Gewohnheiten, die in Bezug auf bestimmte Personen, Dinge und Situationen auftreten, machen zu einem erheblichen Teil die menschliche Existenz überhaupt erst möglich. Wird sich jedoch über ein normales Maß hinaus mit Essen, Einkaufen, Spielen, Arbeiten oder mit Medien beschäftigt, so kann sich eine Suchterkrankung entwickeln.
Die nicht-stoffbezogene Sucht entsteht folglich nicht durch den Konsum von psychotropen Substanzen, sondern durch das Praktizieren bestimmter Verhaltensweisen, die den Körper, die Psyche und das soziale Leben negativ beeinflussen. Suchtprobleme am Arbeitsplatz haben viele Folgen: sinkende Arbeitsleistung, Fehler, häufige Fehlzeiten und schlimmstenfalls sogar Unfälle. Auch die Stimmung im Team leidet.
Entstehung von stoffungebundenen Verhaltenssüchten
Stoffungebundene Verhaltenssüchte werden mitunter zur Gruppe der sogenannten Impulskontrollstörungen gezählt, bei denen psychische Anspannungen mit impulsiven Handlungen (wie Einkaufen oder Glücksspielen) gelöst werden sollen. Verfestigt sich dieses Verhaltensmuster und wird es extremer und zunehmend unkontrollierter, kann es zu erheblichen Selbst- oder Fremdschädigungen kommen.
Das gezeigte Verhalten eines Süchtigen überschreitet ein normales Maß, beispielsweise dadurch, dass ein übertriebenes Kaufverhalten oder die Nutzung digitaler Medien ständig ausgeübt wird. Im Folgenden wird näher auf Spiel- und Kaufsucht als Spielarten stoffungebundener Süchte eingegangen.
Spielsucht
Spielen gehört zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen und ist wichtig für die menschliche Entwicklung. Bei Glücksspielen oder Spielen um Geld steht der Gewinn im Mittelpunkt. Gewinnt der Spieler, verspürt er durch den Erfolg einen „belohnenden“ Effekt, welcher im Rahmen einer pathologischen Entwicklung exzessive Ausmaße annehmen kann.
Der Zweck des Spiels liegt bei Spielsüchtigen immer weniger im Gewinn selbst als auf der erregenden oder beruhigenden Wirkung, die mit dem Spielen einhergeht. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt, dass es in Deutschland zwischen 80.000 und 150.000 beratungs- und behandlungsbedürftige pathologische Spieler gibt.
Glücksspielsucht ist ausführlich beschrieben und sehr gut charakterisiert. Pathologisches Glücksspielen gilt als eine Störung der Impulskontrolle, die sich durch ein andauerndes und wiederkehrendes sowie fehlangepasstes Spielverhalten zeigt. Dies gilt, wenn mindestens fünf der folgenden Merkmale erfüllt sind:
Die betroffenen Personen
- sind stark eingenommen vom Glücksspiel,
- steigern ihre Einsätze immer weiter, um die gewünschte Erregung zu erzielen,
- haben bereits wiederholt erfolglose Versuche unternommen, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben,
- sind unruhig und gereizt beim Versuch, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben,
- spielen, um Problemen zu entkommen,
- begeben sich nach einem Geldverlust, der durch das Glücksspiel entstanden ist, wieder in ein neues Spiel,
- belügen Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Therapeuten oder andere, um die Problematik zu vertuschen,
- haben illegale Handlungen wie Fälschung, Diebstahl oder Unterschlagung begangen, um das Spielen zu finanzieren,
- haben wichtige Beziehungen, ihren Arbeitsplatz, Aufstiegs- oder andere Zukunftschancen wegen des Spielens gefährdet oder verloren,
- hoffen darauf, dass andere Menschen ihnen Geld bereitstellen, um die durch das Spielen verursachte hoffnungslose finanzielle Situation zu überwinden.
Kaufsucht
Wann wird Kaufen zur Sucht? Grundsätzlich stellt der Erwerb von Produkten und Dienstleistungen einen Teil des alltäglichen Lebens dar. Ausdruck der Kaufsucht ist es jedoch, wenn die gekauften Gegenstände nicht benötigt werden, das massive Kaufverhalten wiederholt auftritt und sich in impulsiver sowie exzessiver Form zeigt.
