Kommunikation in Notfallteams
Zwar gilt die akutmedizinische Versor‧gung in Deutschland als eine der besten weltweit, die oft vermeidbaren Schäden am Patienten trüben jedoch das Bild. Untersuchungen haben ergeben, dass nach wie vor 70 Prozent der Ursachen von Zwischenfällen im Bereich der Human Factors, also durch menschliches Versagen, zu suchen sind. [2] Menschliche Faktoren sind im engeren Sinne Müdigkeit, Krankheit, Alter, Sehvermögen, Situationsaufmerksamkeit und Wachheitsgrad der beteiligten Personen.
Aber auch die Qualität der Zusammenarbeit in Teams, zum Beispiel Kommunikations- und Führungskompetenzen spielen eine entschei‧dende Rolle ebenso wie Aspekte der Sicherheitskultur und die übergreifenden Wert- und Zielvorstellungen eines Teams. Nicht zu vernachlässigen sind die kognitiven Aspekte der Entscheidungsfindung und des Multitaskings. [3] Kommunikation als entscheidender Bestandteil der Human Factors muss in seiner gesamten Bedeutung und auch in seiner Komplexität betrachtet werden.
Hindernisse in der Kommunikation
Ärzte und Pflegepersonal, die in der Notfallmedizin arbeiten, tragen mit ihrem Handeln und dessen Konsequenzen eine hohe Verantwortung für das Leben und die Gesundheit anderer. Sie zählen damit zur Gruppe der „High Responsibility Teams“ (HRTs), ähnlich wie beispielsweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zivilen Luftfahrt, der Polizei und der Feuerwehr. Angehörige dieser Berufsgruppen müssen extrem zuverlässig arbeiten, besonders achtsam und umsichtig entscheiden und handeln, da dies unmittelbare Konse‧quenzen für Mensch und Umwelt haben kann. Störungen und Fehlhandlungen, die nicht fehlerfrei behoben werden, können fatale Auswirkungen haben. [4]
Im Gegensatz zu klassischen Teams mit „normalem“ Arbeitsalltag können sie Ereignisse in der Regel nicht mehr rückgängig machen, richten möglicherweise mit ihrem Tun körperliche und psychische Schäden an, tragen die Last der Verantwortung für das Leben anderer und können keine Pausen und Unterbrechungen machen, wenn es ihnen passt. Zusätzlich sind sie häufig starkem Druck durch die Öffentlichkeit (Medien wie Fernsehen, Internet etc.) ausgesetzt. [5]
Das hohe Stressniveau der Beteiligten lässt Kommunikation unter eine hohe Spannung geraten. Gleichzeitig entsteht durch die Dichte und Komplexität von Notfallsituationen eine erhebliche Informationsüberlastung innerhalb kürzester Zeit. Einher geht damit ein gesteigertes Erregungsniveau der Kommunikationspartner, das sich höchst individuell auf den Einzelnen auswirken kann. Stresssituationen haben außerdem erheblichen Einfluss auf Motivation, Aufmerksamkeit, Kreativität und Spontaneität, und nicht zuletzt ist die Wahrnehmung deutlich eingeschränkt („Tunnelblick“). [6]
Kleine Missverständnisse können schwerwiegenden Folgen haben
Unter diesen erschwerten Bedingungen kommen Missverständnisse und Konflikte häufiger vor als in Alltagssituationen, wo Umgebung und Sinnzusammenhang einer Handlung sowohl dem Empfänger als auch dem Sender vertraut sind. Das bedeutet, dass gerade in Hochrisikobranchen, in denen schwierige und anspruchsvolle Aufgaben mit hoher Ambiguität und Zeitdruck bewältigt werden müssen, kleine Missverständnisse und Kommunikationsstörungen zu schwerwiegenden Konsequenzen führen können. [7]
