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Das Märchen von der erteilten Baugenehmigung

Aktualisiert: Arbeitsstättenrecht und Arbeitsschutz im Baugenehmigungsverfahren
Das Märchen von der erteilten Baugenehmigung

Das Märchen von der erteilten Baugenehmigung
Ist die Baugenehmigung ein Freifahrtschein? Wer trägt die Verantwortung? Foto: © Janina Dierks / Fotolia.com
Es war ein­mal vor langer Zeit, als die Hüh­n­er noch Zähne hat­ten [1] …

Eine gewis­senhafte Sicher­heits­fachkraft machte sich eines schö­nen Tages daran, eine Bege­hung in ein­er neu errichteten Arbeitsstätte durchzuführen, als sie in einem abgele­ge­nen Winkel des Haus­es vol­lkom­men ver­wirrende Dinge ent­deck­te, die sie ganz und gar nicht mit der Arbeitsstät­ten­verord­nung in Ein­klang zu brin­gen ver­mochte. Also ver­langte sie den Bauher­rn (der sich bei der Bege­hung natür­lich durch seinen ehre­namtlich täti­gen Sicher­heits­beauf­tragten vertreten ließ) zu sprechen, um ihm ihre Fest­stel­lun­gen vorzu­tra­gen und um ihm zu empfehlen, die fest­gestell­ten Män­gel so bald als möglich abzustellen.

Der Bauherr erschien mit großer Verzögerung und mit noch viel größerem Zorn und hielt der Sicher­heits­fachkraft schweigend ein amtlich­es Doku­ment vor die Nase, das den Titel „Bau­genehmi­gung“ trug. Die Sicher­heits­fachkraft hob die Schul­tern und lächelte fre­undlich. „Ja, und?“, fragte sie den vor Wut kochen­den Bauher­rn. „Ein nettes Papi­er, das Du da in den Hän­den hältst.“

„Hol­la! Liebe Sicher­heits­fachkraft.“, rief der Bauherr daraufhin erbost. „Mein Bau­vorhaben ist amtlich abge­seg­net. Alles ist in bester But­ter, denn ich habe eine Baugenehmigung!“

„Das freut mich gar sehr für dich, doch das Papi­er nützt dir nichts. Deine Bauauf­sichts­be­hörde erteilt schon seit Jahren Bau­genehmi­gun­gen, ohne Beteili­gung der für den Arbeitss­chutz zuständi­gen Behörden.“

„Aber, aber…“, stot­terte der Bauherr ver­wun­dert. „Wenn es stimmt, was du da sagst, dann sind sämtliche Belange des Arbeitss­chutzes allein von den Bauher­rin­nen und Bauher­rn zu beacht­en und zu berücksichtigen???“

„So ist es!“, sprach die Sicher­heits­fachkraft und zück­te ihr vollgeschriebenes Notizbuch. Und wenn sie nicht gestor­ben ist, sitzt die Sicher­heits­fachkraft auf­grund der vie­len Män­gel noch heute an ihrem Begehungsprotokoll…

Märchen oder Wahrheit?

Es ist kein Märchen, dass in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land vol­lkom­men prob­lem­los Bau­genehmi­gun­gen erteilt wer­den, sofern das geplante Bauw­erk genehmi­gungspflichtig ist und sofern dem jew­eili­gen Bau­vorhaben keine öffentlich rechtlichen Vorschriften ent­ge­gen­ste­hen, die in einem bauauf­sichtlichen Genehmi­gungsver­fahren zu prüfen sind.

Soweit so gut, aber jet­zt kommt es dicke! Denn…

…in einem möglichen Bau­genehmi­gungsver­fahren wird nicht geprüft, ob die Vor­gaben der Arbeitsstät­ten­verord­nung einge­hal­ten werden!

Wie bitte? Die Vor­gaben der Arbeitsstät­ten­verord­nung wer­den im Bau­genehmi­gungsver­fahren nicht mehr geprüft? Seit wann gilt das denn? Nun, zum Teil gilt dies bere­its seit dem Jahr 2002 (zum Beispiel in Hes­sen). Viele Bauord­nun­gen wur­den damals, und nicht nur in Hes­sen, auf Grund­lage der Muster­bauord­nung der Län­der aus dem Jahr 2002 neu gefasst und enthal­ten sei­ther keine Vorschrift mehr, die die Prü­fung des Arbeitsstät­ten­rechts im bauauf­sichtlichen Genehmi­gungsver­fahren vorschreibt. Andere Bun­deslän­der haben sich erst später dieser Vorge­hensweise angeschlossen (zum Beispiel das Land Nor­drhein-West­falen im Jahr 2012).

