Wieder ein Tag, an dem Teresa F. mit einem Lächeln in der Stimme zu einem genervten Kunden am Hörer sagt: „Selbstverständlich höre ich Ihnen zu. Gerne kümmere ich mich um Ihr Anliegen.“ Noch bevor sie das tun kann, bekommt sie seinen Ärger ab: „Sie sind ja gar nicht kompetent!“ Was dann folgt, sind Beleidigungen.
Solche Erfahrungen gehören zum Alltag von Menschen, die im Kundenservice arbeiten. Die Mitarbeiterin lässt den Kunden nicht spüren, wie angegriffen sie sich fühlt. Sie bleibt nach außen ruhig. Einmal tief durchatmen. Fall bearbeiten. Der Nächste bitte.
Ähnlich erleben es Beschäftigte im Dienstleistungssektor – und zunehmend anderen Berufen: wenn die Verkäuferin auch gegenüber dem schlechtgelaunten Kunden höflich bleibt, wenn der Kassierer im Supermarkt scheinbar unbeeindruckt die Ware über das Band schiebt, während er angepflaumt wird, ob das nicht schneller geht, wenn eine Sachbearbeiterin im Arbeitsamt zum frustrierten Arbeitssuchenden die nötige Distanz bewahrt, auch wenn sie Mitleid fühlt.
Oder ein Krankenpfleger schnell zur Stelle ist, obwohl sich die Patientin dauernd beschwert. Von Profis kann man das erwarten? Freilich. Nur wird selten bedacht, dass Interaktionsarbeit psychisch und physisch fordert. Bei der Emotionsarbeit managen die Betroffenen ihre Gefühle, mit dem Ziel, erwünschte Gefühle darzustellen. Das Problem dabei: Die tatsächlichen Gefühle stimmen oft nicht mit den gezeigten Gefühlen überein.
Eigene und fremde Gefühle managen
Die erwünschten Gefühle auszudrücken, kann durch zwei Strategien erreicht werden. Beim Oberflächenhandeln (surface acting) tut der Mitarbeitende so als ob. „Nach außen wird die vom Unternehmen erwartete Emotion gezeigt, was jedoch zu emotionaler Dissonanz führt“, erklärt Ulrike Rösler von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Die promovierte Arbeits- und Organisationspsychologin führt die negativen Folgen auf: „Empirische Befunde zeigen, dass Oberflächenhandeln und emotionale Dissonanz zu emotionaler Erschöpfung, geringer Arbeitszufriedenheit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen und Burnout begünstigen.“
Eine zweite Strategie ist das Tiefenhandeln (deep acting). Hier wird versucht, die Gefühle, die am Arbeitsplatz erwartet werden, wirklich zu fühlen. Studien zeigen, dass Tiefenhandeln sich positiv auf Wohlbefinden und Gesundheit auswirkt, weil die emotionale Dissonanz reduziert wird.
Ein weiterer Aspekt der Interaktionsarbeit, der nicht vergessen werden darf, ist die Gefühlsarbeit, also die Beeinflussung der Gefühle anderer. Dies kann ebenfalls der Inhalt einer Dienstleistung sein. Wenn beispielsweise die Krankenschwester beruhigend auf den ängstlichen Patienten einwirkt. Wie in diesem Beispiel sind es häufig Frauen, die Interaktionsarbeit leisten. Sie trösten in sozialen Berufen, verkaufen mit einem Lächeln und telefonieren mit aggressiven Kunden, ohne den Hörer aufzuknallen.
Was kann der Einzelne tun?
Emotionen lassen sich steuern. Wenn dies gelingt, kann es dazu führen, dass Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit steigen. Dabei helfen unter anderem folgende Techniken:
- die Aufmerksamkeit auf Gedanken richten, die positive Gefühle erzeugen. Ein Urlaubsfoto am Arbeitsplatz kann unangenehme Emotionen abschwächen.
- Die Situation neu bewerten. Beispiel: Der Gast schreit mich nicht an, weil er mich nicht mag, sondern weil er einen schlechten Tag hat.
- Negative Gefühle lassen sich durch Entspannungstechniken (autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Meditation) kontrollieren.
Emotionale Anforderungen kommen laut der bundesweiten Repräsentativerhebung DGB-Index Gute Arbeit 2019 in personennahen Dienstleistungen häufiger vor. So hielten es 43 Prozent der Beschäftigten aus dem Bereich Erziehung/Unterricht/Soziales für notwendig, Gefühle zu verbergen. Die Hälfte der befragten Beschäftigten in Unterricht und Bildung empfand dies sehr oft oder häufig. Im Bereich Hotel, Gastronomie und Tourismus gaben 42 Prozent der Beschäftigten an, häufig Emotionen verstecken zu müssen.
Arbeitsbedingungen verbessern
Betriebe können einiges für das Wohlbefinden ihrer Beschäftigten tun – zum Beispiel ausreichend Zeit zur Verfügung stellen. Oft wäre auch mehr Personal nötig, um Kunden, Patienten, Klienten und Mitarbeitern gerecht zu werden. „Es braucht gute organisatorische Rahmenbedingungen, um Interaktionsarbeit leisten zu können“, sagt Jonas Wehrmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der BAuA.
Mehr Freiräume fürs Personal schaffen zum Beispiel Service-Roboter, die zeitlich entlasten können. Zudem sollte Emotionsarbeit finanziell wertgeschätzt werden. Branchenunabhängig sind auch Aufstiegschancen förderlich für das emotionale Wohlbefinden.
