„Herr R. setzte seinen Lkw zurück, um an die Laderampe heranzufahren. Zum gleichen Zeitpunkt durchquerte Frau N. den Rangierbereich, weil Schichtbeginn war und sie auf diese Weise möglichst schnell zu ihrem Arbeitsplatz gelangen wollte. Herr R. konnte seine Kollegin nicht sehen und erfasste sie beim Rückwärtsfahren. Frau N. erlitt tödliche Verletzungen.“ Solche und ähnliche Unfälle waren in den Mitgliedsbetrieben der BGN in den vergangenen Jahren wiederholt zu beklagen und kamen auch in anderen Branchen der gewerblichen Wirtschaft immer wieder vor. Denn dort, wo Fußgänger und schwere Transportmittel wie Lkw oder Gabelstapler zusammentreffen können, ergibt sich automatisch ein hohes Gefährdungspotenzial. Die Analyse des Unfallgeschehens bei der BGN zeigte, dass sich mehr als 20 Prozent der tödlichen Betriebsunfälle im Bereich des innerbetrieblichen Transports und Verkehrs ereignen.
Typische Unfälle
Für die Präventionsstrategie „VISION ZERO. Null Unfälle – Gesund arbeiten!“ hat die Vermeidung schwerer und tödlicher Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten bekanntlich die höchste Priorität. Daher haben die Präventionsexperten der BGN den Bereich der Intralogistik als einen Brennpunkt des Unfallgeschehens genauer unter die Lupe genommen. Vier typische Unfallhergänge beziehungsweise Problemfelder fanden sich dabei immer wieder:
- Ein vorwärtsfahrendes Fahrzeug, meist ein Lkw, kollidiert mit einem Fußgänger.
- Ein rückwärtsfahrendes beziehungsweise rangierendes Fahrzeug kollidiert mit einem Fußgänger.
- Ein Gabelstapler kollidiert mit einem Fußgänger.
- Beim Be- oder Entladen fährt der Lkw vorzeitig von der Ladestelle weg und der Be- bzw. Entlader stürzt in die entstehende Lücke zwischen Lkw und Laderampe.
In der betrieblichen Praxis ist die Bearbeitung dieser Problemfelder alles andere als trivial, denn die Verhältnisse sind in nahezu jedem Unternehmen anders und „Schema F“-Lösungen funktionieren daher nicht. Vielmehr müssen die Verantwortlichen vor Ort und die Präventionsexperten, also die Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger, in die Lage versetzt werden, ein auf die individuellen Möglichkeiten des einzelnen Betriebs zugeschnittenes Konzept zur Risikominderung zu entwickeln. Einen Ansatz hierzu bietet die Web-Anwendung „BGN Intralog“, die dafür von der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe entwickelt wurde. Es handelt sich um ein DV-Werkzeug, das unabhängig vom verwendeten Endgerät (PC, Tablet, Smartphone) und vom benutzten Betriebssystem einsetzbar ist. Der Zugang erfolgt über den Internet-Browser des Endgeräts und die Web-Adresse www.bgn-intralog.de. Die Nutzung der Web-Anwendung ist kostenfrei.
Maßnahmenbündel
Was bietet die Intralog-App nun den Anwendern? Für jedes der oben genannten vier Problemfelder findet man dort eine Reihe von Maßnahmen, mit denen das Risiko eines Unfalls verringert werden kann. Dabei gibt es „mächtige“ Maßnahmen, dies sind zumeist aufwendigere technische Lösungen, die vielleicht größere Investitionen oder bauliche Änderungen erfordern, aber auch sehr viel bringen. Entsprechend haben diese Maßnahmen im BGN-Intralog-System einen hohen Punktwert. Daneben gibt es auch einfachere Maßnahmen, deren Umsetzung schneller und kostengünstiger möglich ist, die aber dann meistens auch nicht so wirksam sind und denen dementsprechend ein geringerer Punktwert zugewiesen ist (Beispiel siehe Kasten). Verschiedene Maßnahmen werden gesammelt, die damit verknüpften Punktwerte werden von Intralog entsprechend aufaddiert.