Darüber, wie Anweisungen und Informationen gemeint sind, können die Beteiligten von Notfallteams naturgemäß nicht lange nachdenken. Aufgrund sprachlicher Mehrdeutigkeit von Formulierungen können unangemessene Interpretationen erfolgen, die nicht korrigiert und richtiggestellt werden können. Ebenso ist es möglich, dass Missverständnisse komplexerer Art entstehen, wenn Teammitglieder ihre Beobachtungen, Bewertungen und Erwartungen bezüglich des weiteren Verlaufs in einer Notfallsituation nicht mitteilen können oder auch wollen. Nicht zuletzt wird die Kommunikation ganz erheblich beeinflusst durch unterschiedliche Kommunikationsstile (zum Beispiel Schnellredner, zurückhaltende oder abwartende Redner oder auch ungeduldiges Gesprächsverhalten). Häufig kommt es auch in Teams zur Begegnung unterschiedlicher Kommunikationskulturen, bei denen Herkunft, sozialer Status, Geschlecht und ähnliches eine Rolle spielen.[7]
Neben diesen allgemein verursachten Störungen spielen soziale und individuelle Beziehungsmuster im Kommunikationsgeschehen eine große Rolle. Prägend ist hier die Art des Verhältnisses der Personen untereinander. Im Berufsleben und somit auch in der Notfallmedizin kommen „symmetrische Beziehungen“ (die Personen sind gleich gestellt) und „komplementäre Beziehungen“ (unterschiedliche Augenhöhe aufgrund unterschiedlicher Hierarchiestufen) vor. Innerhalb dieser Beziehungsstrukturen ordnen Menschen im Kontakt ihr Gegenüber sehr rasch in ein „Modell“ ein und lassen sich dann von den daraus entwickelten Erfahrungen in ihrem Verhalten leiten. [7]
Die Kommunikation in hierarchischen Teams, so auch in der Notfallmedizin, wird unter anderem entscheidend durch den „Autoritätsgradienten“ geprägt. Der Begriff stammt aus der Luftfahrt und beschreibt den gefährlichen Einfluss, den ein zu großer oder nichtexistenter hierarchischer Unterschied zwischen Co-Pilot und Pilot auf die Flugsicherheit haben kann. Er stellt keine abstrakte Größe dar, sondern beruht auf grundlegenden Annahmen der Kommunikationspartner, die dazu führen, dass Bedenken nicht geäußert werden. Zu diesen Grundannahmen gehören vor allem das Bild von der eigenen Rolle innerhalb der Hierarchie des Teams, aber auch persönliche Befürchtungen ganz unterschiedlicher Art. Der Autoritätsgradient kann zudem nicht nur dann wirksam werden, wenn die Autorität der Führungsperson als negativ erlebt wird (zum Beispiel arrogant und unnahbar), sondern auch, wenn Vorgesetzte aufgrund ihrer Klarheit und charismatischen Art besonders geachtet werden.
Notfallkommunikation nach dem Crew Ressource Management
Mit der Erkenntnis, dass die Human Factors einen sehr wichtigen Beitrag zum Gelingen oder Versagen in HRTs leisten, suchte man in der Medizinnach Verbesserungsmöglichkeiten. Hier betrachtete man in erster Linie das professionelle Management anderer Hochrisikobereiche, wie beispielsweise das der Luftfahrt, die in dieser Richtung Pioniersarbeit leisteten. In den 60er Jahren wurden in den USA die ersten Versuche zur Verbesserung der Zusammenarbeit bei Flugzeugbesatzungen in Notsituationen unternommen. Die Besonderheiten dieser Teamarbeit wurden seit 1979 unter dem Begriff „Crew Ressource Management“ (CRM) in der zivilen Luftfahrt herausgearbeitet (siehe Abb. 1).
