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Beschaffung von Gefahhrstoffen: Strukturiertes Verfahren

Strukturiertes Verfahren
Beschaffung von Gefahrstoffen

Beschaffung von Gefahrstoffen
© kittisak – stock.adobe.com
Die Umset­zung der Gefahrstof­fverord­nung stellt auch heute noch viele Unternehmen vor eine große Her­aus­forderung. Das begin­nt schon bei der Beschaf­fung. Struk­turi­erte Ver­fahren kön­nen helfen, die Anforderun­gen im Betrieb umzuset­zen, Recht­skon­for­mität zu schaf­fen und den sicheren Umgang mit Gefahrstof­fen zu gewährleisten.

Viele Arbeit­ge­ber stellen sich die Frage, wie sich die Vor­gaben der Gefahrstof­fverord­nung in den täglichen Betrieb imple­men­tieren lassen. Speziell die Beschaf­fung von Gefahrstof­fen spielt eine wichtige Rolle im Arbeitss­chutz und kann bere­its im Vorhinein eine zukun­ft­sentschei­dende Rolle spie­len, um die Recht­skon­for­mität im Umgang mit Gefahrstof­fen zu ermöglichen.

Aus diesem Grund emp­fiehlt es sich, zunächst einen detail­lierten Blick in die Gefahrstof­fverord­nung (Gef­Stof­fV) zu wer­fen. Ziel der Gef­Stof­fV ist es unter anderem nach § 1 Abs. 1 Men­schen und die Umwelt vor stoff­be­d­ingten Schädi­gun­gen zu schützen. Dies geschieht durch

  1. Regelun­gen zur Ein­stu­fung, Kennze­ich­nung und Ver­pack­ung gefährlich­er Stoffe und Gemische
  2. Maß­nah­men zum Schutz der Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er sowie ander­er Per­so­n­en bei Tätigkeit­en mit Gefahrstoffen
  3. Beschränkun­gen für das Her­stellen und Ver­wen­den bes­timmter gefährlich­er Stoffe, Gemis­che und Erzeugnisse

Die tech­nis­chen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) helfen bei der Konkretisierung der Gefahrstof­fverord­nung und enthal­ten eben­falls Regelun­gen aus konkreten EG-Vorschriften, welche dadurch in nationales Recht umge­set­zt wer­den. Der Arbeit­ge­ber hat gemäß § 8 Abs. 1 Gef­Stof­fV die für ihn zutr­e­f­fend­en TRGS bei der Fes­tle­gung der erforder­lichen Schutz­maß­nah­men zu beachten.

Wer­den jedoch ander­weit­ige, trotz­dem aber gle­ich­w­er­tige Schutz­maß­nah­men getrof­fen, muss die entsprechende TRGS nicht beachtet wer­den. Die Doku­men­ta­tion dieser Gle­ich­w­er­tigkeit ist in der
Gefährdungs­beurteilung festzuhalten.

Anforderungen rechtskonform umsetzen

Durch ein struk­turi­ertes Gefahrstoff-Freiga­bev­er­fahren ist es möglich, rechtliche Anforderun­gen zu erfüllen, Risiken zu min­imieren, Kosten zu reduzieren und zeit­ef­fizient zu arbeit­en. In der Gef­Stof­fV gibt es keine konkrete Forderung nach einem „Gefahrstoff-Freiga­be­prozess“, was die Ein­führung des Prozess­es in Unternehmen lei­der auch heute noch erschwert.

Bei näher­er Betra­ch­tung fällt jedoch auf, dass gemäß § 7 Abs. 1 Gef­Stof­fV der Arbeit­ge­ber verpflichtet ist, bere­its vor Auf­nahme der Tätigkeit­en mit Gefahrstof­fen eine Gefährdungs­beurteilung durchzuführen. Eben­so ist er verpflichtet, gemäß § 6 Abs. 1 Gef­Stof­fV vor­rangig eine Sub­sti­tu­tion­sprü­fung durchzuführen. Durch das Freiga­bev­er­fahren kön­nen bere­its im Bestell­prozess ein großer Teil der Anforderun­gen der Gefahrstof­fverord­nung erfüllt, Gefahren erkan­nt und ver­hin­dert wer­den. Des Weit­eren ist es möglich, durch den Freiga­be­prozess und die somit notwendi­ge Über­prü­fung der Gefahrstoffe Verän­derun­gen der Recht­slage zu erken­nen und in der Prax­is anzuwenden.

