Am 1. Dezember 2010 ist die Neufassung der Gefahrstoffverordnung in Kraft getreten [1]. Sie löste die Verordnung vom 23.12.2004 (GefStoffV 2005) ab. Schwerpunkt dieser Novelle ist die Anpassung an die Vorgaben der REACH-Verordnung und der Europäischen CLP-Verordnung (GHS). Der folgende Grundlagenbeitrag beschreibt Hintergründe und bietet viele Ratschläge für die Praxis.
Dr. Ulrich Welzbacher
Grundsätzliche Aspekte
Der Änderungsbedarf betrifft vor allem die Bestimmungen der Abschnitte 2 bis 5 der Verordnung. Der bisherige Anhang IV muss bis auf wenige rein nationale Einträge gestrichen werden, weil die Verwendungsbeschränkungen und ‑verbote nach Anhang XVII der REACH-Verordnung [2] nunmehr unmittelbar geltendes Recht sind. Ferner wurde 2008 das Chemikaliengesetz auf Grund von REACH geändert [3], was ebenfalls eine Anpassung der Verordnung erforderlich machte.
Insbesondere die am 20. Januar 2009 in Kraft getretene EG-CLP-Verordnung (GHS) [4] macht wesentliche Änderungen der GefStoffV erforderlich. Hiervon sind vor allem die Abschnitte 2 bis 4 sowie der bisherige Anhang II betroffen. Allerdings bezieht sich auch die neue Verordnung weitgehend noch auf die bisherigen EG-Richtlinien (Stoffrichtlinie 67/548/EWG [5] und Zubereitungsrichtlinie 1999/45/ EG) [6], obwohl Stoffe seit dem 1. Dezember 2010 nur noch nach GHS gekennzeichnet werden. In der Praxis dürfte sich dieses Problem aber dadurch relativieren, dass dort meist Gemische verwendet werden. Und in den Sicherheitsdatenblättern von Gemischen muss bis zum 1. Juni 2015 noch die Einstufung und Kennzeichnung nach bisherigem Recht angegeben werden.
Weitere Anpassungen erforderlich
Die Anpassung der Gefahrstoffverordnung an das aktuelle EU-Recht wird sich in zwei Schritten vollziehen:
- Mit der jetzt vorliegenden Neufassung der GefStoffV soll eine funktionierende Rechtsgrundlage bis zum Ablauf aller Übergangsfristen der EG-CLP-Verordnung [4] zum 1. Juni 2015 geschaffen werden, die sowohl für das alte als auch für das neue Einstufungs- und Kennzeichnungssystem geeignet ist. Dazu soll sie sich übergangsweise weiter auf der Einstufung nach dem alten EU-System gründen, das neue System (EG-CLP-Verordnung) zugleich aber zulassen und seine Einführung erleichtern.
- Spätestens zum 1. Juni 2015 muss die Verordnung erneut geändert werden, wobei dann alle Regelungen und Bezugnahmen auf das bisherige EG-Recht gestrichen werden müssen.
Eine Änderung der Verordnung schon zum jetzigen Zeitpunkt war allerdings notwendig, weil die Regelungen der EG-CLP-Verordnung bereits von der Wirtschaft angewendet werden dürfen und hiervon bei Ex- und Import auch Gebrauch gemacht wird.
Bisheriges Schutzstufenkonzept nicht (mehr) EG-verträglich
Die mit der EG-CLP-Verordnung verbundenen Änderungen im Einstufungs- und Kennzeichnungssystem der EG sind mit dem bisherigen Schutzstufenkonzept der GefStoffV von 2005 [7] nicht verträglich und würden zu erheblichen Problemen bei der Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen führen. Die bisherige enge Bindung der Schutzstufen an die Kennzeichnung funktioniert nur mit dem alten EG-System, das auf die EG-Gefahrstoffrichtlinie 67/548/EWG [5] ausgerichtet ist. Für eine reibungslose Integration des neuen Kennzeichnungssystems in den betrieblichen Arbeitsschutz muss daher die bisherige enge Kopplung der Schutzstufen an die Kennzeichnung aufgehoben werden. Die Schutzstufen werden zukünftig dementsprechend anders definiert, wobei der Begriff „Schutzstufe“ allerdings in der Verordnung nicht mehr vorkommt.
