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Ergonomie: Bewegungsförderung im Büro

Die Bedeutung der Bewegung
Ergonomie: Bewegungsförderung im Büro

Ergonomie: Bewegungsförderung im Büro
Foto: © Eurocres Consulting GmbH
Das Bewusst­sein für das The­ma Gesund­heit ist im Rah­men der Covid-19-Pan­demie gestiegen. Dem Wach­s­tum des Coro­n­abäuch­leins hat das allerd­ings keinen Abbruch getan – und auch die Rück­en­schmerzen sind im Home­of­fice nicht wirk­lich weniger gewor­den. Ohne­hin: Wegen der über­wiegend sitzen­den Bürotätigkeit mit ihren schädlichen Auswirkun­gen auf Herz, Kreis­lauf, Stof­fwech­sel und das Muskel-Skelett-Sys­tem bleibt Bewe­gungsar­mut ein Dauer­prob­lem. Trotz des ver­meintlich höheren Gesund­heits­be­wusst­seins und ein­er ver­gle­ich­sweise ein­fachen Lösung.

David Wiech­mann

Deutsche Arbeit­skräfte nehmen Gesund­heit und Wohlbefind­en ernst, und die Arbeit­sumge­bun­gen müssen dies reflek­tieren“, besagt die renom­mierte Gensler-Studie zur deutschen Arbeitswelt von 2019. Fast die Hälfte der Beschäftigten, näm­lich 47 Prozent der Befragten, stuften schon damals Gesund­heit und Wohlbefind­en als die wichtig­sten Merk­male für eine gute Arbeit­splatzumge­bung ein.

„Angestellte in Deutsch­land benöti­gen eine Arbeit­sumge­bung mit Fokus auf mehr Wohlbefind­en“, lautet fol­gerichtig die Forderung der Wissenschaftler.

Diese Aus­sage ist unbe­strit­ten. Aber wenn wir ehrlich sind: Nach­haltige Gesund­heit und kurzfristiges Wohlbefind­en ste­hen lei­der manch­mal im Wider­spruch zueinander.

Schwerwiegende Folgen

Das zeigt sich ins­beson­dere bei ein­er Kör­per­hal­tung, die Beschäftigte in Büros fast den ganzen Tag und auch die meis­ten anderen Men­schen oft bevorzugt ein­nehmen: dem Sitzen. Denn zahlre­iche medi­zinis­che Stu­di­en weisen eine klare Kausal­ität zwis­chen dem sitzen­den, bewe­gungsar­men Lebensstil und zahlre­ichen kör­per­lichen Schädi­gun­gen nach. Diese reichen von der Volk­skrankheit „Rück­en“ über Herz-Kreis­lauf-Erkrankun­gen bis hin zum metabolis­chen Syn­drom und dessen schw­er­wiegen­den Folgen.

Sitzen bedeutet weitest­ge­hend kör­per­liche Inak­tiv­ität. Sie wird oft als Kom­fort emp­fun­den, zum Beispiel im Fernsehses­sel, oder gar nicht als solche wahrgenom­men – etwa während der Aut­o­fahrt. Kör­per­liche Inak­tiv­ität über weite Teile des Tages lasse sich allerd­ings nicht ein­fach durch Fit­nesspro­gramme kom­pen­sieren, bemerkt Dr. Bir­git Sper­lich von der Uni­ver­sität Würzburg. Deshalb ist es so wichtig, das Sitzen durch Aktiv­ität und Bewe­gung zu ergänzen oder zu erset­zen, um den Stof­fwech­sel wieder anzukurbeln.

 

Bewegungsförderung im Büro durch intuitive Bewegungsanreize
Intu­itive Bewe­gungsan­reize im Büro
Foto: © Euro­cres Con­sult­ing GmbH

Sitzen durch Bewegung ersetzen

Die Studie „Device-mea­sured phys­i­cal activ­i­ty, seden­tary behav­iour and car­diometa­bol­ic health and fit­ness across occu­pa­tion­al groups: a sys­tem­at­ic review and meta­analy­sis“ von Stephanie A. Prince et al. (2019) bestätigt das: Die Wis­senschaftler fan­den her­aus, dass Bürobeschäftigte die läng­sten Sitzzeit­en im Ver­gle­ich zu anderen Beruf­s­grup­pen verze­ich­nen. Obwohl sie in ihrer Freizeit am kör­per­lich aktivsten seien, „verbleibt bei Bürobeschäftigten ein Gesund­heit­srisiko auf­grund ihrer lan­gen Sitzzeiten“.

Erhöhtes Mortalitätsrisiko

Bere­its 2016 hat­ten Ulf Ekelund et al. in ihrer Metas­tudie „Does phys­i­cal activ­i­ty atten­u­ate, or even elim­i­nate, the detri­men­tal asso­ci­a­tion of sit­ting time with mor­tal­i­ty? A har­monised meta-analy­sis of data from more than 1 mil­lion men and women“ einen Zusam­men­hang zwis­chen lan­gen Sitzzeit­en und niedriger­er kör­per­lich­er Aktiv­ität für das all­ge­meine Mor­tal­ität­srisiko festgestellt.

