In der Praxis herrscht bei Führungskräften und selbst bei verantwortlichen Elektrofachkräften große Unsicherheit, unter welchen Umständen Mitarbeiter – mit oder ohne absolvierte Elektro-Ausbildung – als Elektrofachkraft einzustufen sind. Beim Thema Erlangung und Erhalt der Fachkunde im Bereich der Elektrotechnik gibt es verschiedenste Aspekte, die beachtet werden sollten, wenn man eine möglichst rechtssichere Betriebsorganisation anstrebt. Die Diskussion wird in den Betrieben häufig nur an der Oberfläche geführt, elektrotechnische Fachbegriffe werden unscharf verwendet und verschiedenste Aspekte häufig in einen Topf geworfen.
Irrtümer zum Thema Elektrofachkraft-Qualifikation
- „Der Mitarbeiter hat doch mal Starkstromelektriker gelernt, der muss das doch können!“
- „Jeder Mitarbeiter mit elektrotechnischer Berufsausbildung ist grundsätzlich Elektrofachkraft!“
- „Ein Mitarbeiter ohne elektrotechnische Berufsausbildung im klassischen Sinne kann nie Elektrofachkraft sein!“
- „Mitarbeiter mit Ausbildungsberufen wie Mechatroniker, Fernmeldetechniker oder Mess- und Regeltechniker können den Elektrofachkraftstatus nicht erreichen!“
- „Es ist unnötig Elektrofachkräfte schriftlich zu bestellen, die haben ihren Beruf doch gelernt und sind somit Elektrofachkräfte!“
- „Unsere Mitarbeiter im Elektrobereich sind so qualifiziert, dass jeder Mitarbeiter alle vorkommenden elektrotechnischen Tätigkeiten verrichten und mögliche Gefahren erkennen kann!“
Die inhaltlichen Aussagen der „Hitliste der Irrtümer“ werden bei dem einen oder anderen Leser zu spontaner Ablehnung (wünschenswert…) oder zu spontaner Zustimmung (nicht wünschenswert…) führen. Insbesondere Letztere sollten unbedingt weiterlesen.
Ursprung des Begriffs Elektrofachkraft
Der Begriff „Elektrofachkraft“ entspringt unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Quellen. Hier sei zuerst das Vorschriftenwerk des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) e.V. genannt, das den Begriff mehrfach in verschiedenen Bestimmungen gleichlautend definiert. Hier wurde die Notwendigkeit gesehen, dass (gefahrgeneigte) Tätigkeiten in der Elektrotechnik, die bei Errichtung, Betrieb, Instandhaltung etc. von elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln vorkommen, speziellen Fachkräften vorbehalten sein sollen. Auch die gesetzliche Unfallversicherung in Form von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen hat diese Notwendigkeit gesehen und daher in ihr Vorschriftenwerk[1] „DGUV-Vorschrift 3 bzw. 4 – früher: BGV A3/GUV‑V A3 – Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ eine gleichlautende Forderung nebst Definition aufgenommen.[2]
Quellen der Elektrofachkraft-Definition
Nachfolgend sind die wichtigsten Vorschriften, die die „Elektrofachkraft-Definition“ seit vielen Jahren nennen, aufgeführt:[3]
- IEC 61140 / VDE 0140–1 (November 2016)
- EN 50110–1 / DIN VDE 0105–100 (Oktober 2015)
- DIN VDE 1000-10 (Januar 2009)
- DGUV-Vorschrift 3 (Januar 1997)
- DGUV-Vorschrift 4 (Januar 1997) (für den Bereich der Unfallkassen)
- DGUV-Regel 103–011 (Januar 2006)
Sowohl die Unfallversicherer als auch der private Normengeber im Bereich der Elektrotechnik sahen es als notwendig und wichtig an, nicht zuletzt im Kontext eines immer stärker liberalisierten europäischen Marktes auf die Bedeutung einer elektrotechnischen Fachausbildung in ihren jeweils zentralen Werken hinzuweisen.
