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Unterlassene Hilfeleistung

Ein schweres Vergehen
Unterlassene Hilfeleistung

Unterlassene Hilfeleistung
Foto: © Robert Kneschke - stock.adobe.com
Für viele Men­schen ist es eine moralis­che Selb­stver­ständlichkeit, anderen Per­so­n­en in einem Unglücks- oder Not­fall, beispiel­sweise bei einem Unfall, zu helfen. Aber wie ist die Recht­slage? Wann muss Erste Hil­fe geleis­tet wer­den, wann nicht? Unter­lassene Hil­feleis­tung ist eine Straftat.

Fast jed­er Men­sch nimmt sich vor, sofort zu helfen, wenn er Zeuge eines Unfalls oder eines anderen Unglücks­falls wird. Kommt es jedoch tat­säch­lich zu ein­er der­ar­ti­gen Sit­u­a­tion, ver­hal­ten sich nicht wenige ganz anders. Die Gründe hier­für sind vielfältig: Eini­gen fährt die Angst in die Glieder. Andere befürcht­en, als medi­zinis­che Laien dem Unfal­lopfer durch falsche Maß­nah­men eventuell noch mehr zu schaden. Und wiederum andere erfasst die Sen­sa­tion­s­gi­er: Sie „gaffen“ nur und ste­hen dabei den Ret­tungskräften sog­ar noch im Weg.

Gesellschaftliche Solidarität

Ger­ade der let­zte Punkt war in den ver­gan­genen Jahren bei nicht weni­gen Gele­gen­heit­en The­ma in den Medi­en. Nicht zulet­zt auch im Zusam­men­hang mit der vielz­i­tierten „Spal­tung“ der Gesellschaft wird das „Gaffen“ durch Schaulustige und die Weigerung, eine Ret­tungs­gasse für Ambu­lanzwa­gen, Polizei und Feuer­wehr zu bilden, als ein Ver­hal­ten inter­pretiert, welch­es mit dem tra­di­tionellen Sol­i­dar­itäts­gedanken kaum beziehungsweise nicht vere­in­bar ist. Die geset­zliche Verpflich­tung zur Hil­feleis­tung bei Unfällen und anderen Unglücks- oder Not­fällen ist aber ger­ade aus dem Gedanken der Wahrung der gesellschaftlichen Sol­i­dar­ität entstanden.

Leis­tet eine Per­son in einem Unglücks­fall keine Hil­fe, beispiel­sweise Erste Hil­fe, dro­hen ihr sowohl strafrechtliche als auch zivil­rechtliche Kon­se­quen­zen. Auf Aus­nah­men von dieser Grun­dregel wird im Fol­gen­den noch einge­gan­gen. Das Straf­maß bei ein­er Verurteilung wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung bei einem schw­er­eren Verge­hen beträgt bis zu einem Jahr Gefäng­nis. Zumeist wird jedoch nur eine Geld­strafe ver­hängt, teil­weise in erhe­blich­er Höhe.

Offizialdelikt

Die unter­lassene Hil­feleis­tung ist eine Straftat. Sie liegt vor, wenn bei Unglücks­fällen keine Hil­fe geleis­tet wurde, obwohl dies erforder­lich und der Per­son den Umstän­den nach zumut­bar war. Sofern sie von ein­er unter­lasse­nen Hil­feleis­tung erfährt, muss die Staat­san­waltschaft han­deln: Sie muss, wie es juris­tisch heißt, „von Amts wegen“ Ermit­tlun­gen einleiten.

Damit ist die unter­lassene Hil­feleis­tung ein Offizialde­likt. Fahrläs­sige Tötung, Erpres­sung, Mord, Totschlag oder Raub sind weit­ere typ­is­che Offizialde­lik­te. Dies zeigt, dass die unter­lassene Hil­feleis­tung kein leicht­es Verge­hen ist.

Was ist ein Unglücksfall?

