Nach § 12 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) stehen Arbeitgeber in der Pflicht, ihre Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz […] ausreichend und angemessen zu unterweisen (ArbSchG 1996). DGUV-Vorschrift 1 § 4 „Unterweisung der Versicherten“ verweist darauf, dass […] Inhalte […] in verständlicher Weise zu vermitteln sind (DGUV 2013). Eine Möglichkeit, Inhalte verständlich zu vermitteln, besteht darin, sie in der eigenen Muttersprache oder durch sprachneutrale und erprobte Piktogramme wiederzugeben (DGUV 2014). Die SafetyCard for Refugees macht sich dies zunutze, indem sie Arbeitsschutzinhalte in gängiger Sprache mit passenden Piktogrammpaaren kombiniert und auf diese Weise hilft, Sprachbarrieren aufzuheben.
Laut der repräsentativen Befragung des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 2017 wurde knapp die Hälfte der arbeitenden Flüchtlinge in Helfer- und Anlerntätigkeiten (wobei mit 61 Prozent der größte Anteil der Frauen Helfer- und Anlerntätigkeiten ausführte) und die andere Hälfte in fachlich ausgerichteten Tätigkeiten beschäftigt. Hierbei besaßen insgesamt 39 Prozent der befragten Flüchtlinge gute oder sehr gute Deutschkenntnisse (Brücker et al. 2019). Steigende Beschäftigungsquoten sozialversicherungspflichtiger Geflüchteter waren im Oktober 2019 aus den Ländern Eritrea, Pakistan und dem Iran zu verzeichnen. Flüchtlinge fanden zwischen Oktober 2018 und September 2019 unter anderem in den Bereichen Arbeitnehmerüberlassung, Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistung, Gastgewerbe, Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Verkehr sowie Logistik/Lagerei eine Arbeit (BA 2019).
Auf dieser Grundlage wurde entschieden, eine SafetyCard for Refugees für Flüchtlinge mit arabisch-sprachigem Hintergrund zu entwickeln sowie den inhaltlichen Fokus auf manuelle Tätigkeiten zu richten.
Wie funktioniert die SafetyCard for Refugees?
Die SafetyCard for Refugees lehnt sich an die bereits veröffentlichte SafetyCard für Telearbeitsplätze an (vgl. Sicherheitsingenieur 06/2018) und arbeitet mit Piktogrammpaaren, die Arbeitsschutzinhalte sprachneutral und selbsterklärend vermitteln sollen. Diese Paare setzen sich aus einem Negativ- und einem Positivpiktogramm zusammen, wobei das unsichere sowie das sichere Verhalten durch farbliche Kennzeichnung und entsprechende Emojis kenntlich gemacht wird (rot trauriger Smiley, grün lachender Smiley). Hierbei wurde sich am Nudging orientiert, das ein sicherheitsgerechtes Verhalten bewirken soll, indem es den Adressaten sanft zur gewünschten Verhaltensweise bewegt. Die ausgewählten Arbeitsschutzinhalte der Piktogrammpaare wurden zudem durch die Nennung in Deutsch, Englisch und Hocharabisch sprachlich unterstützt.
Die ausgewählten Arbeitsschutzinhalte der SafetyCard for Refugees orientieren sich an den nachfolgenden Themenschwerpunkten: Grundsätze, Persönliche Schutzausrüstung, Lasten, Stolpern/ Rutschen/Stürzen (SRS), Arbeitsstätten und Arbeitsmittel. Die Grundsätze bilden dabei notwendiges Verhalten, Verhalten im Notfall/der Ersten Hilfe aber auch erwünschtes Verhalten, wie Achtsamkeit (auf sich und auf andere) sowie Hygienegrundsätze ab, um eine Basis für sicheres Arbeiten zu schaffen.
Um die Verständlichkeit der abgebildeten Arbeitsschutzinhalte sicherzustellen, wurden die Piktogramme und Übersetzungen mit Hilfe der InTouch-Studierenden1 der Bergischen Universität Wuppertal evaluiert. Anregungen und Verbesserungsvorschläge der Teilnehmenden wurden anschließend in die SafetyCard for Refugees integriert.
Worauf ist zu achten?
