Beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement handelt es sich einerseits um ein individuelles Fallmanagement, andererseits ist es auch eine Team- und Organisationsentwicklung. BEM – teils auch als Return to Work (RTW) bezeichnet – soll nach einem Unfall oder einer Erkrankung im beruflichen wie auch im privaten Bereich dazu beitragen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Obendrein dient es dazu, die Arbeitsfähigkeit langfristig zu erhalten und zu fördern.
Noch immer Nachholbedarf
Eine gesetzliche Regelung zum BEM wurde bereits im Jahr 2004 erlassen, sie ist verankert im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) § 167 „Prävention“. Seither ist jeder Arbeitgeber, also auch ein Kleinstbetrieb, dazu verpflichtet, Beschäftigten ein BEM anzubieten, sofern die jeweilige Person in einem Jahr für mindestens sechs Wochen am Stück oder unterbrochen arbeitsunfähig war.
Unterhalb davon kann diese Möglichkeit auch freiwillig eröffnet werden. In jedem Fall gilt: Es steht dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin frei, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen.
BEM kann eine Menge bewirken, wie unter anderem einige Best Practice-Beispiele zeigen. Normalerweise profitieren beide Seiten davon, wenn Arbeitsplätze beziehungsweise Fachkräfte erhalten werden können. Dennoch besteht noch immer Nachholbedarf.
Dies bestätigt die Erwerbstätigenbefragung aus dem Jahr 2018, regelmäßig durchgeführt von der Bundesanstalt für Arbeit und Arbeitsmedizin (BAuA) gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Demnach erhielten nur rund 40 Prozent der potenziell berechtigten Personen ein BEM-Angebot. Von diesen wiederum nahmen nur etwas mehr als zwei Drittel (fast 70 Prozent) das Angebot an.
„In kleineren Betrieben, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich wird das BEM den berechtigten Beschäftigten im Schnitt seltener angeboten“, stellte die BAuA bei der Auswertung fest. Weiter verbreitet sei BEM hingegen in Betrieben mit betrieblicher Gesundheitsförderung, in denen anerkennend und unterstützend geführt werde und das kollegiale Verhalten ausgeprägter sei.
Systemische Vorgehensweise
Wie ein BEM zu organisieren ist, geht unter anderem aus Publikationen der DGUV und BAuA hervor. Laut BAuA erhält und fördert ein systemisch orientiertes BEM die Arbeitsfähigkeit auf insgesamt vier Ebenen:
- auf der medizinischen Ebene mit Blick auf den Erhalt der Leistungsfähigkeit,
- auf der psychischen Ebene mit Blick auf die Motivation und Selbstwirksamkeit,
- auf der sozialen Ebene mit Blick auf die Unterstützung durch professionelle Helfer/innen, direkte Vorgesetzte und Kollegen,
- auf der betrieblichen Ebene mit Blick auf die Entwicklung von Unterstützungsstrukturen und die Gestaltung von Arbeitsanforderungen oder ‑bedingungen.
Bei einem auf diese Weise organisierten BEM-Prozess lassen sich Früherkennung und Rehabilitation wirksam miteinander verknüpfen.
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine Aufgabe des Arbeitgebers. Unterstützt wird er dabei vom jeweiligen Unfallversicherungsträger. „Wir können unsere Mitgliedsunternehmen bei der Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements beraten“, sagt Frank Westphal, stellvertretender Leiter der Abteilung Steuerung Rehabilitation und Leistungen der BG BAU. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels sei es immer wichtiger, den jeweiligen Arbeitsplatz zu erhalten. Um dies zu erreichen, würden bei Versicherungsfällen durch das Reha-Management der BG BAU umfassende Leistungen erbracht. „Für die Wiedereingliederung stehen wir in einem ständigen Austausch mit dem Unternehmen.“ So handhaben es auch die anderen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger.
Interview mit Tobias Belz
„BEM ist etwas Gutes!“
Herr Belz, woran liegt es, dass offenbar immer noch viele Mitarbeitende skeptisch gegenüber BEM sind?
Es liegt oftmals schlichtweg an der Art der internen Kommunikation. So wissen viele Beschäftigte immer noch nicht genau, worum es sich bei BEM handelt, oder es läuft in dem Unternehmen so bürokratisch ab, dass es eher abschreckend wirkt. Das kann schon bei der Wortwahl in dem Schreiben anfangen, mit dem der Arbeitgeber einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin das BEM-Angebot macht: „Wir bedauern, dass Sie sechs Wochen krank waren…“, heißt es darin dann zum Beispiel. Das klingt ziemlich negativ und hat den Beigeschmack für nicht mehr wirklich einsatzfähig gehalten zu werden. Im Gegenteil soll das BEM ihnen doch nützen und beim Wiedereinstieg helfen – Arbeitgeber sollten es also ansprechend kommunizieren und ihre Worte behutsam wählen.
Welche Informationen oder Nachweise dürfen Arbeitgeber von den betroffenen Beschäftigten im Rahmen eines BEM verlangen?