Ein prax­is­na­h­es und sehr aktuelles Beispiel ist die Ver­wen­dung von Diiso­cyanat­en in Kleb­stof­fen, PU-Schäu­men oder Lack­en. Nach Inkraft­treten der REACH-Verord­nung (EG) mit der Verord­nung (EU) 2020/1149 am 24. August 2020, dür­fen Diiso­cyanate nach dem 24. August 2023 nur noch unter bes­timmten Bedin­gun­gen ver­wen­det wer­den. Die entsprechende TRGS 430 „Iso­cyanate-Gefährdungs­beurteilung und Schutz­maß­nah­men“ wird dementsprechend vom Auss­chuss für Gefahrstoffe angepasst. Find­et eine regelmäßige Über­prü­fung der Sicher­heits­daten­blät­ter im Unternehmen statt, und wer­den die Unternehmen bei der Freiga­be von Gefahrstof­fen direkt mit Änderun­gen kon­fron­tiert, kön­nen Anpas­sun­gen durchge­führt und zukun­ft­sori­en­tiertes Arbeit­en ermöglicht werden.

Ger­ade in großen Unternehmen find­et die Beschaf­fung von Gefahrstof­fen häu­fig durch den Einkauf statt, der sel­ten in direk­ten Kon­takt mit den Gefahrstof­fen kommt bzw. wenige bis keine Infor­ma­tio­nen über die Ver­wen­dung der Gefahrstoffe besitzt. Die Bestel­lun­gen wer­den meist von unter­schiedlichen Abteilun­gen getätigt und an den Ver­ant­wortlichen für die Beschaf­fung adressiert.

Aufgaben und Zuständigkeiten klar festlegen

Um jedoch die Ver­ant­wor­tung für den Arbeitss­chutz leis­ten zu kön­nen, müssen Auf­gaben und Zuständigkeit­en klar fest­gelegt und eine geeignete Kom­mu­nika­tion der Beteiligten im Unternehmen sichergestellt sein. Je nach Unternehmensstruk­tur sind ver­schiedene Beteiligte in den Prozess einzu­binden. In der Regel soll­ten fol­gende Per­so­n­en am Beschaf­fung­sprozess beteiligt sein: Fachkraft für Arbeitssicher­heit, Betrieb­sarzt, Abteilungsleitung des zu beschaf­fend­en Gefahrstoffes, sowie der Beschaf­fer selbst.

Des Weit­eren sind die Kri­te­rien, die im Prozess enthal­ten sein soll­ten, zu definieren und mit Blick auf die Gefahrstof­fverord­nung anzu­passen. Im Prozess soll­ten fol­gende Kriterien/Aufgaben enthal­ten sein:

  • Infor­ma­tions­beschaf­fung (Sicher­heits­daten­blatt und wenn notwendig weit­ere Informationen)
  • Prü­fung der Verfügbarkeit
  • Prü­fung und Klärung eines geeigneten Lagerortes (Mit Berück­sich­ti­gung der TRGS 510 „Lagerung von Gefahrstof­fen in orts­be­weglichen Behältern“)
  • Durch­führung der Sub­sti­tu­tion­sprü­fung (mit Berück­sich­ti­gung der TRGS 600 „Sub­sti­tu­tion“)
  • Durch­führung der Gefährdungs­beurteilung und anschließende Fes­tle­gung der Schutz­maß­nah­men unter Berück­sich­ti­gung der Arbeit­sumge­bung und des Arbeitsprozesses
  • Freiga­be des Gefahrstoffes und Aus­lö­sung der Bestellung