Geht man vom Ist-Zustand aus und erfasst in Intralog, welche Maßnahmen im Betrieb schon umgesetzt sind, dann zeigt eine Risiko-Ampel, ob man damit bereits im „grünen Bereich“ liegt und das Risiko schon ausreichend niedrig ist oder ob die „Ampel“ noch auf „rot“ steht. Durch Auswahl weiterer Maßnahmen kann man jetzt zusätzliche Punkte sammeln, bis im Idealfall die Ampel von „rot“ auf „grün“ umspringt. Die Maßnahmenauswahl wird sich dabei an dem für den Betrieb Möglichen und Machbaren orientieren müssen. Maßnahmen an Fahrzeugen (z. B. die Nachrüstung von Assistenzsystemen) oder an den Verkehrswegen (z. B. bauliche Trennung von Fuß- und Fahrwegen) sind nicht immer umsetzbar. Ersatzweise muss dann über organisatorische Maßnahmen (etwa der Entkoppelung von Schichtbeginn und Anlieferungszeiten oder der Sperrung von Durchgängen durch Gefahrenbereiche) oder personenbezogene Maßnahmen (z. B. Warnkleidung, Training konsequent sicherer Verhaltensweisen) nachgedacht werden.
Für viele Maßnahmen sind in der Intralog-Anwendung zusätzliche Handlungshilfen hinterlegt, die die Maßnahmen-Umsetzung erläutern, spezifizieren und erleichtern. Dabei handelt es sich beispielsweise um Übersichten über am Markt verfügbare technische Lösungen, um Hinweise für die sichere Gestaltung von Verkehrswegen oder um Merkblätter für Fußgänger und Einweiser. Diese Handlungshilfen vereinfachen die Beurteilung der betrieblichen Machbarkeit und führen den Anwender schnell hin zu ganz konkreten Lösungen, eine eigene, oft ziemlich aufwendige Recherche kann damit vermieden werden.
Für die Praxis
Intralog will kein Kompendium zur Intralogistik sein, auch kein Lehrbuch oder Qualifizierungswerkzeug – es setzt stattdessen ganz bewusst Schwerpunkte, lässt bestimmte Problemfelder außen vor und verzichtet weitgehend auf Bezüge zum Vorschriftenwerk. Der betriebliche Praktiker soll sich in der Anwendung schnell und intuitiv zurechtfinden und zu einer zügigen Maßnahmenauswahl und ‑umsetzung kommen.
Jedenfalls sind die Macher von Intralog von einer Annahme überzeugt: Jede Maßnahme, egal ob klein oder groß, trägt einen Teil dazu bei, die erheblichen Risiken in der Intralogistik zu reduzieren und Unfälle zu verhüten. Somit ist die Intralog-Anwendung auch ein Mosaikstein der VISION ZERO.
Autor: Jörg Bergmann
Abteilungsleiter Prävention
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe
E‑Mail: Joerg.Bergmann@bgn.de
Maßnahmen zur Risikoreduzierung in Intralog: ein Beispiel
Für das Problemfeld „Risiko mindern, dass rückwärtsfahrende/rangierende Fahrzeuge mit Fußgängern kollidieren“ ist eine optimierte Verkehrswegführung eine sehr gute und wichtige Maßnahme: Wenn also Fußwege grundsätzlich nicht in Bereichen verlaufen, in denen rangiert oder rückwärtsgefahren werden muss, bewertet Intralog das mit vier Punkten. Allerdings erfordert dies eine fundierte Analyse der Verkehrssituation und gegebenenfalls größere bauliche und technische Änderungen. Auch die ausreichende Beleuchtung aller Bereiche, in denen Fahrzeuge fahren, trägt zur Risikominderung bei. Dies ist einfacher und schneller umsetzbar, aber als alleinige Maßnahme nicht ausreichend und wird daher nur mit einem Punkt bewertet.