„Diese Analy­sen indizieren“, so for­mulieren es die Autoren, „(…) dass ein hoher Grad an physis­ch­er Aktiv­ität, also 60 bis 75 Minuten mod­er­ater Inten­sität am Tag, die gesteigerte Mor­tal­ität­srate durch lange Sitzzeit­en eli­m­inieren kann.“

Und darüber hin­aus: „Das erhöhte Mor­tal­ität­srisiko (58 %) für diejeni­gen, die länger als acht Stun­den am Tag sitzen und gle­ichzeit­ig am wenig­stens aktiv sind, gle­icht dem Mor­tal­ität­srisiko des Rauchens und der Fet­tleibigkeit.“ Aus dieser Erken­nt­nis leit­ete sich das inzwis­chen zur Phrase gewor­dene Bon­mot ab, Sitzen sei das neue Rauchen.

Schutz vor Rückenbeschwerden

Und dann ist da auch noch der „Rück­en“. Kaum ein Teil des Kör­pers sorgt bei so vie­len Men­schen für Beschw­er­den, obwohl der Rück­en im Grunde in punc­to Bau­plan und Funk­tion­sum­fang beein­druck­end ist. Tat­säch­lich sind auch in über 80 Prozent der Fälle nicht Verän­derun­gen der Struk­tur, wie etwa Entzün­dun­gen oder Band­scheiben­schä­den, für Rück­en­schmerzen ver­ant­wortlich, son­dern Störun­gen der Funk­tion des Rück­ens durch Fehlbe­las­tun­gen, Bewe­gungsar­mut oder auch Stress, Sor­gen und Ängste.

Ein von Bewe­gung geprägter Lebensstil und eine gesunde Sta­bil­ität in kör­per­lich­er und psy­chis­ch­er Hin­sicht sind der beste Schutz vor Beschwerden.

Doch zum besseren Ver­ständ­nis lohnt ein genauer­er Blick auf den Rück­en: Die Wirbel­säule ist zen­trales Ele­ment und tra­gende Säule – nicht nur des Stütz- und Bewe­gungsap­pa­rats, son­dern des gesamten Kör­pers. Sie sorgt gle­ichzeit­ig für Beweglichkeit, Sta­bil­ität, Stoßdämp­fung, den geschützten Ver­lauf lebenswichtiger Leitungs­bah­nen und die sichere Posi­tion von Organen.

Dazu beste­ht sie aus sieben Hals‑, zwölf Brust‑, fünf Lenden­wirbeln sowie dem Kreuz- und dem Steißbein. Die Wirbel sind durch Gelenke ver­bun­den. Eine Beson­der­heit stellt das ober­ste Wirbel­ge­lenk dar, das kom­plett anders kon­stru­iert ist, um für die große Beweglichkeit des Kopfes zu sorgen.

Die übri­gen Wirbel sehen sich dann dur­chaus ähn­lich: Die Verbindung zwis­chen zwei Wirbeln erlaubt jew­eils nur einen kleinen Bewe­gung­sum­fang. Die hohe Beweglichkeit der Wirbel­säule resul­tiert vielmehr aus der Summe der vie­len Wirbelgelenke.

Bewegliche Wirbelsäule trainierbar

Der Umfang der Wirbel­säu­len­be­weglichkeit ist dabei sehr stark train­ingsab­hängig. Die Wirbel bilden in ihrer Gesamtheit eine Dop­pel-S-Form, was neben den elastis­chen Band­scheiben als Federung und Dämp­fung für Stöße in der Längsachse wirkt.

Neben den Gelenken zwis­chen den Wirbelkör­pern sorgt eine Vielzahl von Muskeln, Bän­dern und Sehnen für die Sta­bil­ität, aber auch die Beweglichkeit der Wirbel­säule. Sehr kleine Muskeln und Bän­der zwis­chen benach­barten Wirbel­knochen und Stütz­muskeln ent­lang der gesamten Wirbel­säule sind beson­ders wichtig für einen sta­bilen und beweglichen, gesun­den Rück­en. Sie sor­gen für die richtige Führung und Stel­lung der Wirbelkör­p­er zueinander.

Dieser Bere­ich ist damit auch bedeut­sam für Funk­tion­sstörun­gen, aus denen Rück­enbeschw­er­den entste­hen kön­nen. Auch die größeren, darüber­liegen­den und von außen sicht­baren Muskel­grup­pen sind für die Hal­tung und Beweglichkeit der Wirbel­säule wichtig, vor allem aber sind sie für die Ausübung großräu­miger Bewe­gun­gen des Rumpfs zuständig.

Anpassungsfähiges System

Die Band­scheiben hat­ten lange den Ruf, ein beson­ders kri­tis­ch­er Bestandteil der Wirbel­säule zu sein, und wur­den gern für Rück­en­prob­leme und ‑schmerzen ver­ant­wortlich gemacht. Tat­säch­lich sind aber auch im mit­tleren Leben­salter oft schon aus­geprägte Band­scheiben­verän­derun­gen nach­weis­bar, ohne dass bei dem Betrof­fe­nen Beschw­er­den oder Funk­tion­sein­schränkun­gen bestehen.

