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Lernen aus Arbeitsunfällen

Lernen als Prozess verstehen
Lernen aus Arbeitsunfällen

Lernen aus Arbeitsunfällen
Foto: © SkyLine – stock.adobe.com
Warum wer­den Unfälle unter­sucht? Das kommt darauf an. Die Zielset­zung ist abhängig davon, wer einen Unfall unter­sucht. Ver­sicherun­gen und Geset­zge­ber ini­ti­ieren Unfal­lun­ter­suchun­gen, um Schuld­fra­gen zu klären. Unternehmen wollen her­aus­find­en, wie und warum sie die Kon­trolle über ihre Prozess­risiken ver­loren haben. Dabei geht es vor allem darum, den Unfall­her­gang zu ver­ste­hen und daraus zu ler­nen, um ähn­liche Ereignisse in Zukun­ft zu vermeiden.

Oft scheint es jedoch nicht zu gelin­gen, Ereignisse nach­haltig zu ver­mei­den: Viele Unternehmen sehen sich mit der Wieder­hol­ung gle­ich­er oder ähn­lich­er Unfälle kon­fron­tiert. Woran liegt das?

Die meis­ten Unternehmen haben einen Prozess einge­führt, um aus Unfällen zu ler­nen. Aber: Nicht alle Unfälle wer­den gemeldet, die Analyse beschränkt sich auf das men­schliche Fehlver­hal­ten oder auf die the­o­retis­che Aus­führung der Arbeit und bezieht die aus­führen­den Per­so­n­en nicht in die Maß­nah­mendiskus­sion ein – dazu wird nur ein Teil der beschlosse­nen Maß­nah­men auch wirk­sam umgesetzt.

Dies bedeutet, dass Ver­hal­tens- und Prozessän­derun­gen nicht oder nicht nach­haltig stat­tfind­en und somit nicht effek­tiv gel­ernt wird. Wie aber gelingt das Ler­nen aus Unfällen? Anhand des Prozess-Mod­ells „Ler­nen aus Unfällen“ (siehe Grafik) wer­den Her­aus­forderun­gen und Strate­gien zur Förderung ein­er effek­tiv­en Lernkul­tur aufgezeigt.

Meldung

Das Wis­sen um ein Ereig­nis ist Voraus­set­zung dafür, dass der Prozess des Ler­nens aus Ereignis­sen über­haupt in Gang geset­zt wer­den kann. Das heißt, Unfälle müssen von jed­er­mann ein­fach gemeldet wer­den kön­nen – ohne kom­plizierte Ver­fahren oder For­mu­la­re und frei von neg­a­tiv­en Kon­se­quen­zen. Und: Den Führungskräften muss das Ler­nen wichtiger sein als die Diskus­sion über die Klas­si­fizierung von Unfällen „zum Wohle der Statistik“.

Untersuchung

An die Unfallmel­dung schließen sich die Unfal­lun­ter­suchung und die Unfal­l­analyse an. Bei der Unter­suchung wer­den Infor­ma­tio­nen gesam­melt und Fak­ten gesichert, in der Analyse wer­den diese zu einem Gesamt­bild des Unfall­her­gangs zusam­menge­fügt. Die Analyse ist daher nur so gut wie die Infor­ma­tio­nen, die gesam­melt wurden.

Wenn zu wenig Zeit für eine sorgfältige Infor­ma­tion­ssamm­lung und Analyse eingeräumt wird, die Mitar­beit­er nicht offen sprechen oder dem Unter­suchung­steam die Experten fehlen, spiegelt das Unter­suchungsergeb­nis nicht den tat­säch­lichen Ereignis­ablauf wider und die darauf basieren­den Maß­nah­men wer­den Ereignisse in Zukun­ft nicht verhindern.

Bei der Analyse beg­nü­gen sich lei­der immer noch viele Unternehmen mit dem men­schlichen Fehler, dem soge­nan­nten „men­schlichen Ver­sagen“, als direk­ter Unfal­lur­sache. Das ist zu kurz gesprun­gen. Ganzheitliche Unfal­l­analy­sen führen zu den tiefer liegen­den Grund-Ursachen. Das sind Defizite in der Organ­i­sa­tion oder im Man­age­mentsys­tem, die die Wahrschein­lichkeit des Auftretens men­schlich­er Fehler erhöhen.

Hier set­zen Verbesserungs­maß­nah­men an, um sicheres Ver­hal­ten zu fördern – durch eine Opti­mierung der Arbeit­sumge­bung. Es gibt zahlre­iche ganzheitliche Unfal­l­analy­sen; Beispiele sind die Meth­o­d­en Bar­ri­er Fail­ure Analy­sis oder Tri­pod Beta.

