Elektrischer Strom ist unsichtbar, unhörbar und geruchlos. Da elektrische Gefährdungen im Lauf unserer Evolutionsgeschichte – von Blitzen abgesehen – nicht vorkamen, sind unsere Sinnesorgane nicht darauf vorbereitet. Gleichwohl sind wir privat wie am Arbeitsplatz von elektrischen Geräten umgeben und oft trennen uns nur wenige Millimeter Kunststoffummantelung oder Gehäuse von potenziell tödlichen Stromschlägen.
Dass wir trotz dieses Risikos Elektrizität angstfrei nutzen können, verdanken wir einer Vielzahl technischer Vorschriften und Sicherheitseinrichtungen. Dadurch wird der Umgang mit Elektrogefährdungen allerdings recht komplex und bedarf eines profunden Fachwissens. Grund genug, dass dem betrieblichen Arbeitsschutz für diesen speziellen Gefahrenbereich mit der Elektrofachkraft (EFK) ein weiterer Akteur zur Seite gestellt wird.
Alle elektrotechnischen Arbeiten, die in oder von einem Unternehmen ausgeführt werden, müssen unter einer fachlichen Leitung stehen. Laut DGUV Vorschrift 3 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ ist ein Unternehmer verpflichtet, „dafür zu sorgen, dass elektrische Anlagen und Betriebsmittel nur
- von einer Elektrofachkraft oder
- unter Leitung und Aufsicht einer Elektrofachkraft
- den elektrotechnischen Regeln entsprechend
errichtet, geändert und instandgehalten werden“. Bei einem Betrieb des Elektrohandwerks kann typischerweise ein Elektromeister oder ‑ingenieur als Arbeitgeber diese Rolle selbst übernehmen. In allen Fällen, in denen der Betriebsleiter nicht selbst über einen Abschluss als Techniker, Meister oder Ingenieur im Bereich der Elektrotechnik verfügt, muss eine andere Person für die Elektroarbeiten zuständig sein: die Elektrofachkraft.
Nur mit Ausbildung und Erfahrung
Arbeitgeber, die Mitarbeitende als Elektrofachkraft einsetzen, übertragen damit das Durchführen elektrotechnischer Aufgaben in Eigenverantwortung. Voraussetzung für diese Pflichtenübertragung ist, dass die drei grundlegenden Kriterien einer Elektrofachkraft erfüllt sind.
Diese sind in der DGUV Vorschrift 3 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ in § 2(3) wie folgt genannt: „Als Elektrofachkraft im Sinne dieser Unfallverhütungsvorschrift gilt, wer
- aufgrund seiner fachlichen Ausbildung
- Kenntnisse und Erfahrungen
- sowie Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen
die ihm übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen kann.“
Das bedeutet, dass nur jemand mit einer abgeschlossenen elektrotechnischen Berufsausbildung, einer mehrjährigen Tätigkeit in der Elektrotechnik und mit Kenntnis der für seine Tätigkeit relevanten Normen und Unfallverhütungsvorschriften als EFK eingesetzt werden darf. Damit soll sichergestellt werden, dass derjenige in der Lage ist, die ihm übertragenen Aufgaben sicher durchzuführen, die damit verbundenen Risiken und Gefährdungen zu erkennen und sich angemessen zu schützen.
Das gilt zwar auch für jede andere Tätigkeit – der Unternehmer steht grundsätzlich in der Auswahlverantwortung, nur geeignete, fähige und zuverlässige Mitarbeiter für die jeweilige Aufgabe einzusetzen –, wird aber für die Elektrosicherheit und die Funktion der EFK vom Regelwerk noch mal explizit betont.
Elektro-Befugnisse klar geordnet
Von der Elektrofachkraft (EFK) im eigentlichen Sinne zu unterscheiden sind – bezogen auf Tätigkeiten mit Elektrogefahren – weitere Akteure mit abgestuften Befugnissen:
In einer Sonderstellung steht die sogenannte verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK). Ihre Aufgaben und Befugnisse sind in der VDE 1000-10 festgelegt. Mit dem – in der Regel schriftlichen – Bestellen einer verantwortlichen Elektrofachkraft überträgt der Unternehmer einer qualifizierten Person einen Teil seiner Unternehmerpflichten, zum Beispiel die Betreiberverantwortung für die elektrischen Anlagen eines Betriebs. Diese VEFK sollte – bezogen auf ihren Verantwortungsbereich – weisungsfrei gestellt werden.
In einem Unternehmen können auch mehrere VEFK agieren, dann sollten deren Zuständigkeitsbereiche, beispielsweise für eine Anlage oder einen Betriebsteil, voneinander abgegrenzt sein. Meist wird die VEFK in größeren Betrieben zum fachlichen und disziplinarischen Vorgesetzten weiterer Elektrofachkräfte (EFK).
