Die Erkrankung an COVID-19 kann bei Beschäftigten im Gesundheitswesen als Berufskrankheit anerkannt werden. Denn für sie ist die Infektion mit Krankheitserregern ein berufliches Risiko. Kein Wunder, dass die Pandemie die Anzeigen auf Berufskrankheiten wegen COVID-19 in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 deutlich ansteigen ließ. Dies geht aus Daten der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen hervor, die die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) vorgelegt hat [1]. Demnach wurde 2021 in 123.626 Fällen eine Berufskrankheit anerkannt – mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr.
Diese drei Voraussetzungen müssen vorliegen, damit die Erkrankung an COVID-19 als Berufskrankheit von der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt wird [2]:
- Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen und
- relevante Krankheitserscheinungen wie zum Beispiel Fieber, Husten und
- positiver Nachweis des Virus durch einen PCR-Test.
Aber auch andere Berufe bringen gesundheitliche Risiken mit sich. Dabei ist es nicht so einfach festzustellen, ob eine Berufskrankheit vorliegt oder nicht. Das Bundesarbeitsministerium erklärt es so: Berufskrankheiten sind Erkrankungen, die Versicherte durch ihre berufliche Tätigkeit erleiden und die in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgeführt sind [3].
Ursache dafür können verschiedenste gesundheitsschädliche Einwirkungen sein. Insbesondere kommen bestimmte Chemikalien, physikalische Einwirkungen wie Druck, Vibrationen oder das Tragen schwerer Lasten und Arbeiten unter Lärm oder Staub in Betracht. Nicht jede Erkrankung kann aber als Berufskrankheit anerkannt werden. Als Berufskrankheit kommen nur solche Erkrankungen in Frage, die nach medizinischen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht werden. Diesen Einwirkungen müssen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sein.
Aktuell sind in der Liste der anerkennungsfähigen Berufskrankheiten über 80 Berufskrankheiten aufgeführt.
80 anrechnungsfähige Berufskrankheiten
In Anlage 1 dieser Verordnung gibt es eine Übersicht der aktuell anerkannten Berufskrankheiten. Die Liste mit jeweiligen wissenschaftlichen Informationen ist auf den Seiten der DGUV eingesehen werden. Unter den ICD-10-Kapiteln gibt es einen Überblick über die für Berufskrankheiten relevanten Diagnosen sowie Hinweise zur Meldung eines BK-Verdachts.
Was gilt, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmenden nicht in der Liste steht? Ist sie (noch) nicht aufgeführt, kann in Einzelfällen eine Erkrankung „wie eine Berufskrankheit“ anerkannt werden. Allerdings müssen neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft belegen, dass für eine bestimmte Personengruppe arbeitsbedingt ein deutlich erhöhtes Risiko besteht, an einer bestimmten Gesundheitsstörung zu erkranken [4].
Verdacht auf Berufskrankheit ist meldepflichtig
Um festzustellen, ob es sich im Einzelfall um eine anerkannte Berufskrankheit handelt, muss ein Prüfungsverfahren eingeleitet werden. Es beginnt mit einer Verdachtsanzeige beim zuständigen Unfallversicherungsträger (UV-Träger). Dadurch wird das Feststellungsverfahren in Gang gesetzt. Welcher UV-Träger zuständig ist, lässt sich bei den Arbeitgebenden erfragen. Hilfestellung gibt auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV).
Ärzte, Arbeitgebende und Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, eine Berufskrankheit für eine versicherte Person zu melden, wenn der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht. Die Anzeige ist beim Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle zu erstatten. Auch Betroffene selbst oder deren Familienangehörigen haben das Recht, einen solchen Verdacht zu melden. Dafür reicht eine formlose Mitteilung an die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse.
Tipps zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten:
- Es ist ratsam, dass die behandelnde Ärztin oder der Arzt die Anzeige erstatten, denn sie können Diagnosen und Erkrankungsverläufe einbringen.
- Betriebsräte, Sicherheitsbeauftragte und Arbeitskollegen einbeziehen, falls sie weitere Informationen zu Einwirkungen am Arbeitsplatz haben.
Der UV-Träger ermittelt die Arbeitsvorgeschichte und prüft gefährdende Einwirkungen. Er beurteilt, ob es einen Zusammenhang zwischen der Belastung am Arbeitsplatz und der Erkrankung gibt, indem ärztliche Gutachter miteinbezogen werden. Dabei wird untersucht, welchen Belastungen und Einwirkungen die Versicherten während ihres Arbeitslebens ausgesetzt waren.
Hierzu werden Fragebögen an die Versicherten und an die Betriebe, bei denen sie beschäftigt waren, versendet. Auch können persönliche Befragungen und Untersuchungen am Arbeitsplatz stattfinden oder frühere Unterlagen, zum Beispiel über Schadstoffe oder Luftmessungen am Arbeitsplatz, herangezogen werden. Konnte eine Gefährdung am Arbeitsplatz ermittelt werden, ist zu klären, ob aus medizinischer Sicht die schädigende Einwirkung die Krankheit hervorgerufen hat.
Hierzu wird die Krankheitsvorgeschichte der Betroffenen ermittelt und ein Sachverständigengutachten eingeholt. Da die UV-Träger keine eigenen ärztlichen Gutachter haben, vergeben sie Gutachtenaufträge an externe Fachärzte der Chirurgie, Orthopädie, Neurologie etc. Mindestens drei Gutachter müssen den Versicherten zur Auswahl gestellt werden. Vor der abschließenden Entscheidung sind die zuständigen Gewerbeärzte als Vertreter der staatlichen Arbeitsschutzbehörden zu beteiligen.
