Mobile Roboter und andere technische Systeme werden schon heute in Umgebungen eingesetzt, die für den Menschen lebensfeindlich sind – etwa im Weltraum oder in kontaminierten Gebieten. Die Bandbreite dieser Systeme ist groß: Sie reicht von ferngesteuerten über automatisierte Systeme bis hin zu solchen mit limitierten Autonomiefunktionen. Die wenigsten verfügen jedoch über die kognitiven Fähigkeiten, um den Herausforderungen, der Komplexität, und den Unvorhersehbarkeiten in menschenfeindlichen Umgebungen allein begegnen zu können.
Zukünftig sollen technische Systeme jedoch in der Lage sein, die Komplexität von menschenfeindlichen Umgebungen zu „verstehen“ und gestellte Aufgaben effizient zu bearbeiten. Die Systeme können sich dann an veränderte Situationen anpassen, ohne dafür umprogrammiert werden zu müssen, und sich diese Änderungen sowie erfolgreiche Anpassungen auch merken. Diese sogenannten Lernenden Systeme (LS) können den Menschen dadurch in Gefahrensituationen noch besser unterstützen – beispielsweise in der Gefahrenabwehr oder bei Rettungseinsätzen. Damit senken sie die Risiken für das eingesetzte Personal deutlich. Gleichzeitig verringern sie die Reaktionszeit und schließen Fähigkeitslücken, in denen heute noch keine angemessene Reaktion möglich ist.
In menschenfeindlichen Umgebungen versprechen Lernende Systeme damit einen großen Nutzen. Zusammen mit dem Menschen können sie für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt werden: etwa in Form von Robotern für die Gewinnung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln (z.B. Aquakulturen). Ebenso können sie bei Wartungsarbeiten, Dekontamination und Rettungsmissionen unter schwierigen Bedingungen zum Einsatz kommen.
Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung des Fachforums Autonome Systeme des Hightech-Forums und acatech initiierte Plattform Lernende Systeme soll dazu beitragen, sie im Sinne der einzelnen Menschen und der Gesellschaft zu gestalten. LS sollen die Lebensqualität und Arbeitsbedingungen der Menschen verbessern, Wachstum und Wohlstand sichern sowie die Nachhaltigkeit der Wirtschaft, des Verkehrs und der Energieversorgung fördern. Die Plattform bündelt die vorhandene Expertise aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in sieben interdisziplinären und branchenübergreifenden Arbeitsgruppen.
Dieser Artikel basiert im Wesentlichen auf dem Bericht der Arbeitsgruppe „Lebensfeindliche Umgebungen“ (www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG-7_Bericht_web_ final.pdf).
Mehr Sicherheit für den Menschen
In gefährlichen Situationen können LS die Sicherheit von Menschen deutlich erhöhen. Dank ihrer Fähigkeiten müssen in Gefahren- oder Katastrophensituationen weniger Einsatzkräfte vor Ort sein. Zum einen übernehmen LS Aufgaben, die bisher Menschen erledigt haben – beispielsweise bei Rettungsarbeiten nach einem Chemieunfall. Diese Tätigkeiten sind nicht nur gefährlich oder gesundheitsschädigend. Selbst Fachleute können sie nicht immer effizient durchführen, weil ihnen in dynamischen Gefahrensituationen Informationen fehlen oder weil die Zeit knapp ist. Zum anderen unterstützen LS die Einsatzkräfte, indem sie ihnen einen schnellen Überblick über die Lage verschaffen. Mit Hilfe solcher Systeme lassen sich gegebenenfalls mehr Menschenleben retten oder Sachwerte besser schützen und erhalten.
Sinnvolle Arbeitsteilung
LS arbeiten selbständig, alleine oder in hybriden Teams mit anderen Lernenden beziehungsweise Autonomen Systemen und dem Menschen zusammen. Sie schätzen als Assistenten Gefahren für die Einsatzkräfte ein, sind aber auch fähig, in einer bestimmten Situation eigenständig adäquat zu agieren. Überdies können sie Hilfe anfragen – sei es für Menschen oder sich selbst. Die Systeme sammeln dazu Informationen, tauschen sie mit anderen Systemen aus und lernen fortlaufend weiter. Auf diese Weise schließen sie im Laufe der Zeit sukzessive noch bestehende Wissenslücken. Ihre Nutzung wird die Arbeitsweise und Arbeitsteilung in menschenfeindlichen Umgebungen grundlegend verändern. Das Lernende System nutzt seine an die Umgebung angepassten physischen Eigenschaften (Härtung), um auch lange Zeit unter widrigen Umständen im Einsatz zu bleiben. Menschen können, z.B. durch immersive Technologien, ihre Erfahrung und Flexibilität in der jeweiligen Situation einbringen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen.