Definition des Begriffs Elektrofachkraft
Obwohl die Definition der Elektrofachkraft eigentlich als bekannt vorausgesetzt werden sollte, wird sie im Folgenden noch einmal kurz vorgestellt: Gemäß § 2 Absatz 3 der Unfallverhütungsvorschrift DGUV-Vorschrift 3 bzw. 4 gilt – seit dem Jahr 1979 – als Elektrofachkraft, wer auf Grund seiner
- fachlichen Ausbildung,
- Kenntnisse und Erfahrungen sowie
- Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen[4]
die ihm übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen kann. Dieser seit Jahrzehnten bekannte „Dreiklang“ aus theoretischer und praktischer Qualifikation zuzüglich der Kenntnis des Regelwerks für das übertragene Arbeitsgebiet stellt die „Messlatte“ für die Qualifikation der Elektrofachkraft dar.
Die Definition geht davon aus, dass die Qualifikation im Regelfall auf dem erfolgreichen Abschluss einer einschlägigen Ausbildung oder eines Studiums der Elektrotechnik gründet. Es wird aber in den Durchführungsanweisungen bzw. Hinweisen zum Vorschriftenwerk auch deutlich gemacht, dass es – quasi im Sinne einer Öffnungsklausel – möglich ist, zur Beurteilung der fachlichen Ausbildung auch eine mehrjährige Tätigkeit auf dem betreffenden Arbeitsgebiet heranzuziehen.[5] Um die Öffnungsklausel sinnvoll anwenden zu können, muss der Fokus auf einer „mehrjährigen Tätigkeit“ im „betreffenden Arbeitsgebiet“ liegen. Zudem sollte die Befähigung eines derart an das Tätigkeitsfeld herangeführten Mitarbeiters in Theorie und Praxis überprüft und dokumentiert werden. Damit wird deutlich, dass ein Schlosser, der dem Elektriker mal zwei Wochen über die Schulter geschaut oder einen E‑Technik-Crashkurs besucht hat, noch lange keine Elektrofachkraft ist.
Es gibt eine Vielfalt an Berufen, die in den Bereich der Elektrotechnik fallen. Wann im Einzelfall die erforderlichen Kenntnisse für die Aufgaben, die in dem jeweiligen Unternehmen, an eine Elektrofachkraft gestellt werden, damit bewerkstelligt sind, kann nicht global beantwortet werden. Hier muss der Unternehmer nach entsprechenden Überprüfungen im Rahmen seiner Auswahlverantwortung eine individuelle Entscheidung treffen.
Angewandte Bedeutung des Begriffs Elektrofachkraft
Der Begriff „Elektrofachkraft“ ist zu allererst von einer Fach- oder Abschlussbezeichnung abzugrenzen, wie sie durch eine Berufs- oder höhere Schulausbildung erworben werden kann. Solche Abschlüsse werden in der Regel nach dem Durchlaufen einer Ausbildung und dem Nachweis der Fähig- und Fertigkeiten in einem Prüfungsverfahren erworben und in einem Abschlusszertifikat dokumentiert. Dieses Abschlusszertifikat in Form eines Gesellen‑, Facharbeiter- oder Meisterbriefes testiert dann zunächst lediglich, dass man einen Berufsabschluss erreicht hat, analog gilt das Gleiche für Studienabschlüsse, Techniker- Ingenieur‑, Bachelor- oder Masterabschlüsse. Sie dokumentieren das erfolgreiche Ende einer Fach- oder Hochschulausbildung.
Keine Abschlussbezeichnung, sondern Qualifikationsstatus
Elektrofachkraft ist jedoch keine solche Abschlussbezeichnung, sondern ein „Qualifikationsstatus“, der nach dem eigentlichen Ausbildungsabschluss erworben werden muss und unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder verloren gehen kann. Insofern kann man die Bezeichnung mit einer Personalzertifizierung vergleichen, die nach einer bestimmten Zeit abläuft bzw. neu erworben werden muss.
Die oben genannten Schul- und Berufsausbildungsabschlüsse sind sozusagen nur die „Eintrittskarte“ in den Job. Die Qualifikation zur Elektrofachkraft vollzieht sich dann im Laufe einer mehr oder weniger langen Einarbeitungszeit vor Ort im Unternehmen. Zur Dokumentation der Einarbeitung bietet sich ein Praxispass an, in den die ausgeführten Tätigkeiten schriftlich eingetragen werden.[6] Hier arbeitet die zukünftige Elektrofachkraft dann unter der fachlichen Leitung von übergeordneten (verantwortlichen) Elektrofachkräften.