Einfaches Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe

Ger­ade in Klein- und Mit­tel­be­trieben kann das EMKG (Ein­fach­es Maß­nah­menkonzept Gefahrstoffe) ver­wen­det wer­den, um die Gefährdungs­beurteilung beim Umgang mit Gefahrstof­fen nach Gefahrstof­fverord­nung durchzuführen. Nach erfol­gre­ich­er Durch­führung wer­den direkt passende Maß­nah­men vorgeschla­gen. Dies hil­ft, bere­its vor dem Aus­lösen der Bestel­lung die Kosten sowie den Aufwand der Schutz­maß­nah­men abzuschätzen.

Der Anwen­der des EMKG benötigt keine tiefge­hen­den Vorken­nt­nisse im Gefahrstof­frecht. Mit Hil­fe der Infor­ma­tio­nen aus dem Sicher­heits­daten­blatt, sowie Infor­ma­tio­nen zur Anwen­dung der Gefahrstoffe ist es möglich, durch ein ein­fach­es Tool (App/Drehscheibe) eine Gefährdungs­beurteilung durchzuführen. Dabei ist es von­nöten, Infor­ma­tio­nen über den Arbeitsvor­gang (Dauer pro Vor­gang, Anzahl der Vorgänge, Dauer pro Vorgänge pro Arbeitss­chicht), die Anwen­dungs­menge pro Arbeitsvor­gang sowie die Gefährdun­gen durch Hautkon­takt, das Einat­men sowie Brand und Explo­sion zu erhalten.

Hier verdeut­licht sich erneut, wie wichtig eine struk­turi­erte Kom­mu­nika­tion im Unternehmen ist. Der Anwen­der des EMKG benötigt die Infor­ma­tio­nen zur Anwen­dung der Gefahrstoffe von dem späteren Anwen­der, um dieses erfol­gre­ich durch­führen zu können.

Dokumentation des Freigabeprozesses

Wur­den alle oben genan­nten Auf­gaben und Kri­te­rien erfüllt, stellt sich häu­fig die Frage, wie alle wichti­gen Infor­ma­tio­nen und die Beurteilung eines Stoffes gesam­melt und vere­int wer­den kön­nen. Je nach Unternehmensgröße gibt es auch hier unter­schiedliche Vorge­hensweisen, wie die Doku­men­ta­tion des Freiga­be­prozess­es gestal­tet wird. Dies kann durch einen voll dig­i­tal­isierten Prozess, aber auch durch ein For­mu­lar zur Freiga­be von Gefahrstof­fen erfolgen.

Da nicht in jedem Unternehmen gle­ich viele Gefahrstoffe pro Jahr beschafft wer­den, gilt es, hier natür­lich den Prozess entsprechend dem Unternehmen anzu­passen. Wichtig ist jedoch, hier­bei erneut darauf zu acht­en, dass alle am Prozess beteiligten Per­so­n­en auf das Doku­ment zugreifen kön­nen und alle Kri­te­rien aus­ge­füllt wur­den, bevor die Freiga­be im Anschluss erfolgt.

Wurde der Gefahrstoff erfol­gre­ich freigegeben und die Bestel­lung aus­gelöst, muss man weit­ere Maß­nah­men im Prozess imple­men­tieren und die Zuständigkeit­en dafür definieren:

  • Auf­nahme in das Gefahrstoffverzeichnis
  • Auswahl und Bestel­lung der per­sön­lichen Schutzausrüstung
  • Erstel­lung der Betriebsanweisung
  • Vor­bere­itung und Durch­führung der Unterweisung

Verzeichnis der verwendeten Gefahrstoffe

Die Notwendigkeit­en dieser Maß­nah­men wer­den mit erneutem Blick auf die Gef­Stof­fV deut­lich. So hat der Arbeit­ge­ber gemäß § 6 Absatz 12 ein Verze­ich­nis der im Betrieb ver­wen­de­ten Gefahrstoffe zu führen und nach erfol­gre­ich­er Beschaf­fung den Gefahrstoff darin aufzuführen.

