Beim Thema Kulturwandel haben sich vier Haupteinflussfaktoren herausgestellt. Diese sind erstens das Commitment im Vorstand und der Auftrag aus dem Vorstand, Arbeitssicherheit muss Chefsache sein. Der zweite Punkt ist eine kluge Strategie, die sich an dem Machbaren und den unterschiedlichen Kulturen der einzelnen Werke orientiert. Und dazu bedarf es drittens jemandem der aufrüttelt, mitnimmt und begeistert. Wenn dann noch der vierte Punkt gelingt, die für den Erfolg entscheidende Schicht, die Führungskräfte vor Ort zu gewinnen, dann sind die wichtigsten Schritte getan. Der folgende Beitrag zeigt dies auf anschauliche Art und Weise.
Ausgangslage: Wie war die
Situation?
Pfleiderer, ein führendes Unternehmen der Holzwerkstoffindustrie in Europa mit fünf Werken in Deutschland und drei Werken in Polen mit rund 3.500 Mitarbeitern, hat eine lange Firmengeschichte. In der Arbeitssicherheit wurde durch den leitenden Sicherheitsingenieur Bernhard Schmidtner in den Jahren 2008 bis 2010 ein Verbesserungskonzept zur Senkung der Unfallzahlen entwickelt und eingeführt mit den klassischen Präventionsmethoden im Arbeitsschutz wie zum Beispiel Gefährdungsbeurteilungen, Unfallanalysen und Sicherheitsbegehungen. Damit wurden erste Erfolge in der Senkung der Unfallzahlen um circa 50 Prozent erreicht. In einem nächsten Schritt wurde durch die Unternehmensleitung im Jahr 2016 die weitere und ständige Reduzierung der Anzahl der Arbeitsunfälle als Sicherheitsstrategie vorgegeben, mit der Maßgabe „im Zweifel hat immer die Sicherheit Vorrang“. Dies war der Grundstein für eine grundlegende Änderung der Philosophie und des Handelns in der Arbeitssicherheit. Es gab den klaren, unmissverständlichen Auftrag vom Vorstand, ein Konzept zu erarbeiten, welches geeignet ist die Situation im Unternehmen dauerhaft in die Erfolgsspur zu bringen. Auf dieser Basis entstand dann in der Folge das Pfleiderer ONE-SAFETY-Programm.
Konzept: Wie kam das Programm zu Stande?
Bernhard Schmidtner stand nun vor der Aufgabe ein einheitliches Konzept für alle Werke zu entwickeln, um im ganzen Unternehmen und in den Werken einen nachhaltigen Kulturwandel herbei zu führen. Man kann sich gut vorstellen, welche Herausforderung dies war, acht Werke mit völlig unterschiedlichen Kulturen unter einen Hut zu bringen. Nicht nur zwischen den Werken in Polen und Deutschland gab es riesige Unterschiede in der Kultur, auch zwischen den deutschen Werken. Dazu bedarf es neben geeigneten Methoden einem veränderten Denken vor allem im Führungskreis. Dies muss beim gesamten Vorstand beginnen und sich hinein in die Belegschaft ziehen, ein Prozess der jeden Mitarbeiter erreicht. Klar war auch, dass Methoden in der Umsetzung immer vom Mindset der Führung getragen werden müssen. Dies bedeutet, dass der erste Ansatzpunkt für die Arbeitssicherheit sein musste, die Führung ins Boot zu bekommen.
Bernhard Schmidtner wusste, dass er hier Unterstützung von jemandem brauchte, der es perfekt versteht die Menschen aufzurütteln, zu berühren, mitzunehmen und zu begeistern. Also suchte er nach einem regelrechten Menschenfänger. Diesen fand er in Stefan Bartel, dessen berufliches Leben in den letzten 30 Jahren darauf ausgerichtet war als Trainer einen Kulturwandel im Unternehmen zu begleiten und dabei die Themen Führung und Arbeitssicherheit derart zu verbinden, dass eine nachhaltige Entwicklung entsteht. Nachdem dieser sich in einem ersten Vorstandsworkshop qualifiziert hatte, wurden mit ihm in allen Werken und allen Ebenen Seminare durchgeführt mit dem Ziel die Multiplikatoren zu gewinnen, so dass diese sich voll dem Thema Arbeitssicherheit verschreiben.
