Tannenzweige biegen sich leise, Gondeln tragen weiße Mützen und viel versprechend knirscht es unter den Füßen – Neuschnee! Skifahrer, Boarder, Rodler und Skitourengeher blühen auf. Eine saubere Spur ins unberührte Weiß ziehen, das wär’s doch! Abenteuerlust, Euphorie und Spaß verdrängen Gefahren. Doch schon manch einer hat sich verschätzt …
Dr. Christiane Eichhorn
Stille. Noch einmal die Situation checken. Seit 17 Uhr wird ein 72-jähriger Skifahrer vermisst. Sofort sind die Suchtrupps los. „Zuerst sah alles nach einem üblichen Einsatz aus: Gesucht und gefunden, meist in der Après Ski Bar – doch was klein anfing hat groß aufgehört,“ erinnert sich Kurt Klinec, Ortsstellenleiter der Bergrettung in Serfaus, Tirol. Zuletzt gesehen wurde der ältere Herr im Skigebiet, wo die Suche begann. Erfolglos. Die Zeit schritt voran. Die Rettungsaktion dehnte sich aus, ortsübergreifend wurde Verstärkung angefordert. Zirka 30 Leute waren beteiligt, als sie den Verunglückten nach mehreren Stunden weit außerhalb des Skigebiets im Gelände unterhalb des Dorfes fanden. Geschwächt und orientierungslos war er am Waldrand abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Die Bergung gestaltete sich aufgrund der Steilheit des Geländes schwierig und war für die Freiwilligen der Bergrettung gefährlich. „Wir brauchten alles was wir dabei hatten: Steigeisen, Helm, Seil und vieles andere “, präzisiert Klinec den Einsatz. Leider erlag der 72-Jährige während der Bergung seinen Verletzungen. „Aber die Mannschaft hat alles gegeben. Das war gewaltig.“ Der Ortsstellenleiter, der staatlich geprüfter Bergsportführer und Schneesportlehrer bei der Skischule Serfaus ist, zeigt sich beeindruckt vom Teamgeist und der Leistung seiner Gruppe.
Teamgeist zählt
Kameradschaft ist sowieso etwas, was bei den Einsätzen der Bergrettung ganz vorne steht. Da ist Klinec mit seiner Meinung nicht allein. Das betont auch der Landesleiter der Bergrettung Tirol Dr. Norbert Wolf: „Das Miteinander ist ein entscheidender Faktor für erfolgreiche Einsätze.“ Um das zu fördern, veranstalten die Ortsstellen jährlich mehrere Ausflüge, die immer auch mit einem Stück Ausbildung verbunden sind. Die rege Beteiligung spricht für sich.
Netzwerke knüpfen
Kameradschaft und Teamgeist der Bergretter untereinander sind das eine. Die Kooperation mit Skischulen und Seilbahngesellschaften das andere. Das Zusammenspiel ist für die Sicherheit am Berg entscheidend. Dazu Wolf: „Die Zusammenarbeit mit den Skischulen ist gut. Das liegt daran, dass viele der Bergretter Skischulbedienstete sind und ihr Wissen und Know-how an den richtigen Stellen einsetzen können.“ Das bestätigt auch Hans Purtscher, Leiter der Fünf-Schneekristall Skischule Serfaus: „Die Zusammenarbeit aller örtlichen Verantwortlichen, das heißt Seilbahn, Skischule und Bergrettung ist für uns selbstverständlich. Ich bin damit sehr zufrieden, sowohl in fachlicher als auch in kameradschaftlicher Hinsicht.“ Sich gegenseitig aufeinander verlassen zu können, blind zu vertrauen und offen zu kommunizieren zeugen für Purtscher von guter Kameradschaft.
Ein gut funktionierendes Rettungsnetz in den Alpen entscheidet oftmals über Leben und Tod. Da geht es immer wieder darum, Einsätze zu verbessern, Schulungen und Ausbildungen der Mitglieder zu organisieren und durchzuführen, Aufklärungsarbeit zu leisten und vieles mehr. Der Dialog ist dabei unerlässlich, deshalb wird der Ideen- und Interessenaustausch mit der südtiroler Bergrettung und der deutschen Bergwacht auch konsequent vorangetrieben. „Voneinander lernen, bringt alle voran“, ist Wolf überzeugt.
Helfen wollen
Grundsätzlich gibt es im Österreichischen Bergrettungsdienst (ÖBRD) nur ehrenamtliche Tätigkeiten und Funktionen. Klinec kommentiert augenzwinkernd: „Eintritt und Austritt ist freiwillig, dazwischen ist alles Pflicht.“ Zurzeit riskieren ca. 11.221 Männer und Frauen (derzeit gibt es erst 200) in 292 Ortsstellen bundesweit ihr eigenes Leben, um andere zu retten. Hinzu kommen über 200 Suchhunde. Die Finanzierung besteht aus Basissubventionen durch die Landesorganisationen und Sponsoren, um die Ausbildung und Ausrüstung auf dem aktuellen Stand zu halten.
