Herr Schumacher, Sie lieben den Umgang mit Risiken, sind aber kein Draufgänger. Liegen Risikobereitschaft und Sicherheitsbewusstsein für einen Stuntman gar nicht so weit auseinander?
Im Endeffekt gehen Risikobereitschaft und Sicherheitsbewusstsein in unserem Job Hand in Hand. Viele Leute halten uns für Draufgänger, aber wir sind eigentlich Risikoprofis – ich habe bis heute noch keinen perfekten Begriff dafür gefunden. Das heißt, wir gehen zwar bewusst und willentlich Risiken ein, und ja, wir haben auch Spaß dabei, es gibt diese Affinität dazu – aber gerade deswegen dürfen wir keine Draufgänger sein, sonst könnten wir den Job nicht lange machen.
Der Job besteht zu 95 Prozent daraus, Risiken zu kontrollieren. Wir spielen alle Möglichkeiten durch, überlegen genau, welche Gefahren bestehen und wie wir diese reduzieren können – wie bei einer Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutz. Das geht aber nie zu 100 Prozent, sonst gäbe es keine Stuntmen. Dieses letzte bisschen Restrisiko bewältigen wir durch unsere speziellen Fähigkeiten und ein hochspezialisiertes Training für genau diese Herausforderungen.
Sie hatten einen festen Platz als Stuntman in bekannten TV-Produktionen. Ein Arbeitsunfall im Jahr 2008 änderte alles. Was genau ist geschehen?
Ich bin bei einem Stunt für die Serie „Alarm für Cobra 11“ ungeplant in eine Benzinexplosion geraten und stand komplett in Flammen. Mein Körper hat in eine Art Schockmodus geschaltet, ich war bei Bewusstsein, habe noch mein Gesicht geschützt und bin ins Wasser gesprungen, um mich selbst zu löschen. Eine gute Reaktion – das bringt der Job mit sich, auch mit Extremsituationen umgehen zu können. An den Händen hatte ich Verbrennungen dritten Grades und im Gesicht zweiten Grades. Als die Ärzte sagten, das Gesicht wird wieder wie vorher, nur die Haut an den Händen muss transplantiert werden, war für mich alles gut. Für meine Mutter und meine Freundin weniger: Die haben mich bei ihrem ersten Besuch im Krankenhaus nur an der Augenfarbe erkannt.
Was hat Ihnen bei der Neuorientierung geholfen?
Mein erster Gedanke nach dem Unfall war, ich werde jetzt wieder fit und dann geht es weiter mit meinem Traumjob, für den viele alles geben würden. Doch dann hat mich meine Freundin, inzwischen meine Ehefrau und Mutter unseres Sohnes, wachgerüttelt. Sie hat zu mir gesagt: „Wenn du das weitermachst, dann ohne mich“. Das brachte mich stark ins Grübeln. Ich war damals 30 und hatte schon ein paar Jahre in der Branche auf dem Buckel. Ewigkeiten machen kann man den Job ohnehin nicht. Am Ende habe ich mir gesagt, okay, ich nutze den Unfall als Chance, um mich nochmal neu zu erfinden. Geholfen hat mir dabei auch die gute Versorgung durch die Berufsgenossenschaft. Das nahm mir auch den Druck, sofort wieder in den alten Job einsteigen zu müssen. So habe ich eine eigene Firma gegründet. Und der Kreis hat sich wieder geschlossen: Auf mein spezielles Fachwissen und meine Erfahrungen als Stuntman habe ich eine Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit draufgesattelt. Diese Kombination macht mich zur Stuntfachkraft — das ist in Deutschland etwas ganz Besonderes. Ich erstelle Sicherheitskonzepte und Gefährdungsbeurteilungen für die Dreharbeiten verschiedener Sender, darunter auch für Cobra 11. Vor fünf Jahren kam dann der RiskBuster hinzu. Hier bin ich wieder als Stuntman im Einsatz – natürlich in viel kleinerem Rahmen als zuvor, meine Frau hat also nichts dagegen.
