksichtigung von Umgebungsbedingungen (Reflexionen, Fremdgeräusche etc.). Sofern ein Einfluss der Umgebung erfolgt, ist dieser messtechnisch oder rechnerisch zu eliminieren. Somit ist auch der Emissionsschalldruckpegel am Arbeitsplatz ein Maschinenkennwert.
Sachlage
Eigene Anfragen bei Maschinenherstellern zeigen, dass die genannten Maschinenkennwerte in den meisten Fällen nicht vorliegen. Diese Einschätzung hat sich durch die NOMAD-Studie (Noise Machinery Directive) bestätigt. Im Rahmen dieser europäischen Marktüberwachungsstudie wurden von 2008 bis 2012 von 14 europäischen Staaten mehr als 1500 Handbücher von über 40 Maschinentypen und von 800 verschiedenen Maschinenherstellern auf die Inhalte zum Thema „Lärm“ überprüft.
Es zeigte sich, dass die Angaben bei 80 Prozent der Betriebsanleitungen tatsächlich nicht belastbar waren. Die eigentlich theoretisch zu erwartende win-win-Situation für Hersteller und Anlagenbetreiber ist nur in einzelnen Marktsegmenten (Stichwort „weiße Ware“ für Wohnungen) gegeben. Die Maschinenhersteller haben augenscheinlich keinen Marktvorteil durch leise Maschinen. Der Anlagenbetreiber wägt viele andere Belange (Platzbedarf, elektrische Anschlussleistung, etc.) als wichtiger ab als das leisere Umfeld für seine Mitarbeiter.
Aufgabenstellung
Von Seiten der Maschinenhersteller wird bemängelt, dass die gegenwärtig vorhandenen Messverfahren zur Erhebung der akustischen Maschinenkenndaten zu komplex und/oder zu teuer sind. Gleichzeitig äußern die Anlagenbetreiber ihren Unmut, weil sie – sofern eine solche Angabe vorhanden ist – diese nicht oder nur mit erheblichem Aufwand überprüfen können.
Die BGN hat deshalb die vorhandenen genormten sogenannten Präzisionsmessverfahren anhand von vier wesentlichen Kriterien (Kosten, Handhabung, Fremdgeräusche und Umgebung) hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in Produktionsstätten mit verketteten Anlagen (siehe Infokasten auf Seite 30) beleuchtet.
Messverfahren
In Abbildung 1 ist schematisch die Schallabstrahlung einer Maschine in einer Halle dargestellt. Gleichzeitig sind die Reflexionen an Begrenzungsflächen sowie eine Messhülle um die Maschine abgebildet.
Hüllflächenverfahren
Die Hüllflächenverfahren haben gemein, dass die Messhülle in Abbildung 1 an definierten diskreten Punkten mit einem Handschallpegelmesser vermessen wird. Beispielhaft sei hier auf die am Häufigsten angewandte Rahmenmessnorm DIN EN ISO 3744 verwiesen. Dieser Handschallpegelmesser ist prinzipiell der Gleiche, wie er auch bei anderen Anwendungen, wie zum Beispiel Arbeitsplatzmessungen eingesetzt wird. Die Kosten sind überschaubar und die Handhabung leicht erlernbar beziehungsweise bereits bekannt. Jedoch sind Einflüsse von Fremdgeräuschen (andere Maschinen) und der Umgebung (Reflexionen etc.) nicht mit einfachen Mitteln lösbar. Daher sind die Verfahren für die Anwendung in Produktionsstätten mit verketteten Anlagen ungeeignet.
Intensitätsmessverfahren (DIN EN ISO 9614–2)
Eine Intensitätsmesssonde besteht aus zwei Mikrofonen, deren Membranen „Kopf an Kopf“ angeordnet sind. Dies erlaubt eine vektorielle Messung, so dass die Richtung der Schallabstrahlung erfasst wird. Deshalb sind die Einflüsse von Fremdgeräuschen und der Umgebung meist gut beherrschbar (Ausnahme: zum Beispiel Impulsgeräusche). Die Messhülle in Abbildung 1 wird bei der Messung meist diskontinuierlich (Messpfade siehe Abbildung 2) abgescannt.
Jedoch ist die Anschaffung einer Intensitätssonde mitsamt Software teuer und die Handhabung sollte durch erfahrenen Messingenieuren erfolgen. Das heißt, die Intensitätsmessverfahren sind in Produktionsstätten als Messverfahren geeignet, aber teuer.
Nahfeldverfahren
Es besteht Klärungsbedarf, ob die in Fachkreisen angewandten Messverfahren im Nahfeld einer Schallquelle zur Ermittlung von Schallemissionen in Produktionsstätten geeignet sind. Hierzu hat Herr Prof. Dr. Probst bereits im Jahr 2000 berichtet. Wir nehmen die damaligen Erkenntnisse auf und versuchen sie auf die heutige Situation zu transferieren.