Wirtschaftlich und nachhaltig
Hilfreiche Dienste versprechen LS auch für Infrastrukturen in menschenfeindlichen Umgebungen – etwa in Offshore-Windkraftanlagen oder auf Satelliten im Weltall. Deren Inspektion ist bislang mit einem hohen finanziellen Aufwand für die Betreiber und einem riskanten körperlichen Einsatz der Fachkräfte verbunden. Teilweise ist sie auch schlicht unmöglich, wie etwa im Fall der Satelliten. Schiffszeiten für Ausfahrten zu Offshore-Windparks kosten täglich sechsstellige Summen; Taucher und Industriekletterer arbeiten teils unter Lebensgefahr. Der stetige Ausbau von Offshore-Anlagen macht eine angemessene Inspektion künftig immer schwieriger. Lernende robotische Unterwassersysteme können diese weitgehend übernehmen. Durch ihre Lernfähigkeit sind sie in der Lage, adäquat auf Ausfälle von Teilsystemen (zum Beispiel einer Kamera oder einer Antriebseinheit) zu reagieren und diese zumindest teilweise zu kompensieren. Das reduziert den logistischen und personellen Aufwand weiter.
LS zeichnen sich durch ihre Adaptivität, Lernfähigkeit und ein an den spezifischen Einsatzort angepasstes Design aus. Sie machen den Betrieb von Infrastrukturen wie Offshore-Windkraftanlagen voraussichtlich auch ökologisch verträglicher und sicherer. Sie könnten zum Beispiel das Zusatzziel haben, sich möglichst umweltverträglich zu verhalten. Einige der bisher eingesetzten bemannten Systeme wie etwa Hubschrauber sind unter ökologischen Aspekten negativ zu bewerten. Sie lassen sich in vielen Bereichen durch energieeffiziente autonome Systeme mit deutlich besserer Ökobilanz ersetzen.
Herausforderungen
Damit das wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial von LS in lebensfeindlichen Umgebungen voll ausgeschöpft werden kann, sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen technische Herausforderungen wie die Gewährleistung von Langzeitautonomie und autonomem Lernen in unbekannten Umgebungen auf Basis von wenigen Daten sowie die Gestaltung der Interaktion und Kooperation der selbständigen Roboter oder Assistenzsysteme mit dem Menschen. Zudem benötigen die Systeme ein hohes Maß an Resilienz und müssen gegen Missbrauch geschützt werden.
Nicht-technische Herausforderungen – vor allem rechtlicher und ethischer Natur – sind aber nicht weniger komplex. Da Lernende Systeme mit Menschen auf unterschiedliche Weise interagieren, stellen sich Fragen zu Verantwortung, Haftung und Versicherung. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn durch die Systeme Schäden entstehen. Die Verarbeitung von personenbezogenen Informationen kann zu Privacy- und Datenschutzproblemen führen. Solche Fälle können eintreten, wenn Lernende Systeme im Katastrophenschutz oder bei Feuerwehreinsätzen hinzugezogen werden und Daten der betroffenen Menschen erfassen und weitergeben. Selbstständig entscheidende Systeme können außerdem bei Rettungseinsätzen in Dilemma-Situationen zum Einsatz kommen, zum Beispiel, wenn nur eine Person versorgt werden kann, obwohl mehrere Menschen Hilfe benötigen. Für den Umgang mit solchen Situationen muss ein formaler Rahmen gefunden werden, der technische, rechtliche und ethische Überlegungen einbezieht.
Einsatzbeispiel: Explosion und Brand in einer Chemiefabrik
Ein breiter Einsatz von LS bei Katastrophenbewältigung und Rettungseinsätzen wird die Arbeitsabläufe, die heute üblich sind, grundlegend verändern. Abbildung 1 zeigt schematisch den möglichen Ablauf solcher Einsätze bei enger Kooperation menschlicher Rettungskräften mit diversen Lernenden Systemen in lebensfeindlichen Umgebungen.
Erkundung der Lage
Rettungskräfte vor Ort (z.B. Werksfeuerwehr) leiten den Einsatz ein. Sie rufen
in der Umgebung Alarm aus, fordern Unterstützung an und starten mit der Erkundung der Lage sowie der Rettung der gefährdeten Personen. Weitere Rettungskräfte kommen mit ihren technischen Mitteln (inklusive speziellen autonomen und ferngesteuerten Systemen) hinzu.
Mehrere Lernende Systeme – so genannte Unmanned Aerial Vehicle (UAV) erstellen aus der Luft als Gruppe autonom detaillierte Bilder der Großliegenschaft (u.a. in unterschiedlichen Spektralbereichen und 3D) und vermessen das Schadstoffvorkommen sowie Luftströme. Ziel ist es, eine mögliche Verbreitung von Gefahrstoffen
zu erkennen, im Zuge einer Prognose zu modellieren, das Schadensgebiet einzugrenzen sowie potenziell gefährdete Bereiche der Umgebung zu bestimmen.
