PSA im Allgemeinen und so auch die PSA gegen Absturz (PSAgA) ist immer die letzte Möglichkeit, wenn zum Beispiel technische Maßnahmen nicht oder nur durch erheblichen Aufwand möglich sind. Allerdings gibt es in vielen Fällen kaum eine Alternative zur PSAgA, zum Beispiel beim Aufsteigen auf Windkraftanlagen oder Telekommunikationstürme, beim Befahren von Behältern, beim Errichten eines Gerüsts, zur Störungsbeseitigung zum Beispiel an Hochregallagern, beim Sichern auf Tankzügen oder Kesselwagen oder bei zahlreichen Montagetätigkeiten. Der Satz im Anhang 1 Abschnitt 3.1.5 der Betriebssicherheitsverordnung „Individuelle Absturzsicherungen … sind nur im begründeten Einzelfall zulässig“ geht da wohl etwas an der Realität vorbei. Nach groben Schätzungen des Autors arbeiten in Deutschland täglich circa 100.000 Personen mit PSAgA – alles begründete Einzelfälle?
Unterweisen und üben
Der Autor, selbst langjähriger Bergsteiger, hat die Erfahrung gemacht, dass man mit Anseilschutz relativ sicher arbeiten kann und einen Sturz unbeschadet übersteht, allerdings nur, wenn die Benutzer geeignetes Material zur Verfügung gestellt bekommen und ausgiebig unterwiesen werden.
Seit 1997 (!) ist in der DGUV-Vorschrift „Grundlagen der Prävention“ festgehalten: § 31 „Für persönliche Schutzausrüstungen, die gegen tödliche Gefahren oder bleibende Gesundheitsschäden schützen sollen, hat der Unternehmer die nach § 3 Absatz 2 der PSA-Benutzungsverordnung bereitzuhaltende Benutzungsinformation den Versicherten im Rahmen von Unterweisungen mit Übungen zu vermitteln.“ Diese rechtsverbindliche Forderung nach praktischen Übungen wird in anderen Bereichen der PSA konsequent erfüllt. Wer zum Beispiel schweren Atemschutz trägt, muss praktische Übungen in der Atemschutzübungsanlage absolviert haben. Das wird seit über 100 Jahren praktiziert! Bei der PSAgA werden die Beschäftigten in vielen Fällen nur kurz, oberflächlich und theoretisch unterwiesen, ohne praktische Übungen gemacht zu haben. Dabei werden Horrorszenarien zum Hängetrauma vermittelt, anstatt ausführlich darauf einzugehen, wie man dieses vermeiden kann.
Die Grundlagen
Wer seinen Beschäftigten PSAgA zur Verfügung stellt, muss einfach grundlegende Voraussetzungen beachten. Es beginnt mit der Auswahl der PSA. Es gibt von den zahlreichen Herstellern unzählige Gurte, Verbindungsmittel und Accessoires (Abb. 1), aus denen man die für den jeweiligen Verwendungszeck geeigneten auswählen muss. Bereits dafür ist eine gewisse Sachkunde erforderlich, aber
oft werden die Ausrüstungen durch Einkäufer bestellt, die vor allem auf Kosten achten.
Denn: Nicht jeder Auffanggurt ist für jeden Zweck geeignet. Beim Einfahren in Behälter durch enge Mannlöcher ist meist ein sehr einfacher Gurt ohne viele Ösen, an denen man hängen bleiben kann, sinnvoll. Beim Aufstieg im Steigschutz erleichtern gute Rückenpolster das Ausruhen, und in Situationen, in denen man eventuell länger hängen kann, sind bequeme Beinschlaufen vorteilhaft. Ein kurzes Höhensicherungsgerät (HSG) ist mitunter sinnvoller als das am häufigsten verwendete Verbindungsmittel, das Seilstück mit Bandfalldämpfer. Nur die wenigsten Nutzer führen eine Trittschlinge mit, mit der man sich auf sehr einfache Weise nach einem Sturz entlasten kann. Das sind nur einige Aspekte, die bei der Auswahl der PSA wichtig sind.
Ausbildung: Viel Praxis bitte!
Die richtige Auswahl ist aber nicht alles, sie ist lediglich Voraussetzung für sicheres Arbeiten. Entscheidend ist die Ausbildung der Benutzer. Hier muss man endlich weg von den obligatorischen theoretischen hin zu ausführlichen Unterweisungen mit praktischen Übungen vor Ort kommen. Da derartige Übungen gegebenenfalls mit Absturzgefahr verbunden sind, werden an die Ausbildenden hohe Anforderungen gestellt. Im bisherigen Regelwerk wurden dazu nur sehr allgemeine Hinweise gegeben. Im Jahr 2015 wurde dazu ein DGUV-Grundsatz erarbeitet (übrigens gemeinsam mit der österreichischen Unfallversicherung AUVA): DGUV-Grundsatz 312–001 „Anforderungen an Ausbildende und Ausbildungsstätten zur Durchführung von Unterweisungen mit praktischen Übungen bei Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz und Rettungsausrüstungen“. Darin sind die Voraussetzungen formuliert, die Ausbildende erfüllen müssen. Dazu im Folgenden vier Auszüge aus dem Grundsatz:
4.1 Geistige und charakterliche
Eignung
Geistig und charakterlich geeignet bedeutet, dass von Ausbildenden erwartet wird Gefährdungen richtig einschätzen zu können, die Leistungsfähigkeit der Übenden richtig einschätzen zu können, auf unvorhersehbare Ereignisse schnell reagieren zu können, umsichtig und verantwortungsbewusst zu handeln sowie über Durchsetzungsvermögen und Zuverlässigkeit zu verfügen.
