Dr. Mario Arnone ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA). Als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt er sich mit der Expositionsdatenbank MEGA und dem GESTIS-Stoffenmanager®. Beim “Innovationstag Gefahrstoffe” referiert er zum Thema Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und stellt eine Gefährdungsbeurteilung in fünf Stufen vor. Wir haben ihn vorab gefragt, wie Unternehmen Gefährdungen effektiv ermitteln und beurteilen können. Zudem wollten wir wissen, wie die Gefährdungsbeurteilung durch das Gefahrstoffregelwerk vorgegeben ist und wo Unternehmen Hilfestellung bei der Durchführung erhalten.
Interview mit Dr. Mario Arnone
Ganz grundsätzlich: Welchen Stellenwert hat die Gefährdungsbeurteilung an sich und insbesondere für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen?
Die Gefährdungsbeurteilung an Arbeitsplätzen dient dazu, die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Sie ist eine gesetzliche Verpflichtung für den Arbeitgeber.
Von Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gehen für die Mitarbeitenden verschiedene, für „Laien“ nicht unbedingt erkennbare Risiken aus. Anders als durch Gefährdungen wie beispielsweise mechanische Schädigungen, Einklemmen in Maschinen oder Abstürze aus großen Höhen sind die Gesundheitsgefahren durch Gefahrstoffe am Arbeitsplatz nicht so offensichtlich. Um so wichtiger ist es, dass eine fachkundige Person die Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen durchführt und die Beschäftigten auf adäquate Weise über den sicheren Umgang mit diesen Stoffen informiert.
Wie läuft eine Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ab, welche Schritte sind zu beachten?
Eine Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen lässt sich in fünf Schritte einteilen. Zuerst muss einmal ermittelt werden, welche Gefahrstoffe wo bei der Arbeit vorhanden sind, beziehungsweise bei der Arbeit entstehen können. Ist dies bekannt, müssen die Gefahren, die von den Gefahrstoffen für die Beschäftigten ausgehen, ermittelt werden. Damit eine Gefährdung für die Beschäftigten vorliegt müssen diese mit den Gefahrstoffen in Kontakt kommen. Um das Ausmaß eines möglichen Kontakts zu Gefahrstoffen zu ermitteln, ist eine quantitative Expositionsermittlung, zum Beispiel durch Messungen der Gefahrstoffkonzentration in der Atemluft, erforderlich. Durch die Abschätzung der Gefährlichkeit und die mögliche Exposition der Beschäftigten können die vorhandenen Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz bewertet und gegebenenfalls zusätzliche Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Neben der Bewertung der Schutzmaßnahmen muss die Gefährdungsbeurteilung auch dokumentiert werden. Besonders wichtig ist hierbei, die Beschäftigten über die Ergebnisse der Beurteilung zu informieren und sie zu unterrichten, wie sie die Tätigkeiten mit den Gefahrstoffen sicher durchführen können. Dies erfolgt unter anderem durch die Betriebsanweisungen. Außerdem ist es notwendig, die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung regelmäßig zu überprüfen, um die Beschäftigten bei Änderungen an den Arbeitsplätzen, zum Beispiel durch neue Produkte oder Verfahren, weiterhin vor Gefährdungen durch Gefahrstoffe schützen zu können.
Inwiefern lässt sich die Gefährdungsbeurteilung in fünf Stufen in das deutsche Gefahrstoffregelwerk einordnen?
Die Gefährdungsbeurteilung in fünf Stufen orientiert sich an den Vorgaben aus der Gefahrstoffverordnung und den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS). Vor allem die TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ beschreibt ausführlich, wie bei einer solchen Gefährdungsbeurteilung vorzugehen ist. Für jede der Stufen gibt es TRGSen die ein regelkonformes Vorgehen beschreiben. Hierzu zählen zum Beispiel die TRGS 600 „Substitution“ zur Vermeidung gefährlicher Stoffe, die TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“ zur Expositionsermittlung und die TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ für die Bewertung der Luftkonzentrationen am Arbeitsplatz. Natürlich sind auch das Ableiten von geeigneten Schutzmaßnahmen nach dem STOP Prinzip in TRGSen (500er Reihe) sowie die Information der Beschäftigten und die Dokumentation bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen in Technischen Regeln beschrieben.
Wo finden Unternehmen Hilfestellung zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung?
Neben den Technischen Regeln bieten vor allem die Unfallversicherungsträger (UVT), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) mit dem IFA sowie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ein vielfältiges Angebot an Hilfestellungen und Informationen. Detaillierte Informationen zu Einzelstoffen können zum Beispiel der GESTIS-Stoffdatenbank entnommen werden. Für Gefahrstoffe, die in der Bauwirtschaft verwendet werden, bietet die Berufsgenossenschaft für Bauwirtschaft (BG Bau) das Informationsportal WinGis an. Es enthält Informationen zum sicheren Umgang mit den Chemikalien in der Bauwirtschaft und auch vorgefertigte Betriebsanweisungen mit Information für die Beschäftigten. Auch die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) und die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) bieten mit dem Portal GisChem eine Vielzahl an Informationen und Hilfestellung für Gefahrstoffe in den Branchen Chemie, Rohstoffe, Holz und Metallbearbeitung an. Bei der Ermittlung der Gefahren und der Expositionsermittlung können zum Beispiel das Einfache Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe (EMKG) der BAuA oder der GESTIS-Stoffenmanager® des IFA als Hilfestellung genutzt werden. Wird eine Dokumentation der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Stoffen notwendig, können Arbeitgeber die Zentrale Expositionsdatenbank (ZED) der DGUV zur Archivierung und Aushändigung der Expositionsdaten an die Beschäftigten nutzen. Neben den hier genannten Hilfestellungen finden sich auf den Internetseiten der DGUV, des IFA, der UVT sowie der BAuA weitere Praxishilfen und Informationsschriften, die bei der Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen genutzt werden können.
Programm und Anmeldung zum “Innovationstag Gefahrstoffe”.