In diesem Verze­ich­nis wird auf das vorhan­dene Sicher­heits­daten­blatt ver­wiesen und fol­gende Angaben müssen enthal­ten sein: Beze­ich­nung des Gefahrstoffes, Ein­stu­fung des Gefahrstoffes oder Angaben zu den gefährlichen Eigen­schaften, Angaben zu den im Betrieb ver­wen­de­ten Men­gen­bere­ichen sowie die Beze­ich­nung der Arbeits­bere­iche, in denen Beschäftigte dem Gefahrstoff aus­ge­set­zt sein können.

Individuelle Schutzmaßnahmen

Kön­nen die Gefährdun­gen der Gesund­heit und der Sicher­heit des Beschäftigten bei Tätigkeit­en mit Gefahrstof­fen nicht voll­ständig aus­geschlossen wer­den, und die Gefährdungs­beurteilung ergab die Notwendigkeit ein­er indi­vidu­ellen Schutz­maß­nahme, z. B. in Form ein­er per­sön­lichen Schutzaus­rüs­tung (PSA), so ist diese dem Mitar­bei­t­en­den bere­its vor erst­ma­liger Benutzung des Gefahrstoffes bere­itzustellen. Gemäß § 7 Absatz 6 hat der Arbeit­ge­ber des Weit­eren sicherzustellen, dass die PSA an einem dafür vorge­se­henen Ort sachgerecht auf­be­wahrt, vor Gebrauch geprüft und nach Gebrauch gere­inigt wird. Eben­so hat er sicherzustellen, dass defek­te oder schad­hafte PSA vor erneutem Gebrauch aus­ge­tauscht oder erneuert wird.

Betriebsanweisung

Bevor der neu angeschaffte Gefahrstoff im Betrieb seine Anwen­dung find­en kann, ist der Arbeit­ge­ber gemäß Gef­Stof­fV § 14 verpflichtet, den Mitar­bei­t­en­den die Betrieb­san­weisung für den Gefahrstoff zur Ver­fü­gung zu stellen. Eben­so ist er verpflichtet, die Mitar­bei­t­en­den vor Auf­nahme der Tätigkeit anhand der Betrieb­san­weisung über alle auftre­tenden Gefährdun­gen und Schutz­maß­nah­men mündlich zu unter­weisen. Die Beschäftigten sind eben­so darüber zu informieren, unter welchen Voraus­set­zun­gen sie Anspruch auf eine arbeitsmedi­zinis­che Vor­sorge­un­ter­suchung haben.

Betriebsarzt einbinden

Wurde ein struk­turi­ertes Gefahrstoff-Freiga­bev­er­fahren im Betrieb durchge­führt, wur­den die Zuständigkeit­en klar definiert und fest­gelegt und wurde die Kom­mu­nika­tion zwis­chen den einzel­nen Ver­ant­wortlichen sichergestellt, kann bere­its vor der Bestel­lung des Gefahrstoffs Rück­sprache mit dem Betrieb­sarzt gehal­ten wer­den, und die arbeitsmedi­zinis­chen Vor­sorge­un­ter­suchun­gen kön­nen bere­its in die Wege geleit­et werden.

Auch wenn es in der Gef­Stof­fV keine konkrete Forderung nach einem „Gefahrstoff-Freiga­be­prozess“ gibt, wird bei näher­er Betra­ch­tung deut­lich, wie wichtig ein solch­er Prozess für die Unternehmen ist. Durch ein struk­turi­ertes und organ­isiertes Freiga­bev­er­fahren ist es bere­its zum Zeit­punkt der Beschaf­fung möglich, die Anforderun­gen der Gef­Stof­fV zu erfüllen und somit einen sicheren Umgang mit Gefahrstof­fen zu gewährleisten.


Foto: © privat

Autorin:
Dr. Max­i­m­il­iane Frölich

Fachkraft für Arbeitssicherheit

Fachver­ant­wor­tung Gefahrstoffe

Rau Arbeitss­chutz GmbH & Co. KG

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