In der Praxis zeigt sich zudem, dass soziale Unterstützung von Kollegen den Zusammenhang von Surface Acting und Arbeitszufriedenheit positiv beeinflussen: Ein schlechtgelaunter Kunde ist besser auszuhalten, wenn etwa Außendienstmitarbeitende zusammen mit einem Kollegen unterwegs sind, den Partner oder die Partnerin mitnehmen und ein Mitspracherecht bezüglich ihres Einsatzortes haben.
Oft helfen auch schon einfache organisatorische Maßnahmen. Ein Lebensmittelgeschäft, das Kundinnen und Kunden mit einem Zettel an der Verkaufstheke um Verständnis für den neuen Azubi bittet, wird sicher entspanntere Gesichter in der Warteschlange haben und so das Personal vor negativem Kundenverhalten schützen.
Handlungsspielräume einräumen
In vielen Dienstleistungsunternehmen schreiben Darstellungsregeln vor, welche Emotionen dem Kunden gegenüber gezeigt werden sollen. Dennoch haben Führungskräfte einen Ermessensspielraum. Sie können Beschäftigte zum Beispiel in die Entwicklung dieser Regeln miteinbeziehen.
„Eine stärkere Beteiligung ist auch ein guter Weg zur Mitarbeiterbindung“, sagt Ulrike Rösler. „In gemeinsamen Gesprächen lässt sich prüfen, ob die Vorgaben noch up to date sind. Führungskräfte könnten fragen, wie Beschäftigte ihre Rolle gegenüber dem Kunden definieren und welche unterstützenden Maßnahmen sie sich vom Unternehmen wünschen“, so Rösler.
Wie wichtig Pausen bei der Arbeit mit Menschen sind, zeigt sich auch in der Kranken- und Altenpflege. Hier hat sich die hohe Arbeitsbelastung laut DGB-Index Gute Arbeit 2023 im Vergleich zu einer Befragung von 2018 nicht wesentlich verringert. In der Praxis hat es sich bewährt, Pflegekräfte den Pausenraum im Unternehmen selbst mitgestalten zu lassen, damit sie sich besser regenerieren können.
Ambulante Pflegedienste können einen gemeinsamen Pausenort im Tourenplan festlegen. Ebenso wirkungsvoll sind Kurzpausen – vorausgesetzt, Unternehmen stellen ihren Beschäftigten in Seminaren Entspannungstechniken wie Atem- oder Wahrnehmungsübungen vor. Denn diese sollten geübt werden.
Soziale Ressourcen stärken
Wer gut vernetzt ist, lässt sich nicht so schnell unterkriegen, wenn er von Kunden, Klienten oder Patienten angegangen wird. Soziale Unterstützung trägt zu positiver Stimmung bei. Beschäftigten fällt es leichter, die geforderten positiven Emotionen zu zeigen, wenn sie bei Kolleginnen und Kollegen Dampf ablassen und sich austauschen können.
„Aber auch Sicherheitsbeauftragte sollten für das Thema Emotionsarbeit im Kollegenkreis sensibilisieren und der Frage nachgehen, wie der Betrieb unterstützen kann“, rät Ulrike Rösler. Wenig im Bewusstsein ist außerdem die Tatsache, „dass schwierige Kundinnen und Kunden häufig erst infolge ungünstiger betrieblicher Rahmenbedingungen auftreten“, sagt Jonas Wehrmann. „Dabei kann durch ein gutes Beschwerdemanagement oder die Verbesserung der Warenverfügbarkeit die Auftretenswahrscheinlichkeit von negativem Kundenverhalten verringert werden.“
Nicht alles lässt sich sofort umsetzen. Doch ein Anfang ist gemacht, wenn Emotionsarbeit als Leistung anerkannt wird. Dies wäre ein Schritt, die Gesundheit der Beschäftigten positiv zu beeinflussen – und damit auch die Dienstleistungsqualität und den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen.
Weiterführende Literatur
- Die Broschüre „Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung – Empfehlungen zur Umsetzung in der betrieblichen Praxis“ vom Arbeitsprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie ist 2022 in 4. überarbeiteter Neuauflage erschienen; www.gda-psyche.de Empfehlungen
- Der Bericht „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Emotionsarbeit“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beleuchtet Aspekte von Emotionsarbeit wie Surface Acting, Deep Acting und emotionale Dissonanz sowie deren Folgen für die psychische Gesundheit, Motivation und Arbeitszufriedenheit; www.baua.de Angebote Publikationen baua: Bericht
- Die Handlungshilfe „Pausen in der Pflege gut gestalten“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gibt Tipps für eine erfolgreiche Pausenorganisation in der Pflege; www.baua.de Angebote Publikationen baua: Praxis
- Eine Übersicht zu den Themen Emotionsarbeit, Techniken des Tiefenhandelns und Maßnahmen im Betrieb bietet die Broschüre „Freundlich, souverän und alles im Griff?“, herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV als Hintergrundinformationen für die Lehrkraft; www.dguv.de (Webcode lug1001208)
Praxis-Tipps
Organisatorische Maßnahmen bei psycho-sozialen Belastungen:
- Rückzugsräume und Mischarbeit, wie zum Beispiel Verwaltungsarbeit als Ausgleich für Beschäftigte, die sehr viel mit Kunden / Klienten arbeiten, anbieten
- Anerkennung der Leistungen bei interaktiver Arbeit, zum Beispiel durch finanzielle Aufwertung
- ausreichende Vorbereitung und Aus- beziehungsweise Weiterbildung für anspruchsvolle interaktive Tätigkeiten
- adäquate Pausenkultur zur Erholung