Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz ist im Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) geregelt. Versichert sind demnach unter anderem Arbeitsunfälle. Doch was sind Arbeitsunfälle und wann greift der Versicherungsschutz nach einem Arbeitsunfall? Zunächst einmal sind Arbeitsunfälle Unfälle, die versicherte Personen infolge der Ausübung einer versicherten Tätigkeit erleiden (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Versichert sind grundsätzlich alle Tätigkeiten, die sich aus der arbeitsvertraglichen Verpflichtung ergeben. Nicht versichert sind dagegen Handlungen, die nicht mehr im ursächlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeit stehen. Das sind sogenannte eigenwirtschaftliche, das heißt private Verrichtungen wie zum Beispiel Essen, Trinken oder Rauchen. Diese können die versicherte Tätigkeit und damit den Unfallversicherungsschutz unterbrechen. Führt eine private Verrichtung allerdings nur zu einer kurzen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Die Unterbrechung darf aber zeitlich und räumlich nur sehr geringfügig sein. Die entsprechende Handlung muss sozusagen „im Vorbeigehen“ erledigt werden können.
Nahrungsaufnahme ist Privatsache
Essen und Trinken sind also grundsätzlich eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Verrichtungen. Doch wer arbeitet, muss auch essen – und zwar normalerweise nicht am Arbeitsplatz. Der Weg in der Mittagspause mit dem Ziel, Nahrungsmittel für die Mittagsmahlzeit zu besorgen oder ein Mittagessen einzunehmen, ist generell geschützt. Dies wird damit begründet, dass gerade der konkrete Weg, zum Beispiel zur Kantine, nur deshalb anfällt, weil der Beschäftigte persönlich im Betrieb anwesend sein muss, um seiner Tätigkeit nachzugehen. Bezüglich des Ortes der Nahrungsaufnahme besteht freie Wahl. Das heißt, auch Wege zur Nahrungsaufnahme, die aus dem Betrieb hinausführen, zum Beispiel in eine Fremdkantine, nach Hause oder in eine Gaststätte, sind in der Regel versichert.
Der Aufenthalt in der Gaststätte etc. selbst ist nicht geschützt, der Versicherungsschutz endet beziehungsweise beginnt an der Außentür. Auch während des Einkaufs in einem Lebensmittelgeschäft besteht kein Versicherungsschutz. Wer das Betriebsgelände verlässt, um private Besorgungen zu machen, steht ebenfalls nicht unter Versicherungsschutz. Auch Spaziergänge während der Pause haben eigenwirtschaftlichen Charakter und sind regelmäßig nicht versichert.
Rauchen auf eigene Gefahr
Rauchen gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Versicherungsschutz. Es ist – ebenso wie Essen und Trinken – eine private Tätigkeit und damit unversichert. Wird jemand während einer Raucherpause verletzt, ist die gesetzliche Unfallversicherung aus dem Schneider. Auch die Wege zu den Raucherzonen oder ins Freie sind nicht versichert. Und zwar unabhängig davon, ob der Raucherbereich mit oder ohne Genehmigung des Arbeitgebers aufgesucht wird. Versicherungsschutz besteht auch dann nicht, wenn der Raucher wegen eines bestehenden Rauchverbots gezwungen ist, seinen Arbeitsplatz zu verlassen.
Die Wege zum Rauchen werden anders beurteilt als die Wege zur Essenseinnahme. Beim Essen handelt es sich nicht nur um ein menschliches Grundbedürfnis. Die Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit dient auch der Erhaltung der Arbeitskraft und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Für das Rauchen – wie den Konsum von Genussmitteln allgemein – hat dagegen die persönliche Entscheidung des Einzelnen eine so überragende Bedeutung, dass die betrieblichen Interessen dahinter zurücktreten.
Vorsicht auf dem stillen Örtchen
Ein so persönliches Bedürfnis wie das Aufsuchen der Toilette weist grundsätzlich keinen inneren Zusammenhang zur Arbeit auf. Deshalb ist die Verrichtung der Notdurft dem privaten Bereich zuzurechnen. Etwas anderes gilt aber für den Weg zur Toilette: Dieser ist generell geschützt. Der Grund für diese Unterscheidung ist ähnlich gelagert wie bei den Wegen in der Mittagspause: Auch ohne die Arbeitstätigkeit würde diese Notwendigkeit anfallen und zählt daher zum privaten unversicherten Bereich. Der Versicherte ist durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte aber gezwungen, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies zu Hause tun würde. Deswegen ist der Weg von und zur Toilette versichert. Die Grenze ist mit der Tür zum Zugang zu den Toilettenräumen zu ziehen. Nur ausnahmsweise kann Versicherungsschutz auch während der Verrichtung der Notdurft bestehen, wenn sogenannte besondere Gefahrenmomente vorliegen, die den Unfall verursacht haben – so etwa ein rutschiger Steinfußboden.
Auch Mehrarbeit versichert
Die Überschreitung der gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Arbeitszeit wirkt sich generell nicht negativ auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz aus. Und zwar unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer freiwillig die reguläre Arbeitszeit überschreitet oder ob vom Arbeitgeber Mehrarbeit angeordnet wurde. Denn selbst verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus. Entscheidend ist auch hier, dass sich der Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit ereignet.
Auch eine bestehende Krankschreibung hat auf den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung keinen negativen Einfluss. Denn diese beinhaltet kein Arbeitsverbot. Vielmehr bescheinigt der Arzt die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Wird ein Arbeitnehmer schneller gesund oder beeinträchtigt der Grund seiner Krankschreibung seine Tätigkeit nicht, kann er auch vor Ablauf der Bescheinigung seine Arbeit wieder aufnehmen.
