„Kollege unter Kollegen“, „Vorbild“, „verlängerter Arm der Sifa“: Es gibt viele Umschreibungen für die Tätigkeit von Sicherheitsbeauftragten. Die DGUV Vorschrift 1 zeichnet ein klares Profil für diese Personengruppe. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz stellt sich die Frage, wie sich die Rolle der Sicherheitsbeauftragten in den Betrieben weiter entwickeln kann.
Das Sozialgesetzbuch (SGB) VII verpflichtet in § 22 die Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Beschäftigten zur Bestellung von Sicherheitsbeauftragten. In der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ (bisher BGV/GUV‑V A1) legen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen einheitliche Regelungen zur Bestellung von Sicherheitsbeauftragten fest. Die Unfallverhütungsvorschrift, die durch die DGUV Regel 100–001 „Grundsätze der Prävention“ (bisher BGR/GUV‑R A1) konkretisiert wird, nennt fünf Kriterien, nach denen Unternehmen die Mindestanzahl der Sicherheitsbeauftragten betriebsbezogen bestimmen können. Dazu gehören die räumliche, zeitliche und fachliche Nähe der zuständigen Sicherheitsbeauftragten zu den Beschäftigten, die im Unternehmen bestehenden Unfall- und Gesundheitsgefahren sowie die Anzahl der Beschäftigten (vgl. Infokasten Seite 8). Alle Kriterien sind gleichrangig zu erfüllen. Die Bestellung der Sicherheitsbeauftragten orientiert sich nun an den betriebsspezifischen Anforderungen und an der Unternehmensstruktur.
Aufgaben der Sibes
Sicherheitsbeauftragte sind ehrenamtlich tätige Vertrauenspersonen, die durch Beobachtung der Arbeitsplätze und ‑prozesse in ihrem eigenen beruflichen Wirkungskreis dazu beitragen, dass Unfälle und Berufskrankheiten vermieden werden. Sie sollen sich insbesondere davon überzeugen, dass in ihren Zuständigkeitsbereichen die vorgeschriebenen Schutzeinrichtungen vorhanden sind und ordnungsgemäß benutzt werden; entsprechendes gilt auch für die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) der Beschäftigten (vgl. DGUV Vorschrift 1 § 20 (4)). Außerdem sollten sie sicherheitstechnische Mängel melden, sich um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern und die Beschäftigten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich über den sicheren Umgang mit Maschinen und Arbeitsstoffen informieren. Da viele Sicherheitsbeauftragte zu ihren Kolleginnen und Kollegen einen direkten, persönlichen Draht haben, können sie diese Themen zum sicherheitsgerechten Verhalten „auf dem kleinen Dienstweg“ ansprechen.
Kein Ehrenamt für jede(n)
Aus der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation sind Sicherheitsbeauftragte nicht wegzudenken: Es gibt weder andere Präventionsfachleute noch Institutionen, denen der Arbeitsalltag der Beschäftigten vor Ort so vertraut sind. Die Abbildung 1 visualisiert das Zusammenspiel und das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Sicherheitsbeauftragten und anderen betrieblichen Präventionsfachleuten1. Sicherheitsbeauftragte kennen die Arbeitsbedingungen aus eigener Erfahrung und können nachvollziehen, warum Beschäftigte Vorschriften nicht einhalten, Sicherheitsmaßnahmen umgehen oder ihre PSA nicht tragen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieses Fehlverhalten anzusprechen, setzt ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit, Beharrlichkeit und Geduld voraus. Sicherheitsbeauftragte sollten von den Vorteilen eines systematisch betrieblichen Arbeitsschutzes überzeugt sein – nur so können sie als Vorbild im Unternehmen wirken. Zu dieser anspruchsvollen Rolle gehört auch, dass Sicherheitsbeauftragte deutlich machen sollten, dass sie zugleich eine Interessensvertretung sind: Sie können für die Beteiligung und Mitsprache der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sachen Arbeitsschutz sorgen, zum Beispiel bei der Auswahl von PSA. Den hohen Anforderungen sind auf der anderen Seite auch Grenzen gesetzt: Sicherheitsbeauftragte sind nicht „eine Art Sifa“; sie verfügen weder über definierte Einsatzzeiten noch erfüllen sie gegen Entgelt Beratungsdienstleistungen. Die ehrenamtliche Tätigkeit der Sicherheitsbeauftragten erfolgt während der Arbeitszeit und sie tragen – im Unterschied zu den Fachkräfte für Arbeitssicherheit – keine Verantwortung für die übertragenen Aufgaben in dieser Funktion. Sie besitzen weder Weisungs- und Anordnungsbefugnis. Der Kern ihrer Aufgabe besteht darin, durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen auf sicherheitsgerechtes Verhalten im Betrieb hinzuwirken.
