Besondere Aufmerksamkeit in der Fachwelt „genießen“ in jedem Jahr die Neubewertungen und Umstufungen bei den krebserzeugenden Stoffen und Keimzellmutagenen.
In diesem Jahr (2018) wurden zehn Stoffe hinsichtlich ihrer krebserzeugenden Eigenschaften erstmals eingestuft beziehungsweise neu bewertet.
Dabei wurde Kategorie 3B für die vier Stoffe
- Benzotriazol [95–14‑7] (bisher ohne Kanzerogenitäts-Einstufung)
- Bitumen [8052–42‑4; 64741–56‑6; 64742–93‑4] (Destillationsbitumen, Air-Rectified-Bitumen, Gussasphalt) (Neuaufnahme)
- Diisotridecylphthalat [27253–26‑5] (Neuaufnahme)
- Ditridecylphthalat [119–06‑2] (Neuaufnahme)
vergeben.
Kategorie 4 wurde vergeben für
- α-Aluminiumoxid (Korund) [1302–74 ‑5] (Neuaufnahme),
- Dichloressigsäure [79–43‑6] und ihre Salze (bisher Kategorie 3A),
- Polytetrafluorethen [9002–84‑0] (alveolengängige Fraktion) (Neuaufnahme),
- Titandioxid [13463–67‑7] (alveolengängige Fraktion) (bisher Kategorie 3A) und
- Zirkoniumdioxid [1314–23‑4; 12036- 23–6] (alveolengängige Fraktion) (Neuaufnahme).
Die Einstufung in Kategorie 2 (krebserzeugend im Tierversuch) wurde vom bisherigen Eintrag „Bitumen [8052–42‑4] (Dampf und Aerosol)“ in den neuen Eintrag „Bitumen [64742–93‑4] (Oxidationsbitumen)“ übernommen.
Im oberen Kasten auf Seite 35 lesen Sie die wesentlichen Definitionen für die hier maßgeblichen Kategorien.
Sechs Stoffe wurden in diesem Jahr hinsichtlich ihrer krebserzeugenden Eigenschaften überprüft und die bisherige Einstufung bestätigt:
- Aluminiumsilikatfasern (RCF): Kategorie 2
- N,N‑Dimethylformamid [68–12‑2]: Kategorie 4
- 1,4‑Dioxan [123–91–1]: Kategorie 4
- Ethylenoxid [75–21–8]: Kategorie 2
- Lindan [58–89–9]: Kategorie 4
- Vinylchlorid [75–01–4]: Kategorie 1
Keimzellmutagene
Bei den Keimzellemutagenen wurde in diesem Jahr nur Bitumen [64742–93‑4] (Oxidationsbitumen) als Ersatz für die bisherige Position „Bitumen [8052–42‑4] (Dampf und Aerosol)“ in Kategorie 3 B eingestuft.
Die Keimzellmutagenität von Ethylenoxid [75–21‑8] wurde überprüft und die Kategorie 2 bestätigt.
Im unteren Kasten auf Seite 35 lesen Sie die Definitionen für diese Kategorien.
Schwangerschaftsgruppen
33 Stoffe wurden in diesem Jahr hinsichtlich ihrer Zuordnung zu Schwangerschaftsgruppen erstmals eingestuft (neun Neuaufnahmen), neu bewertet beziehungsweise ohne Änderung überprüft.
Dabei wurde die Zuordnung zur Schwangerschaftsgruppe B (eine fruchtschädigende Wirkung ist nach den vorliegenden Informationen bei Exposition in Höhe des MAK- und BAT-Wertes nicht auszuschließen) für Azinphos-methyl [86–50‑0] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe) neu vergeben und für Chlorierte Biphenyle überprüft und bestätigt.
Beide Einträge erhalten einen Hinweis hinsichtlich der Möglichkeit einer Einstufung als Gruppe C („Voraussetzung für Schwangerschaftsgruppe C siehe Begründung“). Ein solcher Hinweis ist angezeigt, wenn zum Beispiel ein Schwellenwert für eine fruchtschädigende Wirkung bekannt ist.
