Eine körperliche oder geistige Behinderung bedeutet oft keineswegs, dass die davon betroffene Person arbeitsunfähig wäre. Vielmehr ist es in vielen Fällen möglich, bestimmte Tätigkeiten auszuführen. Auch der Betrieb hat etwas davon, wenn die vorhandenen fachlichen Qualifikationen genutzt werden können, besonders in Zeiten des Fachkräftemangels. Inklusion und Barrierefreiheit sind dabei Schlüsselworte. Sind Arbeitsplätze entsprechend gestaltet, steht dem auch wortwörtlich nichts mehr im Wege.
Gesetzlicher Hintergrund
Arbeitsstätten sind so einzurichten und zu betreiben, dass auch die speziellen Belange der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes berücksichtigt werden. Dabei ist besonders zu bedenken, dass diese Personen in bestimmten Situationen stärker gefährdet sein können als ihre Kollegen und Kolleginnen ohne Einschränkungen. Der Begriff der Barrierefreiheit bedeutet also weitaus mehr als eine Umgebung, die „frei von Hindernissen“ ist.
Rechtlich ist dies ganz klar verankert, verpflichtet doch allein schon das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) jeden Unternehmer dazu, eine sichere Umgebung für alle Beschäftigten zu schaffen. Auch das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) enthält in § 4 Vorgaben zur barrierefreien Gestaltung der Arbeitsstätte; relevant ist zudem das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit seinen Vorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland.
Weil Letztere sich allgemein auf die Gleichstellung in allen Lebensbereichen bezieht, sind speziell im Bereich Arbeitsschutz noch weitere Vorgaben zu beachten, besonders die der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und der sie konkretisierenden Arbeitsstättenregeln (ASR) – hier wiederum vor allem die ASR V3a.2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“ und ihre Anhänge.
ASR V3a.2 sinnvoll nutzen
Diese Arbeitsstättenregel ist anzuwenden, wenn eine barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten erforderlich ist. Dies ist der Fall, sobald Menschen mit Behinderungen im Betrieb beschäftigt werden, deren Sicherheit und Gesundheit unter den vorhandenen Voraussetzungen gefährdet wären. Alle Bereiche der Arbeitsstätte, zu denen sie Zugang haben müssen, sind barrierefrei zu gestalten.
Zu beachten ist dabei: Der Geltungsbereich dieser ASR umfasst nicht nur schwerbehinderte Beschäftigte im Betrieb, sondern sämtliche Beschäftigte mit einer Behinderung. Allerdings: Auch wenn es sich bei den Arbeitsstättenregeln um Konkretisierungen der ArbStättV handelt, sind sie doch bekanntlich oft Auslegungssache. So enthält die ASR V3a.2 zum Beispiel keine klar definierten Prüfintervalle für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten. Im Zweifelsfall hilft dann eine Beratung weiter, etwa bei der zuständigen Berufsgenossenschaft.
Behinderung berücksichtigen
Im Berufsleben ist laut der ASR V3a.2 eine Behinderung zu berücksichtigen, wenn „die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder die psychische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dadurch Einschränkungen am Arbeitsplatz bestehen.“ Von einer Schwerbehinderung spricht man, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt.
Bei der ASR V3a.2 verhält es sich genauso wie bei den anderen Arbeitsstättenregeln: Sie konkretisiert die Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung und es greift dabei die sogenannte Vermutungswirkung: Wenn sich der Arbeitgeber an diese Technische Regel hält, kann er davon ausgehen, dass die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung erfüllt sind. Er kann auch eine andere Lösung wählen – jedoch nur, wenn damit mindestens die gleiche Sicherheit und der gleiche Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreicht werden.
Gefährdungsbeurteilung anpassen
Es sind also bereits bei der Gefährdungsbeurteilung die Auswirkungen der jeweiligen Behinderung und daraus resultierende, nötige Maßnahmen für die barrierefreie Gestaltung der Arbeitsstätte zu berücksichtigen. Sobald sich die Verfassung eines oder einer Beschäftigten mit Behinderung ändert – etwa, weil inzwischen statt eines Rollators ein Rollstuhl erforderlich ist – oder wenn weitere Beschäftigte mit Behinderungen eingestellt werden, kann eine Anpassung der Gegebenheiten erforderlich sein.
Vorgaben hierzu gibt es unter anderem in der ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“, die auch Aspekte der Barrierefreiheit enthält. Bei den Schutzmaßnahmen gilt wie immer: Technische Maßnahmen haben stets oberste Priorität, gefolgt von organisatorischen oder persönlichen Maßnahmen (TOP-Prinzip).
