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Anerkennungsverfahren Berufskrankheit

Berufskrankheiten und Anerkennungsverfahren
Wenn der Job krank macht

Christine Speckner
Ein Hus­ten, der nicht wieder geht oder ein Han­dekzem: Bei manchen Beschw­er­den kann es sich um eine Beruf­skrankheit han­deln. Was Arbeit­gebende und Arbeit­nehmende im Ver­dachts­fall tun sollten.

Die Erkrankung an COVID-19 kann bei Beschäftigten im Gesund­heitswe­sen als Beruf­skrankheit anerkan­nt wer­den. Denn für sie ist die Infek­tion mit Krankheit­ser­regern ein beru­flich­es Risiko. Kein Wun­der, dass die Pan­demie die Anzeigen auf Beruf­skrankheit­en wegen COVID-19 in den ersten sechs Monat­en des Jahres 2021 deut­lich ansteigen ließ. Dies geht aus Dat­en der Beruf­sgenossen­schaften und Unfal­lka­ssen her­vor, die die Deutsche Geset­zliche Unfal­lver­sicherung (DGUV) vorgelegt hat [1]. Dem­nach wurde 2021 in 123.626 Fällen eine Beruf­skrankheit anerkan­nt – mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr.

Diese drei Voraus­set­zun­gen müssen vor­liegen, damit die Erkrankung an COVID-19 als Beruf­skrankheit von der geset­zlichen Unfal­lver­sicherung anerkan­nt wird [2]:

  • Kon­takt mit SARS-CoV-2-infizierten Per­so­n­en im Rah­men der beru­flichen Tätigkeit im Gesund­heitswe­sen und
  • rel­e­vante Krankheit­ser­schei­n­un­gen wie zum Beispiel Fieber, Hus­ten und
  • pos­i­tiv­er Nach­weis des Virus durch einen PCR-Test.

Aber auch andere Berufe brin­gen gesund­heitliche Risiken mit sich. Dabei ist es nicht so ein­fach festzustellen, ob eine Beruf­skrankheit vor­liegt oder nicht. Das Bun­de­sar­beitsmin­is­teri­um erk­lärt es so: Beruf­skrankheit­en sind Erkrankun­gen, die Ver­sicherte durch ihre beru­fliche Tätigkeit erlei­den und die in der Beruf­skrankheit­en-Verord­nung (BKV) aufge­führt sind [3].

Ursache dafür kön­nen ver­schieden­ste gesund­heitss­chädliche Ein­wirkun­gen sein. Ins­beson­dere kom­men bes­timmte Chemikalien, physikalis­che Ein­wirkun­gen wie Druck, Vibra­tio­nen oder das Tra­gen schw­er­er Las­ten und Arbeit­en unter Lärm oder Staub in Betra­cht. Nicht jede Erkrankung kann aber als Beruf­skrankheit anerkan­nt wer­den. Als Beruf­skrankheit kom­men nur solche Erkrankun­gen in Frage, die nach medi­zinis­chen Erken­nt­nis­sen durch beson­dere Ein­wirkun­gen verur­sacht wer­den. Diesen Ein­wirkun­gen müssen bes­timmte Per­so­n­en­grup­pen durch ihre Arbeit in erhe­blich höherem Grad als die übrige Bevölkerung aus­ge­set­zt sein.

Aktuell sind in der Liste der anerken­nungs­fähi­gen Beruf­skrankheit­en über 80 Beruf­skrankheit­en aufgeführt.

80 anrechnungsfähige Berufskrankheiten

In Anlage 1 dieser Verord­nung gibt es eine Über­sicht der aktuell anerkan­nten Beruf­skrankheit­en. Die Liste mit jew­eili­gen wis­senschaftlichen Infor­ma­tio­nen ist auf den Seit­en der DGUV einge­se­hen wer­den. Unter den ICD-10-Kapiteln gibt es einen Überblick über die für Beruf­skrankheit­en rel­e­van­ten Diag­nosen sowie Hin­weise zur Mel­dung eines BK-Verdachts.

