Bevor man sich mit der Auswahl des geeigneten Desinfektionsverfahrens beschäftigt, muss folglich zuerst eine Bewertung der Mikroorganismen und der mit ihnen verbundenen Gefahren erfolgen.
Mikroorganismen
Als am einfachsten zu beseitigen sind Bakterien zu nennen; diese besitzen einen eigenen Stoffwechsel, verbrauchen Nährstoffe und vermehren sich selbstständig. Bakterien besitzen keinen Zellkern und sind relativ simpel aufgebaut. Zu den Bakterien gehören zum Beispiel E. coli, S. aureus (mit MRSA) oder auch Y. pestis. Desinfektionsverfahren, die gegen Bakterien wirken, sind bakterizid beziehungsweise mycobacterizid, wenn sie gegen die mit einer deutlich stabileren Zellmembrane ausgestatteten Mycobakterien wirken, welche Krankheiten wie Lepra oder Tuberkulose auslösen können.
Eine etwas schwerer zu deaktivierende Form von Mikroorganismen sind die Hefen, welche als einfache Form der Pilze im Gegensatz zu Bakterien einen Zellkern besitzen. Hefen haben einen Stoffwechsel und vermehren sich selber. Zu den Hefen gehören zum Beispiel C. albicans oder auch Saccharomyces cerevisiae (Back-/Bierhefe). Desinfektionsverfahren, die gegen Hefen wirksam sind, nennt man levurozid. Noch schwieriger zu deaktivieren sind Pilze, welche eine sehr stabile Zellhülle besitzen. Zu den Pilzen gehören S. atra, A. fumigatus, aber auch nützliche Arten wie P. roqueforti. Geeignete Desinfektionsverfahren sind fungizid.
Bei den Viren, welche sich nicht selbst vermehren können, sondern immer eine geeignete Wirtszelle benötigen, die sie zu ihrer eigenen Vermehrung zwingen, unterscheidet man zwischen behüllten und unbehüllten Viren.
Zu den behüllten Viren, die aufgrund ihres sehr empfindlichen Aufbaus ähnlich leicht zu deaktivieren sind, gehören Influenza‑, Corona‑, Ebola- oder auch HI-Viren. Sie bieten, bedingt durch ihren Aufbau, viele Angriffsmöglichkeiten für Desinfektionsverfahren. Wirksame Verfahren bezeichnet man als begrenzt viruzid.
Unbehüllte Viren wie das Poliovirus und andere sind deutlich robuster aufgebaut und schwieriger durch vollständig viruzide Verfahren zu deaktivieren.
Bestimmte Bakterien aus den Gattungen Bacillus oder Clostridium sind in der Lage, in Situationen, die für sie überlebensungünstig sind, Bakteriensporen zu bilden. Diese zeichnen sich durch extreme Haltbarkeit gegen physikalische und chemische Einflüsse aus und sind nur durch sporozide Desinfektionsmittel zu deaktivieren. Hierzu gehören B. anthracis, C. difficile und andere.
Weitere mögliche Krankheitserreger, wie Prionproteine, Parasiten, Amöben und Biofilme, sollen in dieser Übersicht außen vor bleiben.
Generell werden sich Mikroorganismen, die sich selbst vermehren können, bei unzureichender Desinfektionsmaßnahme in überschaubarer Zeit, exponentiell vermehren (Bakterien, Hefen, Pilze). Bei den Viren bleibt die Anzahl (die nach einer nicht vollständigen Desinfektion erreicht wurde) gleich oder wird durch natürliche Deaktivierung geringer.
Um die genannten Mikroorganismen zu deaktivieren, gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Wege.
Physikalische Verfahren:
- UV (oder γ) Strahlung – Bei der Desinfektion oder gar Sterilisation durch Strahlung werden wichtige strukturelle Bestandteile der Mikroorganismen irreversibel beschädigt. Interessanterweise ist hier eine Bakterie (Deinococcus radiodurans) mit einem D‑Wert von 2,2 bis 5 kGy am resistentesten, gefolgt von Bakteriensporen und dem Poliovirus. Ein D‑Wert von 1 kGy bedeutet, dass die Anzahl des entsprechenden Mikroorganismus bei einer Bestrahlung mit 1 kGy auf 1/10 reduziert wird und bei einer Bestrahlung mit 4 kGy auf 1/104 oder um 99,999 %. Eine Bestrahlung mit 20 kGy wird folglich in den meisten Fällen zu einem sterilen Objekt führen.