Doch zunächst ein­mal stellt sich die Frage, was das Gesetz unter einem „Unglücks­fall“ ver­ste­ht, bei dem Hil­fe geleis­tet wer­den muss. Der Bun­des­gericht­shof (BGH) hat in mehreren Urteilen und Beschlüssen einen Unglücks­fall als „ein plöt­zlich ein­tre­tendes Ereig­nis, das eine unmit­tel­bare Gefahr eines erhe­blichen Schadens für Men­schen oder Sachen von bedeu­ten­dem Wert her­vor­ruft oder her­vorzu­rufen dro­ht“ definiert.

Beispiele für Unglücks­fälle sind Verkehrsun­fälle, Bewusst­losigkeit nach einem Selb­st­mord­ver­such, Verge­wal­ti­gun­gen oder Über­fälle. Dage­gen ist zum Beispiel ein ein­fach­er Sturz vom Fahrrad kein Unglücks­fall – es sei denn, der Fahrrad­fahrer ver­let­zt sich dabei schw­er und muss sofort ärztlich behan­delt wer­den. Denn als Folge eines Unglücks­falls müssen immer „erhe­bliche Gefahren“ drohen.

 

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Bei Unfällen sind Erste-Hil­fe-Leis­tun­gen gefragt. Aber auch bei Naturkatas­tro­phen oder in all­ge­meinen Not­la­gen, etwa bei Stro­maus­fall, gilt die Verpflich­tung zum Helfen.
Foto: © Ronald Ramp­sch — stock.adobe.com

Gemeine Gefahr und gemeine Not

In den aller­meis­ten Fällen han­delt es sich bei Sit­u­a­tio­nen, in denen Hil­fe geleis­tet wer­den muss, um einen Unglücks­fall. Aber auch bei Ein­treten ein­er „gemeinen Gefahr“ und „gemeinen Not“ muss Hil­fe geleis­tet wer­den. Eine gemeine Gefahr liegt bei ein­er konkreten Gefahr für Leib und Leben unbes­timmt viel­er Per­so­n­en vor. Zum Beispiel bei Naturkatas­tro­phen wie Über­schwem­mungen, Erd­beben oder Bränden.

Eine gemeine Not beze­ich­net dage­gen eine erhe­bliche Not­lage für die All­ge­mein­heit, zum Beispiel bei einem Aus­fall der Trinkwasserver­sorgung, Brennstof­fk­nap­pheit oder einem län­geren Stro­maus­fall. Man sieht: Die Abgren­zung zwis­chen bei­den Fällen ist rel­a­tiv schw­er zu ziehen, allerd­ings wer­den sie vor Gericht auch deut­lich sel­tener ver­han­delt als Unglücksfälle.

Wann entfällt die Hilfspflicht?

Hil­fe muss auch dann geleis­tet wer­den, wenn ihre Erfol­gsaus­sicht­en sub­jek­tiv oder objek­tiv sehr ger­ing oder sog­ar nicht gegeben sind. Einem Verunglück­ten ist selb­st dann zu helfen, wenn sich in der Rückschau zeigt, dass die befürchtete Folge des Unglücks von Anfang an unab­wend­bar war. Von diesem Prinzip gibt es nur wenige Aus­nah­men. Dazu gehört zunächst der Tod der verunglück­ten Per­son: Ist der Verun­fallte bere­its gestor­ben, wäre eine Hil­fe nutzlos.

Allerd­ings muss die hil­feleis­tende Per­son defin­i­tiv wis­sen, dass der Verun­fallte bere­its tot ist – die Ver­mu­tung allein reicht nicht aus. Die Hil­f­spflicht ent­fällt darüber hin­aus, wenn der Hil­fs­bedürftige die Hil­fe ablehnt – voraus­ge­set­zt der Verun­fallte ist dabei noch zurech­nungs­fähig und befind­et sich nicht in einem psy­chis­chen Aus­nah­mezu­s­tand. Sie ent­fällt auch dann, wenn bere­its andere Per­so­n­en aus­re­ichende Hil­fe geleis­tet haben.

Das gibt im Not­fall Sicherheit

Welche Hilfeleistung ist zumutbar?