Pflichten und Rechte von Versicherten
- Fragebögen des UV-Trägers sollten so genau wie möglich ausgefüllt werden, da man oft selbst die besten Angaben über die Verhältnisse am Arbeitsplatz machen kann.
- Die Betroffenen können selbst fachlich qualifizierte Gutachter vorschlagen. Der Hausarzt ist keine gute Wahl, weil für ein Gutachten Spezialisten gefordert sind.
- Am besten eine Kopie des Gutachtens vom UV-Träger anfordern.
So endet das Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten
Die Anerkennung oder Ablehnung der Berufskrankheit wird durch schriftlichen Bescheid mitgeteilt. Dagegen können Versicherte innerhalb eines Monats beim UV-Träger Widerspruch einlegen. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, steht der Klageweg zum Sozialgericht offen.
Leistungen bei anerkannter Berufskrankheit
Wird die Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt, geht es vor allem darum, die Krankheit zu heilen oder eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation zu verhindern. Bei einem positiven Bescheid über die Berufskrankheit kann der Betroffene verschiedene Leistungen durch die Berufsgenossenschaft in Anspruch nehmen:
- vorbeugende Leistungen nach BKV, wie Schutzvorrichtungen, Atemmasken, spezielle therapeutische Maßnahmen.
- Kann die drohende Gefahr nicht beseitigt werden, so muss der Versicherte die Tätigkeit auf Aufforderung unterlassen, dann gibt es Übergangsleistungen, wenn dem Versicherten Nachteile entstehen.
- Leistungen nach dem SGB VII, wie medizinische Behandlungen, Reha-Maßnahmen, Verletztenkrankengeld bis Unfallrente.
Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent durch die Berufskrankheit erhält der Betroffene eine Erwerbsminderungsrente. Eine Teilerwerbsminderungsrente wird gezahlt, wenn Betroffene mindestens drei, aber weniger als sechs Stunden am Tag arbeiten können. Kann ein Arbeitnehmer keine drei Stunden pro Tag mehr arbeiten – nicht nur im ursprünglichen Beruf, sondern jede Tätigkeit – zahlt die Berufsgenossenschaft eine Berufsunfähigkeitsrente [5].
Übergangsleistung
Falls eine Berufskrankheit zuerkannt wurde, haben Versicherte Anspruch auf die Übergangsleistung nach § 3 Absatz 2 Berufskrankheitenverordnung (BKV) wenn:
- sie die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr weiter fortbesteht.
- Zum Ausgleich erhalten die Anspruchsberechtigten eine Übergangsleistung nach der BKV.
Die Übergangsleistung wird als einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder monatlich als wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente für eine Dauer bis 5 Jahren gezahlt [6].
Ausblick zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten
Wie lange dauert ein Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten? Allgemein lässt sich das nicht beantworten. Der Aufwand der Ermittlungen ist unterschiedlich. Je nach Erkrankung und beruflicher Vorgeschichte müssen Daten über Arbeitsbedingungen in einem oder mehreren Unternehmen und häufig über einen sehr langen Beschäftigungszeitraum zusammengetragen werden. Die Feststellung des Krankheitsbilds und die Prüfung der Ursachen kann meist nur mit medizinischen Fachleuten erfolgen. Das braucht Zeit. Trotzdem lohnt sich ein Verfahren mit Blick auf die Leistungen, welche den Betroffenen im Erfolgsfall zustehen. Die gute Nachricht: Trotz Berufskrankheit können mehr Menschen im Job bleiben. Möglich wurde das mit der Änderung des Berufskrankheitenrechts. Bislang konnten einige Berufskrankheiten – zum Beispiel Haut‑, Atemwegs- oder Bandscheibenerkrankungen – nur anerkannt werden, wenn die Betroffenen ihre Tätigkeit aufgaben. Seit 1. Januar 2021 ist der sogenannte Unterlassungszwang weggefallen [7]. Das bedeutet zum Beispiel, dass Personen mit berufsbedingten Hauterkrankungen wie einem Handekzem ihre Arbeit nicht mehr aufgeben müssen, um eine Berufskrankheit anerkannt zu bekommen und damit rechtsverbindlich eine bessere Versorgung über die Unfallversicherung zu erhalten [8].
Der Hautzustand der Patientinnen und Patienten lässt sich oft mit Schulungen und Präventionsmaßnahmen der Berufsgenossenschaft so weit verbessern, dass die Betroffenen in ihrem Beruf weiterarbeiten können. Und gegebenenfalls besteht ein Anspruch auf eine Rente – je nach Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Literaturhinweise zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten:
[1] DGUV-Statistiken für die Praxis 2021 (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4588)
[2] COVID-19 als Berufskrankheit – Informationen für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Hrsg. DGUV. Stand: Juni 2020
[3] Liste Berufskrankheiten: http://www.gesetze-im-internet.de/bkv/anlage_1.html
[4] https://www.dguv.de/de/versicherung/berufskrankheiten/index.jsp
[6] Berufskrankheitenverordnung BKV siehe https://www.gesetze-im-internet.de/bkv/__3.html
[7] https://dguv.de/de/mediencenter/pm/pressemitteilung_414468.jsp
Autorin:
Christine Speckner
Freie Journalistin