Damit die Betroffenen die SafeyCard akzeptieren, ist es notwendig, diese nicht nur an die Beschäftigten zu übergeben, sondern deren Inhalte im Zuge der Erstunterweisung zu erläutern und zu diskutieren. Die persönliche Übergabe kann zum Beispiel zusammen mit dem Vorgesetzten und der Fachkraft für Arbeitssicherheit im Rahmen der Erstunterweisung erfolgen. Das Potenzial der SafetyCard for Refugees besteht – neben dem Hinweisen auf relevante Arbeitsschutzinhalte – außerdem darin, als Kommunikationsinstrument zwischen den Beschäftigten und der Fachkraft für Arbeitssicherheit zu fungieren. Haben Mitarbeitende Fragen zu den Themen Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, so können sie sich direkt über die auf der SafetyCard angegebenen Kontaktdaten an die Fachkraft für Arbeitssicherheit wenden.
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz immer im Blick
Um eine Integration der SafetyCard for Refugees in den Arbeitsalltag zu gewährleisten und die Hinweise täglich im Fokus zu haben, sollte diese an einer gut sichtbaren Stelle am Arbeitsplatz positioniert werden. Für ihre Befestigung bietet sich zum Beispiel eine fest angebrachte Tafel mit Magneten an. Nach Abschluss der Erstunterweisung wird die Übergabe der SafetyCard durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Unterschrift des Beschäftigten schriftlich festgehalten. Durch die Unterschrift verpflichtet sich dieser, die Inhalte der SafetyCard und die geltenden Arbeitsschutzvorschriften zu berücksichtigen und im Arbeitsalltag zu beachten. Dies trägt zur sichtbaren Zustimmung und zur persönlichen Verbindlichkeit der Inhalte bei.
SafetyCard ersetzt nicht die persönliche Unterweisung
Mit der vorgestellten SafetyCard for Refugees wurde eine Handlungshilfe entwickelt, die Beschäftigte mit Fluchthintergrund und geringen Deutschkenntnissen dazu befähigt, in ausreichender Art und Weise und auf Basis einer entsprechender Erstunterweisung Eigenverantwortung für ihren Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz im Rahmen einfacher manueller Tätigkeiten zu übernehmen. Denkbar wäre der Einsatz der SafetyCard auch im Rahmen der Beschäftigung von Menschen mit Schreib- und Leseschwächen. Für den Erfolg der SafetyCard for Refugees ist eine didaktisch unterstützte Erstunterweisung maßgeblich. Zudem sollte die SafetyCard an die entsprechenden Tätigkeiten der Beschäftigten im jeweiligen Betrieb auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung gezielt angepasst werden.
Die SafetyCard for Refugees steht ebenso wie die SafetyCard für Telearbeitsplätze für Interessenten auf der Fachgebietshomepage zum Download zur Verfügung unter www.arbsi.uni-wuppertal.de Publikationen SafetyCards Download. Die dazu benötigten Zugangsdaten können bei Steffi Lorenz per E‑Mail angefragt werden:
Literaturverzeichnis
- Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) (1996): Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit. Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 113 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) geändert worden ist“.
- Brücker, Herbert; Croisier, Johannes; Kosyakova, Yuliya; Kröger, Hannes; Pietrantuono, Giuseppe; Rother, Nina & Schupp, Jürgen (2019): Geflüchtete machen Fortschritte bei Sprache und Beschäftigung (DIW Wochenbericht 4/2019). Berlin: Deutsches Institut
für Wirtschaftsforschung e. V (DIW Berlin). - Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung (BA) (2019): Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Fluchtmigration, Nürnberg, Dezember 2019.
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) (2019): Unternehmen packen erfolgreich die Integration von Geflüchteten an. Online verfügbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2019/ 20190220-unternehmen-packen-erfolgreich- die-integration-von-gefluechteten-an-der- trend-zur-ausbildung-setzt-sich-fort.html, zuletzt geprüft am 05.01.2020.
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (2013): DGUV Vorschrift 1 – Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“.
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (2014): DGUV Regel 100–001 „Grundsätze der Prävention“.
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (2018): DGUV Flüchtlinge. Online verfügbar unter https://www.dguv.de/fluechtlinge/index.jsp, zuletzt aktualisiert am 07.09.2018, zuletzt geprüft am 05.01.2020.
- Moyce, Sally C.; Schenker, Marc (2018): Migrant Workers and Their Occupational Health and Safety. In: Annual review of public health 39, S. 351–365. DOI: 10.1146/annurev-publhealth-040617–013714.
1 Das Programm „In Touch-Wuppertal“ richtet sich an internationale Geflüchtete, die ein Studium an einer deutschen Universität anstreben.
Thorben Graumann
Bergische Universität Wuppertal
Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik, Fachgebiet Sicherheitstechnik/ Arbeitssicherheit
Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl
Leiterin des Lehrstuhls Sicherheitstechnik/ Arbeitssicherheit,
Bergische Universität Wuppertal
Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik, Fachgebiet Sicherheitstechnik/ Arbeitssicherheit