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Novellierung der Gefahrstoffverordnung und Neues aus dem AGS

Ein Blick auf die verschiedenen Grenzwertarten
Novellierung der Gefahrstoffverordnung und Neues aus dem AGS

Novellierung der Gefahrstoffverordnung und Neues aus dem AGS
Grafik: © Stöffler
Die Nov­el­lierung der Gefahrstof­fverord­nung wird in den kom­menden Monat­en in Kraft treten. Aus­ge­hend vom aktu­al­isierten Ref­er­ente­nen­twurf lässt sich schon abse­hen, dass die europäis­chen Gren­zw­erte in die Nov­el­le aufgenom­men wer­den sollen. Ein Blick auf die ver­schiede­nen Grenzwertarten.

In sein­er 72. Sitzung am 9. und 10. Mai hat der Auss­chuss für Gefahrstoffe unter anderem fol­gende Tech­nis­chen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) verabschiedet:

Neufassungen

  • BekGS 409 als Empfehlung 409 „Nutzung von REACH-Infor­ma­tio­nen für den Arbeitsschutz“
  • TRGS 529 „Tätigkeit­en bei der Her­stel­lung von Biogas“

Änderungen und Ergänzungen

  • TRGS 900 „Arbeit­splatz­gren­zw­erte“ – siehe Tabelle 1
  • TRGS 903 „Biol­o­gis­che Grenzwerte“
Tabelle 1 Auszug TRGS 900
Tabelle 1: Auszug TRGS 900: Änderun­gen rot und fett, durchgestrich­ene Angaben wur­den ersetzt(11): Summe aus Dampf und Aerosolen.DFG: Sen­atskom­mis­sion zur Prü­fung gesund­heitss­chädlich­er Arbeitsstoffe der DFG (MAK-Kommission)H: hautre­sorp­tivSh: Haut­sen­si­bil­isieren­der StoffY: ein Risiko der Fruchtschädi­gung braucht bei Ein­hal­tung des Arbeit­splatz­gren­zw­ertes und des biol­o­gis­chen Gren­zw­ertes (BGW) nicht befürchtet zu wer­den (siehe Num­mer 2.7)

Neufassung TRGS 402

Die Neu­fas­sung der TRGS 402 (Ermit­teln und Beurteilen der Gefährdun­gen bei Tätigkeit­en mit Gefahrstof­fen: Inhala­tive Expo­si­tion) wurde bere­its in der 71. AGS-Sitzung im Dezem­ber 2022 ver­ab­schiedet. Sie ist eine der für die betriebliche Prax­is wichtig­sten TRGS. Zum Zeit­punkt des Redak­tion­ss­chlusses für diesen Artikel war die Neu­fas­sung der TRGS 402 immer noch nicht veröf­fentlicht. Daher kann erst im näch­sten Artikel „Neues aus dem AGS“ auf die Änderun­gen der Neu­fas­sung einge­gan­gen werden.

Novellierung der GefStoffV

Die ver­schiede­nen Arten von Luft­gren­zw­erten spie­len nicht nur eine Rolle in der noch ausste­hen­den Neu­fas­sung der TRGS 402, son­dern auch in der Nov­el­le der Gefahrstof­fverord­nung. Am 3. März 2023 wurde ein aktu­al­isiert­er Ref­er­ente­nen­twurf zur Gefahrstof­fverord­nung auf der Inter­net­seite des BMAS veröf­fentlicht. Allerd­ings sind bis zur Inkraft­set­zung noch vier weit­ere Sta­tio­nen im Geset­zge­bungsver­fahren zu durch­laufen (siehe auch Kas­ten „Sta­tio­nen im Geset­zge­bungsver­fahren“ auf Seite 31).

