Sibe bilden eine Brücke zwischen den formalen Vorgaben zum Arbeitsschutz im Betrieb und der Umsetzung beziehungsweise Anwendung des Arbeitsschutzes im täglichen Geschäft. Die Tätigkeit der Sicherheitsbeauftragten zielt dabei in beide Richtungen: Einerseits sind sie für ihre Kollegen und Kolleginnen Ansprechpartner auf Augenhöhe bei Problemen zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Und anderseits geben sie ihren Kolleginnen und Kollegen Hinweise, wie diese den innerbetrieblichen Vorgaben zum Arbeitsschutz nachkommen können – ebenfalls auf Augenhöhe.
Doch inwieweit lässt sich diese Idealvorstellung tatsächlich im jeweiligen Betrieb umsetzen und wie wirksam agieren die Sicherheitsbeauftragten in ihrer Rolle und Funktion im Arbeitsalltag? Welche Hindernisse stellen sich ihnen in den Weg und welche Faktoren können ihre Arbeit begünstigen?
Wirksamkeit und Anerkennung
Eine objektive Messung der Wirksamkeit der Tätigkeit von Sicherheitsbeauftragten gestaltet sich grundsätzlich schwierig, da hierfür auch entsprechende objektive Kennzahlen zugrunde gelegt werden müssen. Wesentlich einfacher gestaltet sich die Ermittlung des subjektiven Empfindens von Wirksamkeit der eigenen Tätigkeit als Sibe. Die DGUV hat dafür im Jahr 2021 eine Umfrage unter mehr als 1.600 Sicherheitsbeauftragten durchgeführt und dabei deren Einschätzung einer ganzen Reihe von Faktoren zu ihrer Tätigkeit erfasst.
Eine Frage der Dauer
Bei der erlebten Wirksamkeit der eigenen Tätigkeit als Sibe zeigt sich ein direkter Zusammenhang mit der Dauer dieser Tätigkeit: Je länger Beschäftigte in der Rolle als Sibe tätig sind, als desto wirksamer nehmen sie diese Tätigkeit wahr (Abbildung 1). Allerdings wird dieser Zusammenhang erst nach ein paar Jahren deutlich – über den Grund für die anfängliche erhöhte Wirksamkeitsempfindung in der ersten vier Jahren lässt sich nur spekulieren.
Ebenfalls in einem deutlichen Zusammenhang mit der Dauer der Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter steht die hierfür erfahrene Anerkennung. Auch hier zeigt sich, dass die wahrgenommene Anerkennung für die eigene Tätigkeit als Sibe mit den Jahren steigt. Und ebenfalls ist, wie schon bei der empfundenen Wirksamkeit, der kleine „Einbruch“ nach den ersten Jahren der Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter offensichtlich (Abbildung 2).
Sicherheitsbeauftragte sind also umso wirksamer und erfahren umso größere Anerkennung für ihre Tätigkeit, je länger sie diese ausüben. In der betrieblichen Praxis empfiehlt es sich daher, Beschäftigte nicht durch die Rolle als Sibe „durchzurotieren“, auch wenn dies auf den ersten Blick als eine faire Lastenverteilung erscheinen mag. Stattdessen sollten motivierte und engagierte Sicherheitsbeauftragte möglichst lange ihre Tätigkeit ausüben können.
Zusätzliches Potenzial erkennbar
Um einen Blick darauf zu erhalten, was sich im Detail hinter der als wirksam empfundenen Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter verbirgt, wurden die Teilnehmer der Studie nach konkreten Teilaspekten gefragt (Abbildung 3). Es zeigte sich, dass Sibe besonders wirksam bei der Vermeidung unsicheren Verhaltens anderer Beschäftigter und bei der Bereitstellung und korrekten Nutzung von Persönlicher Schutzausrüstung sind – was im Wesentlichen auch dem gesetzlichen Auftrag an sie entspricht. Und ganz offensichtlich ist der ebenfalls gesetzlich vorgesehene Ansatz, dass Sibe aus dem Kreis der Beschäftigten kommen sollen, hierfür durchaus angemessen.
Neben diesen beiden eher gesetzlichen Aufgaben nannten die befragten Sibe jedoch noch eine Reihe weiterer Themen, zu denen sie mit ihrer Tätigkeit wirksam beitragen können. Insbesondere die nicht näher spezifizierte, jedoch mit 17 Prozent deutliche Nennung des Teilaspekts „andere Arbeitsschutzthemen“ zeigt, dass die Tätigkeit von Sicherheitsbeauftragten noch deutliches Potenzial für die wirksame Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb birgt. Für die betriebliche Praxis empfiehlt es sich daher, die Sicherheitsbeauftragten nicht nur beschränkt auf den gesetzlichen Auftrag einzusetzen, sondern sie in alle betrieblichen Aktivitäten zu Sicherheit und Gesundheit aktiv einzubeziehen.