Bei der Keimreduktion durch Bestrahlung ist zu beachten, dass nur die Mikroorganismen deaktiviert werden, die von der Strahlung erreicht werden (Verschattung) und möglicherweise auch die bestrahlten Objekte beschädigt werden. - Hitze (in Form von reiner Wärmestrahlung oder durch Dampf) – Hierbei werden wichtige Bestandteile der Mikroorganismen thermisch zerstört. Auch bei Temperaturen von 120 °C liegt der D‑Wert hier für Sporenbildner bei 1,5 Minuten (Reduktion auf 1/10tel). Dampf bietet gegenüber trockener Hitze den Vorteil, dass der Dampf mehr Wärme an den Mikroorganismus übertragen kann als reine Wärmestrahlung (trockene Hitze).
- Ultraschall ist eine weitere physikalische Möglichkeit, Mikroorganismen zu deaktivieren, wobei die Faktoren für die Durchführung nicht trivial sind und er nur in flüssigen Medien erfolgreich eingesetzt wird.
- Durch Sterilfiltration können Mikroorganismen mit sehr feinporigen Filtern aus der Luft und flüssigen Medien gesammelt werden. Es ist zu beachten, dass die Mikroorganismen in dem Filter verbleiben, was beim Wechsel des Filters dringend beachtet werden muss. Die Filter müssen regelmäßig ausgetauscht werden, wobei eine Desinfektion und/oder Schutzmaßnahmen zwingend erforderlich sind.
Hepa-Filter sammeln Mikroorganismen aus der Raumluft. Mikroorganismen, die sich z. B. mit dem Staub oder anders auf Oberflächen ablagern, werden nicht erreicht und bieten ein unvermindertes Risiko.
Chemische Verfahren
Chemische Desinfektionsverfahren basieren darauf, dass Wirkstoffe aus bestimmten Stoffgruppen mit bestimmten funktionellen Komponenten von Mikroorganismen reagieren und diese irreversibel schädigen (s. unten Tabelle 1).
Die aufgeführten Wirkstoffe werden oftmals auch in Kombination eingesetzt, um sich zu ergänzen.
Aldehyde werden aktuell nur noch wenig eingesetzt, da sie lange Einwirkzeiten haben und die Wirksamkeit in Anwesenheit von Proteinen und in der Kälte schnell nachlässt (Eiweißfehler bzw. Kältefehler).
Alkohol/Wassergemische mit Alkoholgehalten von mehr als 65% (z. B. Ethanol, n‑Propanol oder Isopropanol) haben sehr kurze Einwirkzeiten im Sekunden- bis Minutenbereich, sind sehr gut biologisch abbaubar und verdunsten schnell von der Oberfläche. Sie können als Hände- und Oberflächendesinfektionsmittel eingesetzt werden. Diese Desinfektionsmittel sind gut brennbar und haben bei der Lagerung und Anwendung ein signifikantes Gefahrenpotenzial. Bei der Desinfektion von Kunststoffen und besonders bei Acrylglas ist darauf zu achten, dass Alkohol oft zu einer Versprödung von Kunststoffen führt.
Aktivchlor/Chloroxide haben in höheren Konzentrationen eine schnelle Einwirkzeit, können dann allerdings auch bleichend wirken. Die Wirksamkeit wird von Proteinen und Blut beeinträchtigt – aus diesem Grund wird oft nur unter „clean conditions“ getestet. Viele Produkte auf Basis von Aktivchlor können bei ihrer Reaktion organische Chlorverbindungen bilden, was nicht unbedenklich ist. Bei Aktivchlorprodukten sind durchaus Produktformulierungen mit geringem Wirkstoffgehalt möglich, die nicht als Gefahrstoffe zu bewerten sind. Ihre Einwirkzeit beträgt dann aber oftmals Minuten bis Stunden. Sie können unter sauren Bedingungen Chlorgas freisetzen. Auf der anderen Seite sind diese Produkte sehr günstig in der Herstellung und bei richtiger Formulierung des Produktes durchaus zwei Jahre stabil.
Desinfektionsmittel auf der Basis von Aktivsauerstoff, wie zum Beispiel H2O2, Ozon oder organische Peroxide/Persäuren, zeigen schon bei geringer Wirkstoffkonzentration eine schnelle Wirkung und können sogar Bakteriensporen innerhalb weniger Minuten deaktivieren (z. B. Peressigsäure). Desinfektionsmittel auf Basis organischer Perverbindungen/Persäuren können so formuliert werden, dass sie innerhalb von Sekunden bis Minuten gegen alle Arten von Mikroorganismen auch unter „dirty conditions“, also in Gegenwart von Eiweiß und Blut, schnell wirken, ohne durch Kälte beeinträchtigt zu werden und sogar Biotoxine oxidativ abbauen können. Bei entsprechend niedrigem Wirkstoffgehalt handelt es sich bei diesen Desinfektionsmitteln nicht um Gefahrstoffe.Trotzdem können sie die schnelle Wirksamkeit von alkoholischen Desinfektionsmitteln erreichen und sind bei richtiger Formulierung für zwei Jahre stabil. Besonders bei Produkten auf der Basis von Peressigsäure ist eine gute Formulierung entscheidend, da Peressigsäure einen durchaus sehr unangenehmen und stechenden Geruch haben kann. Sowohl bei Desinfektionsmitteln auf der Basis von Aktivchlor als auch Aktivsauerstoff ist die richtige Formulierung entscheidend dafür, ob das Desinfektionsmittel korrosiv ist oder nicht.