Individuelle Beurteilung erforderlich
Nach Unfallverhütungsvorschrift DGUV-Vorschrift 3 bzw. 4 § 3 hat der Unternehmer dafür zu sorgen, dass seine elektrischen Geräte, Maschinen und Anlagen durch oder unter Aufsicht von Elektrofachkräften instand gehalten werden. Für die Tätigkeiten in den elektrotechnischen Betriebsteilen sind daher Elektrofachkräfte einzusetzen. Da es keine „Berufsausbildung zur Elektrofachkraft“ gibt und sich dieser Berufsstatus aus mehreren Teilaspekten entsprechend der Norm DIN VDE 1000-10:2009 Kap. 3.1[7] zusammensetzt, ist die Qualifikation durch die zuständige verantwortliche Elektrofachkraft oder den nächsthöheren fachlichen Vorgesetzten zu beurteilen. Dabei sollte sie in alle Aufgaben eingeführt werden, die künftig in ihrem Arbeitsbereich anfallen. Die Anforderung „Kenntnisse und Erfahrungen“ vorweisen zu können, wird so erfüllt.
Schriftliche Bestellung
Über das Ergebnis der fachlichen und persönlichen Beurteilung empfiehlt es sich, ein kurzes Dokument[8] anzufertigen. Die Bestellung[9] zur Elektrofachkraft sollte in einer Bestellungsurkunde dokumentiert werden. Für beide Dokumente gibt es keine gesetzlichen oder normativen Vorgaben bezüglich des Inhalts. Aus Gründen der Beweissicherung gibt es jedoch kein besseres Mittel als die schriftliche Aufgabenübertragung in Form einer Bestellung. Einerseits dokumentiert der Arbeitgeber bzw. der Unternehmer seine Auswahlverantwortung in Bezug auf die Anforderungskriterien. Andererseits gibt man dem Mitarbeiter durch Aushändigung der Bestellung zu verstehen, dass er eine wichtige Rolle zur Gewährleistung der elektrotechnischen Sicherheit wahrnimmt. Es nützt nichts, wenn sich der Arbeitgeber „im stillen Kämmerlein“ der Illusion hingibt, seine Mitarbeiter seien Elektrofachkräfte, ohne dass Letztere dieses überhaupt wissen – oder umgekehrt.
Fachliche und persönliche Eignung von Bedeutung
Ziel der Vorgaben und Normen ist eine Risikominimierung aufgrund der fachlichen Qualifikation der tätigen Personen. Eine persönliche Eignung der zu bestellenden Person ist in der Regel nicht ausdrücklich als wichtiges Kriterium in der Norm erwähnt, sollte aber in den meisten Fällen gleichgewichtet berücksichtigt werden. Das immer weitere Vordringen der Elektrotechnik in alle Bereiche macht es erforderlich eine im besonderen Maße qualifizierte Elektrofachkraft einzusetzen.
Risikominimierung durch Qualifikation
Die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse allein reichen hier für viele Tätigkeiten nicht aus. Hier sind Spezialkenntnisse notwendig, um die Gefahren und deren Abwendung auf dem Stand der Technik einzuschätzen und bewältigen zu können. Dies kann nur durch geeignete Weiterbildungsmaßnahmen in Theorie und Praxis erreicht werden. Als Beispiel wären Spezialausbildungen für Schaltberechtigung von Hochspannungen, Arbeiten unter Spannung oder Prüfungen von elektrischen Anlagen und Arbeitsmitteln zu nennen. Mit der steigenden fachlichen Anforderung und/oder der steigenden Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere von Gefährdungen steigen auch zwingend die Anforderungen an die persönliche Eignung des Mitarbeiters.
Ergänzend muss erwähnt werden, dass es, bedingt durch die Breite und Tiefe der heutigen elektrotechnischen Aufgabenstellungen, unmöglich ist, eine umfassend ausgebildete Elektrofachkraft zu sein. Jede Elektrofachkraft kann demnach nur für ihren aktuellen Arbeitsbereich, indem sie die Qualifikationsanforderungen erfüllt, als Fachkraft gelten.
