Für Unterweisungen gibt es unterschiedliche Anlässe: Neben den jährlich wiederkehrenden Pflichtschulungen sind dies zum Beispiel personelle Neuzugänge, Veränderungen im Aufgabenbereich oder die Einführung neuer Arbeitsmittel. Die Unterweisung muss dabei grundsätzlich vor Aufnahme der Tätigkeit erfolgen. Doch welche Unterweisungsformate eignen sich für welche Anlässe und Inhalte?
Ungeliebte Pflichttermine
Insbesondere die regelmäßigen Unterweisungen gelten oft als notwendiges Übel. Manche Mitarbeitende haben sie schon etliche Male miterlebt – wer kann es ihnen verdenken, dass die Aufmerksamkeit für die Inhalte sinkt und die Erläuterungen zum einen Ohr hinein- und zum anderen wieder hinausgehen? Dazu wird geflissentlich genickt, sodass die Veranstaltung möglichst rasch über die Bühne geht.
Doch wie kann dies anders laufen? Auch bei Präsenzveranstaltungen bieten sich viele Elemente zur Auflockerung und aktiven Beteiligung der Teilnehmenden an, um die Unterweisung ansprechender zu gestalten und den Lernerfolg zu erhöhen. Hierzu zählen zum Beispiel gezielte Rückfragen an die Zuhörenden oder die Ermunterung dazu, Beispiele und Geschichten aus dem persönlichen oder beruflichen Umfeld einfließen zu lassen – Stichwort Storytelling. Auflockern lassen sich Unterweisungen auch mit den vielfältigen Lehr- beziehungsweise Lernmaterialen, unter anderem durch Videoclips und Kartenspiele. Von entscheidendem Vorteil – und bei einigen Unterweisungen auch verpflichtend – ist zudem die Integration praktischer Übungen: Was eigenhändig unter Beteiligung aller Sinne ausgeführt wird, bleibt weit länger im Gedächtnis haften als ein reiner Vortrag.
Gefahrloses Training
Was aber, wenn die praxisnahe Übung nicht gefahrlos durchgeführt werden kann – etwa bei real bestehender Brand‑, Explosions- oder Absturzgefahr? Susanne Ahmadseresht, Geschäftsführerin bei VRtual X GmbH, sieht hier einen entscheidenden Vorteil für den Einsatz von Extended Reality (XR). Der Sammelbegriff XR umfasst alle realen und virtuellen Umgebungen, die durch Computertechnik und Wearables generiert werden, so etwa Mixed Reality, Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) oder 360° Movie. „Mit Hilfe der XR-Technologie können wir uns in Situationen begeben, ohne die Gefahren der Realität eingehen zu müssen“, erklärt die Geschäftsführerin der Agentur für VR, AR und 360°. Dieses Erlebnis präge sich weit besser im Gedächtnis ein als ein Schulungsvideo oder eine PowerPoint-Präsentation es jemals tun könnten. „Es wird Teil des eigenen Erfahrungsschatzes. Da der Nutzer zum Akteur wird, steuert er die Situation selbst und wird sich seines Handelns bewusst.“
„Schummeln“ unmöglich
Die Teilnehmenden erleben die Gefahrensituation demnach am „eigenen“ virtuellen Körper. Doch wie real wirkt dieses Erlebnis? „XR-Technologie bietet bei guter Umsetzung einen hohen Grad der Immersion. Damit ist das Eintauchen in die virtuelle Umgebung gemeint. Nutzer bekommen das Gefühl, in einer anderen, aber durchaus realistisch anmutenden Welt zu sein. Sie erkennen beispielsweise ihre Arbeitsumgebung wieder, die zuvor am Computer nachgebaut wurde. Das hilft, sich schnell zu orientieren“, führt die Geschäftsführerin aus. Die Nutzer müssten zudem ihre volle Aufmerksamkeit auf den Trainingsstoff richten. „Sie sollen sich spielerisch durch die Anwendung arbeiten. Eine Ablenkung durch andere Teilnehmende oder Medien ist nicht möglich, denn schon ein Wegsehen oder Abnehmen der VR-Brille unterbricht die Anwendung.“ Sich einfach durch die Unterweisung „durchzunicken“, funktioniert hier nicht, die Ausbildung endet erst, wenn das Training vollständig durchlaufen wurde.