Aufgrund der Ähnlichkeit der Arbeitssituationen ergaben sich Übertragungsansätze auf den Bereich der Medizin, denn sowohl für die Luftfahrt als auch für den medizinischen Bereich sind Zeitknappheit, Stress und eine hohe Verantwortung für Menschenleben kennzeichnend. CRM wurde von David Gaba erstmal in Form des „ACRM“ (Anesthesia Crisis Resource Management) in die Medizin eingeführt. Es beinhaltet Techniken und Verfahren, die die Einflüsse des Human Error erkennen und es möglich machen, diesem zu entgehen. Dazu beinhaltet es Verhaltensprinzipien, die die Sicherheit durch Prävention und Bewältigung von kritischen Situationen (Notfall, Zwischenfall) erhöhen sollen. [8]
- Kenne Deine Arbeitsumgebung
- Antizipiere und plane voraus
- Fordere Hilfe an, lieber früh als spät
- Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit
- Verteile die Arbeitsbelastung
- Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen
- Kommuniziere sicher und effektiv
- Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen
- Verhindere und erkenne „Fixierungsfehler“ (eine Diagnose ohne weitere Reflexion aufgreifen und diese als Arbeitshypothese weiterverfolgen. Wichtige Umstände und Befunde werden auf diese Weise angenommen und unterstellt beziehungsweise innerlich abgehakt)
- Habe Zweifel und überprüfe genau („double check“, nie etwas vermuten)
- Verwende Merkhilfen und schlage nach
- Reevaluiere die Situation immer wieder
- Achte auf gute Teamarbeit – andere unterstützen und sich koordinieren
- Lenke deine Aufmerksamkeit bewusst
- Setze Prioritäten dynamisch. [2]
Nach Rall ist die Kommunikation das Bindeglied zwischen den anderen Komponenten der Human Factors im Kontext von Handlungssicherheit in komplexen Situationen.[2] Im Kontext der Human Factors ist sie für die anderen wichtigen nicht-medizinischen Fähigkeiten wie situation awareness, Aufgabenmanagement, Teamwork und Entscheidungsfindung unabdingbar.
Fallstricke erkennen und vermeiden
Die geschilderten allgemeinen Beeinträchtigungen einer guten und professionellen Kommunikation führen zu der Frage, auf welche Weise diese im Vorfeld schnell und zuverlässig erkannt und vermieden werden können. Voraussetzung dafür ist, dass sich alle Beteiligten im Team im Klaren über die Bedeutung gelingender Kommunikation sind, und dass sie daher ihr eigenes Kommunikationsverhalten stets kritisch hinterfragen und verbessern wollen.
Eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Teamarbeit nach St. Pierre ist, dass „Verantwortungsdiffusion“ vermieden wird.
Sprachliche Botschaften, die ausgesendet werden, müssen klar und eindeutig einer Person zugeordnet werden. Ist dies nicht der Fall, kann die entstehende Unsicherheit dazu führen, dass sich die falsche Person beziehungsweise mehrere falsche Personen angesprochen fühlen oder auch sogar niemand im Team reagiert.
Unklare Adressierungen entstehen durch Formulierungen wie „könnte jemand…“ oder „hat irgendwer“. Ebenfalls für Konfusion können Aussagen sorgen wie „ich würde gerne…“ „sollte ich vielleicht…“, die Vorschub für eine zeitraubende Diskussion leisten können. [7]
Unter Zeitdruck schwindet häufig die Aufmerksamkeit der Kommunikationspartner für ihre jeweils eigenen sprachlichen Schwächen. Unbedingt sollte jedoch stets darauf geachtet werden „schlechtes Sprechen“ zu vermeiden. Dazu zählt zum Beispiel, dass nicht zu leise, zu laut oder undeutlich gesprochen werden darf. Zudem sollte stets Wert auf grammatikalisch richtige Sätze und die allgemein anerkannte Fachsprache gelegt werden. [7]
Weiterhin ist es laut St. Pierre unabdingbar, in der Kommunikation die Überlastung mit Informationen zu vermeiden. Dies bedeutet, dass die Kommunizierenden nicht zu viele Anweisungen hintereinander geben, um Raum zum Verstehen zu geben. Kurze Pausen hinter den Sätzen sind wichtig, damit die Handelnden auch alle Anweisungen aufnehmen und umsetzen können. Einfache Sätze, die nicht mehr als ein Verb und ein Objekt haben, vereinfachen dies. Lange Listen mit Zahlen oder Dosierungsanweisungen in einem Zug weiterzugeben sollte unbedingt auch vermieden werden. Ebenso kontraproduktiv können sich mehrere Fragen in einem Satz auswirken. [7]
Häufig neigen Menschen, die unter hohem Verantwortungsdruck agieren, dazu, einen aggressiven Tonfall anzunehmen, den sie selbst nicht wahrnehmen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungsweise Kolleginnen und Kollegen können sich dadurch häufig persönlich angegriffen und in ihrer nötigen Kompetenz nicht gewertschätzt fühlen. Aber auch lange und umständliche Erklärungen hemmen professionelles Agieren in Notfallsituationen.[7]
Passivität ist genauso schlecht wie Aggressivität
Ein anderer häufiger Fehler in Kommunikationssituationen ist, dass Vorgesetzte unter Druck wortkarg werden. Die Sprache darf nicht auf das allernötigste beschränkt werden, da sonst kein Teamgefühl mehr möglich ist („doc goes solo“). Vermieden werden sollte also, auf Erklärungen zu verzichten, keine Antworten auf Fragen der Teammitglieder zu geben, Hintergrundinformationen nicht mitzuteilen, geschlossene Fragen zu verwenden, ein-Wort-Antworten zu geben und lange zu schweigen. [7] Treten Konflikte im Team auf, sollte die Lösung weder durch Passivität noch durch Aggressivität gekennzeichnet sein.[7]
Genauso wie das exakte Formulieren von Informationen und Anweisungen wichtig für die Kommunikation ist, so ist auch das richtige und angemessene Zuhören für die Kommunikation in Notfallteams sehr wichtig. [7] Der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers hat ein Modell des „aktiven Zuhörens“ entwickelt, das die besondere Rolle von Wertschätzung in der Kommunikation betont. Die beschriebenen Grundsätze des Zuhörens fördern gegenseitigen Respekt und Anerkennung der Teammitglieder untereinander und gewährleisten, dass selbst unter Zeit- und Handlungsdruck eine wertschätzende und damit erfolgreiche Kommunikation gelingt.