Men­schen müssen selb­st dann Hil­fe leis­ten, wenn sie sich damit selb­st ein­er zumut­baren Ver­let­zungs­ge­fahr aus­set­zen oder wenn sie sich oder einen Ange­höri­gen damit strafrechtlich belas­ten. Ein Beispiel für Let­zteres: Hat der Ehe­mann mit seinem Auto einen Verkehrsun­fall ver­schuldet und dabei eine Per­son ver­let­zt, muss er oder seine mit­fahrende Ehe­frau Hil­fe leis­ten. Wenn bei­de nicht selb­st Erste Hil­fe leis­ten, müssen sie zumin­d­est einen Kranken­wa­gen oder Arzt zum Unfal­lort bestellen – ihren Namen müssen sie dabei aber nicht nen­nen. Die Ehe­frau müsste selb­st dann Hil­fe leis­ten beziehungsweise für Hil­fe sor­gen, wenn ihr Mann als Unfal­lverur­sach­er dies nicht tut.

Trotz dieser Voraus­set­zun­gen kom­men Verurteilun­gen wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung in der Prax­is rel­a­tiv sel­ten vor. Der Grund hier­für ist der Fak­tor der „Zumut­barkeit“. Denn eine Anzeige wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung erfol­gt üblicher­weise nicht, wenn eine Per­son sich dadurch selb­st in „erhe­bliche Gefahr“ begeben müsste. Hier­bei geht es grund­sät­zlich um eine Abwä­gung zwis­chen den Gefahren, die dem Hil­feleis­ten­den bei sein­er Hil­feleis­tung dro­hen (Eigenge­fährdung), und dem Schaden für den Verun­fall­ten beziehungsweise Verunglück­ten. Vor diesem Hin­ter­grund muss ein Gericht immer den spez­i­fis­chen Einzelfall betra­cht­en und entschei­det häu­fig, dass zum Beispiel die Eigenge­fährdung für die angeklagte beziehungsweise angezeigte Per­son nicht zumut­bar gewe­sen ist.

 

Ein Phänomen der Zeit: Anstatt zu helfen, werden Aufnahmen gemacht. Unterlassene Hilfeleistung ist eine Straftat.
Ein Phänomen der Zeit: Anstatt zu helfen, wer­den Auf­nah­men gemacht.
Foto: © RioPatu­ca Images — stock.adobe.com

Was ist nicht mehr zumutbar?

Nicht mehr zumut­bar ist eine (direk­te) Hil­feleis­tung in drei Sit­u­a­tio­nen. Die Wichtig­ste: Die Gefahr, sich bei der Hil­feleis­tung schw­er zu ver­let­zen oder gar umzukom­men (Eigenge­fährdung), ist größer als die gesund­heitlichen Schä­den der zu ret­ten­den Per­so­n­en – also wieder die oben bere­its erwäh­nte Frage der Abwägung.

Typ­is­che Beispiele der Eigenge­fährdung sind zum Beispiel Hil­fe bei Gefahrgut­trans­portun­fällen (das ist allein Sache der Feuer­wehr) oder aber ein Unfall auf der Auto­bahn, bei dem die helfende Per­son durch den Verkehr schw­er ver­let­zt oder getötet wer­den kön­nte oder selb­st bei der Ret­tungsak­tion vor­beifahrende Aut­o­fahrer gefährden kön­nte (Fremdge­fährdung).

Eben­so ist eine Hil­feleis­tung nicht zumut­bar, wenn dadurch eine andere Pflicht ver­let­zt oder ver­nach­läs­sigt wird, beispiel­sweise die Auf­sicht­spflicht über Kinder. Schließlich wer­den Gerichte auch die Fähigkeit­en und Möglichkeit­en ein­er Per­son genau betra­cht­en, da zum Beispiel ein medi­zinis­ch­er Laie nicht in der Lage ist, bes­timmte lebenser­hal­tende Maß­nah­men an der verun­fall­ten Per­son auszuführen. In jedem Fall sind aber all diese Per­so­n­en Zeu­gen der Unglücks- oder Not­si­t­u­a­tion und von daher verpflichtet, Hil­fe zu holen – entwed­er direkt vor Ort oder mit­tels eines Telefonanrufs.