Quartäre Ammoniumverbindungen und Biguanide bieten üblicherweise Einwirkzeiten im Bereich von Minuten bis Stunden. Diese wässrigen Desinfektionsmittel sind üblicherweise keine Gefahrstoffe, haben aber auch nur ein begrenztes Wirkungsspektrum. Sie sind üblicherweise nicht sehr leicht biologisch abbaubar und können einen klebrigen Film auf den desinfizierten Oberflächen hinterlassen. Bei einigen Wirkstoffen aus dieser Wirkstofffamilie ist zu beachten, dass der Wirkstoff selber durchaus schädigend auf menschliche Zellen wirken kann, wenn er nicht mehr ausreichend verdünnt vorliegt, weil das Lösungsmittel Wasser von der Oberfläche verdampft ist und nun der reine Wirkstoff teilweise als luftgängiges Partikel vorliegt. Diese Desinfektionsmittel sollten daher auch nach Möglichkeit nicht versprüht werden.
Auswahl
Folgende Punkte sind bei der Auswahl eines geeigneten Desinfektionsmittels generell zu beachten:
- Welche Mikroorganismen sind bei der Desinfektionsmaßnahme zu deaktivieren?
Eine Oberflächendesinfektion im üblichen Umfeld, wie einem Arbeitsplatz, einem Restaurant oder Ähnlichem, kann mit jedem der oben genannten Wirkstoffe sicher gewährleistet werden, dieses auch im Hinblick auf Coronaviren. Selbst ein Ebolavirus widersteht keinem der oben genannten Wirkstoffe über mehrere Minuten, da es ein behülltes Virus ist.
Eine umfangreiche Desinfektion, wie zum Beispiel in einem Überflutungsgebiet, stellt sehr hohe Anforderungen an das Desinfektionsmittel. Hier sind auch unbehüllte Viren oder sporenbildende Bakterien anzutreffen. Zusätzliche starke Verschmutzungen auf den zu desinfizierenden Oberflächen bringen die meisten Desinfektionsmittel an ihre Leistungsgrenze. - Innerhalb welcher Einwirkzeit muss die Desinfektionswirkung erfolgen?
- Welche Gefährdungspotenziale gehen von der Anwendung des Desinfektionsmittels aus und was ist bei der Lagerung des Desinfektionsmittels zu beachten?
TRGS 600 und TRGS 510 müssen hier unbedingt beachtet werden, da oftmals ein Desinfektionsmittel mit niedrigem oder ohne Gefahrenpotenzial statt einem Gefahrstoff verwendet werden kann, um die Desinfektion sicher in der geforderten Einwirkzeit mit dem benötigten Wirkspektrum zu gewährleisten. Hier erspart der Blick auf unterschiedliche Produkte eventuell viel Zeit und Ärger.
Zu beachtende Regularien bei der Auswahl der Desinfektionsmittel
Grundsätzlich sollte bei allen zu verwendenden Biozidprodukten geprüft werden, ob diese auch offiziell für das gewählte Anwendungsgebiet registriert sind. Ein Produkt, dessen bestimmungsgemäßer Gebrauch die Deaktivierung/Reduzierung von Mikroorganismen ist, muss entweder als Biozid (BAuA), Arzneimittel oder Medizinprodukt angemeldet beziehungsweise zugelassen sein.
Unter die Arzneimittel fallen einige der Händedesinfektionsmittel und diese sind leicht anhand ihrer Zulassungsnummer zu erkennen. Händedesinfektionsmittel, die Arzneimittel sind, sollten nur in den entsprechenden Spenderflaschen beschafft werden, da ein Umfüllen aus Kanistern in Spenderflaschen nach den strengen Regeln des Arzneimittelgesetzes zu erfolgen hätte.
Desinfektionsmittel, die Medizinprodukte sind, erkennt man am CE-Zeichen.
Alle anderen Desinfektionsmittel sind Biozidprodukte und müssen eine BAuA Registriernummer tragen.