Oft ist es nicht möglich, alle Unfälle mit der gle­ichen Inten­sität zu unter­suchen. Daher wird anhand des Schw­ere­grads, des poten­ziellen Schw­ere­grads und des Lern­poten­zials entsch­ieden, welche Unfälle mit welch­er Analyse-Meth­ode unter­sucht wer­den sollen. Häu­fig wird für Unfälle mit geringem Poten­zial eine ein­fache Meth­ode und für Unfälle mit höherem Schw­ere­grad oder höherem Poten­zial eine aufwändi­gere Meth­ode gewählt.

 

Prozess-Modell „Lernen aus Unfällen“ in Anlehnung an Energy Institute
Prozess-Mod­ell „Ler­nen aus Unfällen“ in Anlehnung an Ener­gy Insti­tute, 2015
Grafik: Draese

Zusammenfassung der Ergebnisse

Nach der Unfal­lun­ter­suchung und ‑analyse erfol­gt eine Zusam­men­fas­sung der Ergeb­nisse in Form eines Unfall-Kurzbericht­es. Sowohl Form, zum Beispiel Bul­letin, Bericht oder Video, als auch Beze­ich­nung, etwa Safe­ty Alert, Lessons Learned, sind unternehmensspez­i­fisch und im Ide­al­fall gibt es einen Stan­dard. Der Kurzbericht sollte adres­saten­gerecht ver­fasst sein und fol­gende Aspek­te enthalten:

  • Was ist passiert? (Ereignis­ablauf)
  • Wie ist es passiert? (direk­te Ursache)
  • Warum ist es passiert? (Grund-Ursache)
  • Was wurde aus dem Unfall gel­ernt? (präg­nante Zusam­men­fas­sung der gewonnenen Erkenntnisse)
  • geplante Schutz­maß­nah­men

Kommunikation

Um seinen Zweck zu erfüllen, muss der Kurzbericht alle erre­ichen, die aus dem Unfall ler­nen sollen, das bedeutet, er muss kom­mu­niziert wer­den. Häu­fig wer­den Kurzberichte jedoch nur bis zur Ebene der Werks‑, Betriebs- oder Abteilungsleit­er verteilt, in der Erwartung, dass diese den Kurzbericht an die oper­a­tiv­en Führungskräfte wie Meis­ter oder Schichtleit­er weit­ergeben. Dies gelingt nicht immer und Kom­mu­nika­tionsverzögerun­gen sind vorprogrammiert.

Bess­er ist es, den Kurzbericht bre­it zu streuen, ver­schiedene Medi­en und Kanäle zu nutzen und her­auszuar­beit­en, was für welche Ebene wichtig ist. Bewährt haben sich auch for­male Abläufe. So kann es beispiel­sweise eine Vor­gabe geben, die Inhalte des Kurzbericht­es in der Schichtbe­sprechung zu thematisieren.

Bei kom­plex­en oder schw­er­wiegen­den Ereignis­sen ist eine zusät­zliche direk­te Kom­mu­nika­tion sin­nvoll. Bewährt haben sich Betrieb­sver­samm­lun­gen oder Tele­fon- bzw. Videokon­feren­zen, damit Fra­gen zum Unfall direkt gestellt wer­den können.

Reflexion

Bei vie­len Organ­i­sa­tio­nen bricht der Lern­prozess nach der Kom­mu­nika­tion ab: Mit dem Ver­bre­it­en des Kurzberichts gehen Unternehmen davon aus, dass, wenn Vorge­set­zte und Mitar­beit­er diesen lesen, auch ein Ler­nen stattge­fun­den hat. Das ist ein Trugschluss, denn organ­i­sa­tion­süber­greifend­es Ler­nen begin­nt erst mit der Reflex­ion, das heißt der Über­tra­gung der Infor­ma­tio­nen auf den eige­nen Ver­ant­wor­tungs- und Arbeitsbereich.

Beschäftigte müssen die Möglichkeit haben, Inhalte zu disku­tieren, Ideen zu gener­ieren und Vorschläge zu machen, sich aktiv am Verbesserung­sprozess zu beteili­gen. Diese Reflex­ion kann beispiel­sweise in Form von Mini-Work­shops stat­tfind­en oder in Schicht­ge­spräche inte­gri­ert wer­den und schult neben­her auch das Risikobewusstsein.

 

Lernen aus Arbeitsunfällen: Stolperunfälle vermeiden
„Men­schlich­es Ver­sagen“ als direk­te Unfal­lur­sache ist zu kurz gesprun­gen.
Foto: © Andrey Popov — stock.adobe.com

Umsetzen von Maßnahmen

In Folge der Reflex­ion gibt es neben zen­tralen Maß­nah­men auf Organ­i­sa­tions- oder Sys­te­mebene auch arbeit­splatz- oder team­be­zo­gene Maß­nah­men als Ergeb­nis der Auseinan­der­set­zung mit den verteil­ten Infor­ma­tio­nen. Diese Maß­nah­men soll­ten trans­par­ent kom­mu­niziert wer­den, damit auch andere daran teil­haben kön­nen. Der Prozess kann durch Preise oder Wet­tbe­werbe für gute Lösun­gen unter­stützt wer­den – das spornt an und zeigt Anerkennung.

