Herr Fleischhauer, in Ihrem Beruf können Ihnen bereits kleine Unachtsamkeiten zum Verhängnis werden. Wie gehen Sie bei Bombenfunden vor, um Unfälle zu vermeiden?
Das ist vor allem eine Frage der Organisation. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich von einem Baggerführer angerufen werde, der unerwartet auf etwas gestoßen ist, oder ob es sich um einen planmäßigen Fund handelt. Wir suchen ja nach Luftbildauswertungen gezielt Flächen ab und führen bei Vermutungspunkten Bohrlochsondierungen durch, etwa im stark belasteten Oranienburg. Stellt sich heraus, dass tatsächlich Kampfmittel im Boden liegen, kann ich alles schön vorbereiten: Wir kennen die Lage vor Ort, wissen von Gas‑, Wasser- und Elektroleitungen, können großräumig absperren und geplant evakuieren, in Absprache mit den Ämtern. Ich weiß, um was es sich handelt, ob eine Bombenentschärfung in Frage kommt oder gleich eine Sprengung…
Bei einem Zufallsfund ist das natürlich anders. Liegt zum Beispiel plötzlich eine Bombe in der Baggerschaufel, bleibt weniger Zeit für die Vorbereitung. Die Sicherheit steht aber immer an erster Stelle. Bevor wir hinlaufen und den Gegenstand identifizieren, heißt es erstmal absperren, evakuieren, freimachen. Wir gehen in jedem Fall von der höchsten Gefährlichkeit aus, die es zu minimieren gilt. Erst dann machen wir uns ein genaues Bild von dem Kampfmittel, in welchem Zustand ist es, was hat es für einen Zünder?
Wie schaffen Sie es, diese gefährliche und verantwortungsvolle Aufgabe zu meistern: Sind Sie von Natur aus ein mutiger Mensch, der Nervenkitzel mag?
Einen gewissen Mut muss man haben, aber um Nervenkitzel und Heldentum geht es sicher nicht. Das Wichtigste sind ja die Schutzvorkehrungen, für sich selbst und alle anderen, das darf man nie vergessen. Man braucht also vor allem Ruhe und Besonnenheit. Wir legen hier zudem sehr viel Wert auf praktische Erfahrung. Wer die Ausbildung gemacht hat, darf bei uns nicht gleich entschärfen, sondern begleitet erst einmal jahrelang einen erfahrenen Sprengmeister. Ein verrosteter Gegenstand, der in der Lehrklasse geputzt als Ausbildungsutensil steht, sieht nämlich immer noch anders aus als das, was ich hier vor Ort vorfinde.
Routiniert an die Sache herangehen darf man ohnehin nicht, denn jeder Fund ist anders. Bei den Vorbereitungsarbeiten schon, man guckt auf die Karte, man nimmt den Zirkel, man meldet dem Ordnungsamt, hier brauchen wir noch einen Schutz, hier stellen wir noch Big Packs hin, hier stellen wir Strohballen auf für den Fall der Fälle. Aber danach, direkt an der Bombe, ist Routine fehl am Platz. Man kann nicht reingehen in das Loch und gewohnheitsmäßig die Zange ansetzen nach dem Motto „Ach, so ein Ding hatte ich schon 25 Mal und heute, beim 26. Mal, läuft das genauso.“ Das wäre falsch, denn es spielen sehr viele Aspekte eine Rolle: Wo lag die Bombe, wie lange lag sie dort, ist sie stark verrostet oder verkrustet, kommt man gut an sie ran, ist der Zünder gestaucht… Das gilt auch für technische Details: Eine 250 Kilo Bombe amerikanischer Bauart kann zum Beispiel auch mal einen anderen Zünder haben als erwartet.
Haben Sie schon einmal einen Rückzieher gemacht, weil Ihnen etwas nicht geheuer war?
Nicht direkt, letztlich findet sich ja immer eine Lösung. Man sollte aber nie vorschnell handeln, und so kommt es schon mal vor, dass ich noch einen Kollegen hinzuziehe, um eine zweite Meinung zum geplanten Vorgehen zu bekommen. Wir haben ja die Wahl: An eine einfache mechanische Zündung kann ich mit der Zange ran, aber Langzeitzünderbomben fassen wir im Grunde genommen gar nicht mehr an. In diesem Fall nutzen wir Fernentschärfungsgeräte, um das Risiko zu minimieren.
Falls doch etwas schieflaufen sollte, hilft Ihnen Persönliche Schutzausrüstung vermutlich wenig. Tragen Sie überhaupt PSA?
Wir haben hier ganz normale Arbeitskleidung mit Handschuhen, Sicherheitsschuhen und einem Schutzhelm, aber mehr auch nicht. Schutzanzüge für Minenentschärfer, die man manchmal im Fernsehen sieht, bringen uns nichts. Bei denen detonieren ja nur 20 bis 50 Gramm Sprengstoff, bei uns wären es 150 bis 200 Kilo. Eine solche Explosion übersteht kein Anzug, nicht mal eine Ritterrüstung.
Steckbrief
- geboren 1959 in Artern
- Sprengmeister beim Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg (KMBD)
- hat bis dato rund 120 Blindgänger entschärft oder kontrolliert gesprengt
- setzt auf Ruhe, Besonnenheit und eine gute Vorbereitung
- sieht sich nicht als Held