Erledigt sind – Stand Sep­tem­ber 2023 – erst die Sta­tio­nen Nr. 1 und 2:

  1. Ref­er­ente­nen­twurf: erste Fas­sung vom 16.03.2022 und aktu­al­isierte Fas­sung vom 03.03.2023
  2. Län­der- und Ver­bän­de­beteili­gung (Stel­lung­nah­men): Zwis­chen April und Mai 2022 wur­den über 30 Stel­lung­nah­men unter­schiedlich­er Ver­bände und Organ­i­sa­tio­nen zum ersten Ref­er­ente­nen­twurf (vom 16.03.2022) ein­gere­icht. Alle Stel­lung­nah­men sind auf der Inter­net­seite des BMAS veröffentlicht.

Der aktu­al­isierte Ref­er­ente­nen­twurf (vom 03.03.2023) wurde auf Grund­lage der Stel­lung­nah­men entsprechend aktu­al­isiert. Bis Ende 2023 sollen die anderen vier Sta­tio­nen durch­laufen wor­den sein.

Risikokonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe

Bei der Nov­el­lierung der Gefahrstof­fverord­nung geht es schw­er­punk­t­mäßig um die Regelun­gen zu kreb­serzeu­gen­den Gefahrstof­fen: Dabei wird das „Risikokonzept bei Tätigkeit­en mit kreb­serzeu­gen­den Gefahrstof­fen“ voll­ständig in die Gefahrstof­fverord­nung aufgenommen:

Daher geht dieser Artikel vor der jet­zt anste­hen­den Nov­el­lierung genauer auf die unter­schiedlichen Arten und Herkün­fte von Gren­zw­erten für kreb­serzeu­gende Gefahrstoffe ein.

Im aktu­al­isierten Ref­er­ente­nen­twurf wird die Auf­nahme des Risikokonzepts anhand der fol­gen­den bei­den neuen Begriffs­de­f­i­n­i­tio­nen in „§ 2 Begriffs­bes­tim­mungen“ deut­lich – siehe Tabelle 2. Aus den zwei Konzen­tra­tionswerten ergeben sich ins­ge­samt drei Risikobere­iche – „rot-gelb-grün“ – weshalb oft auch von Ampelmod­ell gesprochen wird.

Tabelle 2: Definitionen für Akzeptanzkonzentration und Toleranzkonzentration mit drei Risikobereichen
Tabelle 2: Def­i­n­i­tio­nen für Akzep­tanzkonzen­tra­tion und Tol­er­anzkonzen­tra­tion mit drei Risikobereichen

Arten von Grenzwerten

Im Gegen­satz zu den gesund­heits­basierten Arbeit­splatz­gren­zw­erten aus der TRGS 900 wer­den mit der Akzep­tanzkonzen­tra­tion und der Tol­er­anzkonzen­tra­tion aus der TRGS 910 risikobasierte Gren­zw­erte neu in die Gefahrstof­fverord­nung eingeführt:

Was bedeutet die Unter­schei­dung „gesund­heits- oder risikobasiert“?

Bei der Ableitung von Gren­zw­erten für kreb­serzeu­gende Gefahrstoffe gab es in den let­zten Jahrzehn­ten einen soge­nan­nten Paradigmenwechsel:

  • Früher dachte man: Auch nur die kle­in­ste Menge jedes kreb­serzeu­gen­den Stoffes führt zur Kreb­sentste­hung, so dass alle kreb­serzeu­gen­den Stoffe keinen Schwellen­wert haben, unter­halb dessen kein Krebs entsteht:
  • Kon­se­quenz: Es kön­nen keine gesund­heits­basierten Arbeit­splatz­gren­zw­erte abgeleit­et werden.
  • Heute betra­chtet man die Kreb­sentste­hung viel genauer: Es stellte sich her­aus, dass es bei eini­gen kreb­serzeu­gen­den Stof­fen doch einen Schwellen­wert gibt, unter­halb dessen kein Krebs entsteht:
  • Kon­se­quenz: Es kön­nen zumin­d­est für einige kreb­serzeu­gende Stoffe doch gesund­heits­basierte Gren­zw­erte abgeleit­et werden.

