Niemand wird von einem Schokoriegel oder einer Tüte Chips dick und niemand erleidet einen Bandscheibenvorfall, weil ein Kunde unverschämt wird. Doch zu viel ungesundes Essen treibt das Gewicht nach oben, belastet den Stoffwechsel und kann beispielsweise zu Diabetes führen. Genauso ist es mit schlechter Stimmung bei der Arbeit, dauerndem Zeitdruck oder mangelnder Wertschätzung. Das vermiest einem nicht nur die Laune, sondern vor Wut, Ärger oder zu viel Arbeit verspannen der Nacken, die Schultern, der Rücken.
Ein Teufelskreis beginnt
Psychische Belastungen können sich negativ auf die körperliche Gesundheit auswirken. Doch umgekehrt ist das genauso: Wer eine Verletzung oder ein körperliches Leiden hat, dem drückt das meist auch auf die Psyche. Das kann sogar zu einem Teufelskreis werden. Kommen zu einer Schädigung des Muskel-Skelett-Apparats psychische Probleme hinzu, begünstigt das die Chronifizierung von Schmerzen.
Zeitdruck und Bewegungsmangel
Die Personen und Handlungen der beiden folgenden Beispiele sind frei erfunden, bewegen sich aber nah an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen: Peter K., Ende 40, arbeitet als gelernter Trockenbauer. Es ist immer viel zu tun und die Zeit knapp. Ständig fallen Überstunden an. Ins Fitness-Studio, wo er früher regelmäßig trainieren war, geht er schon seit vier Jahren nicht mehr. Dafür ist er abends viel zu erschöpft. Und dann nörgelt auch noch seine Frau, weil er zu nichts mehr Lust hat.
Da er ständig Rückenschmerzen hat, geht er zum Arzt. Dieser fragt ihn, ob er Stress habe. „Nicht mehr als sonst“, ist die Antwort. Der Arzt verschreibt ihm ein Schmerzmittel, damit er wenigstens schlafen kann. Doch an einem Samstagabend – die Nachbarn sind zum Grillen gekommen – bückt sich Peter K. im Sitzen, um nach einer heruntergefallenen Gabel zu greifen. Anschließend kann er sich nicht mehr aufrichten. Unter Schmerzen und gestützt von seiner Frau schleppt er sich ins Haus.
Stress verursacht Verspannungen
Carolin P. ist Sachbearbeiterin bei einer Versicherung. Ihren Arbeitstag verbringt sie überwiegend am Computer. Seit etwa einem Jahr hat sie eine neue Kollegin, mit der sie nicht gut auskommt. Diese ist sehr ehrgeizig und Carolin befürchtet, dass sie selbst von ihrer Stelle verdrängt werden soll. Das stresst. Inzwischen passieren ihr immer wieder Fehler. Ihr Vorgesetzter hatte sie deshalb bei der letzten Teambesprechung vor allen zurechtgewiesen und im gleichen Zug die Leistung ihrer Kollegin über Gebühr hervorgehoben.
Um ihr Arbeitspensum zu erreichen, macht Carolin nun keine Pausen mehr. Schon zwei Stunden vor Feierabend sind der Nacken und ihre Schultern verspannt. Immer öfter hat sie Kopfschmerzen, wenn sie das Büro verlässt. Eine Freundin macht sie darauf aufmerksam, dass sie dauernd über ihre Verspannungen jammere, aber nichts dagegen unternehmen würde.
Aus der Balance
Dass der Körper auf Stress mit einer Erhöhung der Atem- und Herzschlagfrequenz, mit einer Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin sowie mit dem Anspannen der Muskeln reagiert, ist menschlich. Die Stressreaktion hat dem frühzeitlichen Menschen geholfen, vor Raubtieren davonzulaufen, beziehungsweise ihn zum Angriff befähigt. Die körperlichen Reaktionen sind geblieben, nur rennen Menschen heute in der Regel nicht mehr weg oder kämpfen.