Hindernisse und Gegenimpulse
Die Wirksamkeit der Tätigkeit von Sicherheitsbeauftragten im Betrieb ist jedoch kein Selbstläufer; es gibt Hindernisse und gegenläufige Impulse. Diese lassen sich grob den folgenden vier Themenfeldern zuordnen:
- Eigene Qualifikation und Ressourcen
- Akzeptanz durch Kollegen
- Einbeziehung in betriebliche Abläufe
- Information und Unterstützung durch Vorgesetzte
1. Qualifikation und Ressourcen
Das in diesem Themenfeld am häufigsten genannte Hindernis für eine wirksame Sibe-Tätigkeit ist fehlendes Fachwissen im Arbeitsschutz, obwohl Sicherheitsbeauftragte zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Regel eine entsprechende Qualifizierung erhalten. Allerdings ist die Ausbildung derzeit weder in inhaltlicher noch in zeitlicher Hinsicht standardisiert. Angeboten wird die Qualifizierung zudem nicht nur von den Unfallversicherungsträgern, sondern auch von Ausbildungsanbietern auf dem freien Markt. Leider verfügen zudem 9.5 Prozent der Sibe über keine entsprechende Qualifizierung. Dies alles mag zu den wahrgenommenen fachlichen Defiziten beitragen.
Als zweites großes Hindernis in diesem Bereich geben Sicherheitsbeauftragte an, zu wenig Zeit für diese Zusatztätigkeit zugestanden zu bekommen, und dass die Randbedingungen ihrer eigentlichen Tätigkeit hierfür auch keinen Raum lassen. Schließlich vermissen viele Sicherheitsbeauftragte den Erfahrungsaustausch mit anderen Sibe. Für die betriebliche Praxis ergeben sich daraus folgende Empfehlungen:
- Beschäftigte, die zukünftig als Sicherheitsbeauftragte tätig werden sollen, sollten eine angemessene Qualifizierung erhalten, die vor allem auch branchen- und eventuell sogar betriebsspezifische Inhalte umfasst. Letzteres könnte auch intern durch die zuständige Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) sichergestellt werden.
- Zwar erfolgt die Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter zusätzlich zu den eigentlichen Arbeitsaufgaben. Sie sollte jedoch nicht erst dann erfolgen, wenn alle eigentlichen Tätigkeiten erledigt sind, sondern in deren Rahmen. Gegebenenfalls kann die zuständige Führungskraft dies mit einer Reduktion der eigentlichen Aufgaben des Sicherheitsbeauftragten unterstützen.
- Den Sicherheitsbeauftragten eines Unternehmens sollte es ermöglicht werden, ihre jeweiligen Erfahrungen auch arbeitsbereichsübergreifend auszutauschen. In der betrieblichen Praxis hat sich hierfür bewährt, dass die zuständige Sifa einen solchen Erfahrungsaustausch auf regelmäßiger Basis einberuft und moderiert. Gleichzeitig kann die Sifa dies als Gelegenheit zum Informationsaustausch mit den Sicherheitsbeauftragten nutzen. In Unternehmen, die nur über einzelne Sibe und auch über keine eigene Sifa verfügen, können die Sibe an entsprechenden auf dem Markt angebotenen Veranstaltungen teilnehmen.
2. Akzeptanz durch Kollegen
Sicherheitsbeauftragte können in ihrer Rolle als Ansprechpartner für ihre Kolleginnen und Kollegen nur dann wirksam sein, wenn sie vonseiten der Kollegen in dieser Rolle auch akzeptiert werden. Viele der befragten Sibe gaben an, dass eben dies nicht der Fall sei: Ihre Kollegen sprächen sie nur selten bei Fragen zu Sicherheit und Gesundheit an und ließen sich auch nur schwer von Verbesserungen im Arbeitsschutz überzeugen.
Einerseits bedarf die Akzeptanz des Sicherheitsbeauftragten durch die Mitarbeitenden sicher einer gewissen Zeit, wie oben bei der Diskussion der subjektiv wahrgenommenen Wirksamkeit schon vermutet. Andererseits kann dies jedoch auch aktiv befördert werden, sowohl durch die Sicherheitsbeauftragten selbst als auch durch die jeweiligen Vorgesetzten. In der betrieblichen Praxis kann sich daraus Folgendes empfehlen:
- Sibe können beispielsweise aktiv auf neue Kollegen zugehen, sie auf Sicherheit und Gesundheit im Betrieb ansprechen und auf diese Weise von Anfang an Akzeptanz sowie ein Vertrauensverhältnis schaffen.
- Die Vorgesetzten ihrerseits können bei entsprechenden Gelegenheiten, wie zum Beispiel bei Unterweisungen, Dienstbesprechungen oder dem ersten Arbeitstag neuer Beschäftigter, auf die Rolle des Sicherheitsbeauftragten hinweisen. Die so demonstrierte Wertschätzung des Sicherheitsbeauftragten durch die Führung ist eine der Voraussetzungen für die Akzeptanz der Sibe auch seitens der Kollegen.