Für das nachfolgend beschriebene vereinfachte Verfahren oder auch Nahfeldverfahren wird ein Handschallpegelmesser benötigt. Das heißt, die Handhabung ist einfach und die Kosten sind überschaubar. Zudem ist zu vermuten, dass im Nahfeld einer Schallquelle diese maßgeblich ist. Inwieweit die Umgebungsbedingungen und/oder die Fremdgeräusche hierdurch beherrschbar sind, muss durch Messungen geklärt werden.
Die BGN führt deshalb seit 2013 ein im Prämienverfahren der BGN enthaltenes Modellprojekt durch, in dem verschiedene Messverfahren im laufenden Betrieb getestet und die Ergebnisse miteinander verglichen werden. Ziel ist es, das Nahfeldverfahren zu validieren und die Messdurchführung so zu beschreiben, dass dieses Messverfahren sowohl von den Herstellern als auch von den Betreibern von Anlagen während des bestimmungsgemäßen Betriebs der Maschinen angewandt werden kann.
Neben den „Betriebsmessungen“ im Rahmen des Modellprojekts wurde 2016 im reflexionsarmen Halbraum der BGN ein interner Ringversuch durchgeführt. Dabei wurde überprüft, ob das vereinfachte Nahfeldverfahren auch ohne Schulung durchgeführt werden kann. Die Teilnehmer des Ringversuchs führen im Rahmen ihrer Tätigkeiten Schallpegelmessungen am Arbeitsplatz durch, aber keine Emissionsmessungen.
Messdurchführung
Nachfolgend wird die Messdurchführung skizziert, wie sie sich bei den BGN-Messungen bewährt hat.
- Abscannen (zeitliches und räumliches Mitteln) mit dem Handpegelmesser im Nahfeld (ca. 5 – 10 cm) vor jeder Öffnung der Schallquelle. Es sollten circa
30 s Messzeit beziehungsweise 3 bis 5 Arbeitszyklen erfasst werden beziehungsweise bis der A‑bewertete Mittelungspegel konstant ist. Die Messzeit hängt in hohem Maße auch von der Größe der jeweiligen Öffnung ab. Die Öffnungen sind gegebenenfalls in Teilflächen zu unterteilen, wenn die Pegelschwankungen zu groß sind oder die Flächen schwer zugänglich. Der Scanvorgang (Messpfade zum Beispiel Abbildung 2) kann auch durch punktuelle Messpositionen ersetzt oder ergänzt werden. Die Maschinenteile mit Verkleidungen werden hinsichtlich ihrer Schallabstrahlung vernachlässigt. Hier wird zur Vereinfachung unterstellt, dass diese Maschinenoberflächen keinen wesentlichen Beitrag zur Gesamtabstrahlung beisteuern. - Flächenermittlung dieser Öffnungen und Zuweisung des jeweiligen Mittelungspegels (Flächengewichtung des Schallpegels), ein Messprotokoll ist angehängt
- Energetische Addition der flächengewichteten Schallpegel
Pegel L1 mit Fläche F1, L2 mit F2,…Lgesamt = 10 x log [(1/Fgesamt) x (F1 x
10(0,1xL1) + F2 x 10(0,1xL2)+…)]
- Addition der kompletten Messfläche F
LWA = Lgesamt + 10 x log (F/m²)
Messergebnisse und Messunsicherheit
Für die Auswertung von Messergebnissen, ermittelt mit dem Nahfeldverfahren, gibt Herr Dr. Probst eine Schallfeldkorrektur von 3 dB an und stuft das Verfahren
in die Genauigkeitsklasse 3 ein. Diese systembedingte positive Abweichung im Nahfeld im Vergleich zu Intensitätsmessungen hat sich bei den bisherigen Betriebsmessungen bestätigt. Von der BGN wurden bisher 66 Nahfeld- und 44 zeitgleiche Intensitätsmessungen (DIN EN ISO 9614–2) durchgeführt. Im Mittel sind die Messergebnisse aus den Nahfeldmessungen um 2,3 dB höher, bei einer Standardabweichung von 1,5 dB. Ferner wurde zur Ermittlung der Reproduzierbarkeit der Messergebnisse im reflexionsarmen Halbraum der BGN ein interner Ringversuch durchgeführt. Die Messergebnisse der 16 Teilnehmer waren im Mittel um 1,1 dB höher (Standardabweichung von 1,8 dB) im Vergleich zu Intensitätsmessungen.
Die bisherigen Messungen der BGN führen zu einem ähnlichen Ergebnis wie das von Herrn Dr. Probst. Das Modellprojekt im Prämienverfahren ist noch aktiv. Deshalb werden weitere Messungen durchgeführt, um auch die Grenzen des Messverfahrens besser zu verifizieren.
(Bisherige) Grenzen des Messverfahrens
Im bisherigen Projektverlauf haben sich erste Grenzen des Messverfahrens gezeigt, auch bestehen noch ungeklärte Fragen:
- Zugänglichkeit der Maschine: Messflächen beziehungsweise Öffnungen können bei unzureichender Zugänglichkeit nicht abgescannt werden und fehlen bei der Schallleistungsbilanz.