Bezüglich der Einwirkzeiten und der Wirksamkeit für die unterschiedlichen Mikroorganismen sind die Ergebnisse der Prüfungen nach DIN/EN zu bewerten. Diese sind üblicherweise auf dem Etikett und im Produktdatenblatt vermerkt.
Zur Entscheidungsfindung für ein geeignetes Desinfektionsmittel vergleicht man die Ergebnisse der Prüfungen auf Bakterizidie, Levurozidie, Fungizidie und Viruzidie jeweils nach DIN/EN miteinander. Es ist darauf zu achten, dass das prüfende Labor auch für die entsprechenden DIN/EN-Prüfungen akkreditiert ist. Hersteller geben üblicherweise bekannt, in welchem Labor die Prüfungen durchgeführt wurden. Eine VAH-Listung oder eine Listung bei anderen Interessenverbänden kann in die Überlegung einbezogen werden, ersetzt aber keine DIN/EN-Prüfung, da die Prüfverfahren dieser Interessenverbände teilweise leicht von der DIN/EN abweichen und im Übrigen weder vorgeschrieben sind noch außerhalb von Deutschland eine Rolle spielen und sich durch den zusätzlichen Prüfaufwand in einem höheren Produktpreis niederschlagen. Eine Prüfung nach DIN/EN ist immer ausreichend. Eine Listung des Produktes durch das RKI spielt bei angeordneten Desinfektionsmaßnahmen im Seuchenfall eine Rolle, im Alltag allerdings nicht.
Wie beschrieben unterteilt man die Anforderungen an das Desinfektionsmittel bei der Wirksamkeitsprüfung in „clean conditions“, wobei das Desinfektionsmittel nur in Gegenwart von geringen Proteinmengen als störende Verunreinigung seine Wirksamkeit beweisen muss. Bei einer Prüfung nach DIN/EN unter „dirty conditions“ muss die Wirksamkeit in Gegenwart einer zehnfach höheren Proteinbelastung und zusätzlich Blut als Verunreinigung der Prüfoberfläche unter sehr praxisnahen Bedingungen gezeigt werden.
Bei den Desinfektionsmittelarten unterscheidet man Haut- und Händedesinfektionsmittel, Oberflächendesinfektionsmittel für die Sprühdesinfektion und Oberflächendesinfektionsmittel für die Wischdesinfektion, bei der eine zusätzliche mechanische Komponente zum Desinfektionsverfahren und der Wirksamkeitsprüfung hinzukommt. Es gibt im medizinischen Bereich noch die Instrumentendesinfektion und als neue Desinfektionsmethode die Raumluftdesinfektion, wobei die Prüfverfahren hierfür noch sehr neu sind.
Fazit
Zur sicheren Desinfektion gehört die Bewertung der zu erwartenden Mikroorganismen, um ein Desinfektionsmittel mit entsprechendem Wirkungsspektrum auszuwählen.
Die Desinfektionsaufgabe gibt die geforderte Einwirkzeit vor.
Die Verkehrsfähigkeit des Desinfektionsmittels wird durch Prüfung der Arzneimittelregistriernummer, der CE-Registriernummer oder der BAuA-Registriernummer als Biozidprodukt sichergestellt.
Die Wirksamkeitsnachweise nach DIN/EN ermöglichen einen qualitativen Vergleich der Desinfektionsmittel. Listungen nach VAH etc. sind nicht zwingend erforderlich und eine RKI-Listung ist nur in Spezialfällen nötig.
Bezüglich Anwendung, Lagerung und Transport der Desinfektionsmittel muss besonders im Hinblick auf TRGS 600 und TRGS 510 ein genauer Blick auf die Gefährdungsbeurteilung der geeigneten zur Auswahl stehenden Desinfektionsmittel geworfen werden.
Auch der Umweltaspekt sollte nicht außer Acht gelassen werden. Ein Liter eines üblichen alkoholischen Desinfektionsmittels entspricht 1,7 bis 2,3 kg CO2, ein übliches Produkt auf Basis von Aktivsauerstoff 0,05 bis 0,1 kg CO2 und ein Produkt auf der Basis von Aktivchlor 0 kg CO2. Bei den Produkten auf Aktivchlor-Basis ist die Bildung von möglichen chlororganischen Verbindungen zu berücksichtigen und bei den quartären Ammoniumverbindungen und Biguaniden die oftmals schwierige biologische Abbaubarkeit.
Für tiefergehende Fragen zu Wirkstoffen, Prüfverfahren und Wirkmechanismen bietet sich Wallhäußers Praxis der Sterilisation, Desinfektion, Antiseptik und Konservierung als Nachschlagewerk an.