Die Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten (EFKffT) ist eine besondere Zusatzqualifikation für Nicht-Elektriker. Sie ist vorgesehen für Fälle, in denen jemand aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit häufig auf elektrotechnische Aufgaben stößt. Eine EFKffT darf jeweils nur die ganz bestimmten, gleichartigen und sich regelmäßig wiederholenden elektrotechnischen Aufgaben erfüllen, für die sie sich qualifiziert hat. Daher gibt es nicht „die eine“ Universal-EFKffT, sondern es geht stets um definierte Aufgaben, etwa im Heizung-Sanitär-Handwerk oder der Windenergie. Diese Sonderregelung einer EFKffT erlaubt es etwa einem Schreiner, beim Einbau einer Küche den Elektroherd selbst anzuschließen, statt jedes Mal eine Elektrofachkraft anfordern zu müssen.
Als elektrotechnisch unterwiesene Personen (EuP) werden Angehörige technischer Berufe bezeichnet, die sich in Sachen Elektrosicherheit weitergebildet haben. Eine EuP darf definierte elektrotechnische Tätigkeiten an Geräten oder Anlagen übernehmen, etwa Prüfschritte, sofern ihre Arbeit von einer EFK geleitet und beaufsichtigt wird.
Wenn auch der Chef zum Laien wird
Jeder sonstige Mitarbeiter gilt als elektrotechnischer Laie. Dessen Befugnisse sind eng begrenzt und gehen kaum über das Austauschen eines Leuchtmittels hinaus. Das gilt unabhängig von der Position im Unternehmen. Auch Arbeitgeber oder Führungskräfte können, wenn sie elektrotechnische Laien sind, nicht die Fachverantwortung für die elektrische Sicherheit im Betrieb übernehmen.
Rechtsgrundlage für die Zuordnung von Qualifikation und Verantwortung bezüglich elektrotechnischer Tätigkeiten ist Teil 10 der Norm VDE 1000 „Anforderungen an die im Bereich der Elektrotechnik tätigen Personen“. Hier sind die Definitionen von EFK, VEFK, EUP usw. nachzulesen, was auch für die Sicherheitsfachkraft eine lohnenswerte Lektüre ist.
Abstimmung ist gefragt
Da sich die EFK wie die Sifa mit Fragen der betrieblichen Sicherheit befassen, werden sich ihre Aufgabenbereiche vor Ort berühren oder sogar überschneiden. Ob man Elektrosicherheit als ein Teilgebiet das Arbeitsschutzes definiert oder als eigenständigen Bereich sieht, ist eine eher akademische Frage. Für die Praxis gilt: Eine Sifa ist üblicherweise kein Experte für Elektrosicherheit, daher übergibt sie bei allen diesbezüglichen Fragen und Aufgaben an die Elektrofachkraft. Sifa und Führungskräfte sollten von der Expertise der EFK profitieren, etwa bei
- Gefährdungsbeurteilungen zu Arbeitsplätzen und Tätigkeiten mit elektrischen Gefährdungen
- dem Erstellen von Betriebsanweisungen zu elektrotechnischen Aufgaben
- dem Festlegen von Prüffristen für elektrische Geräte, Anlagen und Einrichtungen.
Vor Ort greifen elektrische Risiken meist mit anderen Gefährdungen zusammen. Daher geht es de facto weniger darum, eine Aufgabe dem einen oder dem anderen Akteur zuzuschustern, sondern um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und Abstimmung.
Zu den klassischen Elektrogefahren mit den Risiken elektrischer Schlag (Körperdurchströmung) oder Lichtbogeneffekt können weitere elektrische Risiken kommen, die Sifa und EFK und die verantwortlichen Vorgesetzte gemeinsam abklären sollten, etwa:
- Treten an Arbeitsplätzen elektromagnetische Felder auf, welche die Funktion von Herzschrittmachern, Cochlea-Implantaten oder anderen Körperhilfsmitteln beeinträchtigen könnten?
- Wie wird verhindert, dass es in explosionsgefährdeten Bereichen zu elektrischen Zündfunken oder elektrostatischen Effekten mit Zündwirkung kommt?
Je nach Branche kommen spezielle Risiken hinzu wie etwa bei Baumfällungen oder Bauarbeiten (Kranausleger!) in der Nähe von Freileitungen oder bei der Freigabe von Anlagen oder Gebäuden nach Wasserschäden. Auch Maßnahmen zum Blitzschutz (Überspannungsschutz, Potenzialausgleich) sind der Elektrosicherheit zuzuordnen.
