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Explosion in Beirut - wie kam es zum Big Blast?

Interview mit Dr. Johannes Melcher
Die Krise nach dem Big Blast in Beirut

Die Krise nach dem Big Blast in Beirut
Grafik: © Kai Felmy

Wenn es im Zusam­men­hang mit Gefahrstof­fen zu ein­er Krise kommt, ist Fachkunde gefragt. Über das notwendi­ge Know-how ver­fügt Dr. Johannes Melch­er, der als chemis­ch­er Sach­verständiger Maß­nahmen bei Groß­schaden­ereig­nissen koor­diniert und als Brand­schaden Sach­verstän­diger tätig ist. Er war in Beirut vor Ort, nach­dem es im August 2020 zu ein­er der fol­gen­re­ich­sten von Men­schen­hand verur­sacht­en Explo­sion der let­zten Jahre kam. Über seine Erfahrun­gen zu sein­er dor­ti­gen Tätigkeit, welche Erken­nt­nisse sich aus diesen ziehen lassen und wie Unternehmen sich grund­sät­zlich auf eine Krise bei Tätigkeit­en mit Gefahrstof­fen vor­bere­it­en kön­nen, referiert er beim “Inno­va­tion­stag Gefahrstoffe”, der am 13. Juni online stat­tfind­et. Das fol­gende Inter­view gibt bere­its einen kleinen Einblick. 


Inno­va­tion­stag Gefahrstoffe


Dr. Joannes Melcher
Dr. Johannes Melch­er; Foto: © privat

Kön­nen Sie kurz erläutern, was in Beirut passiert ist? 

Nach heutigem Ken­nt­nis­stand lagerten im Hafen von Beirut cir­ca 2750 Ton­nen Ammo­ni­um­ni­trat. Diese Menge stammte von einem moldauis­chen Frachter, der wegen man­gel­nder Seetüchtigkeit von libane­sis­chen Behör­den fest­ge­set­zt wor­den war. Dessen Ladegut, das besagte Ammo­ni­um­ni­trat, wurde auf­grund erhöhter Explo­sion­s­ge­fahr zwis­chen Sep­tem­ber 2014 und Okto­ber 2015 im Lager­haus Num­mer 12 im Hafen zwis­chen­ge­lagert. In den Fol­ge­jahren kon­nten sich die ver­schiede­nen libane­sis­chen Behör­den nicht eini­gen, wie mit dem Gefahrstoff weit­er ver­fahren wer­den sollte. Als dann im August 2020 in ein­er Nach­barhalle, in der Feuer­w­erk­skör­p­er gelagert waren, Schweißar­beit­en ein Feuer aus­lösten, set­zte dies eine ver­heerende Ket­ten­reak­tion in Gang, die let­z­tendlich zum Big Blast – so nen­nt man die Explo­sion im Libanon – führte. 

Wie kam es zur Krise und weswe­gen kon­nte der Libanon die Krise nicht ohne fremde Hil­fe bewältigen? 

Die Krise begann schon weit vor der Explo­sion und der Ver­lauf, der zu der Explo­sion führte, erk­lärt dies auch sehr gut. Die Infra­struk­tur für einen gut organ­isierten Staat ist im Libanon ja prinzip­iell vorhan­den, aber spätestens nach der Staats- und Wirtschaft­skrise funk­tion­ierte die Kom­mu­nika­tion untere­inan­der eher schlecht. Als sich dann die Explo­sion ereignete, kam zusät­zlich hinzu, dass es in dem Land keine Möglichkeit gibt, Gefahrstoffe fachgerecht zu entsor­gen.  

Sie wur­den beauf­tragt die Sit­u­a­tion der gelagerten Gefahrstoffe zu bew­erten. Um diese Bew­er­tung vorzunehmen und somit in der Krise zu unter­stützen, waren Sie vor Ort. Was genau war Ihre Aufgabe? 

Meine Haup­tauf­gaben waren die Iden­ti­fika­tion der Gefahrstoffe und die Bew­er­tung des Zus­tandes. Auf dieser Grund­lage kon­nte ein Arbeitsablauf­plan entwick­elt wer­den. Wir haben die Gefahrstoffe in ver­schiedene Gefahren­klassen eingestuft und die Arbeit­er vor Ort dahinge­hend im Umgang mit den jew­eili­gen Gefahrstof­fen geschult. Par­al­lel kon­nten wir dann auch die aus den ersten Erken­nt­nis­sen gewon­nen Menge an Equip­ment, PSA und Gefahrgut­ge­binden beschaf­fen. Kurzum wir haben die Abwick­lung mit Hil­fe unser­er Part­ner vor Ort und in Deutsch­land vom Ein­tr­e­f­fen im Libanon bis zur Ein­fuhr in Wil­helmshaven und der anschließen­den Entsorgung begleit­et. 