Grundgedanke bei der Erstellung der GefStoffV 2005 war die Anbindung von Schutzmaßnahmenpaketen an die Kennzeichnung der Gefahrstoffe als Einstiegshilfe für die Gefährdungsbeurteilung. Es wurde danach differenziert, ob ein Gefahrstoff mit dem Totenkopfsymbol gekennzeichnet ist oder nicht. Mit dem Totenkopfsymbol waren nach dem bisherigen Kennzeichnungssystem giftige, sehr giftige, krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende (CMR; Kategorien 1 und 2) Stoffe und Zubereitungen gekennzeichnet. Dem Arbeitgeber stand damit ein einfaches und unmittelbar erkennbares Kriterium zur Verfügung um festzustellen, welche Maßnahmen mindestens anzuwenden sind.
Dieses einfache Konzept kann unter der EG-CLP-Verordnung nicht aufrecht erhalten werden. Nach dem neuen System werden nur noch akut toxische Stoffe der CLP-Kategorien 1, 2 und 3 mit dem Totenkopfsymbol gekennzeichnet. CMR-Stoffe erhalten das CLP-„Korpussymbol“ – und zwar auch die CMR-Verdachtsstoffe. Ferner findet das CLP-„Korpussymbol“ auch bei anderen Gefahreneigenschaften Anwendung, nämlich bei
- Atemwegssensibilisierung,
- Aspirationsgefahr und
- Zielorgantoxizität.
Somit geht die Einfachheit und Klarheit des Systems, die ja die Hauptgründe für seine Einführung waren, unter der EG-CLP-Verordnung verloren.
Allerdings gab es auch Schwierigkeiten bei der Anwendung des bisherigen Schutzstufenkonzepts, wenn mit dem Einstieg in die Gefährdungsbeurteilung über die Kennzeichnung die Orientierung am Ausmaß der Gefährdung nicht ausreichend beachtet wurde, wie dies die Gefahrstoffverordnung eigentlich fordert. Nicht bei jeder Tätigkeit mit einem „Totenkopf-Stoff“ muss auch eine hohe Gefährdung der Beschäftigten vorliegen. Andererseits kann umgekehrt bei Tätigkeiten mit Stoffen, die diese Kennzeichnung nicht tragen, die Gefährdung dennoch hoch sein. Dies hat in der Vergangenheit häufig zu Fehlinterpretationen geführt.
Das neue Schutzstufenkonzept
Ergebnis der Diskussionen im Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) zu dieser Problematik war der Vorschlag für eine stärkere Differenzierung zwischen
- den im Arbeitsschutz allgemein gültigen Grundpflichten der Arbeitgeber einerseits und
- am Ausmaß der Gefährdung orientierten Schutzmaßnahmen andererseits.
Die Schutzmaßnahmenpakete bauen wie bisher aufeinander auf, beziehen sich aber nicht mehr unmittelbar auf die Kennzeichnung. Dadurch werden sie zum einen unabhängig von fortlaufenden Änderungen des GHS-Systems, die auf UN-Ebene erfolgen [8], zum anderen bieten sie dem Arbeitgeber einen gut strukturierten Rahmen für die Anwendung der Verordnung.
Weitere praxisorientierte Vorschläge zur Anpassung der Verordnung vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS), den Vollzugsbehörden der Länder und den Unfallversicherungsträger wurden bei der Ausarbeitung der Verordnung ebenfalls berücksichtigt.