Da es Aus­nah­men von der vor­ge­nan­nten Regel gibt, sei an dieser Stelle sehr emp­fohlen, sich bei beste­hen­den Unklarheit­en an die zuständi­ge Baube­hörde zu wen­den. Dort kann die für das Bun­des­land gel­tende Regelung in Erfahrung gebracht wer­den. Viele wer­den ver­mut­lich über­rascht sein, was Sie dort hin­sichtlich des Bau­genehmi­gungsver­fahrens zu lesen oder zu hören bekommen.

Wer ist verantwortlich?

Wer an dieser Stelle den Schock mit der Bau­genehmi­gung und der Nicht-Prü­fung der Vor­gaben der Arbeitsstät­ten­verord­nung inner­halb des Bau­genehmi­gungsver­fahrens halb­wegs verkraftet hat, wird sich garantiert sofort die Frage stellen: „Ja, wer ist denn dann ver­ant­wortlich?“. Die Frage ist recht ein­fach zu beant­worten: Die Sicher­heits­fachkraft ist es nicht!

Denn: „[…] Der Bauherr bzw. der von ihm beauf­tragte Architekt bzw. Entwurf­s­plan­er hat die Vor­gaben des Arbeitsstät­ten­rechts in eigen­er Ver­ant­wor­tung umzuset­zen und auch dafür zu haften.“ [1]

Noch konkreter gilt aber sog­ar folgendes:

Ver­ant­wortlich für die Ein­hal­tung der Arbeitsstät­ten­verord­nung als Teil des staatlichen Arbeitss­chutzrechts ist die nach dem Arbeitss­chutzge­setz ver­ant­wortliche Per­son. Die Arbeitsstät­ten­verord­nung verpflichtet den Arbeit­ge­ber, dafür zu sor­gen, dass (s)eine Arbeitsstätte so ein­gerichtet und betrieben wird, dass von ihr keine Gefährdun­gen für die Sicher­heit und die Gesund­heit der Beschäftigten aus­ge­hen. Nach­le­sen kann man dies in §3a der Verord­nung. Dabei ist es ein­deutig an ihm, den Stand der Tech­nik und ins­beson­dere die tech­nis­chen Regeln für Arbeitsstät­ten, auch als ASR’en bekan­nt, zu berücksichtigen.

Das Schöne an den vor­ge­nan­nten tech­nis­chen Regeln ist, dass bei ihrer Ein­hal­tung davon aus­ge­gan­gen wird, dass die in der Verord­nung gestell­ten Anforderun­gen dies­bezüglich erfüllt sind. Wen­det der Arbeit­ge­ber die ASR´en – aus welchem Grund auch immer – dage­gen nicht an, muss er durch andere Maß­nah­men die gle­iche Sicher­heit und den gle­ichen Gesund­heitss­chutz der Beschäftigten erre­ichen. Dies hat der Arbeit­ge­ber in der Gefährdungs­beurteilung nach § 3 Arb­StättV zu berück­sichti­gen und zu doku­men­tieren. Diese geset­zliche Vor­gabe hat eine große Auswirkung auf geplante Bau­vorhaben von Arbeitsstät­ten, denn sehr viele Vor­gaben inner­halb der Arbeitsstät­ten­verord­nung sind erfahrungs­gemäß baulich­er Natur. Und diese Vor­gaben müssen bere­its in der Pla­nungsphase berück­sichtigt werden.

Spätestens jet­zt hat ein Gesetz seinen großen Auftritt, das bere­its im Jahr 1974 in Kraft trat – das Arbeitssicher­heits­ge­setz. In diesem Gesetz wird den Arbeit­ge­bern in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land aufer­legt, Fachkräfte für Arbeitssicher­heit und Betrieb­särzte bere­its in der Pla­nungsphase von Neubaut­en, baulichen Änderun­gen oder Nutzungsän­derun­gen zu beteili­gen. In der Prax­is bedeutet dies, dass sich Bauher­rn, Architek­ten sowie Fachkräfte für Arbeitssicher­heit und Betrieb­särzte in der Pla­nungsphase bei Erstel­lung der Antrag­sun­ter­la­gen zusam­men­find­en soll­ten (Achtung: In der Juris­ten­sprache bedeutet soll(t)en = müssen!). Sofern Bauherr und später­er Nutzer/Arbeitgeber nicht iden­tisch sind, emp­fiehlt es sich, diese soweit möglich entsprechend einzubeziehen.

Nicht-Wissen schützt? Oder nicht?

