Ohne Elektrizität ist unser modernes Leben nicht mehr vorstellbar. Die Anzahl elektrischer Einrichtungen und Geräte ist dementsprechend groß. Durch Maßnahmen gegen direktes und indirektes Berühren ist der Anwender beziehungsweise Verbraucher vor gefährlicher Stromeinwirkung geschützt. Bei Elektroarbeiten können aber teilweise gefährliche Situationen eintreten. Deshalb dürfen diese Arbeiten zur Vermeidung von Arbeitsunfällen nur von „Elektrofachkräften“ oder „elektrotechnisch unterwiesenen Personen“ unter Einhaltung einschlägiger Sicherheitsregeln durchgeführt werden. Gemäß der DGUV Vorschrift 3 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ werden an Elektrofachkräfte folgende Anforderungen gestellt:
- fachliche Ausbildung
- Kenntnisse und Erfahrungen
- einschlägige Normenkunde
- Fähigkeit, übertragende Arbeiten zu beurteilen
- Fähigkeit zum Erkennen von Gefahren
Die fachliche Ausbildung erfüllen in der Regel Personen mit einer elektrotechnischen Berufsausbildung (zum Beispiel Gesellen oder Facharbeiter), staatlich geprüfte Elektrotechniker, Industrie- und Handwerksmeister sowie Diplomingenieure, Bachelor oder Master des Fachgebietes Elektrotechnik. Die Frage zur notwendigen Qualifikation einer Elektrofachkraft führt in der Praxis wiederholt zu Schwierigkeiten. Letztlich kann es eine Elektrofachkraft für alle Arbeitsgebiete nicht geben! Hierzu soll folgendes Beispiel dienen: Ein Beschäftigter, der bisher als gelernter Elektriker in der Hausinstallation gearbeitet hat, darf trotz seiner Qualifikation nicht im Bereich von Hochspannungsanlagen arbeiten. Als hilfreich erweist sich somit folgender Merksatz: Der Begriff Elektrofachkraft – im Sinne der DGUV Vorschrift 3 – ist gedanklich immer mit dem Zusatz „geeignet für ein bestimmtes Arbeitsgebiet“ zu verbinden.
Arbeiten im spannungsfreien Zustand
Im Bereich der Elektrotechnik wird zwischen Niederspannung und Hochspannung unterschieden. Niederspannung schließt Wechselspannungen von 50 Volt bis 1.000 Volt und Gleichspannungen von 75 Volt bis 1.500 Volt ein. Der Bereich der Hochspannung grenzt oberhalb an den Bereich der Niederspannung an, das bedeutet Wechselspannungen ab 1.000 Volt (1 kV) und Gleichspannungen ab 1.500 Volt (1,5 kV). Die meisten Arbeiten wie das Errichten, Ändern und Instandsetzen von elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln können im spannungsfreien Zustand durchgeführt werden.
Die fünf Sicherheitsregeln für Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln
Um eine Gefährdung beim Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln zu vermeiden, sind die fünf Sicherheitsregeln
- Freischalten,
- gegen Wiedereinschalten sichern,
- Spannungsfreiheit feststellen,
- Erden und Kurzschließen,
- benachbarte unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken
konsequent einzuhalten. Die Unfallerfahrung zeigt leider, dass sich selbst langjährig tätige Elektrofachkräfte (also diejenigen, die es eigentlich besser wissen sollten) nicht immer an diese lebenswichtigen Regeln halten.
Nach Auskunft des „Instituts zur Erforschung elektrischer Unfälle“ der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) in Köln wird besonders gegen die erste (Freischalten) und dritte (Spannungsfreiheit feststellen) Sicherheitsregel verstoßen. Nach den Daten, die den Präventionsexperten vorliegen, wurde von den Elektrofachkräften bei fast jedem dritten Schadensereignis die Spannungsfreiheit an der Einsatzstelle nicht kontrolliert. Bei jedem vierten Stromunfall wurde die Anlage erst gar nicht freigeschaltet!
Auswirkungen von Stromschlägen unterschätzt
Dabei sollte jeder Fachkraft im Unternehmen klar sein, dass auch Haushaltsstrom von 230 Volt (Wechselspannung) zum Herzkammerflimmern beziehungsweise zum Tode führen kann. Ein Grund für unsicheres Arbeiten besteht vermutlich darin, dass Stromunfälle im Niederspannungsbereich mit kurzen Durchströmungszeiten – sogenannte Wischer – unterschätzt werden. Schließlich gehen diese Stromschläge oft glimpflich aus, manchmal werden sie dem Arbeitgeber noch nicht einmal gemeldet. Auch die Vorstellung der betroffenen Person bei einem Mediziner unterbleibt.