Die folgenden elf Stoffe (davon sieben Neuaufnahmen) wurden in die Schwangerschaftsgruppe C (eine fruchtschädigende Wirkung braucht bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes nicht befürchtet zu werden) eingestuft:
- α-Aluminiumoxid (Korund) [1302–74- 5] (Neuaufnahme)
- Glutarsäure [110–94‑1] (Neuaufnahme)
- Kokosnussöl [8001–31‑8] (Neuaufnahme)
- 4‑Methyl‑1,3‑dioxolan-2-on [108–32‑7] (Neuaufnahme)
- Monochloressigsäure [79–11‑8] (bisher nur Hinweis auf Abschnitt II b und ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Natriummonochloracetat [3926–62‑3] (Neuaufnahme)
- Natriumpyrithion [3811–73‑2; 15922- 78–8] (bisher Schwangerschaftsgruppe B)
- Polytetrafluorethen [9002–84‑0] (alveolengängige Fraktion) (Neuaufnahme)
- Polytetrafluorethen [9002–84‑0] (einatembare Fraktion) (Neuaufnahme)
- Titandioxid [13463–67‑7] (alveolengängige Fraktion) (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Zirkoniumdioxid [1314–23‑4; 12036- 23–6] (alveolengängige Fraktion) (Neuaufnahme)
Die Zuordnung zu dieser Gruppe wurde für die zwölf Stoffe
- Acetylaceton [123–54‑6]
- 1‑Butanthiol [109–79‑5]
- 2‑Chlorethanol [107–07‑3]
- Dimethoxymethan [109–87‑5]
- Lindan [58–89‑9]
- Methanol [67–56‑1]
- Methylformiat [107–31‑3]
- N‑Methyl-2-pyrrolidon [872–50‑4] (Dampf)
- Polyethylenglykole (PEG) (mittlere Molmasse 200 – 600) [25322–68‑3]
- trans‑1,3,3,3‑Tetrafluorpropen [29118–24‑9]
- 2,3,3,3‑Tetrafluorpropen [754–12‑1]
- 1,1,1‑Trichlorethan [71–55‑6]
geprüft und unverändert bestätigt.
Für die drei Stoffe
- Bitumen [8052–42‑4; 64741–56‑6; 64742–93‑4] (Destillationsbitumen, Air-Rectified-Bitumen, Gussasphalt) (Neuaufnahme)
- Decyloleat [3687–46‑5] (bisher nur Hinweis auf Abschnitt II b und ohne Schwangerschaftsgruppe)
- iso-Decyloleat [59231–34‑4] (bisher nur Hinweis auf Abschnitt II b und ohne Schwangerschaftsgruppe)
gab es eine Zuordnung zur Schwangerschaftsgruppe D (Stoffe, bei denen die vorliegenden Daten für eine Einstufung in eine der Gruppen A, B oder C nicht ausreichen).
Schwangerschaftsgruppe D wurde für
- Ethanthiol [75–08‑1],
- Ethylamin [75–04‑7] und
- Methanthiol [74–93‑1].
überprüft und bestätigt.
Für alle Änderungen in der Liste erarbeitet die Kommission eine ausführliche wissenschaftliche Begründung, die einige Monate nach der MAK-Liste in einer Ergänzungslieferung zu der Loseblattsammlung „Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten und Einstufungen“ [1] veröffentlicht wird und die seit Anfang 2012 auch im Internet kostenlos zur Verfügung steht.
Biologische Beurteilungswerte (BW)
Bei den biologischen Werten gibt es in diesem Jahr keine Neuaufnahmen von Stoffen, es wird jedoch ein zusätzlicher neuer BAT-Wert von 25 mg/g Kreatinin in Urin für die Probenahmezeitpunkte b) (Expositionsende beziehungsweise Schichtende) und c) (bei Langzeitexposition: am Schichtende nach mehreren vorangegangenen Schichten) für N,N‑Dimethylformamid [68–12‑2] und den Parameter „N‑Acetyl-S-(methylcarbamoyl)-L-cystein“ aufgenommen.
