Arzneimittel stellen wichtige Helfer bei der Behandlung von Krankheiten und der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dar. Viele dieser Arzneimittel besitzen neben ihrer erwünschten Wirkung unterschiedliche „Nebenwirkungen“, und etliche auch Suchtpotenzial. Doch wie können Betriebe mit medikamentensüchtigen Mitarbeitern umgehen? Und wie kann eine Betriebsvereinbarung hier helfen?
„Von allen verordneten Medikamenten besitzen etwa 5–6 Prozent ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Mit geschätzten 1,4 Millionen Menschen gibt es in Deutschland ebenso viele Medikamentenabhängige wie Alkoholabhängige.“ [Quelle: Broschüre der DHS „Medikamente“]. Von Missbrauch spricht man in diesem Zusammenhang, wenn Medikamente zum Erreichen eines bestimmten Befindens funktionalisiert werden, ohne dass eine entsprechende Indikation vorliegt oder wenn die Mittel in unangemessen hoher Dosierung und länger als notwendig eingenommen werden. [Quelle: Broschüre der DHS „Medikamente“]. Insbesondere durch einen unsachgemäßen Gebrauch von Arzneimitteln können jedoch Gefahren für die Arbeitssicherheit entstehen, wenn durch die vielfältigen Nebenwirkungen der Präparate eine erhöhte Unfallgefahr gegeben ist.
Auf vielen Medikamenten-Beipackzetteln befindet sich deshalb folgender Hinweis:
Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Warnhinweise
Was müssen Sie im Straßenverkehr sowie bei der Arbeit mit Maschinen und bei Arbeiten ohne sicheren Halt beachten?
Dieses Arzneimittel kann auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen soweit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Dies gilt in verstärktem Maße im Zusammenwirken mit Alkohol.
Sie können dann auf unerwartete und plötzliche Ereignisse nicht mehr schnell und gezielt genug reagieren. Fahren Sie nicht Auto oder andere Fahrzeuge! Bedienen Sie keine elektrischen Werkzeuge oder Maschinen!
Arbeiten Sie nicht ohne sicheren Halt!
Beachten Sie besonders, dass Alkohol Ihre Verkehrstüchtigkeit noch weiter verschlechtert!
Arbeitssicherheit
Bei ca. 50 000 in Deutschland im Handel erhältlichen Arzneimitteln ist eine Auflistung, welche hiervon alleine oder als Kombinationspräparate eine Gefahr für die Arbeitssicherheit darstellen, nicht möglich.
Informationen zu diesem Thema und zu anderen Suchtmitteln enthält das von der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren herausgegebene „Jahrbuch Sucht“.
Insbesondere bei gefahrgeneigten Tätigkeiten sollte mit der verordnenden Ärztin/dem verordnenden Arzt besprochen werden, ob das Medikament negative Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit hat. Sollte die Ärztin/der Arzt den Arbeitsplatz für eine entsprechende Beurteilung nicht ausreichend bewerten können, so sollte hier Kontakt mit der Betriebsärztin/dem Betriebsarzt aufgenommen werden.
Da auch bei Einnahme rezeptfreier Arzneimittel negative Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit nicht ausgeschlossen sind, sollte auch insbesondere bei gefahrgeneigten Tätigkeiten Rücksprache mit dem Hausarzt/der Hausärztin oder dem Betriebsarzt/der Betriebsärztin gehalten werden.
Alkohol kann unerwünschte Medikamentennebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Benommenheit, Unruhe, Sehstörungen usw. verstärken. Aus Gründen der Arbeitssicherheit ist daher ein absolutes Alkoholverbot zumindest in den Betrieben zwingend, in denen es gefahrgeneigte Tätigkeiten gibt. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Akzeptanz sollte in solchen Betrieben das Verbot für den gesamten Betrieb gelten, also auch für die „ungefährlichen“ Büroarbeitsbereiche.
Unerwünschte Nebenwirkungen
Aber nicht nur Alkohol oder andere berauschende Drogen potenzieren teilweise die Nebenwirkung von Medikamenten: auch koffeinhaltige Getränke wie Kaffee oder Cola können entsprechende Nebenwirkungen verstärken, wie ein Urteil des Landgerichtes Freiburg vom 02.08.2006, (Aktenzeichen: –7 NS 550 JS 179/05-AK 38/06-) zeigt. Im vorliegenden Fall führte die Einnahme eines Appetitzüglers und zeitgleich großer Mengen koffeinhaltiger Getränke zu einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit (Siehe im Internet unter:
Die wesentliche Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit ergibt sich durch eine Verminderung der Reaktionsfähigkeit, durch eine Verschlechterung der Sehfähigkeit und durch nervöse Nebenwirkungen, wie sie bei der Einnahme von koffeinhaltigen Schmerzmitteln und Appetitzüglern beobachtet werden.
Aber auch Nebenwirkungen wie erhöhte Blendfähigkeit, Gesichtsfeldeinschränkungen, Reduzierung des Hörvermögens und Gleichgewichtsstörungen mindern die Arbeitsfähigkeit und führen zu einer Häufung von Unfallrisiken.
So sind zum Beispiel für ein weit verbreitetes Schmerzmittel u. a. folgende Nebenwirkungen beschrieben: „Bei länger dauernder oder chronischer Anwendung können zentralnervöse Störungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Ohrensausen, Sehstörungen oder Schläfrigkeit … auftreten.“
Wo liegt die besondere Gefährlichkeit aus Sicht der Arbeitssicherheit?