Behinderung von Helfern

Lei­der ist es ein nicht seltenes Phänomen unser­er Zeit: „Gaffer“ und Schaulustige, die den Weg zur Unfall­stelle versper­ren, die Ret­tungs­gasse block­ieren oder teil­weise sog­ar die Arbeit der hil­feleis­ten­den Per­so­n­en mutwillig erschw­eren oder behin­dern. Auch bei der Behin­derung von hil­feleis­ten­den Per­so­n­en müssen die angezeigten Per­so­n­en mit schw­eren Sank­tio­nen rech­nen. Teil­weise ist es für sie nicht immer klar zu erken­nen, ob es sich um eine Unglücks- oder Not­fall­si­t­u­a­tion han­delt, ein Richter wird dies auch zur Ken­nt­nis nehmen.

Ganz anders dage­gen ist es bei den erwäh­n­ten Vor­fällen im Straßen­verkehr, bei denen die Ret­tungskräfte mit Blaulicht und Sire­nen deut­lich genug auf sich aufmerk­sam machen. In diesem Fall ist sog­ar schon ein soge­nan­nter bed­ingter Vor­satz der behin­dern­den Per­so­n­en aus­re­ichend für eine Sank­tion­ierung. Das heißt, es reicht bere­its aus, die Behin­derung von Ret­tungskräften oder Helfern nicht zu wollen, aber bil­li­gend in Kauf zu nehmen.

Während es hier­für aber nur zu ein­er Gefäng­nis­strafe von max­i­mal einem Jahr kom­men kann, ist die Strafe bei einem aktiv­en Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte, wozu auch alle Ret­tungskräfte gehören, deut­lich höher: Der verurteil­ten Per­son dro­hen dann bis zu drei Jahren Gefängnis.


Autor: Dr. Joerg Hensiek
Fachau­tor und freier Journalist
 
Foto: pri­vat

Aus dem Strafgesetzbuch

Para­graf 323c: Unter­lassene Hilfeleistung;

Behin­derung von hil­feleis­ten­den Personen

(1) Wer bei Unglücks­fällen oder gemein­er Gefahr oder Not nicht Hil­fe leis­tet, obwohl dies erforder­lich und ihm den Umstän­den nach zuzu­muten, ins­beson­dere ohne erhe­bliche eigene Gefahr und ohne Ver­let­zung ander­er wichtiger Pflicht­en möglich ist, wird mit Frei­heitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geld­strafe bestraft.

(2) Eben­so wird bestraft, wer in diesen Sit­u­a­tio­nen eine Per­son behin­dert, die einem Drit­ten Hil­fe leis­tet oder leis­ten will.

Quelle: https://dejure.org


Keine Angst vor Erster Hilfe

Viele Men­schen bleiben in Not­si­t­u­a­tio­nen untätig, weil sie befürcht­en, etwas falsch zu machen, die Sit­u­a­tion wom­öglich noch zu ver­schlim­mern und für einen Schaden gegebe­nen­falls zur Rechen­schaft gezo­gen zu wer­den. Die DGUV-Pub­lika­tion „Rechts­fra­gen bei Erster-Hil­fe-Leis­tung durch Ers­thelferin­nen und Ers­thelfer“ schafft hier Klarheit: „Erste Hil­fe umfasst medi­zinis­che, organ­isatorische und betreuende Maß­nah­men an Erkrank­ten oder Ver­let­zten mit ein­fachen Mitteln.

Solange die betr­e­f­fende Per­son die ihr best­mögliche Hil­fe leis­tet, sind der­ar­tige Befürch­tun­gen grund­los. In der Regel muss wed­er mit schadenser­satz- noch strafrechtlichen Kon­se­quen­zen gerech­net wer­den“, heißt es in der Ein­leitung. Dies wird im Fol­gen­den detail­re­ich aus­ge­führt und anhand von Beispie­len verdeut­licht. Die Infor­ma­tion kann über die Pub­lika­tions­daten­bank der DGUV bezo­gen werden.

www.dguv.de/publikationen (Web­code: p010852)

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