Als RiskBuster machen Sie in Video-Clips auf verschiedene Risiken aufmerksam. Welche Gefahr haben Sie persönlich am ehesten unterschätzt?
Bei einem Stunt ging es um Unfälle durch Geisterradler. Zuerst haben wir Zusammenstöße zwischen Fahrradfahrer und Fußgänger inszeniert. Das gestaltete sich ungefähr wie erwartet. Dann kam Fahrrad gegen Fahrrad, das heißt, wir sind mit unseren Schultern bei 15 km/h gegeneinandergefahren. Das war krass und hat mich von der Auswirkung her echt überrascht, was man mir im Video auch deutlich anmerkt.
Viel heftiger als erwartet fiel vor kurzem auch ein Dreh mit einem E‑Scooter aus, bei dem ich mit einem abbiegenden Pkw zusammenstoße. Ich dachte, okay, der schubst mich jetzt weg. Die Trittfläche hat sich dann aber unter dem Auto verkeilt, sodass der Roller massiv runtergedrückt wurde. Wir haben das trotzdem kontrolliert hinbekommen, denn dafür bin ich ja Profi. Der Test hat aber gezeigt, wie gefährlich diese Situation ist.
In Ihren „Business Stuntman“ Seminaren fördern Sie die Risikokompetenz und Handlungsfähigkeit von Führungskräften und Mitarbeitern in Extrem- und Stress-Situationen. Womit tun sich die Teilnehmer erfahrungsgemäß am schwersten?
In meinen Seminaren geht es vor allem um das Querdenken. Ich sage immer „Think Big“, das heißt, man sollte wirklich alle Gedanken zulassen, auch wenn diese zunächst abstrus erscheinen. Viele Ideen bekommen ja keine Chance, weil man glaubt, das geht ja gar nicht. Die Leute schränken sich aber meistens selbst ein: Sie denken, ich bin jetzt auf der Arbeit,
da habe ich meinen Arbeitskopf an, ich bin privat, da habe ich meinen Privatkopf an und beim Sport, da ist es halt genauso. Aber Wissen aus dem privaten oder sportlichen Alltag lässt sich auch sehr gut auf ein berufliches Problem übertragen – genau das machen wir ja bei einem Stunt. Eigentlich lebt die Branche von solchen, zum Teil ganz banalen Ideen. Zum Beispiel wollten wir einmal einen Darsteller in ein Auto setzen, das sich überschlägt. Das ging natürlich nicht einfach so, wir mussten etwas Kontrolliertes dafür entwickeln. Schließlich haben wir eine Art Drehspieß gebaut, auf den man das Auto draufstecken und somit drehen konnte. Eine Lösung, die wir vom Grillen her kennen.
In einigen Seminaren müssen die Teilnehmer die Perspektive wechseln und in die Rolle eines Stuntteams schlüpfen. Dafür gibt es viele coole Möglichkeiten. Hier merke ich oft, dass viele Leute ein Problem mit Höhe haben. Ich bin eigentlich auch jemand, der nicht so gut mit Höhe kann. Trotzdem habe ich Sprünge aus 16, 18 Metern gemacht, weil ich mir das antrainiert habe. Bis jetzt haben wir das auch mit den Hardcore-Fällen sehr gut hinbekommen. Die sind nicht unbedingt aus sechs Metern Höhe gesprungen – darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, zu erleben, dass die Grenzen, die uns scheinbar umgeben, überwindbar sind. Das ist dann der Moment, in dem der Knoten platzt. Die zurückhaltenden Typen kriegt man auch dazu, die gehen das kontrolliert an. Viel schwieriger sind für uns Leute, die glauben, sie können alles. Diese echten Draufgängertypen, die machen das gefährlich.
Steckbrief
- geboren 1979 in Köln
- Risiko Coach, Trainer und Fachkraft für Arbeitssicherheit
- seit 2004 Stuntman in bekannten Action-Serien
- entwickelte ab 2013 das Schulungskonzept „Business Stuntman“
- begleitete eine Studie zum „Thema Stuntman und Risiko“ mit einem Forschungsinstitut
- demonstriert in den RiskBuster-Videos verschiedene Gefährdungen