Organisations- und Auswahlpflichten des Arbeitgebers
Der Inhaber eines Unternehmens haftet dann unmittelbar, wenn er es in vorwerfbarer Weise unterlassen hat, Betriebsvorgänge so zu organisieren, dass im Rahmen der Möglichkeiten niemand zu Schaden kommt. Ein Organisationsmangel liegt auch dann vor, wenn für eine bestimmte Aufgabe beispielsweise niemand vorgesehen ist oder wenn die Zahl der Sachkundigen zu gering bemessen wird, so dass im Einzelfall auch unerfahrene Personen mitwirken müssen. Die Anspruchsgrundlage ist im § 823 BGB zu sehen. Bei arbeitsteiligen Unternehmen (insbesondere Kapitalgesellschaften) werden über den § 31 BGB neben den „verfassungsmäßigen Vertretern“ (Vorstand, Geschäftsführer) auch Angestellte der mittleren Führungsebenen, die Handlungsvollmacht haben, erfasst.[10]
Hier kommt die Auswahlverantwortung von dem Unternehmer bzw. Arbeitgeber oder einer von ihm bestellten verantwortlichen Elektrofachkraft zum Tragen; hier sprechen Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) wie auch die DGUV-Vorschrift 1 eine klare Sprache.
Auswahl geeigneter Mitarbeiter gefordert
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Unternehmer ausdrücklich nur geeignete Mitarbeiter mit einer Aufgabe zu betrauen. So heißt es im § 7 „Übertragung von Aufgaben“ im ArbSchG:
- „Bei der Übertragung von Aufgaben auf Beschäftigte hat der Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten zu berücksichtigen, ob die Beschäftigten befähigt sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten.“
§ 9 ArbSchG führt dann bezüglich „besonderer Gefahren“ weiter aus:
- „(1) Der Arbeitgeber hat Maßnahmen zu treffen, damit nur Beschäftigte Zugang zu besonders gefährlichen Arbeitsbereichen haben, die zuvor geeignete Anweisungen erhalten haben.
- (2) Der Arbeitgeber hat Vorkehrungen zu treffen, dass alle Beschäftigten, die einer unmittelbaren erheblichen Gefahr ausgesetzt sind oder sein können, möglichst frühzeitig über diese Gefahr und die getroffenen oder zu treffenden Schutzmaßnahmen unterrichtet sind. Bei unmittelbarer erheblicher Gefahr für die eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer Personen müssen die Beschäftigten die geeigneten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Schadensbegrenzung selbst treffen können, wenn der zuständige Vorgesetzte nicht erreichbar ist; dabei sind die Kenntnisse der Beschäftigten und die vorhandenen technischen Mittel zu berücksichtigen. Den Beschäftigten dürfen aus ihrem Handeln keine Nachteile entstehen, es sei denn, sie haben vorsätzlich oder grob fahrlässig ungeeignete Maßnahmen getroffen.“
Leider zeigt es sich sehr häufig in der Praxis, dass diese Auswahlverantwortung auf die leichte Schulter genommen wird. Das geht so lange gut bis es zu einem Unfall kommt. Letztlich organisiert man nämlich sowohl für sich selbst, für den unterstellten Mitarbeiter und nicht zuletzt für die Gerichtsbarkeit.
Organisation des Elektrobereichs
Eine Elektrofachkraft kann nicht im „luftleeren“ Raum, das heißt ohne jegliche Anleitung arbeiten. Wer gibt ihr Aufträge und Weisungen? Wer unterrichtet über Neuerungen und Gefahren? Werden in einem Unternehmen Elektrofachkräfte beschäftigt, besitzt dieses Unternehmen zweifelsohne einen elektrotechnischen Betriebsteil – und sei er noch so klein (z.B. der Instandhaltungswerkstatt zugeordnete Elektriker). Wird bejaht, dass elektrotechnische Arbeiten anfallen und man deshalb nach DGUV-Vorschrift 3 bzw. 4 Elektrofachkräfte einsetzen muss, liegt ein solcher elektrotechnischer Betriebsteil vor. Wird nun arbeitsteilig – das heißt durch Interaktion von mehreren Mitarbeitern – gearbeitet, benötigt man eine Organisation mit Strukturen und Regeln. Die Elektrofachkraft benötigt einen Chef, der sagt, wo es lang geht.