Nach Rogers kann Zuhören gelingen, wenn man
- sich auf das Gegenüber einlässt, sich konzentriert und dies durch die eigene Körperhaltung ausdrückt,
- mit der eigenen Meinung zurückhaltend umgeht,
- Fragen bei Unklarheiten stellt,
- deutlich macht, dass Zuhören nicht gutheißen meint,
- Pausen aushält (diese können ein Zeichen für Unklarheiten, Angst oder Ratlosigkeit sein),
- auf die eigenen Gefühle achtet,
- die Gefühle des Partners erkennt und anspricht,
- bestätigende kurze Äußerungen tätigt,
- Geduld hat und den Sprecher nicht unterbricht, ihn ausreden lässt,
- Blickkontakt hält,
- sich durch Vorwürfe und Kritik nicht aus der Ruhe bringen lässt,
- versucht, sich in die Gefühlslage der Kommunikationspartner hineinzuversetzen und dies auch zu artikulieren und damit zu respektieren. [8]
Als zentraler Bestandteil gelingender Kommunikation in Notfallteams gilt das „10-Sekunden für 10-Minuten-Prinzip“. Mit dem Gedanken, dass die Sicherheit des Patienten oberstes Gebot ist, soll dem Fehler verursachenden Zeitdruck entgegengewirkt werden. Rall weist darauf hin, dass die Ursache für die Nichtanwendung des theoretisch vorhandenen Wissens häufig in einem subjektiv zu stark empfundenen Zeitdruck zu liegen scheine. Bedingt durch die Notfallsituation entstehe der Eindruck, man müsse sofort reagieren und intuitiv das Richtige tun.[3] Beim Auftreten von Problemen oder bei einer neuen Diagnose soll das Team zu einer kurzen Unterbrechung seiner Tätigkeiten aufgefordert werden, alle sollten kurz zuhören, alle Informationen werden zusammengetragen, Ideen kommuniziert und Bedenken geäußert. Dann wird ein Plan aufgestellt, Ressourcen verteilt und weiter koordiniert gehandelt. Während des 10-für-10 müssen alle Teammitglieder einander zuhören und ihre Aktivitäten unterbrechen.
Der Einsatz des 10-für10-Prinzips erfolgt nach Rall
- zu Beginn einer Behandlung oder beim Stellen einer „Arbeitsdiagnose“,
- immer, wenn das Notfallteam das Gefühl hat, im Ablauf festzustecken oder die Behandlung nicht den erwarteten Erfolg zeigt, und
- wenn man das Gefühl hat, Chaos ist ausgebrochen. [3]
Eine gute Hilfe, um die Kommunikation in Notfallsituationen in klare und professionelle Bahnen zu lenken, stellen SOP-Listen dar. SOP (Standard Operating Procedure) bildet ein standardisiertes Vorgehen ab und ist eine verbindliche textliche Beschreibung der Abläufe von Vorgängen einschließlich der Prüfung der Ergebnisse und deren Dokumentation. Ein mögliches Beispiel einer SOP-Liste enthält der Kasten weiter unten.