Betriebliche Arbeitsorganisation
Durch das Vorschriften- und Regelwerk der Unfallversicherungsträger sind die Sicherheitsbeauftragten in der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation fest verankert. Zum einen sollen Vertreterinnen und Vertreter der Sicherheitsbeauftragten an den regelmäßigen Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses (ASA) teilnehmen, zu dem Unternehmerin oder Unternehmer, Führungskräfte, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsärztin oder Betriebsarzt sowie Betriebs- bzw. Personalvertretung gehören. Sie können außerdem im Prozess der Gefährdungsbeurteilung mitwirken. Während die Führungskräfte die Gefährdungsbeurteilung erstellen und dabei von Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsärztin bzw. Betriebsarzt unterstützt werden, sorgen die Sicherheitsbeauftragten mit ihrem Fachwissen und Ortskenntnissen für eine Optimierung dieses Instruments. Betriebsrat oder Personalvertretung haben bei der Erstellung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ein Mitbestimmungsrecht; die Sicherheitsbeauftragten sorgen für eine entsprechende Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies kann die Akzeptanz von Maßnahmen, die aus der Gefährdungsbeurteilung abgeleitet werden, enorm erhöhen. Die Unternehmerin oder der Unternehmer muss den Sicherheitsbeauftragten außerdem Gelegenheit geben, an Betriebsbesichtigungen sowie an Untersuchungen von Unfällen und Berufskrankheiten durch die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen. Wegen ihrer Ortskenntnisse können sie wertvolle Hinweise in diesem Bereich geben.
Sibe als Relaisstation
Vor allem in klein- und mittelständischen Betrieben (KMU) sind die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt nicht ständig vor Ort. Darin liegt das besondere Potenzial der Sicherheitsbeauftragten: Sie agieren aber weder als „Lückenfüller“ noch als „kleine Sifa“, sondern als Relaisstation zwischen Beschäftigten und Präventionsexperten. Sicherheitsbeauftragte können vor allem externen Präventionsdienstleister wertvolle Hinweise geben. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass diese Informationsmöglichkeit in vielen Betrieben nicht systematisch genutzt wird; auch die Sifa-Langzeitstudie beschreibt die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbeauftragten und den externen Fachkräften aus überbetrieblichen Diensten als „relativ seltener“.2
Kooperation mit der Sifa
Laut DGUV Vorschrift 1 hat „der Unternehmer sicherzustellen, dass die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte mit den Sicherheitsbeauftragten eng zusammenwirken.“ (vgl. § 20 (4)).In der betrieblichen Praxis scheint die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbeauftragten und Fachkräften für Arbeitssicherheit gut zu funktionieren: Darauf deuten sowohl die Ergebnisse der Sifa-Langzeitstudie3 als auch die Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 2012, die der VDSI, die DGUV und die beiden Zeitschriften „Sicherheitsingenieur“ und „Sicherheitsbeauftragter“ unterstützt haben.4 Auch die Sicherheitsbeauftragten beschreiben darin ihre Zusammenarbeit mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit mehrheitlich als „sehr gut“ oder „gut“.