In der fol­gen­den Tabelle 3 wer­den die Unter­schiede nochmal gegenübergestellt:

Tabelle 3: Unterscheidung Grenzwertarten: gesundheits- bzw. risikobasiert
Tabelle 3: Unter­schei­dung Gren­zw­er­tarten: gesund­heits- bzw. risikobasiert

Herkunft von Grenzwerten

Wer jet­zt denkt: „Boah, das ist ja jet­zt schon kom­pliziert genug, mit im Prinzip drei unter­schiedlichen Arten von Gren­zw­erten bei kreb­serzeu­gen­den Stof­fen“, muss jet­zt noch verkraften, dass es ja nicht nur die drei oben genan­nten Gren­zw­erte aus den bei­den oben genan­nten deutschen TRGS gibt. Auch die EU-Kom­mis­sion veröf­fentlicht verbindliche Arbeit­splatz­gren­zw­erte in Anhang III der EU-Richtlin­ie 2004/37/EG (ehe­mals „Krebs-Richtlin­ie“: CMD; seit 2022: CMRD). Diese verbindlichen Arbeit­splatz­gren­zw­erte wer­den als „Bind­ing Occu­pa­tion­al Expo­sure Lim­it (Val­ue) – BOEL(V) bezeichnet.

Tabelle 4: Gefahrstoffverordnung: Einhaltung von Grenzwerten
Tabelle 4: Gefahrstof­fverord­nung: Ein­hal­tung von Grenzwerten

Es war auch bish­er schon so, dass alle europäis­chen BOEL einge­hal­ten wer­den mussten: Dazu wur­den alle BOEL in nationales Recht umge­set­zt. In Deutsch­land erfol­gt das durch die Über­nahme in eine TRGS. Diese Vorge­hensweise ist in der aktuell gülti­gen Gefahrstof­fverord­nung in § 7 Absatz 11 beschrieben und wird im Ref­er­ente­nen­twurf ein­fach nur in § 20 Absatz 3 verschoben.

Warum wer­den die BOEL jet­zt unmit­tel­bar in der Gefahrstof­fverord­nung erwäh­nt, wenn diese doch ohne­hin in eine TRGS über­nom­men wer­den müssen? Das hat zum einen mit der Anzahl an BOEL zu tun und zum anderen mit den unter­schiedlichen Werten von BOEL im Ver­gle­ich zu AK bzw. TK oder AGW.

Fan­gen wir mit der Anzahl der BOEL an: Bis 2017 gab es nur drei BOEL – siehe Tabelle 5.

Tabelle 5: Richtlinie 2004/37/EG Anhang III: A. Grenzwerte; Stand: vor 2017
Tabelle 5: Richtlin­ie 2004/37/EG Anhang III: A. Gren­zw­erte; Stand: vor 2017

Seit 2017 wur­den mehrere Änderungsrichtlin­ien zur Richtlin­ie 2004/37/EG in Kraft geset­zt, die auch als „Wellen“ beze­ich­net wer­den: Inzwis­chen gibt es ins­ge­samt über 40 BOEL – siehe Tabelle 6:

Tabelle 6: Änderungsrichtlinien zur Richtlinie 2004/37/EG
Tabelle 6: Änderungsrichtlin­ien zur Richtlin­ie 2004/37/EG

Eine regelmäßig aktu­al­isierte Tabelle mit allen AGW, AK, TK und BOEL find­et sich auf der IFA-Inter­net­seite „Verbindliche Arbeit­splatz­gren­zw­erte der EU-Kom­mis­sion“. Aus den ins­ge­samt aktuell 40 Stoff­beispie­len (Stand: Sep­tem­ber 2023) wer­den hier drei Beispiele her­aus­ge­grif­f­en: Sie zeigen, dass die BOEL in unter­schiedlichen Risikobere­ichen liegen – siehe Tabelle 7.