Technische Hürden gering
Und wie kommen die Beschäftigten grundsätzlich mit der Technologie zurecht? Das Aufsetzen der Brille sei inzwischen sehr viel einfacher und komfortabler geworden. Abhängig vom Hersteller ließen sich Augenabstand und Sitz einstellen, erklärt Susanne Ahmadseresht. Nicht zuletzt komme es auf die Qualität der Darstellung an: „Die Kunst liegt hierbei im Vorfeld: Ein ausgefeiltes userfreundliches Trainingskonzept und eine intuitive Benutzerführung, angepasst auf die Zielgruppe und Branche, sind entscheidend.“ Letztendlich zeichne eine gute VR-Anwendung genau das aus: Dass sich die Teilnehmenden nicht mit der Technik auseinandersetzen müssten, sondern sich ganz auf den Schulungsinhalt konzentrieren könnten. Ein virtuelles Tutorial zu Beginn der Anwendung, ein Compagnon oder Guide, könne bedarfsweise Hilfestellung dazu geben.
Frei kombinierbare Lerneinheiten
Das Unternehmen VRtual X konzeptioniert und realisiert Virtual-Reality‑, Augmented-Reality- und 360°-Projekte. Außerdem bietet es maßgeschneiderte VR-Software an, darunter das VR-Unterweisungssystem enterXR. Die VR-gestützte Sicherheitsunterweisung kann als Ergänzung in einem Seminar genutzt oder für ausgewählte Themen als eigenständige Unterweisung eingesetzt werden. Die App umfasst eine Vielzahl von Lerneinheiten, die frei zusammengestellt werden können. Zusätzlich zu den allgemeinen Modulen werden auch individuelle Inhalte passgenau zur Gefährdungsbeurteilung im Unternehmen angefertigt. Solche maßgeschneiderten Unterweisungen knüpfen noch stärker an die Lebenswirklichkeit der Unterwiesenen an. „Der digitale Zwilling des Arbeitsplatzes ermöglicht es, einzigartige Themenschwerpunkte zu setzen“, erklärt Ahmadseresht. In einem Workshop werden dazu inhaltliche Anforderungen und Wünsche des Kunden abgeklopft sowie technische Möglichkeiten erklärt, um das bestmögliche Ergebnis für beide Seiten zu erzielen. „Wir wissen, dass es für viele Sicherheitsingenieure das berühmte ‚erste Mal‘ ist, XR-Technologie in ihrem Unternehmen zu platzieren. Umso wichtiger ist es für uns, die Kunden in diesem Prozess zu begleiten und ihnen alle Hilfsmittel und Argumente an die Hand zu geben, die sie hierfür benötigen“, erklärt die Geschäftsführerin. Die Inhalte können auch modifiziert werden, falls sie einmal veraltet sein sollten: „Wir entwickeln nach Baukastenprinzip und können alle Trainings regelmäßig aktualisieren, um sie sowohl technisch als auch inhaltlich auf dem neusten Stand zu halten. Auch bieten wir einen Editor an, mit dem Kunden kleinere Änderungen selbst in die Hand nehmen können, wie etwa das Ändern von Ansprechpartnern oder Notrufnummern.“
“Die Nachfrage nach XR-Anwendungen hat in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen.”
Susanne Ahmadseresht, Geschäftsführerin bei VRtual X GmbH
Virtuelle Aha-Erlebnisse
Die Rückmeldungen auf diese Art Unterweisungen, die bereits bei der Hamburger Hafenverwaltung HPA und der Kompass Gruppe zum Einsatz kommen, sind laut Susanne Ahmadseresht durchweg positiv. „Die Nutzer erklären, die Situation gefühlt live erlebt und aktiv dazugelernt zu haben. Häufig kommt es dann zu der Aussage: ‘Ah, jetzt habe ich es verstanden!‘“ Generell bemerkt das Unternehmen eine unglaubliche Dynamik im Markt: „Die Nachfrage nach XR-Anwendungen hat in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der digitalen Evolution: Es werden Innovationen eingeführt, um eine höhere Effizienz und Nachhaltigkeit zu erreichen.“ Gerade in der Arbeitssicherheit sei dies gefragt: „Viele Unternehmen sind es leid, dass in diesem Bereich kaum noch Verbesserungen möglich sind. Aus Gesprächen mit unseren Kunden geht eindeutig hervor, dass sie in der XR-Technologie einen Quantensprung hinsichtlich nachhaltigen Lehrens und Lernens sehen.“
Der unschlagbare Vorteil: Mit der VR-Brille können Gefahrensituationen immer wieder lebensnah trainiert werden, ohne etwas real in Brand zu setzen oder Explosionen auszulösen. Wechselnde, per Zufallsgenerator ausgewählte Szenarien sorgen dafür, dass kein Gewöhnungseffekt eintritt und die Aufmerksamkeit hoch bleibt. Hinzu kommen wirtschaftliche Einsparpotenziale durch verringerte Reisekosten und Maschinenausfallzeiten. Die Mitarbeitenden sind nicht mehr an gemeinsame Unterweisungstermine gebunden, sondern können nach einem individuellen und flexiblen Zeitplan mit VR-Brille trainieren.