Natürlich kann die Elektrofachkraft durch entsprechende Ausbildung[11] diese Funktion auch in Personalunion übernehmen. Jedoch wird man für weniger komplexe elektrotechnische Arbeiten nicht den Ingenieur beschäftigen und bezahlen wollen. Es muss also eingeschätzt werden, welche Arbeiten anfallen und welche Qualifikationen benötigt werden. Zur Anleitung der Elektrofachkräfte und zur verantwortlichen Leitung ist also eine Person erforderlich, die dies fachlich leisten kann. Der Unternehmer selbst ist dafür der sogenannte „geborene“ Verantwortliche. Kraft seiner Stellung obliegt ihm die Organisations- und Regelungskompetenz. Ist der Unternehmer selbst fachlich in der Lage, leitet er den elektrotechnischen Betriebsteil einfach mit. Dabei muss ihm noch nicht einmal bewusst sein, einen derartigen Betriebsteil zu besitzen. Fehlt dem Unternehmer die fachliche Qualifikation für den Elektrobereich, ist er trotzdem dafür verantwortlich. Hier muss er allerdings die fachlichen Defizite erkennen und ist verpflichtet zu handeln (Stichwort: Organisationsverschulden).
Eine Person mit der erforderlichen fachlichen Qualifikation muss an seiner Stelle die verantwortliche Leitung der Elektrotechnik übernehmen: die verantwortliche Elektrofachkraft. Diese wird ausgewählt und schriftlich bestellt. Sie nimmt als sogenannter „gekorener“ Verantwortlicher die Aufgaben des Unternehmers für den elektrotechnischen Betriebsteil wahr.[12] Insbesondere obliegt der verantwortlichen Elektrofachkraft die Organisation‑, Auswahl- und Kontrollverantwortung im elektrotechnischen Betriebsteil. Da es nicht selten einen Widerstreit zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheitsanforderungen gibt, wird die verantwortliche Elektrofachkraft auf dem Gebiet der Elektrotechnik weisungsfrei gestellt, das heißt ein disziplinarischer Vorgesetzter, der elektrotechnischer Laie ist, kann und darf einer (verantwortlichen) Elektrofachkraft keinerlei Weisungen auf dem Fachgebiet der Elektrotechnik erteilen.
In welcher Form die Organisation des Elektrobereichs erfolgt, ist für deren Aufgabenerledigung ohne Belang: „Je nach Anforderungen und Größe des Unternehmens können von sehr einfachen Strukturen bis hin zu sehr komplexen Organisationsformen alle Varianten angetroffen werden. Von besonderer Wichtigkeit für alle Varianten ist dabei, dass die Verantwortlichkeiten nicht nur „auf dem Papier„ übertragen wurden, sondern in der täglichen Praxis auch so ‚gelebt‘ und umgesetzt werden und die fachlich verantwortlichen Personen mit den für die Aufgabenerledigung notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden.“
Wann gilt ein Mitarbeiter als Elektrofachkraft?
Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, dass man nicht automatisch durch den Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiengangs die Qualifikation einer Elektrofachkraft besitzt. Man muss in der Regel zunächst Praxiserfahrung und Vorschriftenkenntnis auf dem übertragenen Aufgabengebiet sammeln, um anschließend als Elektrofachkraft zu gelten. Für neue Mitarbeiter in einem Unternehmen gilt übrigens das gleiche: Erst nach erfolgreicher Einarbeitung in das neue Aufgabengebiet können sie als Elektrofachkräfte angesehen werden.
