Herr Frener, gibt es für Menschen nach Kopfverletzungen oder mit einem Cochlea-Implantat spezielle Angebote an Industrieschutzhelmen?
Im Moment ist diese Auswahl sehr eingeschränkt. Mir ist nur ein Modell eines deutschen Herstellers bekannt. Es ist eine Sonderlösung, bei der die harte Helmschale mit Schaumstoff ausgestattet ist. An den Stellen, an denen der Nutzer Probleme hat, wird dann aus dem Kunststoff ein Stück ausgeschnitten. Dann kann er den Helm tragen, auch wenn er eine druckempfindliche Stelle am Kopf hat. So hat er zumindest einen eingeschränkten Schutz.
Gibt es Vorgaben, wie die Polsterung beschnitten werden darf?
Die Vorgaben sind minimal. Man kann eigentlich herausschneiden, was man will. Möglich ist das, weil die Schaumstoffpolsterung dieses Helms etwa die Hälfte der in der Norm für Industrieschutzhelme, der DIN EN 397, vorgegebenen Stoßkräfte aufnehmen kann. Dieser Helm gilt außerdem nicht als Persönliche Schutzausrüstung (PSA), da für ihn keine Konformitätserklärung vorliegt.
Also darf er dort, wo Industrieschutzhelme vorgeschrieben sind, nicht verwendet werden?
Als der Helm vor vielen Jahren entwickelt wurde, gab es noch nicht diese konkreten Vorgaben in der PSA-Benutzungsverordnung wie heute. Damals war man der Auffassung, dass der Helm besser als nichts ist. Heute ist das anders: Sind aufgrund der generellen Gefährdungsbeurteilung Bereiche definiert, in denen die Gefahr besteht, dass einem beispielsweise ein schwererer Gegenstand auf den Kopf fallen kann, dann darf ein Beschäftigter, der einen sogenannten Versehrtenhelm trägt, dort nicht mehr eingesetzt werden. Dies wäre zum Beispiel auf Baustellen der Fall, wo auf mehreren Ebenen Tätigkeiten gleichzeitig ausgeführt werden, oder in Hallen mit Kranbetrieb. Der Versehrtenhelm würde dort zwar durchaus nützen, aber da er nicht als Industrieschutzhelm zugelassen ist, sind die entsprechenden Gefahrenbereiche für diese Helmträger tabu.
Allerdings muss man auch sehen, dass der Schutz durch PSA immer begrenzt ist. Und bei diesem Helm ist die Grenze der Schutzwirkung eben früher erreicht.
Wird der Helm denn in der Praxis überhaupt getragen?
Ja. Wenn es einen Bereich gibt, in dem offiziell keine Helmtragepflicht besteht, der Unternehmer aber die Vorgabe macht, dass die Mitarbeiter dort einen Helm tragen sollen. Es werden also Zusatzbereiche definiert, in denen dann dieser Helm eingesetzt werden kann. Dazu muss der Unternehmer durch eine besondere Gefährdungsbeurteilung festlegen, in welchen Bereichen der betreffende Mitarbeiter mit diesem Helm arbeiten darf. Der Helm gilt dann aber nicht als PSA, sondern als Hilfsmittel für zusätzliche Sicherung. Dies muss in der Gefährdungsbeurteilung auch so festgelegt sein.
Wird es in Zukunft entsprechende Helme geben, die auch als Industrieschutzhelme zugelassen sind?
Zurzeit entwickeln die Berufsgenossenschaften zusammen mit einem deutschen Hersteller den angebotenen Helm weiter. Entsprechende Prototypen testet gerade das Institut für Arbeitsschutz (IFA) in St. Augustin – das Prüfinstitut der DGUV. Es sind auch schon Trageversuche in der Praxis geplant. Ich bin zuversichtlich, dass bis Ende des Jahres ein Helm entwickelt wird, für den eine Konformitätsbescheinigung ausgestellt werden kann.
Wie sieht es bei Menschen mit besonderen Kopfgrößen oder ‑formen aus? Finden sie passende Helme?
Die im Handel erhältlichen Helme orientieren sich hauptsächlich an den Ergonomie-Normen für Körperabmessungen. Sie sind für mehr als 90 Prozent der Bevölkerung passend. Wie bei allen Normen gibt es aber auch hierbei Ausnahmen. Das sind zum Beispiel Menschen mit einem sehr großen Kopfumfang, einem sehr langen oder breiten Kopf. Sie finden im Moment keinen passenden Helm. Die Bedarfszahlen sind hierfür jedoch minimal, deshalb lohnt sich für die Hersteller die Produktion nicht. Hinzu kommt, dass thermoplastische Helme ab Herstelldatum nur vier Jahre getragen werden dürfen. Ab dann besteht die Gefahr der Versprödung. Der Hersteller und der Handel können diese Helme folglich nicht lange Zeit auf Lager halten.
Gibt es für diese Menschen keine Lösung?
Aktuell wird eine Lösung dafür ins Auge gefasst. Die DGUV-Regel 112–193 „Kopfschutz“ wird zurzeit überarbeitet. Wir würden gerne erreichen, dass dort der Industrieschutzhelm nicht als einzige Möglichkeit des Kopfschutzes genannt wird, wenn es um Baustellen oder Kranbetrieb geht. Stattdessen soll nur eine ausreichende Schutzfunktion von Helmen verlangt werden. So würde der Unternehmer dann in der Gefährdungsbeurteilung aufgrund der denkbaren Gefährdungen einen Helm nach dessen Schutzfunktion auswählen. Dann könnten auch zum Beispiel klassische Bergsteigerhelme verwendet werden, die nach der DIN EN 12492 „Bergsteigerhelme“ zertifiziert sind. Sie sind in größeren Größen und unterschiedlichen Formen erhältlich. Wenn die DGUV-Regel im kommenden Frühjahr überarbeitet worden ist, muss sie aber noch durch verschiedene, auch staatliche, Gremien. Ob diese zustimmen werden, kann ich nicht vorhersagen.
Weitere Informationen gibt es beim DGUV-Fachbereich PSA, Fachgebiet Kopfschutz, in einer FAQ-Liste. Die vorletzte Frage darin dreht sich um den Versehrten-Helm.
Die Konformitätserklärung
Gemäß § 2 der PSA-Benutzungsverordnung dürfen nur solche Industrieschutzhelme ausgewählt und zur Verfügung gestellt werden, welche die erforderliche CE-Kennzeichnung tragen und für die eine Konformitätserklärung vorliegt. Mit der CE-Kennzeichnung und der Konformitätserklärung bescheinigt der Hersteller nach erfolgreichem EG-Baumusterprüfverfahren, dass sein Produkt die Anforderungen der PSA-Hersteller-Richtlinie (EG-Richtlinie 89/686/EWG) erfüllt. Das EG-Baumusterprüfverfahren wird von zugelassenen Prüfstellen auf der Grundlage der o.g. Richtlinie und der DIN EN 397 „Industrieschutzhelme“ durchgeführt.
(Quelle: DGUV, Sachgebiet Kopfschutz)