Alle Seminare wurden exakt an der Kultur der Werke ausgerichtet. Für die Werke in Polen standen mit der Kultur in Polen vertraute Dolmetscher zur Verfügung. So konnten alle Besonderheiten gut in Einklang gebracht werden. Die Seminare entfachten richtige Begeisterung in den jeweiligen Betrieben und brachten deren Führung dazu sich nachhaltig um IHRE Aufgabe „Arbeitssicherheit“ zu kümmern. Im nächsten Schritt erfolgte die Ausbildung der Multiplikatoren, die gezielt in die Lage versetzt wurden die Belegschaft in den Prozess zu integrieren.
Alle Schritte waren nur erfolgreich, weil die unbedingte Forderung des Vorstandes dahinterstand und alle Führungskräfte wussten, dass im Zweifel in der Wertschätzung des Vorstandes Arbeitssicherheit immer Vorrang hat.
Kulturwandel: Worauf kommt es an?
Jeder Kulturwandel ist entscheidend an vier Erfolgsfaktoren gekoppelt. Bei der Art der Umsetzung der vier Faktoren zeigen sich Qualität und Reife einer Unternehmenskultur.
Faktor eins, Orientierung: Wo soll denn die Reise hingehen und warum soll sie dort hingehen? Das muss klar verständlich und einfach an alle Menschen im Unternehmen vermittelt werden. Orientierung bedingt klare Ziele, die mit einem WARUM hinterlegt werden. Glaubwürdigkeit entsteht durch eine klare Zielhierarchie und durch Vorbildverhalten des Managements.
Faktor zwei, Wertschätzung: Wertschätzung in Form von Interesse an den Menschen und an deren Ideen. Diese drückt sich dadurch aus, dass die Führung sich Zeit nimmt, um genau hinzuhören: Wo drückt der Schuh und was sind die Gedanken der Mitarbeiter, wenn es darum geht, den Veränderungsprozess voranzubringen? Menschen wollen einbezogen sein. Je mehr die Menschen aktiv einbezogen werden, desto leichter gehen sie im Veränderungsprozess mit, desto eher fassen sie auch Vertrauen zum Neuen.
Faktor drei, Anerkennung: Menschen brauchen auch für kleinste Schritte in die gewünschte Richtung Anerkennung im Sinne von Bestätigung. Sie wollen hören, dass das, was sie gemacht haben, auch richtig ist. Jedoch Vorsicht: In den meisten Fällen orientiert sich Anerkennung ausschließlich am Ergebnis der Arbeit, also an dem, was an Output erzielt wurde. Damit Anerkennung funktioniert, ist es wichtig, dass diese sich mehr auf den Einsatz oder die Anstrengung eines Menschen bezieht als auf das Arbeitsergebnis. Dann wird wirklich Motivation freigesetzt.
Faktor vier, Konsequenz in zwei Richtungen: Einerseits bei sich selbst, indem die Führungskraft selbst die Veränderung lebt. Andererseits Konsequenz bei Mitarbeitern, die nicht mitziehen. Man muss sich dann auch die Frage stellen, ob der richtige Mann am richtigen Platz ist: Jeder Veränderungsprozess und Kulturwandel erfordert auch unangenehme Entscheidungen.
Diese vier Punkte sind völlig unabhängig von Arbeitssicherheit. Diese genau in dieser Reihenfolge anzuwenden ist der beste Kompass, um generell gute Führung mit guten Ergebnissen in der Praxis wirksam werden zu lassen.
Ziele: Wo wollte man hin und wie war der Plan?