Süchtiges Kaufverhalten lässt sich an folgenden auffälligen Merkmalen festmachen:
- Zweckentfremdetes Kaufverhalten: Es steht nicht mehr der Erwerb im Mittelpunkt, sondern ein Zustand der Befriedigung und des Wohlbefindens, der durch das Kaufen angestrebt wird (und nicht durch den Besitz der Güter).
- Innerer Druck: Der Betroffene empfindet einen immer größer werdenden inneren Druck. Dem Kaufimpuls zu widerstehen scheint unmöglich, da der Druck nur durch den Kauf einer Ware gelindert werden kann, dies aber auch nur kurzfristig.
- Soziale Probleme: Mit dem vielen Kaufen ist häufig eine hohe finanzielle Belastung verbunden, viele Kaufsüchtige verschulden sich massiv. Zu persönlichen und sozialen Stresssituationen können auch Probleme am Arbeitsplatz führen. Diese entstehen beispielsweise durch Unkonzentriertheit, das Überziehen von Arbeitspausen oder auch durch Straftaten am Arbeitsplatz wie Unterschlagung und Diebstahl.
Spielsucht und Kaufsucht sind im Zusammenhang mit Arbeitsschutzfragen deswegen bedeutsam, weil sie die Aufmerksamkeit und Konzentration des Betroffenen nachhaltig binden. Darüber hinaus haben sie aber auch deswegen häufig eine negative Auswirkung für Unternehmen, weil die Betroffenen zur Finanzierung ihrer Sucht mehr und mehr bereit sind, auch kriminelle Handlungen wie Unterschlagungen, Diebstähle oder Betrügereien vorzunehmen. Hiervon sind nicht selten die Arbeitgeber der Kauf- oder Spielsüchtigen betroffen.
Negative Auswirkungen auf den Betrieb
Sucht- und Abhängigkeitsprobleme existieren weit verbreitet in unserer Gesellschaft, damit auch in Betrieben und Verwaltungen. Süchtige und abhängige Mitarbeiter sind problematische, im schlimmsten Fall kranke Mitarbeiter, die Kosten verursachen und die Arbeitsproduktivität auf vielfältige Weise mindern.
Doch nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe sprechen dafür, süchtige und abhängige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Arbeitsumfeld zu erkennen, ihnen zu helfen und sie gegebenenfalls auch vom Arbeitsplatz zeitweise oder dauerhaft zu entfernen.
Sucht und Abhängigkeit haben einen negativen Einfluss auf
- die Arbeitszufriedenheit und ‑motivation: Den betroffenen Arbeitnehmern fehlt der „Antrieb“, Sucht und Abhängigkeit untergraben die Motivation zum produktiven Tätigsein. Im fortgeschrittenen Stadium machen sie zielgerichtetes, effektives und produktives Handeln unmöglich.
- die Aufgabenerfüllung: Betroffene Mitarbeiter können sich nicht konzentrieren, sind abgelenkt, sprung- oder wechselhaft. Ihre Leistungsfähigkeit, ihr Reaktions- und Wahrnehmungsvermögen sind reduziert.
- das Interaktionsverhalten und Arbeitsklima: Betroffene Mitarbeiter werden zunehmend kommunikationsunfähig und ziehen sich zurück. Aufgrund von Missstimmungen können Konflikte mit Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden entstehen.
- die individuelle Leistungsfähigkeit: Der problematische Verhaltensstil führt mit fortschreitender Zeit zu physischen und psychischen Auffälligkeiten. Die Fehlerzahl erhöht sich, die krankheitsbedingte Abwesenheit nimmt zu, längere Arbeitsunfähigkeit und/oder Frühinvalidität drohen. Eine verfrühte Berentung oder ein vorzeitiger Ruhestand können die Folge sein.
- die Arbeitssicherheit: Betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verursachen öfter Personen- oder Sachschäden sowie Arbeitsunfälle und sind häufiger an diesen beteiligt.
Ursache Belastungen am Arbeitsplatz
In den letzten Jahren haben sich durch Arbeitsverdichtungen, höhere Flexibilitätsanforderungen sowie verschärften Wettbewerb die Belastungen, die in Verbindung mit Arbeit entstehen, stetig erhöht. Vor allem psychische Belastungen treten häufiger auf, ausgelöst durch Zeitdruck, Mobilitätsanforderungen, Verantwortungsübernahme und Informationsüberfluss. Zwar wird der arbeitende Mensch durch eine zunehmende Automatisierung und Flexibilisierung in der Arbeitswelt zum Teil entlastet, jedoch werden andererseits immer mehr beziehungsweise größere Anforderungen an ihn gestellt.