(Noch) kein Ampelmodell
Das vor der Einführung der Gefahrstoffverordnung 2005 heftig diskutierte Ampelmodell mit risikobasierten Arbeitsplatzgrenzwerten ist nicht Bestandteil der jetzigen Verordnung, obwohl der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) zwischenzeitlich geeignete Risikoschwellen beschlossen hat [9]. Das Modell soll zunächst in einigen Pilotprojekten erprobt werden; wenn es sich hierbei bewährt, kann es möglicherweise in der nächsten Stufe zur Anpassung der Gefahrstoffverordnung (2015) in die Verordnung aufgenommen werden.
Auch der Bundesrat hat im Zusammenhang mit der Beratung und Verabschiedung der Verordnung in seiner Sitzung am 24. September 2010 eine entsprechende Resolution verabschiedet [10].
Die neue Verordnung im Einzelnen
Der Paragrafenteil besteht aus 24 Paragrafen und hat damit einen vergleichbaren Umfang wie die bisherige Verordnung. Die Verordnung gliedert sich (wie bisher) in insgesamt sieben Abschnitte:
Abschnitt 1: Zielsetzung, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Abschnitt 2: Gefahrstoffinformation
Abschnitt 3: Gefährdungsbeurteilung und Grundpflichten
Abschnitt 4: Schutzmaßnahmen
Abschnitt 5: Verbote und Beschränkungen
Abschnitt 6: Vollzugsregelungen und Ausschuss für Gefahrstoffe
Abschnitt 7: Ordnungswidrigkeiten und Straftaten.
Abschnitt 1: Zielsetzung, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Bis auf sprachliche Anpassungen bleibt § 1 (Zielsetzung und Anwendungsbereich) unverändert. Allerdings wird in einem neuen Abs. 1 die Zielsetzung der Verordnung jetzt wieder deutlicher formuliert, wie es in früheren Fassungen der Verordnung schon einmal der Fall war:
„Ziel dieser Verordnung ist es, den Menschen und die Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen durch
- Regelungen zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen,
- Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten und anderer Personen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und
- Beschränkungen für das Herstellen und Verwenden bestimmter gefährlicher Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse.“
Der bisherige § 2 (Bezugnahme auf EG-Richtlinien) wird gestrichen, weil die dort enthaltenen Regelungen nunmehr – ebenso wie die noch gültigen Verweise im bisherigen Anhang II – im neuen § 4 „Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung“ enthalten sind.
Im (neuen) § 2 (Begriffsbestimmungen) wird der Begriff „fachkundig“ in allgemeiner Form erläutert, weil dieser Begriff in der Verordnung in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet wird. Eine Konkretisierung soll im Technischen Regelwerk (TRGS) erfolgen. Von der „Fachkunde“ zu unterscheiden ist die „Sachkunde“, die an einigen Stellen im (neuen) Anhang I der Verordnung gefordert wird. Die Sachkunde wird im Unterschied zur Fachkunde stets durch die Teilnahme an einem behördlich anerkannten Sachkundelehrgang und durch das Ablegen einer speziellen Prüfung nachgewiesen. Der Begriff „sachkundig“ wird in allgemeiner Form in nachfolgenden Absatz des § 2 bestimmt.
Die Erläuterung des Begriffs „Gefährdung“, der in der Verordnung eine zentrale Rolle spielt und die im Referentenentwurf vom September 2009 enthalten war, ist nicht Bestandteil der Verordnung geworden.
Abschnitt 2: Gefahrstoffinformation
Im zweiten Abschnitt sind wie bisher alle Regelungen zur Gefahrstoffinformation zusammengefasst. § 3 „Gefährlichkeitsmerkmale“ definiert diesen Begriff noch auf Grundlage der EG-Stoffrichtlinie 67/548/EWG [5]. Spätestens zum 1. Juni 2015 müssen in Folge des Außerkrafttretens dieser Richtlinie diese Definitionen an die dann allein gültige EG-CLP-Verordnung [4] angepasst werden.