- Abstand zu reflektierenden Oberflächen/Reflexionen: Es hat sich gezeigt, dass es zu Pegelerhöhungen – auch im Nahfeld – kommt, wenn Maschinen vor reflektierenden Wänden oder geschlossenen Maschinenverkleidungen benachbarter Maschinen stehen. Derzeit wird der Abstand dokumentiert und versucht, die Pegelüberhöhung durch Messungen abzuschätzen. Ab Abständen von circa 1,5 – 2 m wurde bisher kein Einfluss mehr festgestellt.
- Fremdgeräusche: Der Hallenpegel sollte nach derzeitigem Kenntnisstand um mindestens 6 dB kleiner sein als der Nahfeldpegel im Bereich der Öffnung, um maßgebliche Einflüsse auszuschließen.
- Messzeit: Da jede Öffnung der Schallquelle messtechnisch untersucht werden muss, sind teils erhebliche Messzeiten erforderlich. Innerhalb dieser Messzeit muss ein möglichst konstanter, störungsfreier Betriebsablauf (ohne Produkt- beziehungsweise Gebindewechsel) der jeweiligen Maschine gewährleistet sein.
- Abgrenzung der Maschine: Bei einer Vielzahl von Maschinen ist es nicht direkt ersichtlich, wie deren Grenzen zu definieren sind und welche Bauteile für den Betrieb der Maschine erforderlich sind. Es ist daher wichtig und unerlässlich, die Maschine hinsichtlich ihrer Abgrenzung sowie die Messpfade beziehungsweise Öffnungen genau zu beschreiben. Eine Fotodokumentation hat sich bewährt.
- Lochblechverkleidungen: Ab wann ist eine Maschinenverkleidung aus Lochblechen ein „Loch“ und ab wann sind die Einzelöffnungen zu untersuchen. Die Durchstrahlgrade sowie die Schalldämmung von typischen Lochblechen werden derzeit im Labor untersucht.
- Prozessbezogene Geräusche: Bei einer Vielzahl von Maschinen wird die Schallabstrahlung durch zum Beispiel den Gebindetransport bestimmt. Beispielsweise ist das Flaschenklirren der Glasflaschen am Einlauf („Drängeltisch“) einer Flaschenwaschmaschine mit pegelbestimmend. Dabei klingt jede Flaschenform anders und auch Neuglas ist lauter als Altglas.
Es sollte durch die Mitarbeiter in Normung und Regelsetzung darauf hingearbeitet werden, dass in den maschinenspezifischen Normen Betriebsbedingungen festgelegt werden, die bei der Schallleistungsbestimmung herangezogen werden müssen.
Literatur
Die Ausführungen stützen sich auf folgende wesentliche Regelwerke:
Verordnung zur Änderung von Verordnungen nach § 3 des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes vom 18. Juni 2008 (BGBl. I, Nr. 25), ausgegeben am 25.06.2008 mit Richtlinie 2006/42/EG (Maschinenrichtlinie) des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung)
Verordnung zur Umsetzung der EG-Richtlinien 2002/44/EG und 2003/10/EG zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdung durch Lärm und Vibrationen (LärmVibrationsArbSchV) vom
06. März 2007, (BGBl. I, Nr. 8), ausgegeben
am 08. März 2007
Ermittlung der Geräuschemissionen für Verpackungsmaschinen, Dr. Wolfgang Probst, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2000
DIN EN ISO 3744: Akustik – Bestimmung der Schallleistungs- und Schallenergiepegel von Geräuschquellen aus Schalldruckmessungen – Hüllflächenverfahren der Genauigkeitsklasse 2 für ein im Wesentlichen freies Schallfeld über einer reflektierenden Ebene, Februar 2011
DIN EN ISO 9614–2: Akustik – Bestimmung der Schalleistungspegel von Geräuschquellen aus Schallintensitätsmessungen – Teil 2: Messung mit kontinuierlicher Abtastung, Dezember 1996
Autor: Dipl.-Phys. Markus Haaß,
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe Prävention Zentrallabor,
Mitarbeiter bei DIN NA 001–01–04 AA „Geräuschemission von Maschinen und Anlagen; Messung, Minderung, Datensammlung“
Eine vorläufige, dem derzeitigen Kenntnisstand entsprechende
Checkliste zum vereinfachten Nahfeldverfahren finden Sie
unter
Verkettete Anlagen
… sind in der Nahrungsmittelbranche sehr häufig anzutreffen. Das Produkt wird von einem maschinellen Arbeitsschritt über Transporteure zur nächsten Maschine gebracht. Jeder Anlagenteil sowie auch das Transportgut sind hierbei mitunter Lärmquellen, die in der Summe am Arbeitsplatz wirken und dort nicht mehr messtechnisch zu trennen sind.