Fünf BAT-Werte (Biologischer Arbeitsstoff-Toleranz-Wert) werden in diesem Jahr geändert:
- Chlorbenzol [108–90‑7]: Der BAT-Wert wird von bisher 150 auf 80 mg/g Kreatinin (Probenahmezeitpunkt: „Expositionsende beziehungsweise Schichtende“) abgesenkt; der bisherige Wert „25 mg/g Kreatinin“ für den Probenahmezeitpunkt d) „vor nachfolgender Schicht“ wird gestrichen;
- Chlorierte Biphenyle: neuer Hinweis „Voraussetzung für Schwangerschaftsgruppe C siehe BAT-Addendum; siehe auch Abschn. II a);
- N,N‑Dimethylformamid [68–12‑2]: Der BAT-Wert für den Parameter „N‑Methylformamid plus N‑Hydroxymethyl-N-methylformamid“ wird von bisher 35 auf 20 mg/L abgesenkt;
- Methanol [67–56‑1]: Der BAT-Wert wird von bisher 30 auf 15 mg/L abgesenkt und ein neuer Probenahmezeitpunkt b) „Expositionsende beziehungsweise Schichtende“ eingefügt;
- 1,1,1‑Trichlorethan (Methylchloroform) [71–55‑6]: Der BAT-Wert wird von bisher 550 auf 275 μg/L abgesenkt.
EKA (Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe)
Bei den EKA-Tabellen gibt es zwei Änderungen:
- Cobalt [7440–48‑4] und Cobaltverbindungen: Die EKA-Tabelle wird um den Faktor 2 nach unten erweitert (im Rahmen der Kommentierungsfrist geändert);
- Pentachlorphenol [87–86‑5]: Die bisherige EKA-Tabelle wurde für beide Parameter gestrichen.
Die EKA-Tabelle für „Nickel [7440- 02–0] (Nickelmetall, ‑oxid, ‑carbonat, ‑sulfid, sulfidische Erze)“ wurde überprüft und unverändert bestätigt.
Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR)
Bei den Biologischen Arbeitsstoff-Referenzwerten (BAR) gab es in diesem Jahr drei Änderungen:
- Aluminium [7429–90‑5]: Es wurde ein neuer BAR von 15 μg/g Kreatinin in Urin für den Probenahmezeitpunkt c (bei Langzeitexposition: am Schichtende nach mehreren vorangegangenen Schichten) eingefügt (der BAT-Wert bleibt unverändert);
- Benzol [71–43‑2]: Der BAR für den Parameter „S‑Phenylmerkaptursäure“ wird von bisher 0,5 auf 0,3 μg/g Kreatinin abgesenkt;
- Molybdän [7439–98‑7] und seine Verbindungen: Es wurde ein neuer BAR von 150 μg/L Molybdän in Urin (ohne Angabe für einen Probenahmezeitpunkt) eingefügt (der BAT-Wert bleibt unverändert).
Biologische Leitwerte (BLW)
Der BLW für Blei [7439–92‑1] und seine Verbindungen (außer Bleiarsenat, Bleichromat und Alkylbleiverbindungen) (Parameter: Blei) wurde für Frauen 45 Jahre und für Männer von bisher 300 auf 200 μg/l abgesenkt.
Die Definitionen für BAR und BLW – die es im staatlichen Regelwerk (TRGS 903) nicht gibt – finden Sie im Kasten unten.
Welche Bedeutung hat die DFG-Liste für den Arbeitsschutz?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft übergibt ihre MAK-Werte-Liste alljährlich im Juli dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als Bestandteil ihrer Politikberatung.
Danach haben alle betroffenen und interessierten Kreise jeweils bis zum 1. Februar des folgenden Jahres Gelegenheit, zu den Neuerungen Stellung zu nehmen und Kommentare einzureichen. Dabei geht es allerdings ausschließlich um wissenschaftliche Stellungnahmen. Fragen der praktischen Umsetzung von neuen oder abgesenkten Grenzwerten oder „schärferen“ Einstufungen werden hierbei nicht berücksichtigt.
Die Kommission diskutiert die eingereichten Stellungnahmen im darauffolgenden Jahr, um ihre Vorschläge gegebenenfalls zu ändern oder zu ergänzen, bevor diese endgültig verabschiedet werden; oder erforderlichenfalls auch zurückziehen. Dies ist in den zurückliegenden Jahren – auch in diesem Jahr hinsichtlich der EKA-Tabelle für Cobalt [7440–48‑4] und Cobaltverbindungen – bereits mehrfach geschehen.
Die Betrachtung der Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung obliegt dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS), wenn er nach der endgültigen Annahme durch die Kommission über die Aufnahme neuer oder geänderter Grenzwerte in die TRGS 900 „Luftgrenzwerte“ beziehungsweise TRGS 903 „Biologische Grenzwerte (BGW)“ oder geänderter Stoffbewertungen in die TRGS 905 „Verzeichnis krebserzeugender, keimzellmutagener oder reproduktionstoxischer Stoffe“ beschließt.