Versicherter Betriebssport
Sportliche Aktivitäten sind grundsätzlich Privatsache. Auch nicht jede vom Unternehmen erlaubte Teilnahme an einer angebotenen sportlichen Veranstaltung begründet Unfallversicherungsschutz. Wenn aber die sportliche Betätigung nicht nur persönlichen Interessen des Beschäftigten, sondern wesentlich auch denen des Unternehmens dient, kann ausnahmsweise Versicherungsschutz bestehen.
Für den Betriebssport hat das Bundessozialgericht folgende Wertungskriterien aufgestellt: Der Sport muss einen Ausgleich für die körperliche und geistige Belastung durch die Betriebstätigkeit darstellen und darf keinen Wettkampfcharakter haben. Außerdem muss er regelmäßig mindestens einmal pro Monat stattfinden und der Teilnehmerkreis muss im Wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkt sein. Die Übungszeit und ‑dauer müssen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen, die Übungen müssen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattfinden.
Gemeinschaftsveranstaltungen
Auch feiern im Betrieb ist erlaubt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung gesetzlich unfallversichert, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt unter den Beschäftigten gestärkt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt dies voraus, dass ein angemessener Gemeinschaftszweck verfolgt wird. Das bedeutet, dass die Pflege der Verbundenheit zwischen der Unternehmensleitung und den Beschäftigten oder der Beschäftigten untereinander gefördert werden soll. Weitere Voraussetzung ist, dass die Feier „im Einvernehmen“ mit der Betriebsleitung stattfindet. Die Unternehmensleitung muss nicht zwingend selbst Veranstalter sein. Vielmehr genügt es, dass sie die Veranstaltung billigt und fördert, das heißt, die Durchführung als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung muss von ihr gewollt sein. In größeren Unternehmen können auch für kleinere Untergliederungen des Betriebs wie Abteilungen oder Teams Gemeinschaftsveranstaltungen durchgeführt werden. Notwendig ist dafür aber, dass die Feier allen Mitarbeitenden des jeweiligen Teams offensteht und die jeweilige Teamleitung auch an der Veranstaltung teilnimmt. Auf die tatsächliche Anzahl der Teilnehmenden kommt es nicht an.
Unfallmeldung durch Arbeitgeber
Ist ein Arbeitsunfall eingetreten, so muss der Versicherte diesen nicht etwa selbst dem Unfallversicherungsträger melden. Vielmehr trifft diese Pflicht den Unternehmer und zwar immer dann, wenn Versicherte tödlich verletzt wurden beziehungsweise so schwer, dass sie mehr als drei Tage arbeitsunfähig sind. Die Unfallanzeige ist binnen drei Tagen zu erstatten, nachdem der Unternehmer von dem Unfall Kenntnis erlangt hat. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Ausschlussfrist. Das heißt, es wirkt sich für den Versicherten nicht negativ aus, wenn der Unternehmer diese Frist nicht einhält. Auch Tage, Monate oder Jahre später kann ein Arbeitsunfall noch gemeldet und auch anerkannt werden. Aus Gründen der Beweissicherung ist es allerdings ratsam, Unfälle möglichst zeitnah zu melden.
Nach einem Unfall zum D‑Arzt
Ist es zu einem Arbeitsunfall gekommen, soll und darf der Verletzte selbstverständlich zunächst die am schnellsten erreichbare ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. In bestimmten Fällen muss der erstbehandelnde Arzt den Unfallverletzten aber zu einem Durchgangsarzt (D‑Arzt) überweisen. Dies ist immer dann erforderlich, wenn die Verletzung über den Unfalltag hinaus zu einer Arbeitsunfähigkeit führt oder die Behandlungsbedürftigkeit voraussichtlich über eine Woche beträgt. Eine Vorstellung beim D‑Arzt muss auch dann erfolgen, wenn die Verordnung von Heil- oder Hilfsmitteln erforderlich ist oder es sich um eine Wiedererkrankung aufgrund von Unfallfolgen handelt.
Unter den D‑Ärzten besteht grundsätzlich freie Wahl. Die jeweils gewählte Ärztin oder der jeweils gewählte Arzt entscheidet dann, welche Art von Behandlung eingeleitet wird. Handelt es sich um eine leichte Verletzung, genügt eine allgemeine Heilbehandlung. Diese kann dann auch der Hausarzt durchführen. Bei schwereren Verletzungen ist eine besondere Heilbehandlung erforderlich, die der D‑Arzt entweder selbst durchführt oder wozu er den Verletzten in eine Klinik überweist. Der D‑Arzt berichtet der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse über das Ergebnis der Untersuchung und gegebenenfalls auch über die weitere Behandlung. Der behandelnde Arzt rechnet seine Kosten direkt mit dem Unfallversicherungsträger ab, sodass der Verletzte keine Versicherungskarte vorzulegen braucht. Auch Eigenanteile für Medikamente oder Maßnahmen wie Physiotherapie fallen für die Versicherten nicht an.
Wo sich der nächstgelegene Durchgangsarzt befindet, ist unter anderem auf den Notfallplänen hinterlegt, die in den Betrieben aushängen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung stellt zudem eine Suche über die Ortseingabe zur Verfügung.
Autorin:
Tanja Sautter
Leiterin der Dienststelle Unfallfürsorge bei der BG Verkehr