3. Einbeziehung in betriebliche Abläufe
Viele der befragten Sicherheitsbeauftragten berichten, dass sie von Unfällen oder gefährlichen Situationen in ihrem Bereich oft nicht oder zu spät erfahren, bei Betriebsbegehungen durch Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger nicht einbezogen werden oder an den Sitzungen des ASA nicht teilnehmen dürfen. Unter Umständen trifft sogar mehreres zu. Solche Umstände behindern die Arbeit von Sibe massiv, die Empfehlungen für die betriebliche Praxis sind daher auch unmittelbar:
- Sibe sollten direkt und möglichst schnell über Unfälle oder aufgetretene gefährliche Situationen informiert werden. Die Sibe können dann feststellen, ob die mit dem Vorfall verbundenen Ursachen auch in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich anzutreffen sind, und gegebenenfalls die zuständige Führungskraft darüber informieren oder eventuell auch entsprechende Maßnahmen vorschlagen.
- Sibe sollten an allen Betriebsbegehungen, die ihren jeweiligen Bereich betreffen, teilnehmen können. Dies unterstützt den beiderseitigen Informationsaustausch zu Sicherheit und Gesundheit im Betrieb und ist außerdem Ausdruck der Wertschätzung der Sicherheitsbeauftragten und ihrer Tätigkeit.
- Aus demselben Grund sollten Sibe an den ASA-Sitzungen teilnehmen. In großen Unternehmen, die über viele Sibe verfügen, kann dies auch nach dem Rotationsprinzip zum Beispiel alle zwei Jahre erfolgen. In diesem Fall sollten alle Sibe, die gerade nicht selbst an den ASA-Sitzungen teilnehmen, im Nachgang über die relevanten Inhalte und Ergebnisse informiert werden – im Idealfall persönlich durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit.
4. Unterstützung durch Vorgesetzte
Sicherheitsbeauftragte unterstützen die für Sicherheit und Gesundheit jeweils verantwortliche unmittelbare Führungskraft. Unterstützt die Führungskraft ihrerseits die in ihrem Verantwortungsbereich tätigen Sibe jedoch nicht oder kennt sie deren Rolle und Aufgaben nicht oder nur ungenügend, können die jeweiligen Sibe diesem gesetzlichen Auftrag nur bedingt nachkommen. Ebenso kontraproduktiv ist es, wenn Vorgesetzte versuchen, sich mit Verweis auf die angeblich verantwortlichen Sibe aus ihrer Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit zurückzuziehen. Diese geschilderten Umstände wurden in der Befragung von rund einem Fünftel der Sibe genannt, gehören also offensichtlich durchaus zur betrieblichen Realität. Die Empfehlungen für die betriebliche Praxis ergeben sich daher auch hier unmittelbar:
- Die Unterstützung von Sibe und Vorgesetzten sollte beiderseitig erfolgen: Sibe informieren ihre Vorgesetzten über mögliche Gefahren für Sicherheit und Gesundheit im jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Die Vorgesetzten hingegen sorgen für die hierfür notwendigen Informationen und Randbedingungen. Dass die Vorgesetzten dafür die Rolle und Aufgaben der Sibe kennen müssen, ist selbstverständlich.
- Sibe haben lediglich eine unterstützende Funktion, sie übernehmen keine Verantwortung für die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Verantwortlich bleibt die jeweils zuständige Führungskraft.
Soweit also die von den befragten Sicherheitsbeauftragten am häufigsten genannten Hindernisse für eine gute Wirksamkeit ihrer Tätigkeit. Die umgekehrte Frage nach den Möglichkeiten, diese Wirksamkeit zu verbessern, spiegelt die Hindernisse quasi mit umgekehrtem Vorzeichen direkt und konzentriert auf die TOP-Five wider (Abbildung 4).
Zusätzlich zu den bereits dargestellten Faktoren wurde nun jedoch auch der starke Wunsch nach regelmäßigen Fachinformationen und praktischen Hilfsmitteln seitens der Unfallversicherung geäußert. Daraus resultiert als Ergänzung zu den obigen Empfehlungen an die betriebliche Praxis ein konkreter und direkter Auftrag an die UVT sowie die DGUV zur Bereitstellung entsprechender Informationen und Hilfsmittel.
Weitere Informationen
- „Verbesserung der Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten. Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze für erfolgreiche außerbetriebliche und innerbetriebliche Maßnahmen“, herausgegeben von der DGUV (2023); www.dguv.de (Webcode p022400)
- DGUV Information 211–042 „Sicherheitsbeauftragte“;
www.dguv.de (Webcode p211042) - Webseite des Sachgebiets „Sicherheitsbeauftragte“ der DGUV;
www.dguv.de (Webcode d657252) - Wie Sibe aktiv in das Thema Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden können, erklärt Markus Kohn im Artikel „Kontinuierlicher Beitrag zur Gefährdungsbeurteilung“, Sicherheitsbeauftragter 6/2020, Seite 21 bis 23