Eine besondere Gefahr beim missbräuchlichen Medikamentenkonsum aus Sicht der Arbeitssicherheit besteht darin, dass die Medikamente über einen längeren Zeitraum, in zu hoher Dosierung und/oder in Kombination mit anderen Medikamenten eingenommen werden. Naturgemäß wird ein missbräuchlicher Medikamentenkonsum auch nicht unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt, so dass eine Abklärung, ob die berufliche Tätigkeit und das eingenommene Medikament eine Gefahr darstellen, nicht stattfindet.
Rechtslage:
Gemäß der Unfallverhütungsvorschrift (UVV) „Grundsätze der Prävention“ (GUV‑V A1/BGV A1) dürfen Versicherte sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. Dies gilt auch für die Einnahme von Medikamenten (§ 15 Abs. 2 und 3 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV‑V A1/BGV A1).
Im Bereich des Straßenverkehrsrechts kennt der § 24a Straßenverkehrsgesetz zwar ein „Arzneimittelprivileg“. Dies gilt aber nur bei bestimmungsgemäßer Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels:
§ 24a Straßenverkehrsgesetz
(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt.
(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.
(3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht.
(4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausendfünfhundert Euro geahndet werden.
Im Gegensatz zum Alkohol, bei dem bei 1,1 Promille die „absolute Fahrunsicherheit“ festgelegt ist, gibt es für Medikamentenwirkstoffe zurzeit keine Grenzwerte, ab denen generell eine Fahrunsicherheit angenommen werden kann.
Eine Straftat nach § 315c Strafgesetzbuch begeht, wer ein „berauschendes Mittel“ einnimmt oder infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder einen im §315c Strafgesetzbuch näher bezeichneten Fahrfehler macht, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden.
Das vorgenannte „Arzneimittelprivileg“ des § 24 Straßenverkehrsgesetzes kennt dieser Paragraph nicht.
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem Wegeunfall wird verneint, wenn der Unfall „wesentlich allein durch eine Medikamenteneinnahme“ begründet ist.
Interventionsmöglichkeiten
An die Gefahren durch (missbräuchliche) Medikamenteneinnahme am Arbeitsplatz wird vielfach zu wenig gedacht und die damit verbundenen Gefahren für die Arbeitssicherheit werden oftmals unterschätzt.
Im Gegensatz zum Alkoholabhängigen können Medikamentenabhängige über einen sehr langen Zeitraum ihre Sucht verheimlichen.
Medikamente verursachen keinen typischen Mundgeruch (Fahne) und anders als die „Flasche Cognac hinter dem Aktenordner“ ist die Medikamentenpackung in der Schreibtischschublade unauffällig und sozial akzeptiert. Um dieses Problem präventiv anzugehen, sollten Konzepte zur Bewältigung in den Betrieben bereitgehalten werden. Dazu gehört eine Aufklärung der Führungskräfte über die Verantwortlichkeiten, Aufklärung und Schulungsmaßnahmen der Mitarbeiter und die Bestellung von speziell geschulten Suchtbeauftragten.
Lösungen
Das Konzept zum Umgang mit medikamentensüchtigen Mitarbeitern sollte durch eine Betriebsvereinbarung auf ein allgemein verbindliches und akzeptiertes Fundament gestellt werden.
Diese Betriebsvereinbarung sollte u. a. folgende Punkte beinhalten:
- Geltungsbereich
- Zielsetzung
- Sofortige Maßnahmen gegen berauschte Mitarbeiter
- Regelungen zum Ausschank von Alkohol auf dem Betriebsgelände (z. B. bei Feiern während der Dienstzeit)
- Organisation von vorbeugenden Maßnahmen (wie Information der Belegschaft, Schulung der Vorgesetzten)
- Beseitigung von suchtfördernden Arbeitsbedingungen
- Maßnahmen und Hilfen für Beschäftigte mit Suchtproblemen
- Regeln zur Wiedereingliederung und bei einem Rückfall (z. B. Sicherung des Arbeitsplatzes nach der Therapie)
- Bildung eines niedrigschwelligen Hilfenetzwerkes für Alkohol- und Medikamentenabhängige und ihre Kollegen und Vorgesetzten z. B. durch:
• Bildung eines betrieblichen Arbeits-
kreises zur Koordinierung betriebli-
cher Regelungen
• Bestellung und Schulung von
Suchtbeauftragten/sozialen
Ansprechpartnern
• Verbindlichen Regelungen
zur Schweigepflicht
• Regelung von Streitigkeiten
Neben den Vertragsparteien (Arbeitgeber und Personalrat/Betriebsrat) sollten bei der Erstellung einer Betriebsvereinbarung Arbeitsrechtler, Suchtfachleute und die Betriebsärztin/der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit involviert werden. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit kann durch ihr spezifisches Wissen und mit Hilfe der Sicherheitsbeauftragten in der Regel sehr gut beurteilen, ob für bestimmte Arbeitsbereiche aufgrund ihrer Gefährdung besonders restriktive Regeln notwendig sind.
Wenn es sich um ärztlich verordnete Medikamente handelt, sollte auch immer die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt mit einbezogen werden.
Thomas Peters, Düsseldorf
E‑Mail: der_gab@gmx.de
Hinweise zu Interventionsstrategien enthält u. a. die Praxishilfe für Personalverantwortliche „Substanzbezogene Störungen am Arbeitsplatz“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e. V., Westenwall 4, 59065 Hamm
Tel.: 02381/9015–0 • Fax: 02381/901530 • info@dhs.de • www.dhs.de
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