Die Zunahme von Beanspruchungen und Anforderungen am Arbeitsplatz kann sowohl körperliche wie auch mentale und emotionale Auswirkungen haben, und das in positiver wie auch negativer Hinsicht. Beanspruchungen und Anforderungen können sehr starke motivationale Konsequenzen haben und dem Menschen ein Gefühl von Stärke, Kompetenz und Erfolg verleihen. Vorausgesetzt, sie stellen bewältigbare Herausforderungen dar.
Negative Folgen haben die Beanspruchungen dann, wenn dem Menschen die notwendigen Ressourcen zur Bewältigung einer Anforderungs- oder Beanspruchungssituation fehlen. So werden Beanspruchungen zu Belastungen, es entsteht Stress als eine belastende Wirkung der Arbeit. Als langfristige Folgen bei einem Missverhältnis von Anforderungen und Ressourcen zeigen sich Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und der Gesundheit.
Ernsthafte Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Trakts, neurologische Auffälligkeiten, Haut- und Muskelerkrankungen und mehr können die Folge sein. Weiterhin besteht die Gefahr einer erhöhten Cortisol-ausschüttung, was bei dauerhafter Stressbelastung zu Schäden führt. Schließlich bewirken Überforderungssituationen häufig auch psychosomatische Beschwerden, wie zum Beispiel Kopf- und Magenschmerzen und depressive Verstimmungen.
Prävention und Intervention von Sucht
Süchtige und abhängige Verhaltensmuster können zu erheblichen körperlichen, seelischen und sozialen Problemen führen, die sowohl die unmittelbar Betroffenen als auch deren soziales Umfeld nachhaltig beeinträchtigen und schädigen. Durch gezielte Präventionsmaßnahmen sollen Gesundheitsschäden verhindert oder früh erkannt werden. Um durch Präventionsmaßnahmen für gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen zu sorgen, kann sowohl auf individueller als auch auf organisatorischer Ebene angesetzt werden. Dies gilt auch und gerade für die Suchtprävention.
Individuelle Maßnahmen
Jeder erwachsene Mensch ist für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit selbst verantwortlich. Hierzu zählt auch eine Lebensweise, die süchtiges Verhalten möglichst ausschließt. Einer der wichtigsten protektiven Faktoren gegen abhängiges Verhalten ist ein funktionierendes soziales Netzwerk und Unterstützung. Freunde, Familie und Lebenspartner, zu denen eine intakte Beziehung besteht, sind wichtig. Durch die soziale Unterstützung kann Rückhalt und Geborgenheit geboten werden, was vor allem bei auftretenden Konflikten oder Problemen von großer Bedeutung ist. Exzessive (Sucht-) Verhaltensweisen haben eine kompensierende Funktion, da diese von Situationen ablenken sollen, die als unangenehm erlebt werden. Daher ist es von hoher Bedeutung, für ein gutes psychisches und soziales Gleichgewicht zu sorgen.
Organisationale Maßnahmen
Die Förderung und die Erhaltung der Gesundheit innerhalb einer Organisation ist auch die Aufgabe des gesamten Unternehmens. Da süchtiges und abhängiges Verhalten langfristig immer auch im Arbeits- und Berufsleben sichtbar wird, sind im Hinblick auf Prävention und Intervention insbesondere an Vorgesetzte und Führungskräfte, aber auch an Kollegen und Mitarbeiter sowie Personalverantwortliche und Betriebsmediziner besondere Anforderungen zu stellen.
Organisationen sollten grundsätzlich über Strukturen und Prozesse verfügen, also entsprechende präventive und gesundheitsfördernde Umweltbedingungen schaffen, die süchtiges und abhängiges Verhalten bestmöglich verhindern. Während das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) den Rahmen für eine suchtfreie Organisation darstellt, erfolgt die Umsetzung von Maßnahmen und Veränderungsprozessen durch die sogenannte betriebliche Gesundheitsförderung (BGF). Diese hat zum Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu erhalten und zu verbessern. Krankheiten am Arbeitsplatz (durch Arbeitsunfälle oder Stress) soll vorgebeugt und Gesundheitspotenziale sollen gestärkt werden, womit auch eine suchtbefreite Belegschaft angestrebt wird.