Klar, das Ziel in Sachen Arbeitssicherheit ist immer Null Unfälle. Dieses Ziel muss im Unternehmen aber auch wirklich verstanden werden. Es geht nicht darum, keine Unfälle mehr zu melden, sondern es geht darum, diese im Vorfeld zu verhindern. Deshalb wurden bei Pfleiderer die beiden folgenden Ziele eindeutig formuliert und kommuniziert:
- Keine sicherheitswidrigen Handlungen.
- Keine sicherheitswidrigen Zustände.
Dies ist nur möglich, wenn die Beschäftigten in die Lage versetzt werden, aufeinander zu achten und jeder Mitarbeiter in die Lage versetzt wird, Gefährdungen zu erkennen.
Deswegen wurde ein Near-Miss-Meldesystem implementiert. Jeder Mitarbeiter war aufgerufen pro Monat mindestens eine Meldung abzusetzen. Durch eine eigens programmierte App wurde die Attraktivität des Meldesystems speziell für das Management und jüngere Mitarbeiter erhöht. Mit diesem System wurden zwei Ziele verfolgt. Einerseits ging es um das Erkennen und Abstellen von Gefahren und andererseits ging es darum die Wahrnehmung der Mitarbeiter auf Gefahren auszurichten. Nach dem Motto „Gefahr erkannt Gefahr gebannt“ wirkt dieses System so doppelt.
In monatlichen Werkleiterbesprechungen wurde von allen berichtet, was waren Erfolge und Misserfolge im letzten Monat. Jeder Werkleiter wusste, falls er die ausgegebenen monatlichen Ziele nicht erreichte, dann gab es Fragen vom Vorstand.
Ergebnisse: Was wurde erreicht und was waren Erfahrungen im Prozess?
In den ersten beiden Jahren wurde eine Absenkung der Unfallzahlen um 63 Prozent erreicht, dann nochmals um weitere 26 Prozent. Sowohl die Anzahl der schweren Verletzungen als auch die der leichtere Verletzungen sind zurückgegangen. Gleichzeitig sind die Verbandsbucheintragungen ein wenig angestiegen. Dies spricht für die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse und macht deutlich, dass der Erfolg nicht durch nachlassende Bereitschaft der Mannschaft zur Meldung von Verletzungen erzwungen wurde.
Erfahrungen im Prozess
Natürlich gab es auch Stolpersteine. Der erste war die Glaubwürdigkeit des Managements, der jeweiligen Führungsebene vor Ort. Manche Führungskräfte glaubten anfangs nicht, dass jetzt im Zweifel immer Arbeitssicherheit Vorrang hat. Eine nachhaltige Glaubwürdigkeit entsteht aber nur durch TUN. Indem zum Beispiel in bestimmten Situationen auch die Anlage angehalten wird, um der Mannschaft zu zeigen, dass jetzt weiterentwickelte Werte gelten.
Der nächste Stolperstein war die Einführung des Near-Miss-Meldesystems. Zunächst gab es bei manchen Vorgesetzten Verständnisprobleme. Und die Mitarbeiter sahen es teilweise als Überwachung an, da sie aufgefordert waren auch auf ihre Kollegen zu achten. Dann gab es zum Teil auch Meldungen mit qualitativ geringem Inhalt. Nach circa
einem Jahr hatte es sich so eingespielt, dass rund 40 bis 50 Prozent der Meldungen technische Hinweise enthielten und die weiteren sich auf Verhaltensaspekte von Kollegen bezogen.
Es wurde durch konsequente Meldung von Schwachstellen der Prozess optimiert, und die Mitarbeiter haben jetzt eine ausgeprägtere Wahrnehmung in Sachen Arbeitssicherheit. Wer bei anderen darauf achtet, dass diese die Regeln einhalten, der tut das bei sich selbst auch.
Fazit: Worauf kommt es jetzt an?
Die vier entscheidenden Faktoren im Prozess waren:
- Commitment im Topmanagement und Auftrag aus dem Vorstand mit Berichten an den Vorstand.
- Kluge Umsetzungsstrategie, die flexibel an den Fortgang des Prozesses angepasst werden muss.
- Prozessidentifikationsfigur erforderlich und jemand, der aufrüttelt, mitnimmt und begeistert im Unternehmen.