Ich möchte abschließend zurück zu dem kurzen Märchen aus der Ein­leitung kom­men. In der Prax­is ist lei­der immer wieder festzustellen, dass Bauher­rn und Architek­ten über die Anforderun­gen der Arbeitsstät­ten­verord­nung nicht oder nur unzure­ichend informiert sind. Noch unin­formiert­er sind viele Plan­er offen­bar aber vor allem hin­sichtlich der The­matik Bau­genehmi­gung und Bau­genehmi­gungsver­fahren. Eine erteilte Bau­genehmi­gung wird sehr gerne – und das gilt erfahrungs­gemäß nicht nur hin­sichtlich der Belange des Arbeitss­chutzes – als grund­sät­zlich­er Freifahrtschein betrachtet.

Aber: … „[…] Die Bau­genehmi­gung ist keine öffentlich-rechtliche Unbe­den­klichkeits­bescheini­gung. Sie zielt nicht auf eine grund­sät­zlich umfassende Prü­fung der für das Bau­vorhaben anzuwen­den­den öffentlich-rechtlichen Anforderun­gen ab. Geprüft wird nur, was dem spez­i­fis­chen Bau­recht ange­hört und was nach dem jew­eili­gen Fachrecht ein­er Prü­fung im Bau­genehmi­gungsver­fahren aus­drück­lich unter­wor­fen ist. Die Arbeitss­chutzbe­hör­den kön­nen damit nicht mehr im Rah­men des Bau­genehmi­gungsver­fahrens auf die Pla­nung von Arbeitsstät­ten Ein­fluss nehmen. … Das Arbeitsstät­ten­recht ist eines der wichtig­sten Rechts­ge­bi­ete des Bauneben­rechts. Gesicht­spunk­te, die in der Bau­pla­nungsphase nicht berück­sichtigt wer­den, sind im Nach­gang nur sehr schwierig und meist mit hohem Koste­naufwand zu kor­rigieren. Daher ist die Eigen­ver­ant­wor­tung von Bauher­ren, Architek­ten und Plan­ern gefragt […].“ [2]

Besser: Von Anfang an im Boot

Viele Fachkräfte für Arbeitssicher­heit und Betrieb­särzte wer­den, was die Prax­is lei­der allzu häu­fig zeigt, bei der Pla­nung oft­mals nicht beteiligt. Und das kann teure Fol­gen haben, wenn zum Beispiel Nachbesserun­gen der Pla­nung­sun­ter­la­gen notwendig wer­den. Solche Nachbesserun­gen kön­nen Verzögerun­gen des Bau­genehmi­gungsver­fahrens nach sich ziehen. Noch um einiges unan­genehmer wird es, wenn sich Män­gel erst nach der Errich­tung beziehungsweise der Fer­tig­stel­lung der neuen Arbeitsstätte zeigen. Dann näm­lich wer­den Nachbesserun­gen noch schwieriger und vor allem: noch teurer.

[1] So begin­nen bre­tonis­che Märchen gerne…

[2] Quellen und weit­ere Infor­ma­tio­nen zum Thema: 

  • Arbeitsstät­ten­recht und Thüringer Bauord­nung; Thüringer Lan­des­be­trieb für Arbeitss­chutz und tech­nis­chen Ver­brauch­er­schutz; Juni 2012
  • http://www.baua.de/de/Themen-von-A‑Z/Arbeitsstaetten/Arbeitsstaettenrecht.html
  • http://www.brd.nrw.de/arbeitsschutz/56_arbeitsstaetten/Arbeitsstaettenrecht-und-Arbeitsschutz-im-baugenehmigungsverfahren.html
  • www.lak-nds.net/lak20120906/vortraege/huelsemann/huelsemann.pdf
  • http://www.gaa.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/22490/
  • https://www.kommunen-in-nrw.de/mitgliederbereich/mitteilungen/detailansicht/dokument/wegfall-der-beteiligung-der-arbeitsschutzverwaltung-im-baugenehmigungsverfahren.html?cHash=55b084ee8ec1b9b0a6f2d055fb157e9f
  • http://nrw-baurecht.de/viewtopic.php?t=841
  • https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_del_text?anw_nr=7&vd_id=13806&ver=8&val=13806&sg=0&menu=1&vd_back=N
  • www.byak.de/media//Info…/150227-Merkblatt_Arbeitsst__ttenrecht_end-heitl.pdf
  • www.hwk-bayern.de/viewDocument?onr=74&id=255
  • https://www.unfallkasse-nrw.de/fileadmin/server/download/…/VStaettV_und_LBO.pdf
  • www.gewerbeaufsicht.niedersachsen.de/…/Nr._50_Neufassung_der_Niedersaechsisch…

Autor

Heiko Mit­tel­staedt

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