Die Dauer von Einarbeitungsphasen hängt in der Praxis neben anderen Randbedingungen wesentlich von der Komplexität des Aufgabengebiets sowie von den Fähigkeiten und der Motivation des einzuarbeitenden Mitarbeiters ab. Von Unternehmen werden in der Praxis häufig Zeiträume genannt, die zwischen sechs und 24 Monaten variieren. In Einzelfällen können sehr gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter (im Sinne einer abgestuften Freigabe) für bestimmte Tätigkeiten, für die die praktische Einarbeitung bereits abgeschlossen ist, auch schon früher als Elektrofachkraft eingesetzt werden. Eine gute betriebliche Praxis ist es in diesem Zusammenhang auch, neue Mitarbeiter im elektrotechnischen Betriebsteil nach dem Abschluss der dokumentierten Einarbeitungsphase schriftlich zur Elektrofachkraft für ihr konkretes Arbeitsgebiet zu bestellen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Mitarbeiter ab dem Moment als Elektrofachkraft gilt, zu dem es ihm der Arbeitgeber/Unternehmer anhand der drei Kriterien („Dreiklang“) bescheinigt. Die Verantwortung der Bestellung und des richtigen Bestellzeitpunktes nimmt dem Arbeitgeber – oder bei entsprechender Delegation dem fachlichen Vorgesetzten – niemand ab; es gibt auch kein fertiges „Kochrezept“. Checklisten sind ebenso nur begrenzt einsetzbar und dürfen nicht den gesunden Menschenverstand des Bestellenden ersetzen. Ausdrücklich gewarnt sei auch vor „Papier-Elektrofachkräften“, deren Bestellungsdokument das Papier nicht Wert ist, weil hinter der „Fassade des formalen Aktes“ der schriftlichen Bestellung – ähnlich wie bei einem Potemkin’schen Dorf, das nur aus aufgestellten Hausfassaden besteht – kein Wissen oder keine Erfahrung oder keine Normenkenntnis vorzufinden ist.
Wann gilt ein Mitarbeiter nicht mehr als Elektrofachkraft?
Sowohl der Stand der Technik als auch die Normung schreiten unaufhaltsam fort. Dies bedingt eine laufende Fortbildung für die tätig werdenden Personen – sei es zu Neuerungen oder nur zum Auffrischen bereits erworbener Kenntnisse.
Die einmal erworbene Elektrofachkraft-Qualifikation kann verständlicherweise durch mangelnde Fortbildung oder durch die Ausübung fachfremder Tätigkeiten über einen bestimmten Zeitraum auch wieder verloren gehen.[13] Angesichts der Schnelllebigkeit von Technologien bedeutet dies, dass der Elektrofachkraft-Status bereits nach einem Jahr ohne Fortbildung „zu bröckeln“ beginnt.
Beide Entscheidungen, sowohl die, ab welchem Zeitpunkt ein Mitarbeiter als Elektrofachkraft zu betrachten ist, als auch die, ab wann der Mitarbeiter die Qualifikation nicht mehr besitzt, liegt alleine beim Unternehmer bzw. Arbeitgeber oder der von ihm im fachlichen Bereich beauftragten Person. Um Willkür vorzubeugen, sollten verbindliche Regelungen – in Form einer individuellen Betriebsnorm – aufgestellt werden. In schwierigen Zeiten besteht sonst die Gefahr, dass Sicherheit hinter Wirtschaftlichkeit zurücktritt.
Natürlich fällt es einer „Ex-Elektrofachkraft“ sehr viel leichter und das auch in viel kürzerer Zeit, ihren Status wiederzuerlangen, als dies einer Nicht-Elektrofachkraft auf dem Weg dorthin gelingen wird. Generell kann man noch ergänzen, dass eine abgeschlossene Ausbildung auch in einem anderen, also nicht-elektrotechnischen Bereich vermuten lässt, dass die betreffende Person generell in der Lage ist Lerninhalte, Praxisaspekte oder sicherheitsgerechtes Verhalten aufzunehmen und zu verstehen, als ein vollständig ungelernter Mitarbeiter.
Fazit
Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass sich der Arbeitgeber auch bei „ausgebildeten Elektrikern“ gehörige Gedanken um deren „Elektrofachkraft-Status“ machen sollte. Dies gehört zur guten Organisation und einer Politik des „richtigen Mitarbeiters am richtigen Ort“ einfach dazu. Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass man den Begriff der Elektrofachkraft von der Berufsausbildung entkoppeln und als Berufsstatus betrachten muss.
