Aus der Neurowissenschaft ist bekannt, dass bis zu 99 Prozent aller Gedanken und Handlungen unterbewusst ablaufen. Umso wichtiger ist es, durch eine erfolgreiche Wissensvermittlung die Einstellung von Führungskräften und Mitarbeitern zum Arbeitsschutz zu verbessern. Ein sehr nützliches Instrument hierfür ist Storytelling, also das Vermitteln von Informationen und Botschaften in einer Geschichte.
Storytelling in der Wirtschaft
Die Wirtschaft setzt bereits seit vielen Jahren Storytelling im Vertrieb und Marketing ein, um Produkte und Dienstleistungen zu vermarkten und zu verkaufen. Den Erfolg dieser Methode belegt unter anderem eine Studie der Stanford Universität: Demnach fiel die Erinnerung an Inhalte beim Einsatz von Storytelling 22-mal stärker aus, als wenn darauf verzichtet wurde.
Ein prominentes Beispiel für erfolgreiches Storytelling ist Apple-Mitbegründer Steve Jobs. Bei der Präsentation des ersten iPhones erzählte er, dass sich Apple zu Beginn alle vorhandenen Smartphones angeschaut habe und erkannte, dass die bisher verfügbaren Geräte weder ansprechend aussahen noch einfach zu bedienen waren. Er erklärte weiterhin, dass Apple das Ziel hatte, diese beiden Aspekte zu verbessern und zugleich mehr Fähigkeiten in ein Smartphone zu integrieren. Den Weg dahin beschrieb Jobs als schwierig, am Ende stand dann das erste iPhone. Inzwischen kann jeder sehen, wie erfolgreich und auch dominierend Apple in den vergangenen Jahren mit dieser Botschaft war. Doch was kann der Arbeitsschutz von der Wirtschaft und zum Beispiel von Steve Jobs lernen?
Storytelling im Arbeitsschutz
Wichtig für eine kontinuierliche Verbesserung der Sicherheitskultur ist eine gute Regelkommunikation zum Arbeitsschutz. Gerade dafür können die Unternehmen noch einiges von Menschen wie Steve Jobs lernen. Grundsätzlich kann Storytelling in jeglichen Gesprächsformaten eingesetzt werden – egal ob es um eine Unterweisung, ein Sicherheitskurzgespräch, einen Vortrag, das Shopfloor-Board Meeting oder den Arbeitsschutzausschuss geht. Die heutige Ausbildung von Sicherheitsingenieuren und Fachkräften für Arbeitssicherheit beinhaltet jedoch keine Anleitung zum Storytelling – ebenso wenig wie die der Sicherheitsbeauftragten. Deshalb sollten sich sowohl die Arbeitsschutzexperten und im weiteren Verlauf auch Führungskräfte intensiver mit diesem Instrument befassen und sich hierzu weiterbilden. Im Folgenden wird auf einige Eckpunkte eingegangen, die bei der Nutzung von Storytelling unbedingt beachtet werden sollten.
Wahrnehmungskanäle
Menschen nehmen Informationen über fünf Wahrnehmungskanäle auf. Hierbei handelt es sich um visuelle, auditive, kinästhetische, olfaktorische und gustatorische Kanäle. Die Ausprägung der Wahrnehmungskanäle kann individuell recht unterschiedlich ausfallen. Bei den meisten Menschen sind die stärksten Ausprägungen jedoch im Bereich der visuellen, auditiven und kinästhetischen Wahrnehmungskanäle zu finden. Von daher sollte im Storytelling darauf geachtet werden, dass sowohl mit Bildern und der Beschreibung von Geräuschen gearbeitet als auch über Emotionen gesprochen oder geschrieben wird.
- Beispiel: Beim Zusammenprall zwischen Gabelstapler und Hochregallager kam es zu einem lauten Knall und es konnte eine Beule am Regalfach erkannt werden. Dem Mitarbeiter war das sehr unangenehm und man merkte die Aufregung und das Zittern seiner Stimme im Gespräch.
Die Heldenreise
Im Storytelling bietet sich oftmals eine Heldenreise an. Hierbei gibt es immer einen Helden, der sein Ziel verfolgt und auf dem Weg dorthin scheitert. Dann trifft er einen Mentor, der ihn unterstützt oder ihm das notwendige Werkzeug übergibt. Der Held setzt mit Hilfe des Mentors seine Reise fort und ist am Ende der Geschichte erfolgreich. Wichtig zu verstehen ist, dass es sich beim Helden in den meisten Fällen nicht um den Erzähler handeln sollte. Der Erzähler kann jedoch die Rolle des Mentors einnehmen.
- Beispiel: Ein Geschäftsführer wollte, dass seine Schichtführer endlich Verantwortung im Arbeitsschutz übernehmen. Deshalb ließ er seine Schichtführer zum Thema rechtliche Verantwortung und Haftung im Arbeitsschutz schulen. Entgegen seiner Erwartung wurde nun allerdings noch mehr versucht zu delegieren. Der Geschäftsführer war ratlos und traf dann auf ein Consultingunternehmen, das ihm dieses Verhalten erklärte und ein systematisches Arbeitsschutz-Onboarding in Folge der ersten Schulung empfahl. Der Geschäftsführer setzte die Empfehlung um und investierte in ein Onboarding. Am Ende übernahmen die Schichtführer immer mehr Verantwortung, erkannten den Sinn und persönlichen Vorteil am Arbeitsschutz und gehen heute als Vorbild voran.