Ihre Tätigkeit birgt ein hohes Gefahren­poten­zial, schließlich kom­men Sie ins Spiel, wenn Prozesse schiefge­laufen sind. Was bewegt Sie, diese Gefahren auf sich zu nehmen? 

Irgend­je­mand muss diese wichtige Auf­gabe übernehmen und dann ist es vorteil­haft, wenn diese Per­son etwas von der Materie ver­ste­ht. Als Chemik­er kann ich mich daher mein­er Mei­n­ung nach nicht weg­duck­en, wenn es um das Han­dling von Gefahrstof­fen geht. Ger­ade da ist es wichtig, abzuschätzen, was geht und was muss. Außer­dem macht es mir auch Spaß, Lösun­gen für unkon­ven­tionelle Prob­leme zu find­en und diese erfol­gre­ich umzuset­zen. 

Wie kön­nen beziehungsweise müssen sich Unternehmen, die mit Gefahrstof­fen arbeit­en, auf die Krise vor­bere­it­en? Gibt es einen rechtsverbindlichen Rah­men? Wenn nicht, wäre ein solch­er nicht wünschenswert? 

In einem deutschen Unternehmen, das sich an gel­tendes Recht hält, sollte sich ein ähn­lich­es Szenario wie in Beirut nicht abspie­len. Bei der Lagerung von Gefahrstof­fen greift die TRGS 510 Lagerung von Gefahrstof­fen in orts­be­weglichen Behäl­tern, die in den Lagerbe­din­gun­gen aller Gefahrstoffe sehr präzise wird. Unab­hängig von der Gefahrstoffthe­matik lauern aber ja noch die Gefahren des All­t­ags sowie poli­tis­che, kli­ma­tis­che, branchen­typ­is­che und weit­ere Gefahren. Für solche Fälle sollte sich jedes Unternehmen vergewis­sern, ob es dahinge­hend gut abgesichert ist. Ein Not­fallplan beziehungsweise Alarm- und Gefahren­ab­wehrplan, welch­er Hand­lungs­fol­gen für einzelne Krisen schon vor­ab fes­tlegt, spart Zeit und hil­ft in der Not. Vorgeschieben ist er zwar nur für einige Stör­fall­be­triebe, aber sin­nvoll ist er für etliche Unternehmen. 

Gefahrstoffe passieren zahlre­iche Gren­zen und die nationalen Regelun­gen zum Umgang mit diesen weisen doch sicher­lich große Unter­schiede auf. Wie sollte die inter­na­tionale Zusam­me­nar­beit geregelt sein, um die Sicher­heit best­möglich zu gewährleisten? 

Was den Trans­port auf der Straße und der Schiene anbe­langt, sind wir in Europa sehr gut aufgestellt. For­mal wird ein Gefahrstoff zu einem Gefahrgut, sobald er trans­portiert wird. Der Trans­port des Gefahrguts wird auf der Straße durch den ADR (Agree­ment con­cern­ing the Inter­na­tion­al Car­riage of Dan­ger­ous Goods by Road) und auf der Schiene durch den RID (Règle­ment con­cer­nant le trans­port inter­na­tion­al fer­rovi­aire de marchan­dis­es Dan­gereuses) geregelt. Diesen Übereinkom­men sind über 50 Staat­en beige­treten, sprich jed­er spielt nach den gle­ichen Regeln. Noch viel imposan­ter wird der Blick auf den inter­na­tionalen See- oder Luftverkehr. Diese wer­den durch den IMDG-Code (Inter­na­tion­al Mar­itime Dan­ger­ous Goods) beziehungsweise durch die IATA-Gefahrgutvorschrift (Inter­na­tion­al Air Trans­port Asso­ci­a­tion) geregelt und gel­ten weltweit für jeden Staat der Erde. Im Bezug auf den Trans­port wurde also schon sehr viel erre­icht, um die Sicher­heit best­möglich zu gewährleis­ten. 


Pro­gramm und Anmel­dung zum “Inno­va­tion­stag Gefahrstoffe”

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