Sicherheitsbeauftragte – ein Gewinn für die Unternehmen
Im Frühjahr 2012 fand im Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) in Dresden eine Fachtagung unter dem Titel „Sicherheitsbeauftragte – Ein Gewinn fürs Unternehmen!“ statt.5 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten einerseits, unter welchen Bedingungen Sicherheitsbeauftragte einen größtmöglichen Gewinn in den Unternehmen entfalten können. Andererseits wurden auch die Folgen erörtert, die von einer falschen „Personalauswahl“ ausgehen können. Im Ergebnis wurde festgehalten, dass zu wenig motivierte, unerfahrene, zu risikobereite oder zu wenig im Kollegenkreis anerkannte Sicherheitsbeauftragte dazu beitragen, dass die Akzeptanz von erfolgreichen Sicherheitsbeauftragten insgesamt leidet; auch eine fehlende Aus- und Fortbildung sowie eine unzureichende Einbindung in die betriebliche Arbeitsschutzorganisation wurden als Risikofaktoren genannt.
Die Erfahrung zeigt, dass Sicherheitsbeauftragte in vielen Unternehmen gut eingebunden und akzeptiert sind sowie vollumfänglich ihren Aufgaben nachkommen können: Sie sorgen dafür, dass die Zahl der Arbeitsunfälle reduziert wird, Berufskrankheiten vermieden werden und betriebliche Prozesse reibungslos ablaufen können. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor nicht wenige Betriebe, in denen eine völlig andere Situation herrscht. Äußerungen der Sicherheitsbeauftragten über eine mangelnde Unterstützung der Führungsebene und über „beratungsresistente“ Kolleginnen und Kollegen könnten auch ein Hinweis auf eine wenig ausgeprägte Sicherheitskultur im gesamten Unternehmen sein. In dieser Hinsicht sind Sicherheitsbeauftragte „Botschafter der Unternehmenskultur“.
Perspektiven für Sibe
So wie sich die Rolle der Fachkraft für Arbeitssicherheit immer mehr zum Manager für Sicherheit und Gesundheit wandelt, sollte sich auch das Profil der Sicherheitsbeauftragten weiterentwickeln. Möglich ist eine Perspektive als „Beauftragter für Sicherheit und Gesundheit“. Diese Perspektive wurde in der bereits erwähnten Umfrage des VDSI, der DGUV und der beiden Zeitschriften „Sicherheitsingenieur“ und „Sicherheitsbeauftragter“ von den befragten Sicherheitsbeauftragten mehrheitlich als „sehr gut“ oder „eher gut“ beurteilt. Auch eine systematische Zusammenführung von Tätigkeiten (z. B. in der Ersten Hilfe, im Brandschutz) wäre denkbar: Zum einen handelt es sich um Personen, die ein Interesse an Sicherheit und Gesundheit im Betrieb mitbringen. Zum anderen gibt es Überschneidungen in den Tätigkeitsprofilen von Sicherheitsbeauftragten sowie von Erst- und Brandschutzhelferinnen und ‑helfern. Eine systematische Zusammenführung könnte außerdem zu einer Aufwertung der Position der Sicherheitsbeauftragten führen.
Fachleute auch für „weiche“ Arbeitsschutzthemen?
Arbeitsbedingte psychische Belastungen spielen derzeit im Arbeits- und Gesundheitsschutz eine herausragende Rolle. Eine neues Tätigkeitsfeld der Sicherheitsbeauftragten könnte auch in diesem Bereich liegen: Durch ihren persönlichen Draht zu Kolleginnen und Kollegen können sie diese Themen ansprechen oder Frühindikatoren für Gefährdungen an Arbeitsplätzen erkennen. Sie könnten zum Beispiel auch als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf die Nutzung von Angeboten der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) hinwirken. Das Potenzial der Sicherheitsbeauftragten wird in dieser Hinsicht bei weitem nicht ausgeschöpft.