4.2 Körperliche Eignung
Körperlich geeignet bedeutet, dass die Ausbildenden in der Lage sein müssen sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Übungen selbst auszuführen (zum Beispiel Aufstieg über größere Höhen, Transport von Ausrüstungen, Transport von Übenden bzw. Verletzten aus dem Gefahrenbereich, Bedienen der Rettungsgeräte) und Gefahren akustisch sowie visuell wahrzunehmen. Es wird empfohlen, dass sich die Ausbildenden ihre körperliche Belastbarkeit zum Beispiel durch eine an die Tätigkeit angepasste Eignungsuntersuchung nachweisen lassen.“
4.3 Theoretische Kenntnisse
Die Ausbildenden müssen über umfangreiche theoretische Kenntnisse verfügen, u.a.: Grundkenntnisse im Arbeitsschutz, über das Vorschriften- und Regelwerk, insbesondere die DGUV Regeln 112–198 „Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz“ und 112–199 „Retten aus Höhen und Tiefen mit persönlichen Absturzausrüstungen“, die Einzelkomponenten der PSAgA und RA (Ausrüstung zum Retten aus Höhen und Tiefen) wie Anschlageinrichtungen, Auffang- und Rettungsgurte (hier vor allem die unterschiedlichen Funktionen der Ösen), Verbindungsmittel, Verbindungselemente, Falldämpfer, Höhensicherungsgeräte, mitlaufende Auffanggeräte, Steigschutzeinrichtungen, Abseilgeräte, Rettungshubgeräte, über den Aufbau der einzelnen Systeme … .
4.4 Praktische Fähigkeiten
Die Ausbildenden müssen über folgende praktische Fähigkeiten verfügen: die PSAgA und RA für den jeweiligen Einsatzfall sachgerecht auszuwählen und anzuwenden, die geeignete unabhängige zweite Sicherung auszuwählen und zu installieren, Fehlhandlungen bei den Übungen zu erkennen und zu intervenieren, in Notsituationen schnell und umsichtig zu helfen, Rettungs- und Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen zu können, die aktuelle Einsatzfähigkeit der Übenden einschätzen zu können.
Dieses Anforderungsprofil zeigt deutlich, dass „normale“ Führungskräfte in der Regel kaum geeignet sind, derartige Unterweisungen durchzuführen! Auch Ausbildende aus dem Bergsport, zum
Beispiel Fachübungsleiter des Deutschen Alpenvereins oder Ausbildende der Feuerwehren können nur dann die Unterweisungen mit Übungen durchführen, wenn sie auch über Kenntnisse und Erfahrungen nach den Regelwerken DGUV Regel 112–198 „Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz“ und DGUV Regel 112–199 „Retten aus Höhen und Tiefen mit persönlichen Absturzschutzausrüstungen“ verfügen. Zwischen beiden, also der Bergsportausrüstung und auch Absturzsicherung im Feuerwehrdienst, gibt es erhebliche Differenzen zur PSAgA im gewerblichen Bereich. Viele der dort eingesetzten Methoden entsprechen nicht der PSA-Richtlinie!
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Ausbildenden auch selbst mindestens 15 Tage im Jahr mit PSAgA arbeiten. Dieses wichtige Kriterium sollte bei der Auswahl bzw. Beauftragung des Ausbildenden unbedingt beachtet werden.
Die Erfahrungen des Autors als Übungsleiter im Bergsport haben gezeigt, dass es sehr sinnvoll ist, wenn die Übenden einen Sprung in die PSAgA absolvieren, natürlich aus geringer Sturzhöhe und im sicheren Bereich. Das Sprungerlebnis vermittelt, dass bei exakter Anwendung der PSA ein Sturz in das Auffangsystem unbeschadet abläuft.
Fazit
In vielen Fällen muss auf PSAgA zurückgegriffen werden. Die Benutzung setzt eine gute Auswahl der einzelnen Elemente, insbesondere der Auffanggurte, voraus. Die Benutzer müssen ausgiebig mit praktischen Übungen unterwiesen werden. Da auch bei den Übungen Gefahren auftreten können, werden an die Ausbildenden hohe Anforderungen gestellt. Diese werden im DGUV-Grundsatz 312–001 formuliert und sind zwingend zu beachten.
Autor: Dipl. Ing. Rainer Schubert
Ehemaliger Technischer Aufsichtsbeamter der BG RCI und ehemaliges Mitglied im Sachgebiet „PSA gegen Absturz und Rettungsausrüstung“