Allerdings muss aus Sicht der Verfasser neben den zitierten Vorschriften und Normen, die ja immer notwendigerweise Unschärfen[14] und Interpretationsspielraum bieten, auf jeden Fall der gesunde Menschenverstand eingesetzt werden, dann klärt sich ein Großteil der Fragen fast von alleine. Geht man dabei von einem anzustrebenden (hoffentlich hohen) Schutzniveau aus, wird jeder verantwortliche Leiter, ob nun selbst Arbeitgeber bzw. Unternehmer oder die verantwortliche Elektrofachkraft den individuell notwendigen Handlungsbedarf ableiten können.
Literatur und Quellen:
- [1] Auch im berufsgenossenschaftlichen Bereich wird der Begriff gleich mehrfach definiert. Neben seinem Erscheinen in der DGUV-Vorschrift 3 / DGUV-Vorschrift 4 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ in § 2 (3) wird er auch in der DGUV-Regel 103–011 „Arbeiten unter Spannung an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln“ in Abschnitt 2 Nummer 6 definiert.
- [2] Die früheren BG- und heutigen DGUV-Vorschriften finden ihre Ermächtigungsgrundlagen in § 15 SGB VII.
- [3] Die deutschen Regelwerke verwenden weitestgehend die gleiche Elektrofachkraft-Definition. Die Formulierungen in den internationalen Werken lauten anders, sind aber sehr stark sinnverwandt.
- [4] Hier sind unter dem Begriff der „einschlägigen Bestimmungen“ nicht nur der enge Begriff der DIN-Normen oder DIN-VDE-Normen zu verstehen, sondern auch Vorschriften und Bestimmungen anderer Regelsetzer.
- [5] Siehe hierzu die Ausführungen in der Durchführungsanweisung zum § 2 (3) der DGUV-Vorschrift 3.
- [6] Siehe hierzu die Beispiele im Kapitel 3 des Buchs „Anlagenbetreiber Elektrotechnik und verantwortliche Elektrofachkraft – Grundzüge und praktische Aspekte beim Aufbau einer rechtssicheren Organisationsstruktur im Bereich der Elektrotechnik nach DIN VDE 0105–100 und DIN VDE 1000–10“ (Ensmann, Euler, Eber; VDE Verlag 2016, Schriftenreihe 135, ISBN 978–3–8007–4162–5), Seite 157 ff.
- [7] Inhaltsgleich mit DIN VDE 0105–100 Kap. 3.2.3.
- [8] Siehe hierzu die Muster-Gesprächsleitfäden zur Qualifikationsüberprüfung sowie die Bestellungen im Kapitel 6 des Buchs „Anlagenbetreiber Elektrotechnik und verantwortliche Elektrofachkraft – Grundzüge und praktische Aspekte beim Aufbau einer rechtssicheren Organisationsstruktur im Bereich der Elektrotechnik nach DIN VDE 0105–100 und DIN VDE 1000–10“ (Ensmann, Euler, Eber; VDE Verlag 2016, Schriftenreihe 135, ISBN 978–3–8007–4162–5).
- [9] Zum Thema der schriftlichen Bestellung haben die Verfasser ein separates Dokument erarbeitet.
- [10] Siehe hierzu auch Däubler, Wolfgang – BGB kompakt, dtv 2008 – S. 980.
- [11] Wie in DIN VDE 1000-10 Kap. 5.3 i. V. m. Kap. 5.2 beschrieben.
- [12] siehe auch Kapitel 3.7.6 des Buches „Verantwortung und Haftung in der Elektrotechnik“ (Markus Klar, Hüthig-Verlag 2016 ISBN 978–3‑8101–0376‑5) Seite 93 f
- [13] Siehe DIN VDE 1000-10:2009–01 Anhang A (Erläuterung zu 5.2).
- [14] Dies darf nicht als Unrichtigkeiten verstanden werden. Vielmehr soll eine Vorschrift oder Norm eine Vielzahl von Lebenssachverhalten erfassen und „unter einen Hut“ bringen. Hier ist also zwangsläufig ein höherer Abstraktionsgrad zugrunde zu legen.
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