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Emotionsarbeit gesund gestalten

Zwang zum Lächeln kostet Kraft
Emotionsarbeit gesund gestalten

Emotionsarbeit gesund gestalten
Foto: © auremar - stock.adobe.com
Wer mit Men­schen arbeit­et, muss oft seine wahren Gefüh­le ver­ber­gen. Doch immer fre­undlich bleiben, auch wenn Kun­den pampig wer­den: Das kostet Kraft. Wie lässt sich Emo­tion­sar­beit so gestal­ten, dass Mitar­bei­t­ende gesund bleiben?

Wieder ein Tag, an dem Tere­sa F. mit einem Lächeln in der Stimme zu einem gen­ervten Kun­den am Hör­er sagt: „Selb­stver­ständlich höre ich Ihnen zu. Gerne küm­mere ich mich um Ihr Anliegen.“ Noch bevor sie das tun kann, bekommt sie seinen Ärg­er ab: „Sie sind ja gar nicht kom­pe­tent!“ Was dann fol­gt, sind Beleidigungen.

Solche Erfahrun­gen gehören zum All­t­ag von Men­schen, die im Kun­denser­vice arbeit­en. Die Mitar­bei­t­erin lässt den Kun­den nicht spüren, wie ange­grif­f­en sie sich fühlt. Sie bleibt nach außen ruhig. Ein­mal tief dur­chat­men. Fall bear­beit­en. Der Näch­ste bitte.

Ähn­lich erleben es Beschäftigte im Dien­stleis­tungssek­tor – und zunehmend anderen Berufen: wenn die Verkäuferin auch gegenüber dem schlecht­ge­laun­ten Kun­den höflich bleibt, wenn der Kassier­er im Super­markt schein­bar unbeein­druckt die Ware über das Band schiebt, während er angepflaumt wird, ob das nicht schneller geht, wenn eine Sach­bear­bei­t­erin im Arbeit­samt zum frus­tri­erten Arbeitssuchen­den die nötige Dis­tanz bewahrt, auch wenn sie Mitleid fühlt.

Oder ein Krankenpfleger schnell zur Stelle ist, obwohl sich die Pati­entin dauernd beschw­ert. Von Profis kann man das erwarten? Freilich. Nur wird sel­ten bedacht, dass Inter­ak­tion­sar­beit psy­chisch und physisch fordert. Bei der Emo­tion­sar­beit man­a­gen die Betrof­fe­nen ihre Gefüh­le, mit dem Ziel, erwün­schte Gefüh­le darzustellen. Das Prob­lem dabei: Die tat­säch­lichen Gefüh­le stim­men oft nicht mit den gezeigten Gefühlen überein.

 

Emotionsarbeit gesund gestalten: Der Kassierer muss die Ruhe bewahren – trotz anwachsender Warteschlange
Der Kassier­er muss die Ruhe bewahren – trotz anwach­sender Warteschlange.
Foto: © Robert Kneschke — stock.adobe.com

Eigene und fremde Gefühle managen

Die erwün­scht­en Gefüh­le auszu­drück­en, kann durch zwei Strate­gien erre­icht wer­den. Beim Ober­flächen­han­deln (sur­face act­ing) tut der Mitar­bei­t­ende so als ob. „Nach außen wird die vom Unternehmen erwartete Emo­tion gezeigt, was jedoch zu emo­tionaler Dis­so­nanz führt“, erk­lärt Ulrike Rösler von der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA). Die pro­movierte Arbeits- und Organ­i­sa­tion­spsy­cholo­gin führt die neg­a­tiv­en Fol­gen auf: „Empirische Befunde zeigen, dass Ober­flächen­han­deln und emo­tionale Dis­so­nanz zu emo­tionaler Erschöp­fung, geringer Arbeit­szufrieden­heit und gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen führen und Burnout begünstigen.“

Eine zweite Strate­gie ist das Tiefen­han­deln (deep act­ing). Hier wird ver­sucht, die Gefüh­le, die am Arbeit­splatz erwartet wer­den, wirk­lich zu fühlen. Stu­di­en zeigen, dass Tiefen­han­deln sich pos­i­tiv auf Wohlbefind­en und Gesund­heit auswirkt, weil die emo­tionale Dis­so­nanz reduziert wird.

Ein weit­er­er Aspekt der Inter­ak­tion­sar­beit, der nicht vergessen wer­den darf, ist die Gefühlsar­beit, also die Bee­in­flus­sung der Gefüh­le ander­er. Dies kann eben­falls der Inhalt ein­er Dien­stleis­tung sein. Wenn beispiel­sweise die Kranken­schwest­er beruhi­gend auf den ängstlichen Patien­ten ein­wirkt. Wie in diesem Beispiel sind es häu­fig Frauen, die Inter­ak­tion­sar­beit leis­ten. Sie trösten in sozialen Berufen, verkaufen mit einem Lächeln und tele­fonieren mit aggres­siv­en Kun­den, ohne den Hör­er aufzuknallen.

 

Emotionsarbeit gesund gestalten - auch bei übellaunigen Kunden gilt: Lächeln!
Auch bei übel­lau­ni­gen Kun­den gilt: Lächeln!
Foto: © M Eineropeopleimages.com — stock.abobe.com

Was kann der Einzelne tun?

Emo­tio­nen lassen sich steuern. Wenn dies gelingt, kann es dazu führen, dass Leis­tungs­fähigkeit und Arbeit­szufrieden­heit steigen. Dabei helfen unter anderem fol­gende Techniken:

  • die Aufmerk­samkeit auf Gedanken richt­en, die pos­i­tive Gefüh­le erzeu­gen. Ein Urlaub­s­fo­to am Arbeit­splatz kann unan­genehme Emo­tio­nen abschwächen.
  • Die Sit­u­a­tion neu bew­erten. Beispiel: Der Gast schre­it mich nicht an, weil er mich nicht mag, son­dern weil er einen schlecht­en Tag hat.
  • Neg­a­tive Gefüh­le lassen sich durch Entspan­nung­stech­niken (auto­genes Train­ing, pro­gres­sive Muskel­re­lax­ation, Med­i­ta­tion) kontrollieren.

Emo­tionale Anforderun­gen kom­men laut der bun­desweit­en Repräsen­ta­tiver­he­bung DGB-Index Gute Arbeit 2019 in per­so­nen­na­hen Dien­stleis­tun­gen häu­figer vor. So hiel­ten es 43 Prozent der Beschäftigten aus dem Bere­ich Erziehung/Unterricht/Soziales für notwendig, Gefüh­le zu ver­ber­gen. Die Hälfte der befragten Beschäftigten in Unter­richt und Bil­dung emp­fand dies sehr oft oder häu­fig. Im Bere­ich Hotel, Gas­tronomie und Touris­mus gaben 42 Prozent der Beschäftigten an, häu­fig Emo­tio­nen ver­steck­en zu müssen.

 

Eine Pflegerin, die einen ängstlichen Patienten beruhigt, leistet wertvolle Gefühlsarbeit
Eine Pflegerin, die einen ängstlichen Patien­ten beruhigt, leis­tet wertvolle Gefühlsar­beit.
Foto: © fizkes — stock.adobe.com

Arbeitsbedingungen verbessern

Betriebe kön­nen einiges für das Wohlbefind­en ihrer Beschäftigten tun – zum Beispiel aus­re­ichend Zeit zur Ver­fü­gung stellen. Oft wäre auch mehr Per­son­al nötig, um Kun­den, Patien­ten, Klien­ten und Mitar­beit­ern gerecht zu wer­den. „Es braucht gute organ­isatorische Rah­menbe­din­gun­gen, um Inter­ak­tion­sar­beit leis­ten zu kön­nen“, sagt Jonas Wehrmann, wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er der BAuA.

Mehr Freiräume fürs Per­son­al schaf­fen zum Beispiel Ser­vice-Robot­er, die zeitlich ent­las­ten kön­nen. Zudem sollte Emo­tion­sar­beit finanziell wert­geschätzt wer­den. Branche­nun­ab­hängig sind auch Auf­stiegschan­cen förder­lich für das emo­tionale Wohlbefinden.

In der Prax­is zeigt sich zudem, dass soziale Unter­stützung von Kol­le­gen den Zusam­men­hang von Sur­face Act­ing und Arbeit­szufrieden­heit pos­i­tiv bee­in­flussen: Ein schlecht­ge­launter Kunde ist bess­er auszuhal­ten, wenn etwa Außen­di­en­st­mi­tar­bei­t­ende zusam­men mit einem Kol­le­gen unter­wegs sind, den Part­ner oder die Part­ner­in mit­nehmen und ein Mit­spracherecht bezüglich ihres Ein­sat­zortes haben.

Oft helfen auch schon ein­fache organ­isatorische Maß­nah­men. Ein Lebens­mit­telgeschäft, das Kundin­nen und Kun­den mit einem Zettel an der Verkauf­s­theke um Ver­ständ­nis für den neuen Azu­bi bit­tet, wird sich­er entspan­ntere Gesichter in der Warteschlange haben und so das Per­son­al vor neg­a­tivem Kun­den­ver­hal­ten schützen.

 

Pflegekräfte sollten ihren Pausenraum selbst mitgestalten dürfen
Pflegekräfte soll­ten ihren Pausen­raum selb­st mit­gestal­ten dür­fen.
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Handlungsspielräume einräumen

In vie­len Dien­stleis­tung­sun­ternehmen schreiben Darstel­lungsregeln vor, welche Emo­tio­nen dem Kun­den gegenüber gezeigt wer­den sollen. Den­noch haben Führungskräfte einen Ermessensspiel­raum. Sie kön­nen Beschäftigte zum Beispiel in die Entwick­lung dieser Regeln miteinbeziehen.

„Eine stärkere Beteili­gung ist auch ein guter Weg zur Mitar­beit­erbindung“, sagt Ulrike Rösler. „In gemein­samen Gesprächen lässt sich prüfen, ob die Vor­gaben noch up to date sind. Führungskräfte kön­nten fra­gen, wie Beschäftigte ihre Rolle gegenüber dem Kun­den definieren und welche unter­stützen­den Maß­nah­men sie sich vom Unternehmen wün­schen“, so Rösler.

Wie wichtig Pausen bei der Arbeit mit Men­schen sind, zeigt sich auch in der Kranken- und Altenpflege. Hier hat sich die hohe Arbeits­be­las­tung laut DGB-Index Gute Arbeit 2023 im Ver­gle­ich zu ein­er Befra­gung von 2018 nicht wesentlich ver­ringert. In der Prax­is hat es sich bewährt, Pflegekräfte den Pausen­raum im Unternehmen selb­st mit­gestal­ten zu lassen, damit sie sich bess­er regener­ieren können.

Ambu­lante Pflege­di­en­ste kön­nen einen gemein­samen Pausenort im Touren­plan fes­tle­gen. Eben­so wirkungsvoll sind Kurz­pausen – voraus­ge­set­zt, Unternehmen stellen ihren Beschäftigten in Sem­i­naren Entspan­nung­stech­niken wie Atem- oder Wahrnehmungsübun­gen vor. Denn diese soll­ten geübt werden.

Psy­chis­che Gesund­heit: Burnout, Bore­out, Brownout

Soziale Ressourcen stärken

Wer gut ver­net­zt ist, lässt sich nicht so schnell unterkriegen, wenn er von Kun­den, Klien­ten oder Patien­ten ange­gan­gen wird. Soziale Unter­stützung trägt zu pos­i­tiv­er Stim­mung bei. Beschäftigten fällt es leichter, die geforderten pos­i­tiv­en Emo­tio­nen zu zeigen, wenn sie bei Kol­legin­nen und Kol­le­gen Dampf ablassen und sich aus­tauschen können.

„Aber auch Sicher­heits­beauf­tragte soll­ten für das The­ma Emo­tion­sar­beit im Kol­le­genkreis sen­si­bil­isieren und der Frage nachge­hen, wie der Betrieb unter­stützen kann“, rät Ulrike Rösler. Wenig im Bewusst­sein ist außer­dem die Tat­sache, „dass schwierige Kundin­nen und Kun­den häu­fig erst infolge ungün­stiger betrieblich­er Rah­menbe­din­gun­gen auftreten“, sagt Jonas Wehrmann. „Dabei kann durch ein gutes Beschw­erde­m­an­age­ment oder die Verbesserung der Waren­ver­füg­barkeit die Auftretenswahrschein­lichkeit von neg­a­tivem Kun­den­ver­hal­ten ver­ringert werden.“

Nicht alles lässt sich sofort umset­zen. Doch ein Anfang ist gemacht, wenn Emo­tion­sar­beit als Leis­tung anerkan­nt wird. Dies wäre ein Schritt, die Gesund­heit der Beschäftigten pos­i­tiv zu bee­in­flussen – und damit auch die Dien­stleis­tungsqual­ität und den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen.


Autorin: Chris­tine Speckner
freie Jour­nal­istin
 
Foto: pri­vat

Weiterführende Literatur

  • Die Broschüre „Berück­sich­ti­gung psy­chis­ch­er Belas­tung in der Gefährdungs­beurteilung – Empfehlun­gen zur Umset­zung in der betrieblichen Prax­is“ vom Arbeit­spro­gramm Psy­che der Gemein­samen Deutschen Arbeitss­chutzs­trate­gie ist 2022 in 4. über­ar­beit­eter Neuau­flage erschienen; www.gda-psyche.de Empfehlungen
  • Der Bericht „Psy­chis­che Gesund­heit in der Arbeitswelt – Emo­tion­sar­beit“ der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA) beleuchtet Aspek­te von Emo­tion­sar­beit wie Sur­face Act­ing, Deep Act­ing und emo­tionale Dis­so­nanz sowie deren Fol­gen für die psy­chis­che Gesund­heit, Moti­va­tion und Arbeit­szufrieden­heit; www.baua.de Ange­bote Pub­lika­tio­nen baua: Bericht
  • Die Hand­lung­shil­fe „Pausen in der Pflege gut gestal­ten“ der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA) gibt Tipps für eine erfol­gre­iche Pausenor­gan­i­sa­tion in der Pflege; www.baua.de Ange­bote Pub­lika­tio­nen baua: Praxis
  • Eine Über­sicht zu den The­men Emo­tion­sar­beit, Tech­niken des Tiefen­han­delns und Maß­nah­men im Betrieb bietet die Broschüre „Fre­undlich, sou­verän und alles im Griff?“, her­aus­gegeben von der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung DGUV als Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen für die Lehrkraft; www.dguv.de (Web­code lug1001208)

Praxis-Tipps

Organ­isatorische Maß­nah­men bei psy­cho-sozialen Belastungen:

  • Rück­zugsräume und Mis­char­beit, wie zum Beispiel Ver­wal­tungsar­beit als Aus­gle­ich für Beschäftigte, die sehr viel mit Kun­den / Klien­ten arbeit­en, anbieten
  • Anerken­nung der Leis­tun­gen bei inter­ak­tiv­er Arbeit, zum Beispiel durch finanzielle Aufwertung
  • aus­re­ichende Vor­bere­itung und Aus- beziehungsweise Weit­er­bil­dung für anspruchsvolle inter­ak­tive Tätigkeiten
  • adäquate Pausenkul­tur zur Erholung
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