Kommunikation nach Notfallsituationen
Feedback und konstruktive Gespräche nach Notfallsituationen sind sehr wichtig, da hier mit Ruhe und Zeit an der Verbesserung der kommunikativen Zusammenarbeit gearbeitet werden kann. [7] Feedback ermöglicht, frühzeitig Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und eine Lerngelegenheit wahrzunehmen.[7] Damit Feedback fruchtbar ist und zu einer Verbesserung des Kommunikationsstils führt, sollten folgende Regeln beachtet werden. Feedback sollte
- eher beschreibend als wertend sein, denn Wertung setzt den Empfänger unter Druck,
- eher spezifisch, als generell sein, da im allgemeinen generelle Äußerungen schwieriger zu verarbeiten sind,
- von einem echten Bemühen um die Bedürfnisse des anderen geleitet sein,
- sich auf Verhaltensweisen beziehen, die der andere kontrollieren kann, sonst entsteht Frustration,
- eher einladend als aufgezwungen sein,
- zeitlich so unmittelbar wie möglich erfolgen und
- die Absicht verfolgen, Kommunikation zu klären. [9]
Zeitknappheit und Druck, schnell zu handeln, zwingen Mitglieder des Notfallteams sachliche Probleme, aber auch Beziehungskonflikte hintenan zu stellen. Nach der kritischen Zeit können diese Konflikte in Ruhe und an der Sache orientiert ausgetragen und Beziehungskonflikte angesprochen werden. Dafür sollte sich das Team bewusst Zeit nehmen und das Sprechen über Konflikte in den täglichen Arbeitsablauf in regelmäßigen Abständen integriert werden. So bietet sich die Chance, dass Entscheidungen rekapituliert werden können, Konfliktstoff offen angesprochen wird und jedes Teammitglied die Möglichkeit hat, sein Erleben der Situation darzustellen.
Es ist allerdings vergleichsweise einfacher, Konflikte auf der Sachebene zu lösen und einen gemeinsamen Kompromiss zu finden, als Beziehungskonflikten angemessen zu begegnen. Ursachen können Antipathien und gehegte Feindschaften von Teammitgliedern untereinander sein, aber auch Vorfälle und Verhaltensweisen im Miteinander, die zu persönlichen Verletzungsgefühlen führen.
Beziehungskonflikte können unter Umständen schon eine lange, unbeachtete Vorgeschichte haben, in der persönliche Auseinandersetzungen offen ausgetragen wurden oder im Hintergrund schwelen. Beide Varianten können sich als äußerst schwierig zu lösende Problemlagen herausstellen, die nachhaltig das Betriebsklima stören und die Atmosphäre in großem Ausmaß vergiften können. [11]
Bricht ein solcher Beziehungskonflikt in einer Notfallsituation auf, sollte immer eine gute Lösung für den Patienten im Vordergrund stehen. Maximen der Konfliktlösung können sein:
- gut zuhören
- nicht das Gegenüber angreifen, sondern das Problem behandeln
- der Patient soll der Gewinner sein
- Gemeinsames und Trennendes nach der bewältigten Notfallsituation zur Sprache bringen [7]
Die eigene Meinung und die Wahrnehmung sollten stets beharrlich mit gleichzeitiger Empathie und Einfühlungsvermögen gegenüber den anderen Teammitgliedern geäußert werden. Um eine effektive Teamarbeit zu gewährleisten, sollten Unklarheiten nach St. Pierre sofort und jederzeit angesprochen werden, damit die Handlungen jedes Mitglieds des Notfallteams hinterfragt werden können. Zudem müssen auch die jeweiligen Bedenken und Anliegen jedes Teammitglieds so lange aktiv vorgetragen werden dürfen, bis sie sicher sind, dass sie von den Führungskräften gehört und verstanden wurden. Dabei sollte Beharrlichkeit nicht gleichgesetzt werden mit Aggressivität. Denn Beharrlichkeit bedeutet, dass Empfindungen, Ideen, Anliegen und Sorgen in einer klaren und deutlichen Weise kommuniziert werden sollen, ohne mit der Intention, den Gesprächspartner zu erniedrigen oder zu verletzen. [7]
Maßnahmen und Trainings
Professionelle Kommunikation in Notfallsituationen kann von medizinischen und Pflegeteams nur erwartet werden, wenn diese kritische Situationen regelmäßig trainieren. Nach Rall können professionelle Leistungen nur von jenen Teams auf höchstem Niveau erfolgen, die regelmäßig kritische Situationen im Team trainieren. Alles andere sei Glück und Zufall. [2] Als sehr wirkungsvoll habe sich dazu das realitätsnahe Simulationstraining (mit Videoevaluation) erwiesen. Auch wenn ein flächendeckendes Simulationstraining in der Medizin noch nicht vorhanden sei, gäbe es mehrere Modelle, nach denen Notfallsituationen trainiert werden können. Die Trainings förderten nach Rall nicht nur die Behandlungssicherheit, sondern sorgten auch für mehr Verständnis und ein besseres Miteinander im Team. Des Weiteren sollten nach Meinung Ralls als Basis einer verbesserten Kommunikation ganz umfassende und dezidierte CRM-Trainings und Schulungen mit Übungen
- zum Lernen von Entscheidungsfindung in komplexen Situationen und unter Unsicherheit,
- für besseren Transfer kritischer Informationen und effektiver Kommunikation,
- zum professionellen Umgang mit Fixierungsfehlern und
- zu Teamwork
verpflichtend eingeführt werden.
