In allen Bereichen der betrieblichen Sicherheitskultur – vom Arbeitsschutz über die Gesundheitsprävention bis hin zum Brandschutz – wird die Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) die Sicherheit des Unternehmens ganzheitlich denken und planen. Dazu gehört es auch, die Digitalisierung so mitzugestalten, dass alle Sicherheitsbereiche des Unternehmens durch IT-Strukturen optimal und sinnvoll miteinander verbunden sind.
Die neue Arbeitswelt verändert auch die Herausforderungen für die Sicherheitskultur in den Unternehmen. Darauf müssen auch die Verantwortlichen für Arbeits- und Gesundheitsschutz reagieren und ihre Kompetenzprofile entsprechend anpassen. Dies gilt insbesondere für den Sicherheitsingenieur beziehungsweise die Sifa.
Denn die Sifa wird zunehmend nicht mehr als Sicherheits-Spezialist mit punktuellem Einsatz bei Unfall und Gefährdung gesehen, sondern als Prozessmanager, der – integriert in die Unternehmensführung – an ganzheitlichen Lösungen im Betrieb arbeitet und für nachhaltige Sicherheit durch Integration in das betriebliche Management sorgt.
Die Umsetzung eines ganzheitlichen Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagements wird immer mehr als ein kontinuierlicher Prozess verstanden, bei dem der Unternehmer stetig Beratung benötigt. Und bei dem insbesondere der Sifa die Rolle zukommt, diesen Prozess laufend zu analysieren, anzupassen und zu optimieren.
Paradigmenwechsel
Wo liegen die Ursprünge dieses fundamentalen Wandels? Die Deregulierung der betrieblichen Arbeitssicherheit durch das Arbeitsschutzgesetz von 1996 und durch die Betriebssicherheitsverordnung von 2002 brachte den Arbeitgebern größere Freiheiten, eigene Lösungswege für eine nachhaltige Sicherheits- und Präventionskultur in ihren Unternehmen zu finden. Der Arbeitgeber kann seitdem allgemein vorgegebene Schutzziele eigenverantwortlich gestalten und umsetzen, dafür erhält er einen größeren Handlungsspielraum für deren Umsetzung im eigenen Betrieb.
Dieser Paradigmenwechsel reflektierte einen internationalen Trend zur Selbstverantwortung der Unternehmen in Bezug auf die Arbeitssicherheit und den betrieblichen Gesundheitsschutz, der im anglo-amerikanischen Raum seinen Anfang nahm und teilweise auch von den Unternehmen selbst, nicht nur dem Gesetzgeber, ausgelöst wurde. Ein wesentlicher Bestandteil dieses strategischen Wandels in den dortigen Unternehmen war es (unter anderem als Ergebnis von verlorenen Zivilprozessen wegen Nachlässigkeiten beim betrieblichen Umwelt- und Gesundheitsschutz mit damit verbundenen Entschädigungen in Millionenhöhe an die Kläger), betriebsinterne Prozesse auch in den Bereichen besser steuern zu können, die (teilweise) nur indirekten Einfluss auf die Produktivität und die ökonomische Wertschöpfung haben.
Mit der Einführung von EHS-Systemen (Environment-Health-Safety, Umwelt-Gesundheit-Sicherheit) oder HSE-Systemen (Health-Security-Environment) kamen integrierte Managementsysteme im Rahmen eines übergreifenden Risikomanagements zum Einsatz, bei denen zunächst Qualitätsmanagement und Umweltschutz, später auch Gesundheitsschutz sowie Arbeitssicherheit und neuerdings auch der Datenschutz und IT-Netzwerksicherheit gleichermaßen berücksichtigt und aufeinander abgestimmt wurden.
EHS-Systeme setzen sich durch
Bis heute haben sich diese Managementsysteme zumindest in großen und international operierenden Unternehmen durchgesetzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: EHS-Systeme sorgen für eine langfristig nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Sicherheit, Qualitätswesen, Gesundheit und Umweltschutz, im Idealfall entstehen zwischen den einzelnen Bereichen sogar Synergieeffekte. Mit Hilfe der Systeme gelingt es, Ressourcen zu sparen sowie die Risiken von Produkten und Arbeitsprozessen zu minimieren beziehungsweise ganz auszuschließen.