Auch wenn der akute Band­scheiben­vor­fall natür­lich die klas­sis­chen Beschw­er­den verur­sachen kann, hat sich mit­tler­weile das Ver­ständ­nis von Rück­en­schmerzen deut­lich verän­dert. Die Wirbel­säule ist eben nicht das mech­a­nis­che Bauteil, das immer weit­er ver­schleißt und dadurch immer stärkere Beschw­er­den verursacht.

Sie stellt vielmehr ein anpas­sungs­fähiges biol­o­gis­ches Sys­tem dar, das durch Benutzung, auch bei alters­be­d­ingten Verän­derun­gen, seine Funk­tions­fähigkeit behält. Demzu­folge ist Scho­nung bei Rück­enbeschw­er­den in der Regel die falsche Maß­nahme. Es sind vielmehr Aktivierung und Bewe­gung angezeigt – anfangs nur so gut es eben geht.

Und auf lange Sicht sind die regelmäßige, angemessene Belas­tung des Rück­ens mit Ruhe- und Ent­las­tungsphasen und eine pos­i­tive Hal­tung die besten Voraus­set­zun­gen für einen gesun­den Rück­en. Der Bewe­gungsap­pa­rat ist in der Tat für Bewe­gung gemacht. Er braucht Belas­tung als Train­ing und eine gute Bal­ance, um seine tra­gende Rolle kla­g­los zu erfüllen. In der Arbeit­ser­gonomie wird der Schutz vor phys­i­ol­o­gis­ch­er Unter­forderung teil­weise als eben­so wichtig ange­se­hen wie der Schutz vor Überlastung.

Allerd­ings wurde auch die Büroer­gonomie – ana­log zu den indus­triellen Prozessen – seit über 100 Jahren auf phys­i­ol­o­gis­che Belas­tungsre­duk­tion aus­gelegt: Die bis heute propagierte „Cock­pit-Organ­i­sa­tion“ mit opti­mierten Greifräu­men und Bürostühlen, die mit vie­len Ein­stellmöglichkeit­en per­fekt an unter­schiedliche Kör­per­größen und For­men angepasst wer­den, spiegeln den Zeit­geist des 20. Jahrhun­derts wider. Jahrzehn­te­lang galt daher die aufrechte, gestützte und somit fix­ierte Hal­tung als gesündeste.

Seit den 1980er Jahren sick­erten mit der Idee des „dynamis­chen Sitzens“ neuere medi­zinis­che Erken­nt­nisse zu den wesentlichen Grund­la­gen der Funk­tion­sweise des Bewe­gungsap­pa­rats, der Entste­hung von Rück­en­schmerzen und der Stof­fwech­sel­prozesse in die Ergonomie ein. „Die richtige Sitzhal­tung ist immer die näch­ste“, heißt es seit­dem. Es bleibt allerd­ings beim Sitzen.

Heute wird im Büro immer noch über­wiegend gesessen, und zwar immer länger. Gle­ich­wohl hat sich mit dem medi­zinis­chen Fortschritt die Leben­szeit erhöht – und damit die Leben­sar­beit­szeit ver­längert. Büroar­beitswel­ten müssen daher auf die nach­haltige Förderung der Bewe­gung aus­gerichtet wer­den, um den Krankheit­srisiken durch inak­tives Sitzen mit seinen neg­a­tiv­en Auswirkun­gen auf die Gesund­heit der Beschäftigten und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens vorzubeugen.

Bewegungsanreize schaffen

Diese kon­se­quente Aus­rich­tung umfasst ver­hält­nis- und ver­hal­tenspräven­tive Maß­nah­men in gle­ich­er Form. Denn eben­so wie die Rah­menbe­din­gun­gen für eine bewe­gungs­fördernde Büroumge­bung geschaf­fen wer­den müssen, soll­ten die Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er befähigt und ani­miert wer­den, diese zu nutzen.

Ver­hält­nis­präven­tive Maß­nah­men zur Bewe­gungs­förderung im Büro kön­nten beispiel­sweise sein:

  • Aktives, bewe­gen­des Sitzen
  • Sitz-Steh-Tis­che an allen klas­sis­chen Arbeitsplätzen
  • Zen­trale Ser­vice-Ein­heit­en (Druck­er, Unter­la­gen etc.)
  • Inte­gra­tion von intu­itiv­en Bewegungsangeboten

Und natür­lich ein ganzheitlich­es Konzept zur Bewe­gungs­förderung, das die genan­nten Maß­nah­men verbindet – auch mit Maß­nah­men aus der Ver­hal­tenspräven­tion und der klas­sis­chen Gesund­heits­förderung – und damit multipliziert.


Lesetipp

Der obige Text stammt in leicht verän­dert­er Form aus der Broschüre „Bewe­gungs­förderung im Büro“, die das Deutsche Net­zw­erk Büro e.V. vor einiger Zeit veröf­fentlicht hat. Die Broschüre gibt es als kosten­losen Down­load unter
www.dnb-netz.de/informationen/publikationen

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