Prof. Dr. Rainer von Kiparski
Vorstandsvorsitzender des VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit. Hauptberuflich ist er Inhaber der Unternehmensberatung Arbeits- und Gesundheitsschutz. Seit vielen Jahren ist er als Honorarprofessor am KIT (Universität Karlsruhe) tätig.
Quellenangabe:
Anzahl Sicherheitsbeauftragte: vgl. DGUV (Hrsg.): DGUV-Statistiken für die Praxis 2013, S. 91
Anzahl Fachkräfte für Arbeitssicherheit: vgl. ebd., S. 91.
Anzahl Betriebsärzte: vgl. BAuA (Hrsg.): Arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf in Deutschland. Dortmund, Berlin, Dresden 2014, S. 14.
Anzahl Aufsichtspersonen der UV-Träger: vgl. DGUV (Hrsg.): DGUV-Statistiken für die Praxis 2013, S. 85. (Berücksichtigt wurden die Aufsichtspersonen und sonstige Präventionsfachkräfte im Außendienst.)
Gewerbeaufsicht/Beschäftigte der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung der Länder (= Technische Aufsichtsbeamte): vgl. BMAS (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2013. Dortmund, Berlin, Dresden 2014, S. 177. (In den Bundesländern wird unterschiedlich gezählt. Nicht alle Personen nehmen Aufgaben im Arbeitsschutz wahr.)
- 1 Vgl. „Sicherheit und Gesundheit als Lebenseinstellung“ (Interview mit Prof. Dr. Rainer von Kiparski). Quelle: http://www.sicherheitsbeauftragter.de/fachartikel/artikel/?aid=1024, gesehen am 22.02.2015.
- 2 Vgl. Trimpop, Rüdiger u.a.: Sifa-Langzeitstudie. Tätigkeiten und Wirksamkeit der Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Dresden 2012, S. 359.
- 3 Vgl. ebd., S. 351.
- 4 Vgl. Siegmann, Silvester: Rollenbild und Tätigkeitsspektrum der Sicherheitsbeauftragten. In: DGUV Forum 4/2013, S. 20 – 22.
- 5 Vgl. Kuntzemann, Gerhard: Ein Gewinn fürs Unternehmen. In: DGUV Forum 4/2013, S. 12 f.
Kriterien für die Anzahl von Sicherheitsbeauftragten
- räumliche Nähe zu den Beschäftigten: Sicherheitsbeauftragte sind am gleichen Unternehmensstandort im gleichen Arbeitsbereich wie die Beschäftigten tätig (d. h. keine Tätigkeit in unterschiedlichen Gebäuden)
- zeitliche Nähe zu den Beschäftigten: Sicherheitsbeauftragte sind in den jeweiligen Arbeitsbereichen zur gleichen Arbeitszeit wie die sonstigen Beschäftigten tätig (z. B. in der gleichen Schicht)
- fachliche Nähe zu den Beschäftigten: Sicherheitsbeauftragte üben dauerhaft die gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten wie die Beschäftigten aus (d. h. sie kennen die Mitarbeiterstruktur im Zuständigkeitsbereich insbesondere im Hinblick auf Qualifizierung und Sprache)
- Unfall- und Gesundheitsgefahren im Unternehmen: ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Sicherheitsbeauftragte müssen die Gefährdungsbeurteilung sowie die Unfall- und Gesundheitsgefahren in ihrem Zuständigkeitsbereich kennen. Dazu benötigen sie ein Mindestmaß an Fachwissen.
- Anzahl der Beschäftigten: Sicherheitsbeauftragte kennen z. B. die in ihrem Zuständigkeitsbereich tätigen Beschäftigten persönlich.
(Quelle: § 20 DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“; DGUV Regel 101 „Grundsätze der Prävention“, Abschnitt 4.2.1)
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