Die UAVs kommunizieren und kooperieren untereinander sowie mit anderen Systemen (zum Beispiel Bodenrobotern, so genannten Unmanned Ground Vehicles (UGV)), um kritische Bereiche möglichst schnell und detailliert zu erkunden. Sie übertragen die gesammelten Informationen unmittelbar an die Einsatzleitung, der sie als Grundlage für eine umfassende Lagebewertung dienen.
Einsatz der Rettungskräfte
Die Rettungskräfte arbeiten in Teams gemeinsam mit verschiedenen Robotern. Diese gewährleisten die Kommunikation und Logistik und versorgen alle Beteiligten mit aktuellen Lageinformationen, um die Rettungsarbeiten schnell und effizient zu gestalten. Diverse UGVs und UAVs erkunden den Weg für weitere (menschliche und maschinelle) Rettungskräfte, analysieren multisensoriell die Gefahrenlage und überwachen den körperlichen Zustand von Rettungskräften und gegebenenfalls Opfern. Sie können in die Erste Hilfe oder zum Abtransport in die Rettungsmaßnahmen integriert werden und weitere Hilfe anfordern.
Während des Einsatzes nutzen Lernende Systeme ihre Sensorik, um Kollisionen zu vermeiden und Gefahrenzonen zu erkunden oder zu meiden. Sie sorgen für eine Echtzeit-Aktualisierung der Karten und beobachten den Zustand von Objekten (zum Beispiel bei Einsturzgefahr oder Undichtigkeiten). Online-Lernalgorithmen nutzen die gesammelten Daten sowie menschliche Hinweise, um das Lagebild zu verfeinern und das Verhalten der Systeme zu verbessern.
Kommunizieren und Kooperieren
Für einen effektiven Rettungseinsatz ist eine schnelle und intuitive Interaktion zwischen Mensch und Lernenden Systemen notwendig. Dies erfordert zum einen eine adäquate Verständigung zwischen Einsatzkräften und Maschinen – explizit über Sprache, Gesten und implizit durch die Nutzung von Biosignalen (zum Beispiel Blickrichtung, Hautwiderstand, neurophysiologische Daten). Zum anderen müssen robotische Systeme mit den Fachleuten in einer Leitstelle kommunizieren und diese bei Bedarf mit Hilfe immersiver Technologien in die Situation vor Ort versetzen.
Lernende Systeme kooperieren auf unterschiedliche Weise mit dem Menschen – um größere Kräfte anzubringen, falls ein System eine Aufgabe allein nicht erfüllen kann, um spezielle Fähigkeiten beziehungsweise Werkzeuge zu benutzen (zum Beispiel Röntgenbilder erstellen oder Organisation von Verletztentransports), vor allem aber zu dem Zweck, Rettungskräfte abzusichern und zu unterstützen.
Lernende Systeme analysieren ständig ihren Eigenzustand und übertragen Diagnoseinformation an ihre Zentrale. Bei Bedarf fordern sie spezialisierte Hilfs- und Wartungsroboter oder menschliche Rettungskräfte und Wartungspersonal bei der Einsatzleitung an.
Lernen für die Zukunft
Die von den autonomen Systemen gesammelten Informationen und erlernten Fähigkeiten werden unter Wahrung des Datenschutzes in entsprechende Datenbanken zur Weiterverwertung übertragen. Dabei wird nach effizienten
Verhaltensmustern in neuen Situationen gesucht – insbesondere, wenn eine Interaktion mit einem Menschen notwendig war. Auf Basis von eigener und fremder Erfahrung werden so durch Lernverfahren die Fähigkeiten der Systeme optimiert. Menschen steuern diesen Prozess: Sie definieren Ziele und Aufgaben, die autonom ausgeführt werden können und beeinflussen auch die Arbeitsteilung in gegebenenfalls heterogen zusammengesetzten Roboterteams. Die Unterstützung für die Rettungskräfte verbessert sich auf diese Weise mit jedem Einsatz.
Ausblick
Der Einsatz von Lernenden Systemen in für Menschen lebensfeindlichen Umgebungen verspricht großen Nutzen für die Gesellschaft. In Zukunft ist der Mensch mit Hilfe dieser Technologien in der Lage, Rettungseinsätze schneller, sicherer und effizienter durchzuführen, neue und bisher unzugängliche Räume zu erkunden und zu erschließen und noch vieles mehr. Unbestreitbar ist aber: Der Mensch als Einsatzkraft und Entscheider wird dabei auch zukünftig – vor allem bei Einsätzen zur Rettung von menschlichem Leben – nicht ersetzbar sein.

Grafik: Lernende Systeme – Die Plattform für Künstliche Intelligenz
Prof. Dr.-Ing. habil.
Jürgen Beyerer
Leiter des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB,
Leiter der Arbeitsgruppe Lebensfeindliche Umgebungen der Plattform Lernende Systeme
Dr.-Ing.
Igor Tchouchenkov
Leiter der Forschungsgruppe Verteilte Systeme am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB,
Mitglied der Arbeitsgruppe Lebensfeindliche Umgebungen der Plattform Lernende Systeme