“Digitale Unterweisungen können in vielen Fällen eine Präsenzschulung ersetzen.”
Digitale Unterweisungen
Diesen Vorteil gegenüber Präsenzveranstaltungen haben auch E‑Learning-Formate. Die Unterweisung via Bildschirm kann unabhängig von Zeit und Raum angeboten und absolviert werden. „Um eine hundertprozentige Teilnehmerquote zu erreichen, sind keine Schicht‑, Urlaubs- oder Krankheitszeiten zu berücksichtigen“, unterstreicht Dr. Marcus Lempert, Leiter des Geschäftsbereichs EHS beim IT-Unternehmen Kisters. Lempert sieht aber noch etliche weitere Pluspunkte für digitale Formate. Dazu zählt er die Kombinationsmöglichkeit mit notwendigen Präsenzunterweisungen und den deutlich verringerten Aufwand bei der Durchführung, Organisation und rechtssicheren Dokumentation der Unterweisung: Letztere erfolge automatisch, zudem bewahrten die Verantwortlichen jederzeit den Überblick über den aktuellen Stand der Mitarbeiterqualifikation.
Mit dem professionellen Unterweisungsmanager KiTrainer unterstützt Kisters seine Kunden darin, eigene Unterweisungen zu erstellen und zu managen. Die branchenunabhängige Komplettlösung für digitales Lernen bietet dazu leicht anpassbare Unterweisungsvorlagen aus vielen Themengebieten, zum Beispiel zu den Stichpunkten Sicherheit in der Informationstechnologie, Persönliche Schutzausrüstung oder Gefahrstoffe. Mit dem Schulungsdesigner können Texte, Bilder und Videos, Layout-Vorlagen sowie Inhalte aus dem Bild- und Videoarchiv frei zusammengestellt und gestaltet werden. Auf diese Weise sind die Lerninhalte exakt an die Bedürfnisse der jeweiligen Standorte und Arbeitsplätze anpassbar – ob in der Fertigung, im Gesundheitswesen oder in der Verwaltung.
Kontrollierbarer Lernerfolg mit digitalen Unterweisungsformate
Für eine digitale Unterweisung spricht zudem die Möglichkeit der Erfolgskontrolle: Die Teilnehmenden können sich nicht einfach durchklicken, sondern müssen wie bei einer VR-gestützten Unterweisung mitdenken und entsprechend handeln. „Die gelernten Inhalte werden mithilfe von flexibel konfigurierbaren Wissensfragen überprüft. Dies ermöglicht zudem eine Abstimmung der Erfolgskontrolle auf die Wichtigkeit der Lerninhalte und die jeweilige Zielgruppe“, erklärt Lempert.
„Digitale Unterweisungen können in vielen Fällen eine Präsenzschulung ersetzen“, fasst Lempert zusammen. Allerdings gebe es auch Themen, die durch digitale Lerneinheiten lediglich flankiert werden könnten. „Immer dort, wo auch praktische Fertigkeiten vermittelt werden müssen, sind die Grenzen des E‑Learnings offensichtlich.“ Eine weitere Einschränkung elektronischer Formate bestehe darin, dass keine direkte Kommunikation mit den Teilnehmenden möglich sei. „Es können keine Fragen gestellt werden oder bei Bedarf weitere Ausführungen erfolgen, ebenso entfällt die Möglichkeit der individuellen Ansprache.“ Das ist und bleibt ein eindeutiger Vorteil von Präsenzveranstaltungen – vorausgesetzt, die oder der Unterweisende ist sich dessen bewusst und spielt diesen Trumpf gekonnt aus.
VR-gestützte Unterweisungsformate
Für ein Training mit VR-Brille empfehlen sich insbesondere folgende Sicherheitsthemen:
- Lebensgefährliche Situationen mit hoher Unfallgefahr
- Evakuierung
- Was-Wäre-Wenn-Simulationen
- Training und Unterweisung an komplexen Maschinen und Anlagen (diese müssen für das Training nicht angehalten werden)
- Arbeiten mit großer Hitze (Hochöfen), hohem Druck (Pressen), Schweißen …
- Müllverarbeitungsanlagen
- Baustellen (Hoch und Tief)
- Arbeiten in besonderer Höhe (Windkraftanlagen, Offshore)
- Mehrsprachige Simultanschulungen (alle Teilnehmenden können die Anwendung in ihrer Muttersprache durchführen und verstehen die Sicherheitskennzeichen (gegebenenfalls Abgleich mit Sicherheitskennzeichen aus dem Herkunftsland)
- Reinraum-Unterweisungen
- Komplexe Prozesse und Arbeitsabläufe
- Lagerhaltung und Logistik (Arbeiten an Transportbändern, Picken von Paketen, Koffern etc.)