Nach wie vor gäbe es im medizinischen Bereich in Ausbildung und Studium sehr selten Elemente aus dem Bereich „Human Factors“ und kaum verpflichtende CRM-Kurse. Zudem führten die wenigsten Kliniken und Rettungsdienstorganisationen realitätsnahes Simulations-Team-Training für typische Komplikationen und Zwischenfälle durch.
Literatur
- Invernizzi, F.: „Man kann Qualität auch herbeireden“-Zur Bedeutung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient, Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, 2015.
- Rall, M., Lackner C.K., Crisis Resource Management, Der Faktor Mensch in der Akutmedizin, Notfall Rettungsmed, 2010.
- Rall, M., Koppenberg, J., Hellmann, L., Henninger, M.: Crew Resource Management (CRM) und Human Factors, ‧Praxishandbuch Qualitäts- und Risiko‧management im Rettungsdienst, 2013.
- Hagemann, V.: Trainingsentwicklung für High Responsibility Teams, 2011.
- Flentje, M.: Kommunikation im Notfall – was ist wichtig für eine effektive Notfallversorgung?, archiv euromedica, 2015.
- Lasogga, F., Gasch, B.: Notfallpsychologie, Lehrbuch für die Praxis, 2008.
- St. Pierre, M., Hofinger, G.: Risikofaktor Mensch? Human Factors und Fehler in der Akutmedizin, 2014.
- Rogers, C. R.: Die nicht-direktive ‧Beratung, 1985.
- Delhees, K. H.: Soziale Kommunikation, 1993.
Kommunikationsregeln bei Notfällen (SOP)
Der Teamleiter gibt Anweisungen in möglichst knappen und deutlichen Worten:
- WAS soll getan werden?
- WER soll es tun?
Mitarbeiter bestätigt Informationen dem Teamleiter und setzt ihn über die Umsetzung in Kenntnis:
- Bestätigung
- Umsetzung
- Cave (die Bestätigung einer Anweisung und die der Umsetzung ist essenziell für den Teamleiter, nur so weiß er, dass seine Informationen angekommen sind, nur so kann er sich auf den Patienten konzentrieren)
Diskussionen, Vorschläge, Uneinigkeiten:
- Vorschläge aus dem Team und aus dem Kreis weiterer Beteiligter sind gut und erwünscht, sie müssen knapp gehalten werden
- Der Teamleiter stimmt zu oder lehnt ab, Begründungen erfolgen jedoch nicht während der Notfallbehandlung
- Diskussionen und Uneinigkeiten haben in der Notfallbehandlung nichts verloren, sie müssen unter allen Umständen warten, bis der Notfall abgearbeitet ist
Nachbesprechung:
Jedes Teammitglied erhält Gelegenheit, Unstimmigkeiten, Fragen oder auch Emotionen mit den anderen Teammitgliedern abzusprechen.
Die SOP gilt gemeinsam für den ärztlichen und pflegerischen Dienst.
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Autorin
Friederike Invernizzi, M.A.
Redakteurin, Kommunikationstrainerin und ‑beraterin
E‑Mail: f.invernizzi@web.de