Es kommt immer wieder vor, dass arbeit­splatzbe­zo­gene Maß­nah­men direkt im Anschluss an die Analyse – ohne Beteili­gung der Beschäftigten – beschlossen und dann mit dem Kurzbericht kom­mu­niziert wer­den, zum Beispiel weil die Unternehmensleitung auf eine schnelle Umset­zung drängt. Für die Beschäftigten fall­en diese – oft auch wenig prak­tik­ablen – Maß­nah­men dann „vom Him­mel“, sie kön­nen sich mit der Maß­nahme „von oben“ nicht iden­ti­fizieren und die Chance auf eine nach­haltige Prozess- oder Ver­hal­tensän­derung ist vertan.

Ein weit­eres häu­fig wiederkehren­des The­ma: Maß­nah­men wer­den geplant, aber nur wenige wer­den umge­set­zt und viele schlum­mern jahre­lang im Maß­nah­men­plan und warten auf Investi­tion­s­mit­tel. Um zu ver­mei­den, dass nur an den am leicht­esten umset­zbaren Maß­nah­men gear­beit­et wird, ist eine Pri­or­isierung – nach ihrer Wirk­samkeit bezo­gen auf die Risikobe­herrschung, also mit Blick auf die Maß­nah­men­hier­ar­chie – sowie eine struk­turi­erte Ver­fol­gung der SMARTen Maß­nah­men notwendig.

Verhaltens- und Prozessänderung

Das Ziel des Ler­nens ist eine Ver­hal­tens- und Prozessän­derung in der Prax­is, also eine Änderung der Art und Weise, wie Dinge getan wer­den. Damit die Mitar­bei­t­en­den ihr Ver­hal­ten ändern, müssen sie das Wis­sen über einen Unfall mit ihrer eige­nen Arbeitssi­t­u­a­tion in Verbindung brin­gen und die Möglichkeit haben, sich aktiv mit den Infor­ma­tio­nen auseinanderzusetzen.

Um die Verän­derung nach der Umset­zung der Maß­nah­men nach­haltig zu gestal­ten, wer­den diese in das Man­age­mentsys­tem der Organ­i­sa­tion inte­gri­ert und ihre Wirk­samkeit etwa in Vor-Ort-Dialo­gen mit den Mitar­bei­t­en­den, in Audits oder Betrieb­s­bege­hun­gen überprüft.

Von der Unfal­l­analyse zur Prävention

Einfluss der Sicherheitskultur

Die Effek­tiv­ität des Lern­prozess­es ist auch geprägt von der Sicher­heit­skul­tur der Organ­i­sa­tion: Für reifere Organ­i­sa­tio­nen sind Fehlerkul­tur und Beteili­gung der Mitar­beit­er eher selb­stver­ständlich als für Organ­i­sa­tio­nen, die auf den ersten Stufen der Sicher­heit­skul­turleit­er ste­hen. Und: Reifere Organ­i­sa­tio­nen reduzieren das Ler­nen nicht auf Unfälle, son­dern ler­nen gle­icher­maßen aus Beina­he-Unfällen und im Tages­geschäft geäußerten Sicherheitsbedenken.

Das liegt daran, dass die oper­a­tiv­en Führungskräfte im Tages­geschäft mit den Mitar­beit­ern über Risiken und sicheres Arbeit­en kom­mu­nizieren und so deren Risikowahrnehmung schulen. Eine hohe Anzahl an Mel­dun­gen erhöht allerd­ings auch die Menge der zu reflek­tieren­den Infor­ma­tio­nen und kann Organ­i­sa­tio­nen dadurch an ihre Gren­zen brin­gen. Daher emp­fiehlt es sich, die Infor­ma­tio­nen vor dem Verteilen auf Rel­e­vanz für die Organ­i­sa­tion zu filtern.

Fazit

Für ein effek­tives Ler­nen aus Unfällen ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass auch das Ler­nen selb­st ein Prozess ist, der in ver­schiede­nen Stufen abläuft und anhand des Prozess­mod­ells „Ler­nen aus Unfällen“ darstell­bar ist. Ein effek­tiv­er Lern­prozess entste­ht durch die gezielte Behe­bung der spez­i­fis­chen Defizite ein­er Organ­i­sa­tion in diesen ver­schiede­nen Stufen. Sind diese erkan­nt, kön­nen unter Berück­sich­ti­gung der Sicher­heit­skul­tur Verbesserun­gen umge­set­zt wer­den, um wiederkehrende Unfälle nach­haltig zu vermeiden.

Quellen:
Ener­gy Insti­tute: Learn­ing from Inci­dents, Acci­dents and Events, Lon­don: Ener­gy Insti­tute, 2016.

Ener­gy Insti­tute: Hearts & Minds. Learn­ing from Inci­dents, Lon­don, 2015.


Autorin: Tat­jana Draese
Wolf­mate
 
Foto: © privat
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