Bei allen geschäftlichen Entscheidungen werden die Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Arbeitssicherheit abgewogen. Indem der Ist-Zustand kontinuierlich mit immer wieder neu formulierten Zielvorgaben verglichen wird, gibt es eine permanente Erfolgskontrolle und damit die Möglichkeit, Fehler sofort zu beheben. Zusätzlich zu den bereits oben genannten Themenfeldern ist in den vergangenen Jahren die Betriebssicherheit mit all ihren Facetten (IT-Sicherheit und Datenschutz, Brandschutz etc.) ein immer wichtigeres Handlungsfeld geworden, dessen Management eine weitere große Herausforderung darstellt und daher von EHS-Systemen zunehmend mitberücksichtigt wird.
Von der Sifa zum EHS-Manager
Dieser Wandel fordert auch eine neue Rolle der Sifa, was sich teilweise auch schon in der Änderung der Berufsbezeichnung zeigt. Denn in den Stellenanzeigen großer Unternehmen ist schon längst nicht mehr von Sifa die Rede, sondern diese suchen nach sogenannten EHS-Managern. In Deutschland wurde in den letzten Jahren der Begriff „Manager für Sicherheit und Gesundheit“ eingeführt.
Alle diese Begriffe verweisen schon darauf, dass die Aufgabenfelder der Sifa in den vergangenen Jahren stark expandierten. Die Sifa soll nicht mehr nur Fachkraft für Sicherheit, sondern gleichzeitig auch für Gesundheit, betrieblichen Umweltschutz und sogar IT-Sicherheit zuständig sein – und darüber hinaus muss sie es auch verstehen, die unterschiedlichen digitalen Informationstechnologien hierfür zu nutzen und anzuwenden.
Neue Gefahren für Unternehmen
Dieser Wandel ist nicht nur auf freiwilliger Basis erfolgt. Die Unternehmen des 21. Jahrhunderts werden schließlich mit neuen Gefahren konfrontiert, die sie bislang nicht kannten. Das Thema Sicherheit muss dabei immer breiter aufgestellt werden – und dies muss sich auch im Kompetenzspektrum der Sifa niederschlagen. Diese Gefährdung hat vor allem mit der notwendigen Digitalisierung der Unternehmen zu tun, bei der alle Funktionsbereiche des Unternehmens durch IT-Strukturen miteinander verbunden werden.
So wichtig diese Vernetzung für die Unternehmen ist, so leicht angreifbar machen sie die digitalen Netzwerke. Die vernetzten Systeme der globalisierten Arbeitswelt werden immer anfälliger für Cyberangriffe und sind durch Manipulationen von außen jederzeit angreifbar. Dadurch kann ein immenser Schaden für die Unternehmen entstehen – und gerade auch für ihre Sicherheitssysteme, egal ob diese zur Sicherung der IT oder zum Brandschutz installiert sind.
Eine weitere Entwicklung verkompliziert die Lage: Die externen Angreifer setzen zunehmend selbstlernende Techniken ein, um ihre Angriffsmuster kontinuierlich zu verändern und werden dadurch immer schwerer zu bekämpfen. Die Unternehmen brauchen daher Experten, die sowohl IT-Architekturen als auch Sicherheitsbereiche wie den Brandschutz beherrschen und für ihre Unternehmen wirksame und flexible Sicherheitsarchitekturen entwerfen und umsetzen können. Viele Sifa haben bereits wertvolle Kompetenzen, beispielsweise im Bereich des Brandschutzes. Auch hierbei bietet sich also die Sifa an, um als umfassende Sicherheitsexpertin im Unternehmen eingesetzt werden zu können.