Was gilt, wenn die Erkrankung des Arbeit­nehmenden nicht in der Liste ste­ht? Ist sie (noch) nicht aufge­führt, kann in Einzelfällen eine Erkrankung „wie eine Beruf­skrankheit“ anerkan­nt wer­den. Allerd­ings müssen neue Erken­nt­nisse der medi­zinis­chen Wis­senschaft bele­gen, dass für eine bes­timmte Per­so­n­en­gruppe arbeits­be­d­ingt ein deut­lich erhöht­es Risiko beste­ht, an ein­er bes­timmten Gesund­heitsstörung zu erkranken [4].

Verdacht auf Berufskrankheit ist meldepflichtig

Um festzustellen, ob es sich im Einzelfall um eine anerkan­nte Beruf­skrankheit han­delt, muss ein Prü­fungsver­fahren ein­geleit­et wer­den. Es begin­nt mit ein­er Ver­dacht­sanzeige beim zuständi­gen Unfal­lver­sicherungsträger (UV-Träger). Dadurch wird das Fest­stel­lungsver­fahren in Gang geset­zt. Welch­er UV-Träger zuständig ist, lässt sich bei den Arbeit­geben­den erfra­gen. Hil­festel­lung gibt auch die Deutsche Geset­zliche Unfal­lver­sicherung (DGUV).

Ärzte, Arbeit­gebende und Krankenkassen sind geset­zlich verpflichtet, eine Beruf­skrankheit für eine ver­sicherte Per­son zu melden, wenn der Ver­dacht auf eine Beruf­skrankheit beste­ht. Die Anzeige ist beim Unfal­lver­sicherungsträger oder der für den medi­zinis­chen Arbeitss­chutz zuständi­gen Stelle zu erstat­ten. Auch Betrof­fene selb­st oder deren Fam­i­lien­ange­höri­gen haben das Recht, einen solchen Ver­dacht zu melden. Dafür reicht eine form­lose Mit­teilung an die Beruf­sgenossen­schaft oder Unfallkasse.

Tipps zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten:

  • Es ist rat­sam, dass die behan­del­nde Ärztin oder der Arzt die Anzeige erstat­ten, denn sie kön­nen Diag­nosen und Erkrankungsver­läufe einbringen.
  • Betrieb­sräte, Sicher­heits­beauf­tragte und Arbeit­skol­le­gen ein­beziehen, falls sie weit­ere Infor­ma­tio­nen zu Ein­wirkun­gen am Arbeit­splatz haben.

Der UV-Träger ermit­telt die Arbeitsvorgeschichte und prüft gefährdende Ein­wirkun­gen. Er beurteilt, ob es einen Zusam­men­hang zwis­chen der Belas­tung am Arbeit­splatz und der Erkrankung gibt, indem ärztliche Gutachter mitein­be­zo­gen wer­den. Dabei wird unter­sucht, welchen Belas­tun­gen und Ein­wirkun­gen die Ver­sicherten während ihres Arbeit­slebens aus­ge­set­zt waren.

Hierzu wer­den Frage­bö­gen an die Ver­sicherten und an die Betriebe, bei denen sie beschäftigt waren, versendet. Auch kön­nen per­sön­liche Befra­gun­gen und Unter­suchun­gen am Arbeit­splatz stat­tfind­en oder frühere Unter­la­gen, zum Beispiel über Schad­stoffe oder Luftmes­sun­gen am Arbeit­splatz, herange­zo­gen wer­den. Kon­nte eine Gefährdung am Arbeit­splatz ermit­telt wer­den, ist zu klären, ob aus medi­zinis­ch­er Sicht die schädi­gende Ein­wirkung die Krankheit her­vorgerufen hat.