Denkbare Ansätze zur Prävention von Sucht und Abhängigkeit:
- Zunächst sollten Unternehmen ihre Personalauswahlverfahren und ihre Anforderungsprofile bei Stellenbesetzungen überdenken, um zu vermeiden, dass eine Organisationsumgebung entsteht, die süchtiges Verhalten fördert. Dies bedeutet insbesondere, dass sowohl über- als auch unterfordernde Arbeitsbedingungen vermieden werden sollen. Ermöglicht wird das über eine möglichst hohe Passung von Arbeitsplatzanforderungen einerseits und Leistungspotenzialen des Stelleninhabers andererseits.
- Zusätzlich sollten – speziell zur Prävention arbeitssüchtigen Verhaltens – die Anreizsysteme, aber auch Arbeitszeit‑, Pausen- und Urlaubsregelungen im Hinblick auf suchtfördernde Aspekte untersucht werden. Die zugesagten Urlaubstage sollten tatsächlich genommen werden. Ein angemessenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit schafft Möglichkeiten zur Regeneration und damit auch zur Erholung von Arbeitsbeanspruchungen und ‑belastungen.
- Ein gesundheitsförderliches Ernährungsangebot, etwa in der Betriebskantine, ist ebenfalls hilfreich.
- Die Arbeitsaufgabe und ‑bedingungen sollten so gestaltet sein, dass sie (im Sinne einer Verhältnisprävention) eine Sucht gar nicht erst entstehen lassen. Mitarbeitende sollten Möglichkeiten zur Einflussnahme haben und soziale Unterstützung erhalten.
- Ebenso sind Maßnahmen, die unmittelbar am Mitarbeiter ansetzen, denkbar und können durch das Unternehmen in Form von verhaltensorientierten Maßnahmen (Trainings, Seminare, Workshops etc.) angeboten werden, in denen Ressourcen, Kompetenzen und Potenziale gestärkt werden; hierbei wird von Verhaltensprävention gesprochen. Im Rahmen solcher Angebote sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich aktiv beteiligen, indem sie lernen, mit Stress umzugehen oder ihre Arbeitszeit effektiv zu managen.
- Außerdem sollten Unternehmen sich unbedingt bemühen, abhängige und süchtige Belegschaftsmitglieder in ihrer Organisation zu identifizieren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insgesamt für die Problematik zu sensibilisieren und geeignete Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation bei Sucht und Abhängigkeit zu realisieren. Durch Maßnahmen wie Teamtrainings, Konfliktmanagement, Rollenanalysen und Angebote zur sozialen Unterstützung können zudem die Arbeitsplatzbeziehungen verbessert werden.
- Schließlich können Mitarbeiter individuell darin unterstützt werden, zu einer angemesseneren Koordination von Arbeitsanforderungen und persönlichen Bedürfnissen zu gelangen. Entspannungstrainings, körperliche Übungen und Coachings sind beispielsweise zielführend.
Fazit
Sucht und Abhängigkeit stellen schwerwiegende Risiken und Gefahren für Unternehmen dar. Nicht nur die Arbeitssicherheit, das gesamte unternehmerische Gefüge wird durch süchtige Mitarbeiter erheblich belastet und gefährdet. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen sowohl stoffungebundene Süchte als auch stoffgebundene Abhängigkeiten gleichermaßen ernst nehmen und durch geeignete Maßnahmen
- die Erkennung solcher Probleme fördern,
- sinnvolle und zielführende Interventionsmöglichkeiten entwickeln und anbieten, wobei sowohl Betroffene selbst als auch Personalverantwortliche und Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen sind,
- präventiv tätig sind, indem zum Beispiel sucht- und abhängigkeitsfördernde Rahmenbedingungen im Unternehmen reduziert werden, umfassende und wiederholte Aufklärung und Schulung über die Problematik erfolgt oder auch eine entsprechende Betriebsvereinbarung erstellt wird.
Ausblick
In einer mehr und mehr fordernden Arbeitsumgebung ist zu erwarten, dass die Zahl der sich der Überforderung entziehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunehmen wird. Neben psychischen Erkrankungen dürften Süchte künftig weiter zunehmen, da sie Betroffenen einen scheinbaren Ausweg aus der Belastungssituation zu bieten scheinen. Dem muss frühzeitig und ganzheitlich entgegengewirkt werden – im Sinne der Betroffenen, aber auch im Sinne der Unternehmen, der Belegschaft und der Gesamtgesellschaft.
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