Die Pflicht, ein BEM anzubieten, entsteht bei einer Ausfallzeit von sechs Wochen. Hierfür erhält der Arbeitgebende häufig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Ganz wichtig: Der Arbeitgeber hat kein Recht darauf, von der Diagnose, also den Gründen für die Arbeitsunfähigkeit zu erfahren. Diese geht aus der Bescheinigung für den Arbeitgeber auch nicht hervor, nur die jeweilige Krankenkasse erfährt davon. Wichtig für Arbeitgebende ist, zu erfahren, welche etwaigen Einschränkungen Beschäftigte vorübergehend oder dauerhaft in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit haben. Hierfür gilt es dann nach Möglichkeit passende Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Wie ist beim BEM die Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern geregelt?
Nach einem Arbeitsunfall befindet sich der oder die Beschäftigte immer in Obhut der gesetzlichen Unfallversicherung. Wenn ein Arbeitsunfall zur Folge hat, dass diese Person für sechs Wochen ausgefallen ist und ihre ursprüngliche Tätigkeit aufgrund der Verletzung nicht mehr ausüben kann, wird die beim jeweiligen Unfallversicherungsträger für das Reha-Management zuständige Person auf den Arbeitgeber zugehen und sich erkundigen, ob ein BEM-Angebot gemacht wurde. Außerdem wird gemeinsam mit dem Arbeitgeber nach Lösungen und möglichen Beschäftigungsalternativen gesucht. Sofern es bei der Durchführung der Maßnahmen hapert, können die Unfallversicherungsträger auch unterstützend eingreifen. Kurz: Wir führen das BEM-Verfahren nicht durch, sorgen aber dafür, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nachkommt. Letztlich geht es immer darum, eine dauerhafte oder wiederkehrende Arbeitsunfähigkeit – und somit eine krankheitsbedingte Kündigung – zu vermeiden.
Welche BEM-Möglichkeiten gibt es?
Im Grunde genommen sehr viele, denn bezüglich der konkreten Gestaltung des BEM macht das SGB IX keine konkreten gesetzlichen Vorgaben. Was also genau passiert, nachdem der jeweilige Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das BEM-Angebot erhalten hat, unterliegt dem Einzelfall. Es handelt sich um eine Absprache zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Nur wenn die BEM-berechtigte Person beschließt, noch weitere Personen mit hinzuzuziehen, dann tragen auch diese dazu bei. BEM ist ein systematisches Vorgehen, das auch ausführlich in der DGUV Information 206–031 beschrieben ist, sowohl für Kleinbetriebe also auch mit zusätzlichen Modulen für Großbetriebe. BEM-Maßnahmen werden aber jedes Mal anders aussehen.
Wer trägt nach einem Arbeitsunfall die Kosten für die BEM-Maßnahmen?
Nach Arbeitsunfällen etwaige erforderliche Umgestaltungen von Arbeitsplätzen gehen kostenmäßig zu Lasten des zuständigen Unfallversicherungsträgers. So gibt es etwa in der Rehabilitationsabteilung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) Beispiele aus dem ÖPNV-Bereich wie etwa die Umgestaltung einer Lokomotive für einen Beschäftigten, der nach einem Arbeitsunfall teilweise gelähmt war, oder nach Arbeitsunfällen erforderliche Anpassungen von Maschinen für Beschäftigte beispielsweise in der Glas-Keramik-Branche. Generell sind aber solche aufwändigen BEM-Maßnahmen seltener als zum Beispiel Umgestaltungen einer Büro-Ausstattung oder Anpassungen in der Arbeitsorganisation. Oft lässt sich schon mit wenig Aufwand eine Menge bewirken – nicht selten sogar kostenneutral.
Welche Tipps können Sie Arbeitgebern und ihren Akteuren im Arbeitsschutz geben?
Die Ansprechstellen für Reha und Teilhabe bei den Unfallversicherungsträgern stehen gern mit Rat und Tat zur Seite. Darüber hinaus können zum Beispiel Sicherheitsbeauftragte den zuständigen Unfallversicherungsträger kontaktieren und nach Unterstützungsangeboten fragen. Die Angebote sind jeweils unterschiedlich. Eine erste Übersicht findet sich auf www.dguv.de nach Eingabe von webcode d1085784. Einige Berufsgenossenschaften bieten beispielsweise spezielle Seminare zu BEM an oder beraten zur systematischen Umsetzung. Und generell sollte das BEM fest im Betrieb verankert und auf positive Weise kommuniziert werden. Das Thema lässt sich auch in eine Unterweisung einbauen oder zum Beispiel über das Intranet beziehungsweise Extranet, per Aushang oder in einer Betriebsversammlung bekannt machen. Ziel sollte sein, dass alle Mitarbeitenden wissen: Wir haben ein BEM, der Anspruch darauf ist gesetzlich vorgeschrieben und BEM ist etwas Gutes.
Informationen und Handlungshilfen
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) bietet eine gute Lotsenfunktion im Informationsdschungel zum Thema BEM:
- Der digitale BEM-Kompass enthält Informationen für Arbeitgeber und Beschäftigte (Musterschreiben, Checklisten und Info-Flyer zum Download etc.); www.bar-frankfurt.de/bem-kompass
- Die neu überarbeitete „Arbeitshilfe Stufenweise Wiedereingliederung“ und das dazugehörige Fact Sheet mit den wichtigsten Infos auf einen Blick erläutern Ziele, Vorzüge und Ausgestaltung der Wiedereingliederung;
www.bar-frankfurt.de/publikationen - Weitere Informationen, Formulare, FAQ und praktische Fallbeispiele finden sich unter www.bar-frankfurt.de/themen/arbeitsleben