Hierzu wird die Krankheitsvorgeschichte der Betrof­fe­nen ermit­telt und ein Sachver­ständi­gengutacht­en einge­holt. Da die UV-Träger keine eige­nen ärztlichen Gutachter haben, vergeben sie Gutacht­e­naufträge an externe Fachärzte der Chirurgie, Orthopädie, Neu­rolo­gie etc. Min­destens drei Gutachter müssen den Ver­sicherten zur Auswahl gestellt wer­den. Vor der abschließen­den Entschei­dung sind die zuständi­gen Gewer­beärzte als Vertreter der staatlichen Arbeitss­chutzbe­hör­den zu beteiligen.

Pflichten und Rechte von Versicherten

  • Frage­bö­gen des UV-Trägers soll­ten so genau wie möglich aus­ge­füllt wer­den, da man oft selb­st die besten Angaben über die Ver­hält­nisse am Arbeit­splatz machen kann.
  • Die Betrof­fe­nen kön­nen selb­st fach­lich qual­i­fizierte Gutachter vorschla­gen. Der Hausarzt ist keine gute Wahl, weil für ein Gutacht­en Spezial­is­ten gefordert sind.
  • Am besten eine Kopie des Gutacht­ens vom UV-Träger anfordern.

So endet das Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten

Die Anerken­nung oder Ablehnung der Beruf­skrankheit wird durch schriftlichen Bescheid mit­geteilt. Dage­gen kön­nen Ver­sicherte inner­halb eines Monats beim UV-Träger Wider­spruch ein­le­gen. Wird der Wider­spruch zurück­gewiesen, ste­ht der Klageweg zum Sozial­gericht offen.

Leistungen bei anerkannter Berufskrankheit

Wird die Erkrankung als Beruf­skrankheit anerkan­nt, geht es vor allem darum, die Krankheit zu heilen oder eine Ver­schlechterung der gesund­heitlichen Sit­u­a­tion zu ver­hin­dern. Bei einem pos­i­tiv­en Bescheid über die Beruf­skrankheit kann der Betrof­fene ver­schiedene Leis­tun­gen durch die Beruf­sgenossen­schaft in Anspruch nehmen:

  • vor­beu­gende Leis­tun­gen nach BKV, wie Schutzvor­rich­tun­gen, Atem­masken, spezielle ther­a­peutis­che Maßnahmen.
  • Kann die dro­hende Gefahr nicht beseit­igt wer­den, so muss der Ver­sicherte die Tätigkeit auf Auf­forderung unter­lassen, dann gibt es Über­gangsleis­tun­gen, wenn dem Ver­sicherten Nachteile entstehen.
  • Leis­tun­gen nach dem SGB VII, wie medi­zinis­che Behand­lun­gen, Reha-Maß­nah­men, Ver­let­ztenkranken­geld bis Unfallrente.

Bei ein­er Min­derung der Erwerb­s­fähigkeit (MdE) von min­destens 20 Prozent durch die Beruf­skrankheit erhält der Betrof­fene eine Erwerb­s­min­derungsrente. Eine Teil­er­werb­s­min­derungsrente wird gezahlt, wenn Betrof­fene min­destens drei, aber weniger als sechs Stun­den am Tag arbeit­en kön­nen. Kann ein Arbeit­nehmer keine drei Stun­den pro Tag mehr arbeit­en – nicht nur im ursprünglichen Beruf, son­dern jede Tätigkeit – zahlt die Beruf­sgenossen­schaft eine Beruf­sun­fähigkeit­srente [5].

Übergangsleistung

Falls eine Beruf­skrankheit zuerkan­nt wurde, haben Ver­sicherte Anspruch auf die Über­gangsleis­tung nach § 3 Absatz 2 Beruf­skrankheit­en­verord­nung (BKV) wenn:

  • sie die gefährdende Tätigkeit unter­lassen, weil die Gefahr weit­er fortbesteht.
  • Zum Aus­gle­ich erhal­ten die Anspruchs­berechtigten eine Über­gangsleis­tung nach der BKV.