Prüfpflichten
Eine zentrale Forderung der Elektrosicherheit (§5 DGUV Vorschrift 3) lautet, dass alle elektrischen Geräte, Maschinen und Anlagen regelmäßig geprüft werden müssen. Die Vorschriften unterscheiden ortsveränderliche und ortsfeste Betriebsmittel, stationäre und nicht-stationäre Anlagen; mehr dazu ist in der DGUV Information 203–049 sowie diversen Normen und VDE-Bestimmungen nachzulesen. Kurzum aus Arbeitsschützer-Sicht: Alles, was einen Stecker hat oder elektrisch betrieben wird, gehört in die Hände einer Elektrofachkraft.
Diese Prüfpflicht gilt auch für jedes Elektrogerät, das privat von zu Hause mitgebracht wurde. Ob Wasserkocher oder Tischventilator, das Gerät darf erst nach Freigabe durch die EFK am Arbeitsplatz verwendet werden. Das mag streng klingen, kommt aber auch dem betrieblichen Brandschutz zugute. Denn Brandursache Nummer 1 ist in Deutschland die Elektrizität und neben überlasteten Mehrfachsteckdosen betrifft dies nicht selten defekte oder überhitzte Elektrogeräte.
Fünf Sicherheitsregeln
Die häufigste Ursache für Elektrounfälle ist das Fehlverhalten eines Menschen und nicht etwa ein technisches Versagen oder ein fehlerhaftes Bauteil. Die gute Nachricht ist, dass die Zahl der jedes Jahr durch einen Stromunfall in Deutschland ums Leben gekommenen Personen in den vergangenen fünf Jahrzehnten von etwa 250 auf weniger als 50 pro Jahr gesunken ist.
Für den Praktiker gut zu wissen: Mehr als neun von zehn Stromunfällen passieren mit Wechselstrom und im Bereich der Niederspannung. Laut den Statistiken der BG ETEM können – bezogen auf die fünf Sicherheitsregeln – mehr als 80 Prozent aller Unfälle von EFK auf Verstöße gegen Regel 1 oder Regel 3 der fünf Sicherheitsregeln der Elektrotechnik (siehe Abbildung 1 auf Seite 9) zurückgeführt werden.
Lebenswichtig: Eigenschutz beachten!
Bei einem Elektrounfall besteht die Besonderheit, dass für die Ersthelfer Lebensgefahr droht. Dies ist solange der Fall, wie das Unfallopfer noch mit der Stromquelle verbunden ist. Ist die Muskulatur durch den Stromschlag verkrampft, kann derjenige sich nicht aus eigener Kraft befreien. Daher gilt stets:
- Zuerst kommt der Eigenschutz. das heißt, vor jeder Ersten-Hilfe-Leistung muss der Stromkreis sicher unterbrochen werden (Hauptschalter, Netzstecker, Sicherung).
- Ist dies nicht möglich oder die Situation unklar, kann das Unfallopfer eventuell mit einem nicht leitenden Gegenstand, zum Beispiel einem Besenstiel aus Holz, von einem isolierenden Untergrund aus von der Stromquelle getrennt und aus der Gefahrenzone gezogen werden.
- Erst wenn das Unfallopfer sicher vom Strom getrennt ist, darf es berührt werden, um die Atmung zu prüfen, gegebenenfalls eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durchzuführen, einen Defibrillator anzuwenden usw.
- Bei Elektrounfällen mit Hochspannung ist das Unterbrechen des Stromkreises einer EFK vorbehalten. Ersthelfer müssen zudem einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten.
Warum auch ein „Wischer“ ernstgenommen werden sollte
Auch ohne offensichtliche Verletzung kann das Opfer eines Stromunfalls Schmerzen im Brustbereich spüren, Luftnot, Herzrasen oder Schwindelgefühle haben, und der Notarzt ist unverzüglich zu alarmieren. Doch was, wenn das Unfallopfer sich gut fühlt und den Stromschlag als „harmlosen Wischer“ abtut? Für diesen Fall sollten Führungskräfte wissen, dass die Gefahr von Gesundheitsfolgen nicht unterschätzt werden darf. Denn der Herzimpuls kann nach einem Stromschlag gestört sein, ohne dass der Betroffene davon etwas spürt. Noch mehrere Stunden später kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen oder dem gefährlichen Herzkammerflimmern.
Daher gilt: Bei jedem Stromschlag, der über das Zucken an der Fingerspitze – etwa bei elektrostatischer Entladung an einer metallenen Türklinke – hinausgeht, sollte derjenige nicht weiterarbeiten, sondern zunächst von einem Arzt untersucht werden. Nur ein Arzt kann entscheiden, ob eine stationäre Überwachung notwendig wird.