Diese Problematik kennt auch Markus Tischendorf: „Stromunfälle bis etwa 230 Volt werden von einigen Elektrofachkräften nicht ernst genommen. Entweder aus Furcht vor negativen betrieblichen Folgen oder aus Sorglosigkeit“, bestätigt die Aufsichtsperson der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) aus Hamburg. Besonders ungünstig wirkt sich unsicheres Verhalten aus, wenn es sich durch häufiges Wiederholen zu einer gefährlichen Alltagsroutine entwickelt. Außerdem ist zu bedenken, dass sich der sorglose Umgang mit Strom – beispielsweise bei Reparaturen an der Hausinstallation – auf jüngere Kollegen und Auszubildende überträgt. Elektrofachkräfte sollten stets Vorbild sein, besonders beim Einhalten der Sicherheitsregeln und beim Tragen der Persönlichen Schutzausrüstung. Nicht zuletzt dadurch zeigt sich der Profi.
Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung
Häufig stellt sich im Berufsalltag die Frage, ob denn ausgebildete Elektriker jährlich zu den „Gefahren des elektrischen Stroms“ belehrt werden müssen. Auch wenn der Begriff „Belehrung“ in diesem Zusammenhang etwas unglücklich ist, fällt die Antwort des Sicherheitsberaters Tischendorf eindeutig aus: „Ja, alle Beschäftigten müssen vor Beginn ihrer Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen zu den Gefahren am Arbeitsplatz unterwiesen werden. Das gilt selbstverständlich auch für Elektrofachkräfte.“
Verstoßen einzelne Mitarbeitende in schwerer Weise oder wiederholt gegen einschlägige Sicherheitsregeln, sind die Unterweisungen seitens des Arbeitgebers zu intensivieren. Zur Erinnerung: Der Arbeitgeber hat eine Gefährdungsbeurteilung für das Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln zu erstellen. Neben der Bewertung des Unfallrisikos sind hierbei die betrieblichen Schutzmaßnahmen im Umgang mit dem elektrischen Strom festzulegen. Außerdem ist zu beachten, dass Arbeiten unter Spannung (AuS) eine absolute Ausnahme darstellen. Selbst langjährige Elektrofachkräfte dürfen diese nicht allein wegen ihrer Berufsausbildung durchführen. Arbeiten unter Spannung sind stattdessen ausschließlich durch speziell geschulte Elektrofachkräfte und unter Beachtung anerkannter Arbeitsmethoden in begründeten Einzelfällen zulässig. Wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel von Seiten des Auftraggebers, reichen als Begründung für das Arbeiten unter Spannung nicht aus.
Typisches Unfallbeispiel bei Arbeiten an elektrischen Anlagen
Eine Elektrofirma sollte die Deckenbeleuchtung beim Kunden erneuern. Dafür mussten neue Elektroleitungen verlegt werden. Am Auftrag beteiligt waren zwei Gesellen und ein Auszubildender. Durch den Auftraggeber fand eine Einweisung vor Ort statt, danach wurde der betreffende Raum spannungsfrei geschaltet. Während der Anschlussarbeiten berührte der Auszubildende mit der Hand ein blankes Leitungsende und erlitt kurzzeitig einen Stromschlag (230 Volt). Durch den Schreck stürzte er von seiner Leiter und zog sich eine schwere Kopfverletzung zu.
Die spätere Unfallanalyse ergab, dass keine ausreichende Sicherung gegen Wiedereinschalten an der Unterverteilung vorhanden war. Eine nachträglich nicht mehr zu ermittelnde Person hatte die Stromversorgung ohne Wissen über die Gefährdung der Handwerker wieder zugeschaltet. Gerade bei Niederspannungsanlagen, die einem großen Personenkreis frei zugänglich sind, müssen wirksame Sicherungsmaßnahmen etwa in Form von Wiedereinschaltsperren genutzt werden.
Zahlen, Daten, Fakten
- Im Jahr 2019 ereigneten sich bundesweit 32 tödliche Stromunfälle in den Bereichen Industrie, Gewerbe und Haushalt (Quelle: VDE – Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e.V.)
- In den Jahren 2015 bis 2019 entfielen 48,2 Prozent der Stromunfälle auf Elektrofachkräfte – zum Vergleich: Im selben Zeitraum erlitten nur 20,9 Prozent der elektrotechnischen Laien einen Stromunfall (Quelle: Institut zur Erforschung elektrischer Unfälle, BG ETEM)
- Die große Mehrheit der Stromunfälle in Deutschland ereignet sich im Bereich der Niederspannung, nämlich 87,9 Prozent im Jahr 2019 (Quelle: Institut zur Erforschung elektrischer Unfälle, BG ETEM)