Der Begriff „Smart“ begegnet uns heute in allen Lebensbereichen, vom Smartphone über das Smart Home, dem Smart Grid beziehungsweise dem intelligenten Stromnetz bis hin zur Smart Factory, welche häufig auch als intelligente Fabrik bezeichnet wird. In der deutschen Übersetzung wird smart meist mit intelligent gleichgesetzt.
Smarte Systeme erfordern das Vorhandensein Smarter Produkte. Smarte Produkte, oft auch als Cyberphysische Systeme (CPS) bezeichnet, verfügen durch Sensoren über die Fähigkeit, ihre Umwelt wahrzunehmen. Sie können die so gewonnenen Daten mit Hilfe eingebetteter Elektronik intelligent verarbeiten, mit entsprechender Aktorik situationsgerecht reagieren und mit anderen Systemen, den Menschen eingeschlossen, kommunizieren.
Die grundlegende Zielstellung Smarter Systeme ist es, den Menschen bei der Erfüllung einer bestimmten Zielstellung oder Aufgabe durch die Vernetzung von realer und virtueller Welt zu unterstützen. Bei der Smart Maintenance besteht die Zielstellung der Instandhaltung laut Definition der aktuellen DIN 31051:2019–06 in der „Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen sowie Maßnahmen des Managements während des Lebenszyklus […] eines Objekts […], die dem Erhalt oder der Wiederherstellung ihres funktionsfähigen Zustands dient, sodass es die geforderte Funktion […] erfüllen kann.“
Für Smart Maintenance existiert keine einheitliche Definition. Zum größten Teil einig ist man sich jedoch darüber, dass sie von den Einflüssen der Digitalisierung und Industrie 4.0 geprägt ist und einen ganzheitlichen Ansatz zur Optimierung der Instandhaltung darstellt.
Der Digitale Zwilling
Auch für den Digitalen Zwilling (englisch Digital Twin) gibt es zahlreiche Definitionsversuche – aber noch keine, die allgemeingültig anerkannt sind. Zu unterschiedlich sind die Anwendungsbereiche und damit auch die Anforderungen, die an einen Digitalen Zwilling gestellt werden. Meist wird der Begriff „Digitaler Zwilling“ verwendet, wenn von einer virtuellen beziehungsweise digitalen Repräsentanz eines physisch real existierenden Objekts die Rede ist.
Dieses digitale Abbild ist, im Gegensatz zu einem Produktmodell, eine einzigartige Instanz, welche informationstechnisch über das Internet der Dinge (englisch Internet of Things bzw. IoT) fest mit ihrem physischen Gegenstück verbunden ist. Während das Produktmodell, häufig auch als Digitaler Master bezeichnet, die für den jeweiligen Anwendungsfall notwendigen Beschreibungsmodelle beinhaltet und für zahlreiche real existierende Produkte identisch sein kann, erzeugt die informationstechnische Kopplung eine einzigartige Instanz dieses Modells, den sogenannten Digitalen Schatten.
Dieser beinhaltet bspw. Betriebs- und Zustandsdaten, Servicedaten und Konfigurationsdaten sowie deren Änderungen. Der eigentliche Digitale Zwilling entsteht erst durch eine intelligente Verknüpfung von Master und Schatten, wobei die Intelligenz in den für die Verknüpfung eingesetzten Algorithmen besteht. Je nach Anwendung ist es dabei nicht unbedingt notwendig, dass CAD-Daten vorhanden sein müssen. Welche Art von Stammdaten in welcher Form als Grundinformationen benötigt werden, wird von der Anwendung vorgegeben.
Eine der einfachsten für die Instandhaltung einer Produktionsanlage relevanten Stammdaten könnten neben der eindeutigen Identifikationskennzeichnung beispielsweise Grundinformationen zu Instandhaltungsintervallen sein. Werden diese Intervallangaben mit aktuellen Daten zu Betriebsstunden, Laufleistung oder Ähnlichem verknüpft, lassen sich daraus bereits individuelle Instandhaltungsmaßnahmen ableiten und planen.
Die Instandhaltung der Zukunft
In der Industrie 4.0 sind alle an der Produktion beteiligten Objekte, Prozesse und der Mensch untereinander vernetzt. Diese allgegenwärtige Verfügbarkeit von produktionsrelevanten Informationen soll die Vision einer selbstorganisierten Produktion ermöglichen. Neben der Produktionsplanung und ‑steuerung betrifft dies auch die Instandhaltung, da der Zustand der Produktionsanlagen maßgeblich die Erreichung der Ziele bezüglich Zeit, Kosten und Qualität mit beeinflusst.