Die Über­gangsleis­tung wird als ein­ma­liger Betrag bis zur Höhe der Voll­rente oder monatlich als wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölf­tels der Voll­rente für eine Dauer bis 5 Jahren gezahlt [6].

Ausblick zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten

Wie lange dauert ein Anerken­nungsver­fahren bei Beruf­skrankheit­en? All­ge­mein lässt sich das nicht beant­worten. Der Aufwand der Ermit­tlun­gen ist unter­schiedlich. Je nach Erkrankung und beru­flich­er Vorgeschichte müssen Dat­en über Arbeits­be­din­gun­gen in einem oder mehreren Unternehmen und häu­fig über einen sehr lan­gen Beschäf­ti­gungszeitraum zusam­menge­tra­gen wer­den. Die Fest­stel­lung des Krankheits­bilds und die Prü­fung der Ursachen kann meist nur mit medi­zinis­chen Fach­leuten erfol­gen. Das braucht Zeit. Trotz­dem lohnt sich ein Ver­fahren mit Blick auf die Leis­tun­gen, welche den Betrof­fe­nen im Erfol­gs­fall zuste­hen. Die gute Nachricht: Trotz Beruf­skrankheit kön­nen mehr Men­schen im Job bleiben. Möglich wurde das mit der Änderung des Beruf­skrankheit­en­rechts. Bis­lang kon­nten einige Beruf­skrankheit­en – zum Beispiel Haut‑, Atemwegs- oder Band­scheiben­erkrankun­gen – nur anerkan­nt wer­den, wenn die Betrof­fe­nen ihre Tätigkeit auf­gaben. Seit 1. Jan­u­ar 2021 ist der soge­nan­nte Unter­las­sungszwang wegge­fall­en [7]. Das bedeutet zum Beispiel, dass Per­so­n­en mit berufs­be­d­ingten Hauterkrankun­gen wie einem Han­dekzem ihre Arbeit nicht mehr aufgeben müssen, um eine Beruf­skrankheit anerkan­nt zu bekom­men und damit rechtsverbindlich eine bessere Ver­sorgung über die Unfal­lver­sicherung zu erhal­ten [8].

Der Hautzu­s­tand der Pati­entin­nen und Patien­ten lässt sich oft mit Schu­lun­gen und Präven­tion­s­maß­nah­men der Beruf­sgenossen­schaft so weit verbessern, dass die Betrof­fe­nen in ihrem Beruf weit­er­ar­beit­en kön­nen. Und gegebe­nen­falls beste­ht ein Anspruch auf eine Rente – je nach Grad der Min­derung der Erwerbsfähigkeit.


Literaturhinweise zum Anerkennungsverfahren bei Berufskrankheiten:

[1] DGUV-Sta­tis­tiken für die Prax­is 2021 (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4588)

[2] COVID-19 als Beruf­skrankheit – Infor­ma­tio­nen für Beschäftigte im Gesund­heitswe­sen. Hrsg. DGUV. Stand: Juni 2020

[3] Liste Beruf­skrankheit­en: http://www.gesetze-im-internet.de/bkv/anlage_1.html

[4] https://www.dguv.de/de/versicherung/berufskrankheiten/index.jsp

[5] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Allgemeine-Informationen/Rentenarten-und-Leistungen/Erwerbsminderungsrente/erwerbsminderungsrente_node.html

[6] Beruf­skrankheit­en­verord­nung BKV siehe https://www.gesetze-im-internet.de/bkv/__3.html

[7] https://dguv.de/de/mediencenter/pm/pressemitteilung_414468.jsp

[8] https://www.bvdd.de/aktuelles-presse/newsroom/pressemitteilungen/details/unterlassungszwang-faellt-trotz-berufskrankheit-im-job-bleiben/


Christine Speckner
Chris­tine Speck­n­er; Foto: © privat

Autorin:
Chris­tine Speckner
Freie Jour­nal­istin

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