Die Einsätze sind trotz des ehrenamtlichen Engagements kostspielig. Heftige Diskussionen entflammen stets aufs Neue, wenn es darum geht, wer – wenn keine private Versicherung besteht – für die Bergungskosten nach einem Unfall auf der Skipiste aufkommt. Das ließe sich vermeiden: Immer mehr Sportaktivisten werden Förderer der Bergrettung und beugen dadurch vor. Mit 22 Euro pro Jahr für die ganze Familie (eingeschlossen sind Kinder bis zum 18. Lebensjahr) sind die Förderer versichert und können finanzielle Belastungen beinahe komplett abwenden. Das gilt für Rettungskosten weltweit. Die Einnahmen aus den Verrechnungen sind für die ehrenamtlichen Einsatzkräfte – ihre Ausbildung, Anschaffung von Ausrüstung und Einsatzbereitschaft – bestimmt. Weitere Informationen dazu unter www.bergrettung.at
Was sagt die Statistik?
Häufig ertönt der Ruf nach Bergrettern. 2007 wurden in Österreich bundesweit 5872 Einsätze durchgeführt und 5995 Personen geborgen. Dabei stieg die Zahl der Bergrettungseinsätze für verunglückte Skitouren-Geher von 166 Einsätzen (1998) auf 256 (2007), die Einsätze im Fels erhöhten sich von 73 auf 218 und im „sonstigen Gelände“ (Wald, Almen etc.) von 1067 auf 1689. Extrem zugenommen haben mit 136 auch die Blind-Einsätze gegenüber einem Durchschnittswert von 70 Einsätzen vorangegangener Jahre. 7 Personen gelten als vermisst und wurden nicht gefunden. 18 Tote auf Skipisten, 17 Lawinentote bei 166 Toten insgesamt. Zu den häufigsten Todesursachen zählen laut Kuratorium für alpine Sicherheit: Herzinfarkt, Sturz, Stolpern, Ausgleiten, Verirren oder Versteigen.
Von den insgesamt 5872 Einsätzen entfielen 3703 (63 Prozent) auf ausländische Gäste und 2292 (39 Prozent) auf Inländer. Diese Daten beinhalten nicht die Arbeit von Hubschrauberbesatzungen, bei denen auch Bergrettungsleute als Flugretter, Notfallsanitäter, Navigatoren und Ärzte des ÖBRD im Einsatz sind.
Und: Die Verletzungen werden immer schwerer. Das mag verwundern, schließlich bringt der Markt doch in immer kürzeren Zeitabständen neue Hightech-Materialien heraus. Ob innovative Helme, Schutzkleidung, LVS-Geräte (LawinenVerschüttetenSuchgerät), Lawinenbälle oder vieles mehr. Doch was nutzt die beste Ausrüstung, wenn sie nicht in Gebrauch ist? Beispielsweise trägt nur jeder siebte Wintersportler Helm.
Der Großteil der Zwischenfälle passiert abseits gesicherter Pisten. Viele Wintersportfreaks überkommt der Reiz ins Gelände zu fahren. Die Gruppendynamik ist dabei nicht zu unterschätzen. Sie wollen den „Flow“ erleben. Flow – ein magisches Wort in der jungen Snowboarder-Kultur. Fans anderer Sportarten verwenden es aber auch. Da kribbelt es, da funkeln die Augen. Warnschilder am Rand der Piste stellen kein Hindernis dar. Vielfach vergessen ist die Gefahr durch Lawinenabgänge oder Schneebretter. Hinzu kommt die Unkenntnis des alpinen Geländes, sei es über die Beschaffenheit der Schneemassen, die Steilheit der Hänge etc. Das alles sind Gründe, die immer wieder die Bergrettung auf den Plan rufen, wenn es darum geht, die Verschütteten schnellstmöglich zu finden und zu bergen. Wie die Statistik des Kuratorium für alpine Sicherheit zeigt, liegt die Anzahl der Lawinentoten in Österreich pro Saison im zweistelligen Bereich (davon ausgenommen ist das Jahr 2003/04). Eine traurige Bilanz für den alpinen Sport.
Viele „Pieps-Muffel“ unterwegs
Mit Erstaunen liest sich auch das Ergebnis einer Touren-Studie der Bergrettung Salzburg (2004): 42 Prozent der Tourengeher haben kein LVS-Gerät bei sich. Diejenigen, die ein Verschütteten-Suchgerät tragen, haben es oft nicht eingeschaltet. Im Ernstfall ein möglicherweise tödlicher Fehler. Und so gut wie kein Tourengeher, der insgesamt 162 befragten Personen auf verschiedenen Skitouren-Routen im Land Salzburg, hatte die Funktion vor dem Abmarsch überprüft. Unverständlich, wo doch bekannt sein dürfte, dass es keine absolut lawinensicheren Skitouren gibt.
Zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen kamen Dieter Stopper und Jon Mullen in ihrer Studie (2007)*: Insgesamt wurden in sechs untersuchten Wintern (1997/98 bis 2002/03) in Tirol 68 Lawinenunfälle dokumentiert, bei denen zumindest eine Person komplett unter dem Schnee begraben war. Bei 31 dieser 68 Unfälle hatte keines der verschütteten Opfer ein LVS-Gerät. Das sind 46 Prozent der Unfälle!
Tourengeher sollten beim Start immer überprüfen, ob ihre Geräte im Sende-Modus eingeschaltet und funktionstüchtig sind. Es besteht die Möglichkeit sich gegenseitig über eine Testperson in der Gruppe zu checken, die auf Empfang umschaltet und alle anderen Geräte, die senden, beim Vorbeigehen überprüft.
Auffällig waren auch die häufigen Unfälle von Alpinisten, die allein unterwegs gewesen sind. „Es gibt immer mehr Leute, die die Situationen falsch ein- oder unterschätzen und sich selbst überschätzen“, sorgt sich auch Dr. Norbert Wolf, der seit sechs Jahren die Landesleitung Tirol innehat. Oftmals fehle das richtige Zeitmanagement, bemängelt Wolf und runzelt die Stirn. Ähnliches Kopfschütteln bei Klinec, die Leute gingen heute viel „gedankenloser“ in die Berge. „Mal eben schnell auf einen Kaffee auf den Gipfel hinauf – manch einem fehlt einfach der Bezug zu alpinen Gefahren. Das Bewusstsein ist nicht mehr so ausgeprägt“ vergleicht Klinec mit früheren Zeiten.
Skischule Serfaus – ein Beispiel
Im Zeitraum von 2005/06 bis 2007/08 stammten fast 35 Prozent der insgesamt 69 Lawinentoten in Österreich aus Deutschland (Vgl. Tabelle 1). Damit liegen deutsche Urlauber an Platz zwei, gleich hinter den Österreichern mit ca. 45 Prozent. Die Zahlen belegen weiteren Aufklärungsbedarf bei den Erholungssuchenden. Die Skischule Serfaus versucht dies beispielsweise durch ihren eigenen Skischulkanal, den jeder Gast im Dorf über TV empfangen kann. Hier wird immer wieder auf Sicherheitsaspekte sowie aktuelle Schneebedingungen und Lawinenstufen hingewiesen. Doch das ist nicht alles: „In der Saison 2003/04 haben wir den „Safety-Park“ aufgebaut. Das ist ein eingezäuntes Areal abseits der Piste zum Thema Sicherheit. Hier hat jedermann die Möglichkeit alle Übungen für den Ernstfall zu erlernen“, erklärt Purtscher. Die Skilehrer zeigen sowohl Einzelnen als auch Gruppen den Umgang mit Sonde und Lawinensuchgerät und demonstrieren Erste-Hilfe Maßnahmen. „Jeder hat hier die Möglichkeit selbst zu üben und Fragen zu stellen“, macht Purtscher klar, was die Skischule für die Sicherheit am Berg tut. Auch eine DVD über Lawinenabgänge und die Organisation der Suchaktionen wird zum Kauf angeboten. Leider zeige die eher mäßige Resonanz seitens der Erholungssuchenden, dass viele alpine Sportler ihre Situation unterschätzen. Sie glauben sich durch ihr Handy am Berg ausreichend geschützt, zieht Purtscher Bilanz.
Damit die Lehrkräfte mit gutem Beispiel voran gehen, startet die Skischule zu Saisonbeginn mit einer Lawinensuchübung für ihre Schneesportlehrer. Erste Hilfe-Lehrgänge und wöchentliche Fortbildungen in Theorie und Praxis gehören zum Pflichtprogramm der – in Spitzenzeiten über 200 – Schneesportlehrer. Führungskräfte verfügen über ein Handy und sind während des Skischulbetriebs jederzeit erreichbar. Die Skilehrer-Bekleidung ist seit 2003 mit Recco-Reflektoren ausgestattet. Dank Radar mit Frequenzverdopplung erlaubt die Recco-Technologie bei der Lokalisierung eines Verschütteten eine schnelle Richtungsbestimmung. Das zweiteilige System besteht aus dem Recco-Detektor (dem Suchgerät), der von den professionellen Rettungsteams eingesetzt wird, und den Recco-Reflektoren, die in Wintersportbekleidung, Helmen, Stiefeln oder Protektoren integriert sind.