Der Einstieg
Menschen entscheiden bereits nach wenigen Minuten darüber, ob sie einem Vortrag, einer Unterweisung oder sonstigen Gesprächen geistig folgen oder eben nicht. Deshalb ist bereits der Einstieg in Unterweisungen, Workshops, Vorträge oder Ansprachen aller Art von großer Bedeutung. Umso mehr empfiehlt es sich, neben einigen anderen rhetorischen Werkzeugen hierzu das Storytelling zu nutzen. Oft bietet es sich an, zum Einstieg über das persönliche „Warum“ zu sprechen. Also warum ist es dem Sprecher wichtig, dass die Teilnehmenden zuhören, mitmachen und im Anschluss das Gesagte möglichst auch umsetzen? Damit sich das menschliche Gehirn die Geschichte gut vorstellen kann, sollte möglichst tief in die Handlungen hineingezoomt und detailliert auf einzelne Stellen eingegangen werden.
- Beispiel: Ich werde niemals vergessen, wie der Kollege vom Wachschutz mich anrief und mir mitteilte, dass wir einen schweren Arbeitsunfall haben. Direkt als ich den Hörer auflegte, spürte ich, dass mein Herz schneller schlug. Ich zog schnell meine gelbe Warnweste an und ging schnellen Schrittes das steil am Hang liegende Betriebsgelände hoch zur Produktionshalle. Ich war wie in einem Tunnelblick und spürte, wie mir der Schweiß die Stirn herunterlief. Als ich die grüne, schwere Eingangstür zur Produktion öffnete, sah ich in blasse Gesichter. Alle Maschinen waren aus. Dann sah ich einen verunfallten Mitarbeiter. Neben ihm lag seine Brille, ein Glas zersprungen, das andere blutverschmiert (…).
Die Trias
Menschen können sich nicht unendlich viele Informationen auf einmal merken. Deshalb wird eine Geschichte sehr oft in drei wesentliche Teile aufgeteilt und vielleicht noch ein kleiner Abschluss als vierter Teil genutzt. Der Fachbegriff hierfür ist Trias. Die Trias wird sowohl innerhalb von Filmen als auch in Büchern genutzt. Selbst die erfolgreichsten oder zumindest bekanntesten Slogans arbeiten mit dieser Dreiteilung. Beispiele dafür sind „Wir schaffen das“ von Angela Merkel zur Flüchtlingskrise oder „Yes we can“ von Barack Obama.
Auch in den Aktivitäten des Arbeitsschutzes sollte auf diese Trias geachtet werden, um die Kernbotschaften möglichst nachhaltig zu vermitteln. Ein Beispiel für den Aufbau eines Vortrags auf der Betriebsversammlung:
- Einstieg (zum Beispiel über das persönliche Warum)
- Gründe für unsicheres Verhalten am Arbeitsplatz
- Wie kann der aktuelle Zustand gemeinsam verbessert werden?
- Aufruf beziehungsweise Motivation der Teilnehmenden („Lasst uns XYZ sicherer machen“)
Bei der Wahrheit bleiben
Auch im Storytelling sollte bei der Wahrheit geblieben werden. Erfundene Geschichten erscheinen oft unrealistisch oder übertrieben und sorgen so dafür, dass der Arbeitsschutz an Vertrauen verliert. Genau das Gegenteil soll jedoch mit Storytelling erreicht werden.
Umfang des Storytellings
Wichtig ist, dass Inhalt und Umfang der Geschichte zu den Zuhörenden beziehungsweise jeweiligen Gesprächspartnern passen. Im Idealfall ist bekannt, ob die relevanten Personen gerne detailliert über Themen sprechen oder die Dinge lieber auf den Punkt bringen. Dies wäre etwa daran erkennbar, ob sie in aller Ausführlichkeit über ein Fußballspiel berichten – also nahezu neunzig Minuten lang das Geschehen beschreiben – oder einfach sagen „2:0 gewonnen, tolles Spiel”. An diese individuellen Vorlieben ist dann auch das Storytelling zum Arbeitsschutz anzupassen. Denn wer zu viel oder zu wenig spricht, kann sein Gegenüber schnell in der Geschichte verlieren.
Sachlichkeit allein fruchtet wenig
Storytelling ist im Arbeitsschutz noch viel zu wenig vertreten, weil weit mehr auf Zahlen, Daten und Fakten gesetzt wird. Es ist oft genau diese Sachlichkeit, die in den wenigsten Fällen dafür sorgt, dass Führungskräfte und Mitarbeitende für den Arbeitsschutz gewonnen werden. Sicherheitsingenieure, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Sicherheitsbeauftragte sollten sich deshalb stärker mit dem Thema auseinandersetzen und den Mut entwickeln, mehr Storytelling im täglichen Arbeitsablauf zu nutzen. Wer Storytelling beherrscht, wird die Führungskräfte und Kollegen oftmals schneller und einfacher dort erreichen, wo die meisten Unfälle heute entstehen: im Kopf.
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