Mindestens zwei Sinne ansprechen
Die ASR V3a.2 beschreibt ein zentrales Thema bei der barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen: das Zwei-Sinne-Prinzip. Es gründet auf der Tatsache, dass der Mensch alle Informationen aus der Umwelt über die Sinne aufnimmt. Fällt ein Sinn aus, muss ein anderer Sinn für diesen einspringen, indem er die jeweiligen Informationen verarbeitet. Deshalb müssen Informationen in Arbeitsstätten stets mindestens für zwei der drei Sinne (Hören, Sehen, Tasten) zugänglich sein.
Ein Beispiel ist die gleichzeitige optische und akustische Alarmierung im Falle einer Notsituation, sodass auch Menschen mit einer Sehbehinderung oder einer Schwerhörigkeit auf jeden Fall den Alarm wahrnehmen können. Aus diesem Prinzip ergeben sich verschiedene Möglichkeiten einer Kennzeichnung bei barrierefreien Arbeitsstätten durch visuelle, akustische und taktile (fühl- oder tastbare) Zeichen. Letztere sind beispielsweise auch für die Kennzeichnung von Gefahrstoffen erhältlich.
Die Anhänge der ASR V3a.2
Auch um nicht ausreichend vorhandene motorische Fähigkeiten auszugleichen, sind barrierefrei gestaltete Maßnahmen zu ergreifen. Um etwa das mechanische Öffnen einer Tür mit Türgriffen zu ersetzen, kann ein elektromechanisches Öffnen mit Tastern oder durch Näherungsschalter eine Lösung sein. Bei Treppenstufen ist eine Rampe oder ein Aufzug als Alternative für Rollstuhlfahrer erforderlich, und so weiter.
Arbeitsstätten beinhalten viele Faktoren hinsichtlich der Gestaltung; deswegen gibt es so viele verschiedene Arbeitsstättenregeln. Zwar enthält die ASR V3a.2 selbst bereits etliche Vorgaben zur Barrierefreiheit, doch aus guten Gründen wurde und wird diese Arbeitsstättenregel um Anhänge erweitert, die sich wiederum auf andere ASRn beziehen. Es liegt auf der Hand: Ein Betrieb ist nur dann wirklich als barrierefrei zu bezeichnen, wenn sämtliche relevanten Bereiche und Einflussfaktoren mit einbezogen werden wie etwa Verkehrswege, Türen und Tore oder Fluchtwege und Notausgänge.
Deswegen werden für die Arbeitsstättenregeln, die sich mit Faktoren wie diesen befassen, auch jeweils spezielle Anforderungen zur barrierefreien Gestaltung beschrieben. Diese wiederum sind zu finden in den Anhängen der ASR V3a.2, die Ergänzungen zur jeweiligen (eigenständigen) Arbeitsstättenregel enthalten. Viele solcher Anhänge sind bereits erschienen, einige weitere sind noch in Planung.
Aktuelles zu ASR-V3a.2‑Anhängen
Abgesehen davon, dass diese Anhänge in den vergangenen Jahren laufend Zuwachs bekamen, gab es noch weitere Änderungen: Im August und Dezember 2021 wurden formale Änderungen zur Anpassung an das 2020 geänderte Sozialgesetzbuch SGB IX vorgenommen. Es betrifft insbesondere die Neufassung der Begriffe „Behinderung“ und „barrierefreie Gestaltung der Arbeitsstätte“. Im März 2022 wurden Inhalte aus dem gestrichenen Anhang A3.4/7 „Ergänzende Anforderungen zur ASR A3.4/7 ‚Sicherheitsbeleuchtung, optische Sicherheitsleitsysteme‘“ in den Anhang A2.3 „Ergänzende Anforderungen zur ASR A2.3 ‚Fluchtwege und Notausgänge‘“ überführt, weil die ASR A3.4/7 selbst ebenfalls komplett aufgehoben wurde bzw. ihre Inhalte nun in der ASR A2.3 zu finden sind.
Anhänge zur ASR V3a.2
Eine aktuelle Übersicht über die bereits
veröffentlichten und noch geplanten Anhänge zur ASR V3a.2 gibt es auf der Homepage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) unter Angebote > Rechtstexte und Technische ‧Regeln > Technischer Arbeitsschutz > ASR V3a.2 Barrierefreie Gestaltung von ‧Arbeitsstätten.
www.baua.de