In diesem Zusammenhang taucht in den Fachmedien gelegentlich der Begriff der instandhaltungsfreien Fabrik auf. Da Produktionsanlagen allerdings unausweichlich Alterungs- und Verschleißprozessen unterliegen, ist mit der instandhaltungsfreien Fabrik nicht gemeint, dass grundsätzlich keine Instandhaltungsmaßnahmen mehr erforderlich sein werden.
Vielmehr sollen in der Instandhaltung der Zukunft keine ungeplanten Ereignisse mehr auftreten, so dass über einen bestimmten Zeitraum eine reibungslose Produktion möglich ist und außerdem die Arbeitssicherheit erhöht wird. Dafür ist es notwendig, den Anlagenzustand jederzeit zu kennen und seine Entwicklung prognostizieren zu können.
Predictive Maintenance
Ein zentraler und stark mit Industrie 4.0 verbundener Aspekt von Smart Maintenance ist die Vorhersage von Instandhaltungsbedarfen auf Basis der realen Verschleißentwicklung, die sogenannte Predictive Maintenance. Dazu werden während der Nutzungsphase des Objekts Daten erhoben und mit mathematischen Verschleißmodellen so verarbeitet, dass ein verschleißbedingter Komponenten- beziehungsweise Anlagenausfall im Kontext des nutzungsbedingten Belastungsprofils möglichst genau prognostiziert werden kann.
Für bestimmte Komponenten wie beispielsweise Wälzlager oder Getriebe sind bereits Modellansätze verfügbar, die anhand von Schwingungsdaten relativ zuverlässig Auskunft über beginnende Schädigungen geben. Die exakte Vorhersage des Ausfallzeitpunkts stellt jedoch auch hier weiterhin eine große Herausforderung dar, da die Menge an Einflussgrößen, die schlussendlich zum Versagen führen können, in der Regel nicht kontinuierlich erfasst und im Modell berücksichtigt werden kann.
Verknüpfung mit Machine Learning
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Sensordaten und Ansätzen aus dem Bereich des maschinellen Lernens (englisch Machine Learning) zeichnen sich hier jedoch Verbesserungspotenziale ab, auch wenn der Hype der letzten Jahre um das Machine Learning als Allzweckwaffe deutlich zurückgegangen ist. Der Hauptgrund dafür liegt meist in den fehlenden Felddaten zu Ausfällen und deren Gründen.
Diese werden nämlich von den Machine Learning-Modellen für das überwachte Lernen in möglichst großer Zahl benötigt. Viele Unternehmen scheuen den Aufwand, der mit der Erhebung solcher Felddaten verbunden ist, zumal es keine Garantie dafür gibt, dass ein geeignetes und robustes Modell gefunden werden kann.
Eine schrittweise Einführung von Predictive Maintenance erscheint in Zeiten gestiegener Lieferengpässe dennoch zielführend, da aus den Daten in der Regel zumindest Kenngrößen abgeleitet werden können, anhand derer zumindest Zustandsveränderungen erkennbar und Trends verfolgt werden können. Fließen diese Informationen in das Ersatzteilmanagement und die Instandhaltungsplanung ein, so lassen sich durch rechtzeitige Maßnahmen Folgeschäden und langfristige Produktionsausfälle vermeiden.
Digitale Assistenzsysteme
Gerade die Instandhaltung ist stark vom Fachkräftemangel betroffen, da hier Kompetenzen in unterschiedlichen Fachgebieten erforderlich sind. Neben den Kenntnissen zur reinen Mechanik werden bei vielen Instandhaltungsobjekten zusätzlich Kenntnisse in Elektrik, Elektronik und Informationstechnik gefordert. Eine Möglichkeit, die Auswirkungen des Fachkräftemangels abzumildern, stellen digitale Assistenzsysteme dar.
Digitale Assistenzsysteme nutzen aktuelle und historische Informationen über das Objekt, um das Instandhaltungspersonal bei der operativen Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen interaktiv und kontextbezogen zu unterstützen. Diese Art der Assistenz geht weit über den Einsatz digitaler Checklisten hinaus, welche in der Regel statisch vorliegen und den aktuellen Zustand des Instandhaltungsobjekts nicht berücksichtigen.
Eine der im Kontext von Industrie 4.0 sehr bekannt gewordenen Form der interaktiven und kontextbezogenen Assistenz ist der Einsatz der erweiterten Realität (englisch Augmented Reality bzw. AR). Dabei werden dem Instandhaltungspersonal computergestützt Zusatzinformationen in aktuelle Bilder oder Videostreams in ein mobiles Endgerät, beispielsweise eine AR-Brille, Smartphone oder Tablet eingeblendet. So können zum Beispiel Hinweise bei der Demontage dem realen Bild überlagert werden.