§ 3 Absätze 12 bis 14 enthalten zwar kurze Erläuterungen der Begriffe krebserzeugend (kanzerogen), fortpflanzungsgefährdend (reproduktionstoxisch) und erbgutverändernd (mutagen), eine ausführlichere Beschreibung – unter Verweis auf die einschlägigen EG-Richtlinien – ist jedoch bereits in den Begriffsbestimmungen (§ 2 Abs. 3) enthalten.
§ 4 „Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung“ enthält jetzt auch die noch relevanten Regelungen aus dem bisherigen Anhang II, der aufgehoben wird. Inverkehrbringer, die bereits nach dem GHS-System einstufen und kennzeichnen, müssen die Regelungen der EG-CLP-Verordnung unmittelbar anwenden.
Für die Übergangszeit bis zur endgültigen Ablösung des alten Kennzeichnungssystems ist nach Art. 61 der EG-CLP-Verordnung für Gemische die Anwendung der bisherigen Einstufungs- und Kennzeichnungsregelungen noch gestattet. § 4 trägt dem durch die Beibehaltung einiger spezieller Regelungen Rechnung, die sich auf das bisherige System beziehen.
Mit dem Auslaufen der Übergangsfristen zum 1. Juni 2015 muss dieser Paragraf an die EU-CLP-Verordnung angepasst werden. Der bisherige § 6 „Sicherheitsdatenblatt“ wird jetzt § 5 „Sicherheitsdatenblatt und sonstige Informationspflichten“.
Neues Schutzmaßnahmenkonzept
Der bisherige dritte Abschnitt der Verordnung „Allgemeine Schutzmaßnahmen“ krankte vor allem daran, dass hier neben der Konkretisierung der Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sowohl allgemeine Grundsätze zur Durchführung von Schutzmaßnahmen als auch konkrete Schutzmaßnahmen angegeben waren, die beim Vorliegen einer nur geringen Gefährdung ausreichend sein sollten. Der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) hatte seinerzeit versucht, diese unterschiedlichen Aspekte in der TRGS 500 „Schutzmaßnahmen“ [11] „auseinander zu pfriemeln“, um diese Regelungen für die betriebliche Praxis überhaupt handhabbar zu machen. In der neuen Verordnung werden in § 6 nunmehr alle Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung gebündelt – von der Informationsbeschaffung bis zur Dokumentation.
Neu ist § 6 Abs. 12 der Verordnung, in den eine Regelung aus der TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ [12] übernommen wurde. Hier ist festgelegt, dass der Arbeitgeber bei der Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffen entsprechende Wirkungen unterstellen muss, wenn ihm keine Prüfdaten oder vergleichbare Informationen zur akut toxischen, reizenden, hautsensibilisierenden oder erbgutverändernden Wirkung oder zur Wirkung bei wiederholter Exposition vorliegen.
§ 7 enthält jetzt die Grundpflichten bei der Durchführung von Schutzmaßnahmen, wie etwa das Substitutionsgebot, das Minimierungsgebot, Grundsätze für die Ermittlung der Exposition usw. Es wird also nicht mehr – wie bisher z.B. in den §§ 9 und 10 – an verschiedenen Stellen auf die Substitutionspflicht hingewiesen. Die in § 7 aufgeführten Grundpflichten gelten entsprechend den EG-Vorgaben immer bzw. immer dann, wenn sie relevant sind. Wann ein Grundsatz relevant ist, muss der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermitteln. Die Grundpflichten selbst wurden aus den Schutzmaßnahmenpaketen in den §§ 7 bis 9 der Gefahrstoffverordnung von 2005 zusammengestellt. Dementsprechend trägt dieser Abschnitt jetzt den Titel „Gefährdungsbeurteilung und Grundpflichten“.
Abschnitt 4: Schutzmaßnahmen
Die Schutzmaßnahmen selbst sind jetzt im Abschnitt 4 zusammengefasst. § 8 legt die allgemeinen Schutzmaßnahmen fest. Dabei handelt es sich um einen Katalog von Grundmaßnahmen, die bei geringer Gefährdung (§ 6 Abs. 11) und „normaler“ Gefährdung ausreichend sind. Dieser Maßnahmenkatalog stimmt weitgehend mit den Maßnahmen des § 8 der bisherigen Gefahrstoffverordnung überein.
§ 9 enthält zusätzliche Schutzmaßnahmen, die bei „erhöhter“ Gefährdung die Grundmaßnahmen des § 8 ergänzen sollen. Hier werden im Wesentlichen Schutzmaßnahmen der §§ 9 und 10 der GefStoffV 2005 zusammengeführt.
Anders als bisher bezieht sich diese „Schutzstufe“ (dieser Begriff wird in der ganzen Verordnung an keiner Stelle mehr erwähnt!) nicht mehr auf die Kennzeichnung. Der Arbeitgeber muss also auf Grundlage des Ergebnisses der Gefährdungsbeurteilung entscheiden, welche Schutzmaßnahmen er im Einzelfall anwenden will. Dies stellt zwar zunächst einmal erhöhte Anforderungen an die Fachkunde, andererseits ergibt sich hieraus aber auch eine größere Flexibilität.
So können im Einzelfall zukünftig auch bei Tätigkeiten mit großen Mengen giftiger Stoffe die Maßnahmen nach § 8 ausreichend sein, etwa in geschlossenen Anlagen oder im Lagerwesen, wenn die Gebinde dort nicht geöffnet werden und Undichtigkeiten oder Beschädigung von Lagerbehältern zuverlässig vermieden werden.
Die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung wird hierdurch deutlich unterstrichen. Im Zweifelsfall muss sich der Arbeitgeber vergewissern, dass die Schutzmaßnahmen nach § 8 tatsächlich ausreichend sind und dies auch nachvollziehbar dokumentieren.
Andererseits können „problematische“ Tätigkeiten mit vergleichsweise „harmlosen“ Stoffen auch eine erhöhte Gefährdung auslösen und zur Notwendigkeit zusätzlicher Schutzmaßnahmen nach § 9 führen.
§ 10 enthält besondere Schutzmaßnahmen, die bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden und fruchtbarkeitsgefährdenden Gefahrstoffen der Kategorie 1 oder 2 zusätzlich zu berücksichtigen sind (Achtung: nach GHS sind dies zukünftig die Kategorien 1A und 1B!). Die dort aufgeführten Schutzmaßnahmen basieren auf der EG-Richtlinie 2004/37/ EG („Krebs-Richtlinie“) [13] und stimmen weitgehend mit dem Maßnahmenpaket des § 11 der GefStoffV 2005 [7] überein. Für bestimmte „besonders gefährliche krebserzeugender Stoffe“ gelten zusätzlich die Regelungen von Anhang II Nummer 6.
Schutzmaßnahmen gegen physikalisch-chemische Einwirkungen
Besondere Schutzmaßnahmen gegen physikalisch-chemische Einwirkungen, ins-besondere gegen Brand- und Explosionsgefährdungen sind jetzt in § 11 (bisher § 12) enthalten. Die Regelungen entsprechen inhaltlich den bisherigen Vorschriften und ergänzen ebenfalls die Grundmaßnahmen des § 8. Zusätzliche Schutzmaßnahmen enthält Anhang I Nummer 1 (bisher Anhang III Nr. 1).
Neu in die Verordnung aufgenommen wurde der jetzige § 12 „Tätigkeiten mit explosionsgefährlichen Stoffen und organischen Peroxiden“, um die Einführung Technischer Regeln für Gefahrstoffe zum Sprengstoffbereich zu ermöglichen. Hierdurch sollen bisherige berufsgenossenschaftliche Regelungen aus diesem Bereich [14] zukünftig abgelöst werden.
Hierzu gibt es aber offenbar innerhalb der Bundesregierung und zwischen den Ländern erhebliche Meinungsunterschiede, denn die wesentlich differenzierteren Regelungen des Kabinettsentwurfs – die im Referentenentwurf vom September des vergangenen Jahres überhaupt noch nicht enthalten waren – wurden vom Bundesrat in der Sitzung am 24. September 2010 lediglich in deutlich verallgemeinerter Form gebilligt [10]. Die Industrie hatte sich im Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) bereits vor einigen Jahren nachhaltig für die Erhaltung der bisherigen berufsgenossenschaftlichen Bestimmungen eingesetzt.
Weitere Schutzmaßnahmen
Die Regelungen über Betriebsstörungen, Unfälle und Notfälle (§ 13) sowie zur Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten (§ 14) bleiben inhaltlich unverändert; durch Zusammenziehung der Bestimmungen von § 14 Abs. 2 und 3 der bisherigen Verordnung im neuen Abs. 2 soll verdeutlicht werden, dass die allgemeine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung Teil der Unterweisung ist.
Hinsichtlich des Verzeichnisses der Beschäftigten, die durch Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fruchtbarkeitsgefährdenden Gefahrstoffen der Kategorie 1 oder 2 gefährdet sind (§ 14 Abs. 3 Nr. 3 und 4) ist seit vielen Jahren eine Diskussion über erforderliche (und technisch realisierbare) Aufbewahrungsfristen und technische Lösungen im Gange. Der Bundesrat hat hier – abweichend vom Entwurf der Bundesregierung – eine Aufbewahrungsfrist von 40 Jahren nach Ende der Exposition eingefügt [10].
Früher gab es ähnliche Regelungen schon einmal in der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschrift „Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“ (VBG 113), die damals sogar in die Gefahrstoffverordnung übernommen wurde, sowie in der UVV „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ (BGV A4). Allerdings musste die VBG 113 (wie viele andere Berufsgenossenschaftliche Regelungen auch) auf Druck des Arbeitsministeriums zurückgezogen werden, weil alle diese Regelungen angeblich im staatlichen Recht enthalten seien. Nachdem die Aufbewahrungsfrist im Satzungsrecht der Berufsgenossenschaften „getilgt“ war, wurde sie auch aus der Gefahrstoffverordnung wieder gestrichen – mit fatalen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer (Anm. d. Redaktion: Siehe hierzu den offenen Brief von Dr. Krommes an Bundesarbeitsministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen). Der Bundesrat hat mit seinem Beschluss vom 24. September nunmehr den früheren Zustand wieder hergestellt.
Der Bundesrat hat hierzu eine Resolution verabschiedet, in der er die Bundesregierung bittet, Möglichkeiten zu prüfen, eine langfristige zentrale Aufbewahrung von Expositionsdaten von Beschäftigten sicherzustellen, die Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fruchtbarkeitsgefährdenden Gefahrstoffen der Kategorie 1 oder 2 durchführen. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, diese Möglichkeit im Rahmen der nächsten umfassenden Novellierung in die Gefahrstoffverordnung einzuführen [10].
Die in der Verordnung an dieser Stelle früher vorhandenen Regelungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge wurden bereits Ende 2008 in die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) [15] überführt. § 15 enthält daher jetzt die Regelungen zur Zusammenarbeit verschiedener Firmen aus dem bisherigen § 17; inhaltlich ergeben sich hierbei keine Änderungen, die Texte wurden jedoch praxisgerechter formuliert. Weitere Konkretisierungen sollen in einer technischen Regel (TRGS) erfolgen.
In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat die Bundesregierung die grundsätzlichen Möglichkeiten zu prüfen, einem Auftraggeber oder Bauherrn Informationspflichten gegenüber dem Auftragnehmer aufzuerlegen, damit dieser seine Beschäftigten ausreichend gegen Gefährdungen schützen kann, die sich bei der Erfüllung des Auftrages ergeben können. Im Falle eines positiven Ergebnisses bittet der Bundesrat die Bundesregierung, entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen [10].
Abschnitt 5: Verbote und Beschränkungen
Im neuen § 16 „Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen“ (bisher § 18) wird jetzt auf die Regelungen nach Art. 67 in Verbindung mit Anhang XVII der EG-REACH-Verordnung [2] verwiesen sowie die Anbindung an den jetzt einschlägigen neuen Anhang II hergestellt (nähere Einzelheiten siehe dort).
Die Verwendungsbeschränkungen für Biozid-Produkte wurden vom bisherigen § 9 Abs. 11 zum § 16 Abs. 3 der neuen Verordnung verschoben.
Bestimmte Beschränkungsregelungen des Anhangs XVII der REACH-Verordnung [2] lassen nationale Ausnahmen zu. In zwei Fällen macht Deutschland seit langem von diesen Ausnahmeoptionen Gebrauch, und zwar
- für die Herstellung und das Verwenden chrysotilhaltiger Diaphragmen für die Chloralkalielektrolyse in bestehenden Anlagen (bisher geregelt in § 22 Abs. 1, nunmehr jedoch ohne zeitliche Befristung) und
- für bestimmte Bleiverbindungen für die Verwendung als Farben, die zur Erhaltung oder originalgetreuen Wiederherstellung von Kunstwerken und historischen Bestandteilen oder von Einrichtungen denkmalgeschützter Gebäude bestimmt sind, wenn die Verwendung von Ersatzstoffen nicht möglich ist (Ausnahme von Anhang XVII Nr. 16 und 17 der REACH-Verordnung, bisher geregelt in Anhang IV Nr. 6 Abs. 2).
Dies soll auch in Zukunft so bleiben, weshalb der neue § 17 „Nationale Ausnahmen von EU-Beschränkungsregelungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006)“ diese beiden nationalen Ausnahmeregelungen enthält.
Schlussvorschriften
Der sechste Abschnitt „Vollzugsregelungen und Ausschuss für Gefahrstoffe“ sowie der siebte Abschnitt „Ordnungswidrigkeiten und Straftaten“ bleiben weitgehend unverändert. § 18 „Unterrichtung der Behörde“ entspricht weit gehend dem bisherigen § 19, § 19 „behördliche Ausnahmen, Anordnungen und Befugnisse“ übernimmt die Regelungen des bisherigen § 20.
§ 20 „Ausschuss für Gefahrstoffe“ wurde in enger Anlehnung an die entsprechende Vorschrift der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) [15] mit dem Ziel umformuliert, eine Vereinheitlichung der parallelen Regelungen in den unterschiedlichen Arbeitsschutzverordnungen zu erreichen.
Die §§ 21 bis 24 enthalten die Ordnungswidrigkeits- und Straftatbestände. § 23 sanktioniert Verstöße gegen Bestimmungen der REACH-Verordnung und der EG-CLP-Verordnung. Diese Sanktionsvorschriften sollen in Kürze jedoch in die Chemikalien-Straf- und Bußgeldverordnung (ChemStrOWiV) [16] überführt werden.
Die Anhänge
Die neue Verordnung enthält nur noch zwei Anhänge:
- Anhang I: Besondere Vorschriften für bestimmte Gefahrstoffe und Tätigkeiten (bisher Anhang III)
- Anhang II: Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen für spezielle Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse (bisher Anhang IV).
Anhang I enthält ergänzende Regelungen zu
- Brand- und Explosionsgefährdungen,
- Partikelförmige Gefahrstoffe,
- Schädlingsbekämpfung,
- Begasungen sowie
- Ammoniumnitrat.
Der bisherige Anhang III Nr. 3 „Tätigkeiten in Räumen und Behältern“ wurde gestrichen, weil die Inhalte jetzt in der TRGS 507 „Oberflächenbehandlung in Räumen und Behältern“ enthalten sind.
Anhang II enthält nur noch die nationalen deutschen Beschränkungen für
- Asbest
- 2‑Naphthylamin, 4‑Aminobiphenyl, Benzidin, 4‑Nitrobiphenyl,
- Pentachlorphenol und seine Verbindungen,
- Kühlschmierstoffe und Korrosionsschutzmittel,
- Biopersistente Fasern sowie
- Besonders gefährliche krebserzeugende Stoffe,
weil die anderen Verbote und Beschränkungen aus dem bisherigen Anhang IV auf Grund von Anhang XVII der REACH-Verordnung [2] unmittelbar geltendes Recht in Deutschland sind.
Die neue Gefahrstoffverordnung ist am 1. Dezember 2010 in Kraft getreten.
Autor
Dr. Ulrich Welzbacher E‑Mail: autor@gefahrstoffinformation.de
Literatur
- 1. Verordnung zur Neufassung der Gefahrstoffverordnung und zur Änderung sprengstoffrechtlicher Verordnungen vom November 2010, BGBl. I Nr. 59 vom 30. November 2010 S. 1643
- 2. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (REACH-Verordnung), ABl. EG Nr. L 396 vom 30.12.2006 S. 1, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 453/2010 der Kommission vom 20. Mai 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), ABl. EG Nr. L 133 vom 31.05.2010 S. 1
- 3. Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) vom 20. Mai 2008 (BGBl. 2008 Teil I Nr. 21 S. 922)
- 4. Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (GHS-Verordnung), ABl. EG Nr. L 353 vom 31.12.2008 S. 1 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 790/2009 der Kommission vom 10. August 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, ABl. EG Nr. L 235 vom 05.09.2009 S. 1
- 5. Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den Technischen Fortschritt (EG-Stoffrichtlinie), ABl. Nr. 196 vom 16.08.1967 S. 1
- 6. Richtlinie 1999/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 1999 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (Zubereitungsrichtlinie), Abl. EG Nr. L 200 vom 30.07.1999 S. 1
- 7. Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV) vom 23. Dezember 2004 (BGBl. I vom 27.12.2004 S. 3758)
- 8. Globally Harmonized System of Classification and Labelling of Chemicals (GHS) („Purple Book“), www.unece.org/trans/danger/publi/ghs/ghs_welcome_e.html
- 9. Bekanntmachung zu Gefahrstoffen „Risikowerte und Exposition-Risiko-Beziehungen für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“ (BekGS 910), Ausgabe: Juni 2008, zuletzt geändert und ergänzt im GMBl vom 21.06.2010 Nr. 34 S. 747, berichtigt im GMBl 2010 Nr. 43 vom 04.08.2010 S. 914
- 10. Bundesrats-Drucksache 456/10 (Beschluss) vom 24.09.2010
- 11. TRGS 500 „Schutzmaßnahmen“, Ausgabe Januar 2008 (GMBl Nr. 11/12 vom 13.03.2008, S. 224–258), mit Änderungen und Ergänzungen vom Mai 2008 (GMBl Nr. 26 vom 04.07.2008, S. 528)
- 12. TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“, Ausgabe Januar 2008 (GMBl Nr. 11/12 vom 13.03.2008, S. 211–223)
- 13. Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates (kodifizierte Fassung) in der Fassung der Berichtigung im Amtsblatt der Europäischen Union L 229 vom 29. Juni 2004 S. 23
- 14. BG-Vorschrift „Organische Peroxide“ (BGV B4) vom 01.01.1997; BG-Vorschrift „Explosivstoffe – Allgemeine Vorschrift“ (BGV B5) vom 01.04.2001, BG-Vorschriften zu einzelnen Gruppen von explosionsgefährlichen Stoffen und Erzeugnissen (BGV D37–44) vom 01.01.1997
- 15. Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), vom 18. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2768), geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 19. Juli 2010 (BGBl. I S. 960)
- 16. Verordnung zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen über Stoffe und Zubereitungen (Chemikalien Straf- und Bußgeldverordnung – ChemStrOWiV), in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Oktober 2005 (BGBl. I S. 3111), geändert durch die Verordnung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1417)
- 17. TRGS 507 „Oberflächenbehandlung in Räumen und Behältern“, Ausgabe März 2009 (GMBl Nr. 18/19 vom 04.05.2009 S.359–382)
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