Und auch für die Kleinen macht die Skischule sich groß. Ein sicher abgegrenztes 80.000 Quadratmeter großes Gelände, die „Kinderschneealm“ steht für die Jüngsten und ihre Künste bereit. Unterhaltung durch das liebenswerte Maskottchen, den „Murmli“, inklusive. Für ihre herausragende Kinderarbeit wurde die Skischule u.a. mit der „Kinderlandthrophy in Gold“ ausgezeichnet. „Murmli“ wurde Vizeweltmeister bei der Maskottchenweltmeisterschaft 2003 in Wien.
Bei den Lernhilfen und Unterhaltungs- stationen, wie Stangen, Zauberteppichen als Aufstiegshilfen, Karussells oder Hüpfburgen etc. legt die Skischule viel Wert darauf, dass alle Materialien GS-geprüft (Gütesiegel geprüft) sind. Spielend bringen die „Coaches“ damit den Kleinen das Skifahren bei.
Aufgrund ihrer besonderen Leistungen erhielt die Skischule neben anderen Auszeichnungen als „Skiarea Testsieger“ auch den „Quality-Award – Snowsport Tirol“ des Tiroler Skilehrerverbandes. Skischulen, die den „Snowsport Tirol – Quality Award“ erhalten möchten, müssen zahlreiche Kriterien erfüllen. „Die Gewährleistung der Sicherheit der Gäste steht dabei an erster Stelle. Daher kommt der Ausbildung sowie der laufenden Schulungen der Schneesportlehrer/-innen für alle Bereiche der alpinen Sicherheit eine große Bedeutung bei der Vergabe des ‘Quality Awards’ zu“, präzisiert Christian Abenthung, Geschäftsführer des Tiroler Skilehrerverbands. Als Muss-Erfordernis sei von den Skischulen ein eigenes und vom allgemeinen Publikumslauf abgegrenztes Gelände nachzuweisen. Dies diene insbesondere der Sicherheit der jüngsten Skischulgäste und der Anfänger. Die Skischule Serfaus (www.skischule-serfaus.com) hat diese Kriterien erfüllt.
Herausforderungen für Retter
Neben den klassischen Sportaktivitäten wie Wandern, Bergsteigen und Skifahren stellen Trendsportarten die Bergrettung vor Herausforderungen. Dazu zählen z.B. Canyoning, Rafting, Flying Fox etc. Auch das Eisklettern boomt – bei Notfällen bedeutet dies jedoch besondere Anforderungen für Retter und Material. „Unser Job ist nicht mehr ganz einfach, da ist inzwischen viel mehr Professionalität gefragt“ reflektiert Klinec. Um sich den wachsenden Anforderungen anzunehmen, betont Norbert Wolf die Unerlässlichkeit guter Ausbildung der Bergretter. In den vergangenen Jahren habe sich im Bereich Ausbildung – neue Materialien, Erstversorgung, Sicherungsgeräte, Rettungstechniken, – viel getan, bemerkt er nicht ohne Stolz. „Einen entscheidenden Schritt in Richtung noch mehr Professionalität in der Bergretter-Ausbildung haben wir mit der Eröffnung des Ausbildungszentrums Jamtal (Paznaun) 2007 gemacht“ freut sich der Landesleiter Tirol. Zwei ehemalige Zollhäuser, die das Land Tirol erwarb, bilden das Herzstück des Ausbildungszentrums. Geboten wird vieles, was für eine professionelle Aus- und Fortbildung benötigt wird: Übungsfelsen, Klettergärten, alpine Felstouren, kombinierte Touren, Klettersteige, Gletscher- und Skitouren, Schluchten für Seilbahnbergung, Eisklettergebiet, Liftbergemöglichkeiten, Lehrsaal mit Internetanschluss, Baumbergung und vieles mehr. Unermüdlich sind die Ehrenamtlichen im Einsatz. Training, Ausbildung, Zeit und Ausdauer, das alles investieren sie, um anderen in Notlagen zu helfen – stimmt schon, wenn Wolf da schmunzelnd feststellt: „Die Bergrettung ist wohl ein Haufen von Idealisten.“
* Wie häufig kommen Mehrfachverschüttungen vor? Tirol, Österreich. Dieter Stopper, Job Mullen, BCA, 2007
Unsere Webinar-Empfehlung
22.02.24 | 10:00 Uhr | Das Bewusstsein für die Risiken von Suchtmitteln am Arbeitsplatz wird geschärft, der Umgang mit Suchtmitteln im Betrieb wird reflektiert, sodass eine informierte Entscheidung über Maßnahmen zur Prävention von und Intervention bei Suchtmittelkonsum am Arbeitsplatz…
Teilen: