In einem Lebensmittelbetrieb in Süddeutschland läuft Salpetersäure aus. Ein Großaufgebot an Feuerwehr rückt an, 20 Personen werden evakuiert, zum Glück wird niemand verletzt. In einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen brennt es, mehrere Stationen müssen evakuiert werden, eine Patientin verstirbt. Der Fund einer Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg legt einen Flughafen in Niedersachsen lahm, die Umgebung wird großräumig evakuiert. Die Bombe kann zum Glück ohne weitere Zwischenfälle entschärft werden, Menschen kommen nicht zu Schaden.
Diese Beispiele aus den vergangenen Monaten zeigen: Situationen, in denen Betriebe oder Betriebsteile evakuiert werden müssen, sind gar nicht so selten. Sie können alle Branchen und Unternehmen jeder Größe betreffen. Es gibt dafür die unterschiedlichsten Auslöser: Neben Chemieunfällen und Bränden können auch Naturkatastrophen oder Überfälle und Amokläufe zu Situationen führen, in denen Menschen so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden müssen. Profis unterscheiden zwischen internen und externen Anlässen für eine Evakuierung.
Das Ergebnis ist dasselbe: Menschen müssen informiert, gewarnt und aus der Gefahrenzone gebracht werden. Die Verantwortung dafür liegt beim Arbeitgeber. Das Arbeitsschutzgesetz fordert diesen in § 10 ausdrücklich auf, entsprechend der Art der Arbeitsstätte und der Tätigkeiten sowie der Zahl der Beschäftigten die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind.
Doch er muss nicht alles allein bewältigen: Damit Arbeitsstätten im Notfall sicher evakuiert werden, können Evakuierungshelfer benannt werden. In der Praxis sind auch die Bezeichnungen „Räumungshelfer“, „Etagen- beziehungsweise Stockwerksbeauftragte“ oder „Paten“ gebräuchlich.
Das sind die Aufgaben
Wie ihr Name schon verrät, helfen diese Beauftragten anderen Personen dabei, sich in Sicherheit zu bringen. Sie koordinieren die Evakuierung für ihren Bereich, zeigen vor allem Betriebsfremden den Weg und unterstützen bei Bedarf Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen beim Verlassen gefährdeter Bereiche. Sie überprüfen zudem, ob evakuierte Bereiche tatsächlich komplett geräumt sind.
Und sie sind auch an der Sammelstelle aktiv und vergewissern sich, dass sich wirklich alle Personen aus ihrem Bereich in Sicherheit befinden. Hier arbeiten sie in der Regel ihren Vorgesetzten zu, die dann an die Einsatzkräfte melden, welche Bereiche überprüft wurden und ob noch Personen vermisst werden. Während einer Übung können Evakuierungshelfer darüber hinaus als Beobachter eingesetzt werden, denn sie haben einen guten Blick für mögliche Schwachstellen im Ablauf.
Benennung und Anzahl
Nicht in jedem Unternehmen gibt es die Position der Evakuierungshelfer. Diese ehrenamtlichen Beauftragten werden eingesetzt, wenn
- Lage,
- Ausdehnung und
- Benutzung der Arbeitsstätte dies erforderlich machen.
Ein weiteres Kriterium für die Entscheidung, ob Evakuierungshelfer gebraucht werden, ist die Anwesenheit beziehungsweise Anzahl von betriebsfremden Personen im Gebäude. Das können zum Beispiel Besucher, Angehörige von Fremdfirmen oder Kunden sein. All diese Kriterien werden im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung betrachtet. Sie sind auch ausschlaggebend dafür, ob das Unternehmen einen Flucht- und Rettungsplan erstellen muss.
Die nächste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wie viele Evakuierungshelfer werden gebraucht? Hier hält sich der Gesetzgeber bedeckt. In der Praxis hilft ein Blick in die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“. In Abschnitt 7.3 Ziffer 2 gibt es eine Vorgabe zu den Brandschutzhelfern, an denen sich Unternehmen auch für den Einsatz von Evakuierungshelfern orientieren können: „Ein Anteil von fünf Prozent der Beschäftigten ist in der Regel ausreichend. Eine größere Anzahl von Brandschutzhelfern kann zum Beispiel bei erhöhter Brandgefährdung, der Anwesenheit vieler Personen, Personen mit eingeschränkter Mobilität sowie großer räumlicher Ausdehnung der Arbeitsstätte erforderlich sein.“
Der Blick auf die Brandschutzhelfer ist auch deshalb sinnvoll, weil Brandschutzhelfer gleichzeitig als Evakuierungshelfer eingesetzt werden können. Dazu muss allerdings in der Gefährdungsbeurteilung sichergestellt werden, dass genügend Brandschutzhelfer vorhanden sind und diese durch ihren Einsatz bei Evakuierungen nicht in ihren eigentlichen Aufgaben eingeschränkt werden.
Ausrüstung und Ausbildung
Auch für die Ausbildung und eventuell erforderliche Ausrüstung der Evakuierungshelfer gibt es keine detaillierten Vorgaben. Arbeitgeber haben diesbezüglich freie Hand – wobei sie allerdings die Zahl der Beschäftigten und sonstigen anwesenden Personen sowie das betriebliche Gefährdungspotenzial angemessen berücksichtigen müssen.
Der Unternehmer kann die ehrenamtlichen Kräfte selbst unterweisen oder zum Beispiel die Fachkraft für Arbeitssicherheit damit beauftragen. Auch externe Dienstleister bieten eine Unterweisung an, oft in Kombination mit der Ausbildung für die Brandschutzhelfer. Ein Tipp: Unterweisungen gemäß VDI 4062 beleuchten das Thema auf einer soliden fachlichen Basis.
Wie eine Evakuierung organisiert und durchgeführt werden sollte, beschreibt die Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) 4062. Darin werden branchenübergreifende Methoden vorgestellt und Hinweise zu baulichen und technischen Mitteln gegeben, aber auch organisatorische und personelle Lösungen beschrieben. Auch an besondere Situationen ist gedacht, etwa wenn ein Tag der offenen Tür oder Versammlungen auf dem Werksgelände geplant sind.
Unterweisung für alle Beschäftigten
Die Unterweisung der Evakuierungshelfer startet nicht bei Null. Grundsätzlich müssen alle Beschäftigten einmal im Jahr zu den betrieblichen Notfallmaßnahmen unterwiesen werden. Darauf kann dann die Unterweisung für die Helfer aufbauen. Wichtige Themen sind:
- Alarmierungseinrichtungen (zum Beispiel Handfeuermelder)
- Alarmierungssignale (zum Beispiel akustisch, optisch)
- Fluchtwege
- Sicherheitseinrichtungen (zum Beispiel Brandschutztüren, Löschanlagen)
Die Unterweisung muss dokumentiert werden. In der Praxis hat es sich bewährt, nach einer Unterweisung möglichst bald eine (nicht angekündigte) Evakuierungsübung durchzuführen.
Regelmäßige Übungen
Hat die Gefährdungsbeurteilung ergeben, dass das Unternehmen einen Flucht- und Rettungsplan braucht, stellt dieser die Basis für Evakuierungsübungen dar. Das regelt die Arbeitsstättenverordnung. Damit alle – Helfer und Beschäftigte – im Ernstfall wissen, wie sie sich in Sicherheit bringen, soll dies einmal jährlich geübt werden.
Evakuierung oder Räumung?
Wenn Personen einen gefährdeten Bereich auf organisierte Weise verlassen, um in einen sicheren Bereich zu gelangen, wird das als Evakuierung bezeichnet. Umgangssprachlich wird häufig der Begriff „Räumung“ synonym verwendet. Doch der stammt eigentlich aus dem Polizeirecht und bezeichnet genaugenommen eine polizeitaktische Maßnahme zur Gefahrenabwehr.