Allerdings kann eine digitale Assistenz auch ohne aufwändige visuelle Informationsbereitstellung auskommen. So können die Voraussetzungen für Arbeitsschritte, deren Notwendigkeit zur Durchführung von bestimmten Zuständen des Instandhaltungsobjekts abhängen, durch ein digitales Assistenzsystem im Vorfeld erfasst, analysiert und bewertet werden. Voraussetzung dafür ist, dass das System Zugriff auf die benötigten Informationen, wie zum Beispiel einem Füllzustand, hat. Hierfür ist eine einfache interaktive Anleitung auf einem Smartphone oder Tablet ausreichend.
Ein weiterer Vorteil digitaler Assistenzsysteme besteht darin, dass durch die digitale Interaktion zwischen Instandhaltungspersonal und ‑objekt, beziehungsweise dessen Digitalen Zwilling, eine automatisierte Dokumentation ermöglicht wird. Damit entfällt die häufig noch anzutreffende nachträgliche manuelle Dokumentation und die nichtwertschöpfenden Anteile der Instandhaltungsmaßnahme können reduziert werden.
Reifegrad und Roadmap
Mit dem Aufkommen von Industrie 4.0 wurden zahlreiche Reifegradmodelle entwickelt, die dazu dienen sollen, Unternehmen aufzuzeigen, wo sie sich aktuell in Bezug auf den Einsatz von Digitalisierung und bestehenden Industrie‑4.0‑Lösungsansätzen befinden. Ein Reifegradmodell für Smart Maintenance fokussiert auf die für die Optimierung der Instandhaltung relevanten Themenfelder.
Dazu wird unter anderem ermittelt, welche Instandhaltungsstrategien bei den Unternehmen derzeit eingesetzt werden, wie es um die Datenlage bezüglich Ausfallhäufigkeiten und Risikobewertung bestellt ist, welche Ansätze für die Zustandsermittlung verschleißbehafteter Komponenten und Anlagen bereits implementiert sind und mit welchen Assistenzsystemen das Instandhaltungsmanagement sowie die operative Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen unterstützt werden.
Ist dieses Lagebild erst einmal bekannt, kann unter Beachtung von Wirtschaftlichkeitsaspekten eine Roadmap aufgestellt werden, welche die schrittweise Einführung von Smart Maintenance im Unternehmen ermöglicht.
Fazit
Smart Maintenance bezeichnet die intelligente Instandhaltung unter Verwendung von Digitalisierung und Internet- 4.0‑Technologien zur effektiven und effizienten Erreichung der klassischen Ziele der Instandhaltung in einem ganzheitlichen Ansatz. Welche Technologien dabei in welcher Ausprägung zum Einsatz kommen können, hängt vom jeweiligen konkreten Anwendungsfall ab.
Bereits kleinere Maßnahmen können dabei helfen, bestehende Instandhaltungskonzepte smarter zu machen, ohne gleich vor der Herausforderung zu stehen, die Vision der Smart Factory komplett umsetzen zu müssen.
Fraunhofer Smart Maintenance Community
Bei der Smart Maintenance Community der Fraunhofer Gesellschaft handelt es sich um einen Zusammenschluss von derzeit zwölf Fraunhofer-Instituten, welche unterschiedliche Kernkompetenzen für die Einführung von Smart Maintenance einbringen. Diese reichen von der Prozessanalyse und ‑optimierung, der Sensorentwicklung, über die Datenanalyse bis hin zur vollständigen Applikationsentwicklung, beispielsweise zur Schaffung digitaler Assistenzsysteme zur Optimierung der operativen Instandhaltungsabläufe.
Teilnahme an Online-Umfrage
Die aktuelle Lage bezüglich Lieferengpässen, Klimaneutralität, Energiekosten und Fachkräftemangel stellt die Instandhaltung vor große Herausforderungen. Gleichzeitig schaffen innovative Technologien, insbesondere auf dem Gebiet der Digitalisierung, ebenso große Potenziale, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Mit einer Online-Umfrage zur Instandhaltung möchte das Fraunhofer IPK in Kooperation mit Contact Software die konkreten Herausforderungen und Potenziale in der Instandhaltung ermitteln.
Link zur Umfrage: https://websites.fraunhofer.de/smart-maintenance/index.php/835775?lang=de