Softwareentwicklung sicher planen
Die Sifa müssen dabei als fachliche Generalisten mithelfen, die Grundlagen einer ganzheitlichen digitalen Sicherheitsarchitektur zu entwerfen und zu planen, in denen der Arbeits- und Gesundheitsschutz fest integriert ist. Ein wichtiger strategischer Ansatzpunkt, um dieses Ziel zu realisieren, bildet dabei die Auswahl der richtigen Software für die spezifischen betrieblichen Anforderungen. Denn deren Ergonomie, Störanfälligkeit und Benutzungssicherheit beziehungsweise Benutzerfreundlichkeit entscheidet darüber, wie erfolgreich die IT-Strukturen und ‑prozesse arbeiten, wie resistent sie gegenüber externen Angriffen sind und inwiefern sie in der Lage sind, alle Belange und Anforderungen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes optimal abzubilden.
Die Sifa hat auf diesen Prozess unmittelbaren Einfluss und sollte die ihr wichtigen Kriterien bereits bei der Planung, spätestens bei der Beschaffung der Software berücksichtigen. So müssen Sifa bereits im Stadium der Softwareentwicklung oder ‑auswahl ihr Unternehmen kompetent beraten können, welche Software angeschafft werden sollte, oder, sollte die Software erst speziell entwickelt werden, wie die Themen Sicherheit und Gesundheit durch die Algorithmen abgebildet beziehungsweise integriert werden müssen.
Dazu brauchen sie nicht nur Kenntnisse über IT-spezifische Grundlagen wie beispielsweise der smarten Prozesssteuerung oder der Funktionsweise von Plattformökonomien, sondern auch soziale Kompetenzen. Denn sie müssen bei der Planung, Entwicklung und der Implementierung von Softwaresystemen zumeist im Rahmen interdisziplinärer Teams arbeiten und sind daher darauf angewiesen, ihre Interessen zielgruppengerecht und sensibel vermitteln zu können. So muss sie etwa dem IT-Administrator die Bedeutung und die spezifischen Anforderungen der gesundheitlichen Prävention für die betriebliche Prozessoptimierung vermitteln können und wie diese in die IT-Prozesse zu integrieren sind.
Aber auch mit der potenziell mangelnden Akzeptanz innerhalb der Belegschaft für die weitere Digitalisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagements muss die Sifa umgehen können und daher in der Lage sein, unterschiedliche Meinungen zu moderieren, zielgruppengerecht zu informieren, zu motivieren und Bedenken auszuräumen. Sifa sollen als Generalisten und Kenner aller Bereiche der Sicherheitskultur eines Unternehmens die Führung in der Beratung der Unternehmensleitung bei der Einführung und Fortentwicklung von IT-Systemen (mit-) übernehmen und dafür sorgen, dass das Arbeitsschutzmanagement durch die immer stärkere Digitalisierung ständig verbessert wird – und die Beschäftigten dabei „mitgenommen“ werden (siehe Infokasten).
Der Autor: Dr. Joerg Hensiek
Fachautor und freier Journalist
Foto: privat
Technostress: GBU-Psyche und Digitalisierungsprojekte verbinden
Neben der IT-Kompetenz ist es für die Sifa auch immer wichtiger, sich neben den klassischen Belastungsfaktoren der industriellen Arbeitswelt auch mit psychischen Belastungen zu befassen. Diese werden in deutschen Unternehmen immer mehr zum Belastungsfaktor Nummer Eins, was unter anderem mit der Geschwindigkeit der kontinuierlich fortschreitenden Digitalisierung von Arbeits- und Kommunikationsprozessen zu tun hat. Der „Technostress“ beeinträchtigt somit auch die Arbeitsleistung der Beschäftigten. Für weitere Digitalisierungsprojekte in den Unternehmen kann das bedeuten, dass deren Akzeptanz in der Belegschaft immer geringer wird – ein sicheres Vorzeichen für deren Scheitern in mittel- und langfristiger Perspektive.
In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Betriebliche Prävention“ schlagen die Autoren und Sifa Björn Bücks und Katrin Zittlau daher vor, die digitalen Veränderungsprozesse während ihrer gesamten Laufzeiten mit regelmäßigen psychischen Gefährdungsbeurteilungen zu begleiten, wobei die Sifa das Indikatoren-Set der mittlerweile allgemein angewendeten GBU Psyche nutzen sollte. So erhält man nicht nur ein regelmäßiges Bild der psychischen Verfassung der Beschäftigten, sondern kann die Arbeitsschutzanforderungen ständig aktualisieren.