Die Folge: Die Muskeln bleiben angespannt, das Adrenalin sowie die anderen Stoffwechselprodukte werden nur langsam abgebaut oder lagern sich ab. Die notwendige Entspannung setzt nicht ein. Der Körper gerät aus der gesunden Balance zwischen Anspannung und Entspannung.
Psychosomatische Rückenschmerzen
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch. In rund 90 Prozent der Fälle handelt es sich um sogenannte unspezifische Rückenschmerzen. Das bedeutet, dass keine Erkrankung wie zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall vorliegt, mit der die Schmerzen zu erklären sind.
Bis jedoch psychosomatische Schmerzen – also körperliche Schmerzen, deren Ursache in psychischen Belastungen liegen – diagnostiziert und vom Patienten akzeptiert werden, vergehen laut der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) durchschnittlich zweieinhalb Jahre. Für viele Betroffene ist es schwer zu akzeptieren, dass ihre Beschwerden psychische und keine körperlichen Ursachen haben. Rund 30 Prozent der Schmerzpatienten suchen deshalb in der Zwischenzeit fünf verschiedene Ärzte auf.
Mehrere Risikofaktoren
Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) entstehen häufig durch das Zusammenwirken von physischen Belastungen wie zum Beispiel Heben und Tragen von schweren Gegenständen sowie psychischen Belastungen wie etwa Stress und individuellen Risiken. Dazu zählen zum Beispiel Krankheitsvorgeschichten, Körpergewicht oder Bewegungsmangel. Wer schon länger unter schmerzenden Muskeln, Bändern, Sehnen und Gelenken leidet, sollte deshalb an mehreren „Stellschrauben“ aktiv werden.
- Die betroffene Region sollte behandelt werden: Manuelle Therapie, Massagen, Physiotherapie, Akupunktur. Es gibt unterschiedliche Methoden, die sofort und langfristig helfen können.
- Der gesamte Muskel- und Skelettapparat muss regelmäßig und dauerhaft bewegt und trainiert werden, sodass er wieder in die Mitte kommt und in der Balance bleibt. Und zwar hinten wie vorne sowie links und rechts. Denn ein starker Rücken braucht auch einen starken Bauch. Und da die meisten Menschen einseitig, also Rechts- oder Linkshänder sind, wird eine Körperseite häufig mehr beansprucht. Das führt dazu, dass der Körper in Schieflage gerät. Dagegen hilft ein Training, das beide Seiten gleich fordert, zum Beispiel Rudern, Schwimmen, Krafttraining an Geräten oder Yoga.
- Neben der Bewegung spielt die Entspannung eine wichtige Rolle. Hierfür bieten sich verschiedene Entspannungsmethoden oder Achtsamkeitstraining an.
Praxis-Tipps zur Prävention
- Machen Sie Psyche und MSE zum Präventionsthema.
- Klären Sie über den möglichen Zusammenhang zwischen Stress und Rückenschmerzen auf.
- Organisieren Sie Bewegungs- und Entspannungsangebote im Betrieb oder nach Feierabend.
- Überprüfen Sie die psychischen Arbeitsbedingungen in Ihrem Unternehmen.
- Bieten Sie Schulungen zu Ursache und Wirkung von Verspannungen an, zum Beispiel mit externen Experten wie Physiotherapeuten.
- Nutzen Sie anschauliches und ansprechendes Aufklärungsmaterial wie Videos.
Weitere Informationen
- DGUV Information 206–019 „Rundum gestärkt, Wie psychosoziale Faktoren bei der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen am Arbeitsplatz berücksichtigt werden können“, erhältlich unter https://publikationen.dguv.de (Webcode p206019)
- Videos „Behandlung von Rückenschmerzen – damals und heute“ und „Psychosomatische Erkrankungen“ aus der Sendereihe „Planet Wissen“ im WDR, abrufbar unter www.planet-wissen.de
- Video „Rückenschmerzen: Welche Rolle spielt die Psyche?“ aus der Sendereihe Visite (NDR), abrufbar über den Youtube-Kanal „ARD GESUND mit Julia Fischer“ unter www.youtube.com