- Gewinnen der Führungsebene vor Ort und Unterstützung dieser bei der Einforderung von Arbeitssicherheit und bei der Umsetzung von Verbesserungen.
Dies bedeutet im praktischen Alltag für die Führungskräfte, dass sie Wert auf die Integration der Belegschaft legen und ihre Aufgabe zunehmend mehr als Führungsaufgabe verstehen.
Nach dem Volksmund „Wen die Götter zerstören wollen, dem schicken sie anhaltenden Erfolg“, kommt es jetzt darauf an, dran zu bleiben und nicht nachzulassen.
Das Zitat von Benjamin Britten „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom, wer aufhört treibt zurück“ gilt auch für die Arbeitssicherheit. Arbeitssicherheit ist wie Rudern gegen den Strom, wer aufhört treibt zurück. Deshalb gilt es jetzt das hohe Niveau in Sachen Arbeitssicherheit zu halten und nicht nachzulassen. Hier braucht es weiter Anregungen und Anstöße von internen und externen Partnern, um den Ball „Arbeitssicherheit“ weiter in der Luft zu halten, so dass die Kernaussage „Wer in Arbeitssicherheit gut ist, ist überall gut“ auch in Zukunft bei Pfleiderer bestehen bleibt. Und dass der Unternehmenswert „Die Gesundheit der Mitarbeiter“ geschützt und erhalten bleibt.

Foto: Pfleiderer AG

Foto: Pfleiderer AG
Führungskommunikation und Safety Culture Coach
Stefan Bartel ist seit knapp 30 Jahren Spezialist für firmeninterne Seminare, Workshops und Vorträge zum Thema Führungskommunikation, Mitarbeiterführung, Arbeitssicherheit und Kulturwandel. Seine langjährige Expertise verbindet er mit dem Bedarf und den Anforderungen von vor allem mittelständischen Unternehmen. Alle Veranstaltungen leben von seiner Dynamik, seinem Einfühlungsvermögen und seiner Fähigkeit die Dinge auf den Punkt zu bringen. Aufrütteln – mitnehmen – begeistern sind in allen Treffen mit ihm die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Wichtige Teile seines Wissens sind in seinen Büchern zugänglich. Mehr unter www.stefanbartel.com.
Über die Pfleiderer Gruppe
Die Pfleiderer Gruppe ist ein führender Holzwerkstoffhersteller in Europa mit einem jährlichen Umsatz von ca. 1 Mrd. Euro und rund 3.500 Mitarbeitern. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Wrocław (Polen) sowie in Neumarkt i.d.OPf. (Deutschland). Pfleiderer verfügt über acht Produktionsstandorte in Deutschland und Polen. Die Pfleiderer Gruppe bietet ein komplettes Angebot von Produkten und Serviceleistungen mit einem Fokus auf Möbelbau, Holzfachhandel, Innenausbau und konstruktivem Holzbau. Pfleiderer bündelt unter der Dachmarke Pfleiderer die Produktsortimente von Duropal und Thermopal und ist Partner von Industrie, Handel, Handwerk, Planern und Architekten. Neben der konsequenten Kundenausrichtung sind für Pfleiderer die Bereiche Produkt- und Servicequalität sowie Umweltschutz und Nachhaltigkeit zusammen mit dem Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz zentrale Unternehmensziele. Deshalb verbessert die Pfleiderer Gruppe intern alle diesbezüglichen Prozesse ständig und ist darüber hinaus nach den internationalen Normen ISO 9001, ISO 14001, ISO 50001, OHSAS 18001 (ab 2020 nach ISO 45001) und den Standards von FSC und PEFC sowohl in Deutschland wie in Polen an allen Standorten zertifiziert.
Pfleiderer Sicherheitsgrundsätze
WIR wollen NULL Unfälle.
WIR sind immer ein gutes Vorbild.
WIR schauen bei Arbeitssicherheit genau hin.
WIR arbeiten immer sicher.
WIR behandeln Fremdfirmenmitarbeiter wie eigene Mitarbeiter.