Karsten Köchling
Carl Ferdinand von Stumm-Halberg (1836 – 1901) – was macht diesen Mann für die historische Betrachtung des Arbeitsschutzes und für die heutige Zeit so wichtig? Diese Frage wird vor allem im Südwesten Deutschlands häufig gestellt. Auch wenn der Industrielle, der zugleich Politiker war, im gesamten Land besonderen Einfluss auf den Arbeitsschutz ausübte. Die Arbeit erläutert seine Tätigkeiten im Kontext der damaligen Zeit und der gesellschaftlichen Entwicklung.
Der Arbeitsschutz, wie er heute praktiziert wird, hat seine historischen Wurzeln in der Industriealisierung des 19. Jahrhunderts. Vor dieser Zeit gab es kaum verbindliche Richtlinien und Regeln zum Schutz der Beschäftigten. Der Arbeitsschutz, der existierte, war freiwilliger Natur und nötig um die Arbeitskraft und den Arbeitswillen der Arbeiter zumindest für eine Weile zu erhalten.
Kinderarbeit war bereits vor der Industriealisierung selbstverständlich, nahm aber in einer Größenordnung zu, dass das erste „moderne“ Arbeitsschutzgesetz 1839 in Preußen zum Schutz der Kinder (unter 9 bzw. 12 Jahren!) durch Arbeitsbelastungen erlassen wurde. Es spricht für diese Zeit, dass genanntes Gesetz in erster Linie dazu diente, die Kinder für den späteren Militärdienst tauglich zu halten. Neben der Kinderarbeit bestand ein weiteres Problem in der damaligen Gesellschaft: der Pauperismus, die sogenannte Massenarmut. Diese wurde u.a. durch niedrige Löhne, schlechte soziale Absicherung und in diesem Zusammenhang mangelnden Arbeitsschutz hervorgerufen. Kam der Hauptverdiener einer Familie ums Leben, war die Existenz dieser stark gefährdet.
Erste Fortschritte
Staatlich genormte Armenfürsorge war bis dato unbekannt und die existierende Unterstützung beruhte größtenteils auf Freiwilligkeit (kirchliche Almosen). Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich dies und die politische Führung erkannte, dass sie sich den Problemen der sozialen Frage annehmen muss. So wurden anfänglich Fortschritte in der Armenfürsorge wie beispielsweise die Einführung des Elberfelder Systems gemacht. Desweiteren wurden im Folgenden soziale Errungenschaften wie die gesetzliche Unfall- oder Krankenversicherung gegründet, die die Situation der Arbeiter spürbar verbesserte. Stumm-Halberg, der zu dieser Zeit u.a. im Reichstag, im preußischen Herrenhaus und in diversen Industrieverbänden aktiv war, spielte bei den arbeitsschutzpolitischen Entscheidungen, die sich auf ganz Deutschland auswirkten, eine nicht unwesentliche Rolle. Er verband sein Wissen aus den Erfahrungen, die er als initiativer Eisenwerksbesitzer sammeln konnte, mit der Möglichkeit der politischen Einflussnahme.
Disziplin und Gehorsam
Eine seiner Erkenntnisse war, dass ein gesunder, ausgebildeter und motivierter Arbeiter produktiver war als ein Kranker oder noch in der Anlernphase Befindlicher. Zusätzlich zu dieser Erkenntnis kam sein Selbstverständnis als gläubiger Christ und Patriarch, der in seiner Belegschaft eine Art Familie sah, der er als Vaterfigur unangefochten vorstand. Er forderte deshalb unbedingten Gehorsam und Disziplin, was seiner Ansicht nach den Arbeits- und Gesundheitsschutz förderte. Er setzte sich zudem für das Verbot der Sonntags- und Frauenarbeit ein.
Die gesetzliche Reglementierung der Arbeitszeit sah er als nötig an, damit Arbeiter gesund bleiben und nicht Gefahr laufen, zu sehr ausgebeutet zu werden. Trotzdem wollte er keine pauschale Arbeitszeitbegrenzung einführen, damit Arbeitnehmer, die auf Doppelschichten angewiesen waren, auch weiterhin ihre Familie ernähren konnten. Neben der Arbeitszeitbegrenzung führte Stumm-Halberg diverse Sozialleistungen ein, die einerseits seine Belegschaft ans Werk banden, andererseits aber auch direkten Einfluss auf die Gesundheit der Arbeiter sowie auf die Lebensbedingungen der Belegschaftsfamilien hatten, wie z.B. kostenlose Badeanstalten, subventioniertes Essen in Kantinen, kostenlose Werkschulen und Kindergärten bis hin zu eigenen Werkskrankenhäusern. Interessant ist, dass er alle Forderungen, die er politisch im Bereich der Sozialpolitik durchsetzen wollte, vorher in seiner Firma ausprobierte. So überrascht es nicht, dass Anfang des 20. Jahrhunderts die meisten seiner Fürsorgeeinrichtungen das Leistungsspektrum der staatlichen Pflichtversicherungen übertrafen bzw. ergänzten.
Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass Carl Ferdinand von Stumm-Halberg ein Kind seiner Zeit war. Die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Hüttenwerken unterschieden sich zum Zeitpunkt seines Todes (1901) kaum noch. Dies kann einerseits auf die politischen Vorgaben zurückgeführt werden, wie die Einführung der Berufsgenossenschaften. Andererseits waren gute Arbeiter das Kapital der Firmen und mussten – damit sie nicht zur Konkurrenz wechselten – an die Werke gebunden werden. Was Stumm-Halberg von anderen Industriellen dieser Zeit unterschied, war, dass er sich politisch für seine Interessen, zu denen auch der Schutz der Arbeiterschaft zählte, eingesetzt hat. Durch diese Einflussnahme wurden seine Ansichten teilweise umgesetzt und verpflichtend für alle Unternehmen in ganz Deutschland. Einige dieser Gesetze und Verordnungen haben sogar in modifizierter Form bis in die heutige Zeit überdauert.
Diese Thematik wurde im Rahmen einer Bachelorarbeit im FG Sicherheitstechnik/Arbeitssicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal näher beleuchtet. Die Auseinandersetzung mit der Historie des Arbeitsschutzes in Deutschland trägt u.a. zum besseren Verständnis der bestehenden Regelungsstruktur im dualen Arbeitsschutz-System bei.
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