Tabelle 7: Stoffbeispiele mit BOEL in unterschiedlichen Risikobereichen
Tabelle 7: Stoff­beispiele mit BOEL in unter­schiedlichen Risikobereichen

Das liegt u. a. daran, dass die BOEL aus der Richtlin­ie 2004/37/EG

  • wed­er gesund­heits­basierte AGW (gemäß der deutschen TRGS 900) sind
  • noch risikobasierte Akzep­tanz- bzw. Tol­er­anzkonzen­tra­tio­nen (gemäß der deutschen TRGS 910) sind und
  • sich stattdessen gemäß Artikel 16 der Richtlin­ie 2004/37/EG „auf die ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen, ein­schließlich wis­senschaftlich­er und tech­nis­ch­er Dat­en“ stützen.

Arbeitsplatzmessergebnisse mit neuen BOEL und AK/TK

Neben der oben genan­nten Ein­hal­tung der Arbeit­splatz­gren­zw­erte und der BOEL muss daher immer auch geprüft wer­den, in welchem der drei Risikobere­iche das Ergeb­nis der Arbeit­splatzmes­sung liegt:

Aus Tabelle 1 der TRGS 910 wird deut­lich, welche Maß­nah­men je nach Ergeb­nis der Arbeit­splatzmes­sung eventuell noch zusät­zlich umzuset­zen sind. Tabelle 8 verdeut­licht das anhand der Beispiele „Ein­satz von Atem­schutz“ und „Erstel­lung eines Maßnahmenplans“.

Tabelle 8: Auszug aus TRGS 910, Tabelle 1: Besondere Maßnahmen bei Exposition gegenüber krebserzeugenden Gefahrstoffen in Abhängigkeit der jeweiligen Risikobereiche
Tabelle 8: Auszug aus TRGS 910, Tabelle 1: Beson­dere Maß­nah­men bei Expo­si­tion gegenüber kreb­serzeu­gen­den Gefahrstof­fen in Abhängigkeit der jew­eili­gen Risikobereiche

Über­set­zt heißt das:

  • Im Bere­ich des „niedri­gen“ Risikos sind nur „WENIGE“ Maß­nah­men durchzuführen: „so weit­er­ma­chen wie bisher“.
  • Im Bere­ich des „mit­tleren“ Risikos sind schon ein paar MEHR Maß­nah­men durchzuführen.
  • Im Bere­ich des „hohen“ Risikos sind noch MEHR Maß­nah­men durchzuführen.

Den­noch sollte fol­gende Zielvere­in­barung nicht aus den Augen gelassen wer­den, die in der TRGS 910 in Nr. 5 Absatz 2 beschrieben ist:
5 Risikobe­zo­genes Maß­nah­menkonzept gemäß § 10 Absatz 1 GefStoffV
(2) Ziel des Risikokonzeptes ist es, Expo­si­tio­nen unter­halb der Akzep­tanzkonzen­tra­tion zu erreichen.


Autorin:Dr. Bir­git Stöffler
Sicher­heitsin­ge­nieurin
stv. Mit­glied im AGS
Mit­glied im UAII
 
Foto: © Patrick Liste

 


Glossar

  • AGS: Auss­chuss für Gefahrstoffe
  • AGW: Arbeit­splatz­gren­zw­ert (aus TRGS 900)
  • AK: Akzep­tanzkonzen­tra­tion (aus TRGS 910)
  • BAuA: Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedizin
  • BMAS: Bun­desmin­is­teri­um für Arbeit und Soziales
  • BOEL(V): Bind­ing Occu­pa­tion­al Expo­sure Lim­it (Val­ue)
  • CMD: Car­cino­gens and Muta­gens Directive
  • CMRD: Car­cino­gens, Muta­gens and Repro­tox­ic sub­stances Directive
  • EU: Europäis­che Union
  • GW: Gren­zw­ert
  • TK: Tol­er­anzkonzen­tra­tion (aus TRGS 910)
  • TRGS: Tech­nis­che Regel für Gefahrstoffe

Stationen im Gesetzgebungsverfahren

  1. Ref­er­ente­nen­twurf
  2. Län­der- und Ver­bän­de­beteili­gung (Stel­lung­nah­men)
  3. Kabi­net­tbeschluss (Regierungsen­twurf)
  4. Stel­lung­nahme im Bundesrat
  5. Lesun­gen im Bundestag
  6. Abschluss des Gesetzes

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