Wenn die Übernahme neuer oder geänderter Grenzwerte in der Praxis Probleme bereitet, wird der AGS auch hierüber beraten und gegebenenfalls passende Präventionsmaßnahmen vorschlagen, erforderlichenfalls auch spezielle Präventionsprogramme auflegen.
Daraus ergibt sich, dass es auch für die betrieblichen Praktiker von Bedeutung ist, sich schon frühzeitig mit den neuen Vorschlägen der DFG auseinander zu setzen und falls erforderlich im eigenen Betrieb zu überprüfen, ob die neuen Werte eingehalten werden können. Sollte dies offensichtlich nicht möglich sein, sollten Sie frühzeitig mit den Technischen Aufsichtsdiensten, zum Beispiel der Unfallversicherung, Kontakt aufnehmen, um nach geeigneten Lösungen zu suchen. Dort wird man erforderlichenfalls dann auch den AGS einschalten.
„Gelbe Seiten“ der MAK- und BAT-Werte-Liste
Auf den „Gelben Seiten“ der MAK- und BAT-Werte-Liste weist die DFG-Kommission alljährlich auf geplante Änderungen beziehungsweise Ergänzungen für die jeweilige(n) Folgemitteilung(en) hin.
Literatur
- Hartwig, Andrea (Hrsg.): „Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe – Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten und Einstufungen“, Begründungen MAK-Werte (DFG); derzeit letzte Aktualisierung: 63. Lieferung 17. Januar 2018, Handbuch/Nachschlagewerk, 593 Seiten, ISBN 978–3–527– 34309–6; Wiley-VCH, Weinheim, 249,– € inkl. Mehrwertsteuer
zzgl. Versandkosten.
Kategorie 2: Stoffe, die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweise aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Andernfalls können Daten aus Tierversuchen durch Informationen zum Wirkungsmechanismus und aus In-vitro- und Kurzzeit-Tierversuchen gestützt werden.
Kategorie 3A: Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, bei denen die Voraussetzungen erfüllt wären, sie der Kategorie 4 oder 5 zuzuordnen. Für die Stoffe liegen jedoch keine hinreichenden Informationen vor, um einen MAK- oder BAT-Wert abzuleiten (sog. „Minimalkanzerogene“).
Kategorie 3B: Aus In-vitro- oder aus Tierversuchen liegen Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung vor, die jedoch zur Einordnung in eine andere Kategorie nicht ausreichen. Zur endgültigen Entscheidung sind weitere Untersuchungen erforderlich. Sofern der Stoff oder seine Metaboliten keine genotoxischen Wirkungen aufweisen, kann ein MAK- oder BAT-Wert festgelegt werden (sogenannte „echte“ Verdachtsstoffe“).
Kategorie 4: Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind und für die ein MAK-Wert abgeleitet werden kann. Im Vordergrund steht ein nicht-genotoxischer Wirkungsmechanismus, und genotoxische Effekte spielen bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes keine oder nur eine untergeordnete Rolle („Minimalkanzerogene“ mit nicht-genotoxischem Wirkungsmechanismus).
Kategorie 2: Keimzellmutagene, deren Wirkung anhand einer erhöhten Mutationsrate unter den Nachkommen exponierter Säugetiere nachgewiesen wurde.
Kategorie 3B: Stoffe, für die aufgrund ihrer genotoxischen Wirkungen in somatischen Zellen von Säugetieren in vivo ein Verdacht auf eine mutagene Wirkung in Keimzellen abgeleitet werden kann. In Ausnahmefällen Stoffe, für die keine In-vivo-Daten vorliegen, die aber in vitro eindeutig mutagen sind und die eine strukturelle Ähnlichkeit zu In-vivo-Mutagenen haben.
Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR) beschreiben die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Referenzpopulation aus nicht beruflich gegenüber dem Arbeitsstoff exponierten Personen im erwerbsfähigen Alter bestehende Hintergrundbelastung mit diesem Arbeitsstoff. Sie orientieren sich am 95. Perzentil, ohne Bezug zu nehmen auf gesundheitliche Effekte.
Der Biologische Leitwert (BLW) ist die Quantität eines Arbeitsstoffes beziehungsweise Arbeitsstoffmetaboliten oder die dadurch ausgelöste
Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm beim Menschen, die als Anhalt für die zu treffenden Schutzmaßnahmen heranzuziehen ist.
Autor:
Dr. Ulrich Welzbacher